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Rameaus Geburtshaus

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Ich hängte schnell meine Kleider auf, zog mich schnell aus, duschte und zog dann wieder mein Reisekostüm an. Wohl ziemlich unbewußt wollte ich die Durands nicht zu lange warten lassen. Als ich aber wieder in die Hotelhalle kam, war gerade erst der Tee gekommen, den sich Gaston bestellt hatte. Auf meinen fragenden Blick sagte er:

"Wir haben noch etwas Zeit; Auguste ist sicher noch nicht fertig. -- Wie ist dein Zimmer?"

"Altväterlich riesig und gemütlich."

"Ja, so ist es hier, das sagte ich ja schon. Wir bringen unsere Gäste auch gern hier unter, es ist auch ganz nahe zu uns. Das Restaurant ist auch sehr gut, wir gehen hierher sogar manchmal essen."

"Und trotzdem hat es nur zwei Sterne -- knapp über der Jugendherberge."

"Ich glaube, jetzt hat es drei -- ich weiß oft auch nicht, nach welchen Kriterien die die Hotels einstufen -- da haben die heutigen jungen Leute wohl einen anderen Geschmack as wi olle Lüd."

"Plattdeutsch kannst du auch?"

"Ja, da kommt man in Bremen ja nicht drum rum! Und die ,ollen Lüd` nehme ich zurück, zumindest was dich betrifft."

"Alter Charmeur! Ich glaube, wir sollten jetzt gehen."

"Wir nehmen natürlich ein Taxi -- hier gegenüber ist ein Stand."

"Aber du hast doch gesagt, es ist ganz nahe!?"

"So nahe ist es nun auch wieder nicht."

"Wie lange würde man den zu Fuß gehen."

"Eine Viertelstunde -- zwanzig Minuten schon."

"Dann ist es doch nicht so nahe, sondern einmal quer durch die Stadt."

"Hast du eine Ahnung, wie groß Dijon ist -- einmal quer durch die Stadt, na, du bist gut!"

"Hab ich ja nur zum Spaß gesagt -- norddeutscher Humor, du weißt ja."

"Geht das jetzt schon hier los! Also komm!"

Aber bevor wir loszogen, fiel mir noch etwas ein: Ich hatte eine Eingebung und hatte mir auch meine Ausgabe von Rameaus Cembalowerken eingepackt. Sie zu holen huschte ich schnell in den dritten Stock, um nicht erst auf den Garçon warten zu müssen, schnell in mein Zimmer, die Noten aus dem Koffer geholt und wieder in die Halle geflitzt -- das alles, bevor Gaston dieses Ganze richtig begriff.

"Du hast doch gesagt, ihr habt ein Klavier", sagte ich nur zur Erklärung.

Das Taxi fuhr dann auch eine ganze Weile und um mehrere Ecken, bis wir in einem Villenviertel vor einem zweistöckigen, offenbar älteren Haus standen.

"Das ist das Haus von Augustes Eltern", erklärte Gaston, "wir wohnen oben, unten haben wir an einen amerikanischen Gastprofessor vermietet, der ist jetzt in den Semesterferien drüben, und wir haben das Haus für uns."

Wie stiegen die Treppen hoch, und oben erwartete uns schon Auguste, in schöner Unkompliziertheit noch mit Küchenschürze.

"Entrez, Mesdames, Messieurs!"

"Auguste", sagte Gaston, "du kannst doch mindestens so gut Deutsch wie ich --"

"M, hm", machte Auguste.

"-- ich würde vorschlagen, wir reden Deutsch mit Melanie."

"Wenn Sie meinen, Monsieur", sagte Auguste, ihren Göttergatten spaßhaft siezend; "sei willkommen bei uns, Mélanie."

"Kann ich dir noch was helfen?", fragte ich.

"Vielen Dank, es steht alles schon auf dem Tisch; Gaston, such uns mal einen Wein aus!"

"Wie magst du es denn, Melanie, lieber trocken oder lieber lieblich?"

"Wie ich es mag, sag ich nicht --", an dem Blitzen in Gastons Augen merkte ich, daß ich doch etwas vorsichtiger mit meinen Worten hätte sein sollen --, "aber Wein mag ich lieber lieblich."

"Endlich mal ein deutsches Wesen, das nicht nur sec-sec mag", freute sich Auguste.

"Ich habe hier verschiedene demi-sec -- und hier auch einen doux --"

"Probieren wir mal den doux", sagte ich vorlaut.

"Sehr gut!", sagte Auguste erfreut.

Als Gaston die Flasche geöffnet hatte, führten mich die beiden ins Eßzimmer mit dem festlich gedeckten Tisch. Ich sah gleich die Riesen-Käseplatte mit vielen verschiedenen Camembert- und Brie-Sorten. Das war es also, was Gaston Auguste zugeflüstert hatte. Wie immer oder jedenfalls meistens, wenn mir etwas besonders Gutes, Schönes und Liebes widerfuhr, kamen mir die Tränen. Das wiederum bemerkte Auguste sofort und erriet wohl auch den Grund für mein Heulen; sie umarmte mich innig, ich hauchte ein fast unhörbares "Danke!", und dabei fielen meine Noten zu Boden, die ich unter den Arm geklemmt hatte. Gaston und Auguste halfen mir die Noten aufzuheben, und Auguste fragte:

"Was hast du denn da mitgebracht, Mélanie?"

"Das sind die Cembalostücke von Rameau. Ich hab sie auf alle Fälle von Hamburg mitgebracht, und Gaston hat im Zug gesagt, ihr hättet ein Klavier." Und richtig: An einer der Wände sah ich ein Pianino.

"Willst du uns was spielen? Ich hoffe, es ist nicht zu verstimmt."

"Gerne, wenn ich darf --"

"Natürlich darfst du -- wir sind ja auch allein im Haus, und der Prof würde uns das bestimmt auch nicht verbieten."

Meine Tränen, mein "Dankeschön" und jetzt die mitgebrachten Noten hatten das Eis gebrochen. Die zunächst mir gegenüber doch recht reservierte Auguste umarmte mich ein zweites Mal, noch inniger als zuvor; dann umarmte sie auch Gaston mit den Worten:

"Was du uns da ins Haus geholt hast -- merci, mon cher! -- Nun aber bitte zu Tisch!"

Beim Essen langten wir alle herzhaft zu, ich wurde quasi dazu genötigt, möglichst alle Käse-Herrlichkeiten wenigstens zu probieren, es schmeckte herrlich, wir unterhielten uns großartig, wie stets fielen mit zunehmendem Weingenuß die einen oder anderen Hemmungen: das hieß in unserem Fall, daß Auguste und Gaston immer mehr französische Worte in ihre Rede einfließen ließen und nun auch im Deutschen immer mehr Fehler machten, und bei mir war es umgekehrt: Immer mehr französische Wörter und Wendungen fielen mir ein, wohl mit manchem Fehler. Dies alles tat aber natürlich unserer Stimmung keinen Abbruch, wir hatten uns auch noch so weit unter Kontrolle, daß wir zu gegebener Zeit mit dem Essen und Trinken aufhörten und ich gebeten wurde, einige Stücke von Rameau zu spielen. Ich wählte die Allemande und die Courante in a-moll, die mit dem ungewöhnlichen Quarten-Thema, den Rappel des oiseaux, als Rausschmeißer die Niais de Sologne mit ihrem gewollt krassen Gegensatz von primitiver Melodie, eben den niais, und der virtuosen Begleitung, die ich dank wegfallender Hemmungen und deshalb wegfallendem zu vielem Nachdenken recht gut hinbekam.

"Da hat es doch noch La Poule", erinnerte sich Auguste.

Ja, richtig, und so spielte ich als letzten Rausschmeißer noch das gackernde Huhn.

Als Dank erntete ich wieder eine herzliche Umarmung. Dann erinnerte sich Gaston:

"Im Zug hattest du gesagt, dir gefiele Couperin noch besser --?"

"Ja, das stimmt, aber den hab ich nicht mitgebracht, das wären noch vier solcher Bände."

"Ich glaube nicht, daß Couperin unter den Noten von den Kindern ist", meinte Gaston, "die haben sich mehr für Klassik und Romantik interessiert, wenn überhaupt, nicht für so Altes. Wir können ja morgen eine Couperin-Ausgabe im Musikgeschäft kaufen."

"Das ist doch nicht nötig", sagte ich, "und Noten sind heute ja auch so teuer --"

"Couperin sollte man als Musikliebhaber eigentlich sowieso im Haus haben", sagte Gaston darauf, "hoffentlich haben die das vorrätig."

Wir tranken noch ein letztes Glas Wein, dann wollte mich Gaston per Taxi zu meinem Hotel bringen.

"Aber, Gaston", sagte ich, "das ist doch nicht nötig. Ich kann doch jetzt auch selbst und allein mit einem Taxi zum Hotel fahren."

"Es ist aber doch besser, ich komme mit, es ist doch schon spät und die Straßen ganz leer. Ich hol dich dann morgen so um neun Uhr im Hotel ab -- ist das okay?"

"Völlig okay, aber sagen wir neun bis halb zehn -- also gut, wenn du unbedingt mitkommen willst -- dann kannst du mir ja helfen, meinen Schlüssel vom Nachtportier zu verlangen."

",Schlüssel` heißt clef", sagte Gaston nur cool.

"Dat weet ik ook. Wir sollten dann wohl mal gehen!"

Zum Abschied noch einmal eine rührende Umarmungsszene mit Auguste, schon standen wir auf der Straße und ein von Gaston herbeigewinktes Taxi hielt neben uns. In wenigen Minuten waren wir beim Post-Hotel, und ich sagte zu Gaston:

"Du brauchst doch nicht mit reinzukommen; ich schaff das schon alleine."

So half mir Gaston nur noch beim Aussteigen, dann verabschiedeten wir uns mit keuschen Küßchen links und rechts, ich ging in die Halle, Gaston überzeugte sich noch davon, daß ich wohlbehalten im Hotel verschwunden war, dann ließ er den Taxifahrer losfahren. Der Portier, obwohl er am Abend noch nicht Dienst hatte, erkannte mich doch irgendwie, hielt mir schon meinen Schlüssel entgegen, wünschte mir eine gute Nacht, und ich nahm die Treppe in den dritten Stock, um nicht den eingeschlummerten Liftboy zu wecken.

Im Zimmer sank ich erst einmal erschöpft in einen der Sessel, sprang aber bald wieder auf und rief den Portier an, um mir eine Außenleitung geben zu lassen. Ich rief Dieter an, um ihm zu sagen, daß ich heil angekommen war, und ich erzählte ihm von Gaston, daß er mir morgen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Dijon zeigen wollte, und von dem Abend bei Durands.

"Das ist ja wunderbar und so ein Glücksfall", meinte Dieter, "daß du im Zug so einen netten Dijonner getroffen hast. Dann wünsch ich dir viel Spaß morgen -- rufst du morgen wieder an?"

"Mach ich! Dann tschüs und gute Nacht."

Nach dieser gar nicht so lästigen Pflichterfüllung zog ich mich aus, hängte das Kostüm sorgfältig hoch, wusch Hemd und Slip aus, von denen ich wohl zugunsten der Noten zu wenig eingepackt hatte, hängte die feuchten Fetzen auf ein immerhin vorhandenes Trockengestell, ließ Wasser in die außer der Duschecke immerhin vorhandene Badewanne und legte mich ins warme Wasser.

Wie so oft bei solchen Gelegenheiten kamen mir wieder meine Gedanken. Es war mir ziemlich klar, daß ich dieses schöne breite Bett nicht während der ganzen Dijon-Reise nur allein benützen würde, und mir war auch ziemlich klar, daß mein Bettgenosse Gaston sein würde, gerade weil er all die Stunden, die wir uns nun schon kannten, nie versucht hatte, mich am Knie oder am Busen zu streicheln. Ich hatte ihm nun allerdings mit meinem kleinen unbedachten Halbsatz etwas Feuer gegeben. Soviel Deutsch konnte er sicher, daß er verstand, was man oft mit "es so oder so mögen" meint. "Melanie, du bist wieder drauf und dran, etwas mit einem verheirateten Herrn anzufangen." "Aber ich bin es doch auch." "Eben drum, und außerdem ist der Betreffende offensichtlich auch noch sehr glücklich verheiratet." "Lassen wir's drauf ankommen, wenn was wird, wird's, wenn nicht, nicht."

Soweit beruhigt, entstieg ich der Wanne, trocknete mich ab und legte mich in der warmen Sommernacht nackt ins Bett, um nicht unnötig einen Pyjama vollzuschwitzen.

Ich schlief wie ein Murmeltier und wachte erst kurz vor neun Uhr auf. Nun ja, ich hatte ja eine Gnadenfrist bis halb zehn herausgeschlagen, und so hatte ich noch Zeit für ein Bad in der Wanne zum Nachdenken. Ich kam zu keinen anderen Schlüssen als am Abend zuvor -- aber ein anderes Problem war: Was sollte ich heute anziehen. Ja, was denn an so einem Ferien-Sommertag: T-Shirt "mit ohne" BH, kurzer Rock, natürlich keine Strümpfe, Sandalen. Das war ja schnell angezogen -- aber da fiel mir ein: In manchen katholischen Kirchen sollen ja immer noch leicht bekleidete Damen unerwünscht sein. Blöd, daß ich Auguste nicht von Frau zu Frau gefragt hatte! Sicherheitshalber wählte ich doch eine weiße Bluse "mit mit" BH und einen ziemlich langen weiten Rock, natürlich auch ohne Strümpfe. So konnte mir kühlende Luft um die Beine fächeln. Natürlich gerade in dem Moment, als ich nur im Slip dastand und mir den BH zuhakte, klopfte es zum Glück nicht an der Tür, sondern es läutete das Telephon, und Gaston sagte:

"Guten Morgen, Melanie, es ist halb zehn, ich sitze im Restaurant."

"Ich komm gleich runter", flötete ich in die Muschel.

"Wunderbar -- kann ich dir schon was zum Frühstück bestellen?"

"Schwarzbrot, wenn hat, und ein hartgekochtes Ei."

"Wird gemacht!"

In wenigen Minuten war auch ich fertig, nahm mein Handtäschen -- war auch alles drin? Ja, es war, inklusive eines Päckchens eines blauen Herstellers.

Ich hatte am Abend nicht darauf geachtet, ob man vom Restaurant die Treppe sehen konnte, und so stolzierte ich auf alle Fälle betont graziös die Treppe hinunter. Das war aber umsonst, denn in das Restaurant mußte man durch eine Tür treten. In dem verwinkelten Raum, dessen Decke von mehreren Säulen getragen wurde, dauerte es ungraziös lange, bis ich Gaston an einem der Tische in der hintersten Ecke bemerkte. Eigentlich wollte ich Gaston aus Protest gegen diese schummerige Ecke bitten, zu einem der Tische am Fenster umzuziehen, von wo man so schön das Treiben auf der Straße beobachten konnte, da aber nicht nur Schwarzbrot und ein Ei, sondern auch eine große Käseplatte mit Brie- und Camembert-Spezialitäten gedeckt war, unterließ ich dies und bat Gaston nur, nächstens bei entsprechender Gelegenheit einen Fensterplatz zu wählen.

Dies brachte den armen Gaston etwas aus dem Konzept, so daß er sein Kompliment ob meines Aussehens nur leicht gestottert herausbrachte, aber er taute beim Genuß der Herrlichkeiten bald auf, und er fragte:

"Weißt du, was wir Jungs auf der Schule zu solchen Röcken, wie du sie heute anhast, gesagt haben?"

"Ich kann's mir denken: sicher was unanständiges."

"Überhaupt nicht! Sie seien gut ,pour camoufler des cuisses dodues`."

"-- dodues --?"

"Cuisses sind --"

"Ich weiß, was cuisses sind! Aber dodues? Ich will hier ja auch etwas besser Französisch lernen."

",Dodu` heißt ,dick` --"

"Ich hätte es mir denken können, du Frechdachs!"

"Aber damit hast du ja keine Probleme --"

"Ich wüßte nicht, was dich meine ,cuisses dodues ou maigres` angingen!"

"Natürlich, Melanie", sagte Gaston kleinlaut und wurde puterrot.

"Du hast wahrscheinlich gestern im Zug, als ich das enge Kostüm anhatte, meine Formen abgemessen -- ich kenne doch euch Männer", sagte ich freundlich, und Gaston, wieder etwas munterer, bemerkte ganz richtig:

"Auch gestern hast du hinreißend ausgesehen."

"Nun nimm du alter Deutschlehrer das ,hinreißen` mal nicht zu wörtlich!"

Wieder wurde Gaston rot und wechselte schnell das Thema:

"Ich schlage vor, wir gehen zum Hauptplatz, werfen einen Blick ins Rathaus und in die Kathedrale, ich zeige dir, wo einst Rameaus Geburtshaus stand -- das originale gibt es nicht mehr, aber an dem Haus, das jetzt da steht, ist eine Plakette --, ich zeige dir das Konservatorium, das nach Jean-Philippe Rameau heißt, da sind oft schöne Konzerte, wenn dann noch Zeit ist und wir noch können, zeige ich dir am Rande des Altstadtkerns noch zwei wenig bekannte romanische Kirchen -- und dann sehen wir mal weiter. Abends bist du natürlich wieder bei uns eingeladen."

"Das kann ich doch nicht annehmen -- jeden Tag --"

"Bitte keine Widerrede -- wer soll uns denn sonst Musik machen? -- Du hast ja auch deine Noten bei uns gelassen."

"Ach ja -- na denn -- danke für die Einladung!"

Wir steckten uns die noch verbliebenen Käsestücke in den Mund, ich wollte mein Frühstück bezahlen, aber Gaston klärte mich auf: "Die Rechnung fürs Frühstück steht nachher auf der Gesamtrechnung, wenn du wegfährst; du brauchst nicht jede Rechnung einzeln zu bezahlen."

"Dann los und Aufbruch!

Gaston zog das Besichtigungsprogramm durch, wie er es am Frühstückstisch entwickelt hatte, wir erfrischten uns hier mit einem Saft, dort mit einer Limonade, Gaston ließ sich nicht lumpen und kaufte im wohl ersten Musikgeschäft Dijons die vierbändige Couperin-Ausgabe von Chrysander und Brahms -- zwar schlechter gedruckt als die moderne Ausgabe, aber für mich als Hamburger Patriotin eine Selbstverständlichkeit! -- gegen zwei Uhr aßen wir in einem Straßenrestaurant etwas Leichtes, und um vier Uhr hatten wir auch die beiden wirklich sehr schönen "Vorstadtkirchen" erledigt.

"Ja, was machen wir jetzt?", fragte ich.

"Ja, was machen wir? Auguste kommt erst gegen halb acht vom Dienst, und um acht essen wir. Wir könnten zu uns fahren, und du ruhst dich im Gästezimmer aus oder spielt auf dem Klavier oder TV --"

"Ich hab eine andere Idee: Hier fangen ja schon die Villenstraßen an -- gibt es hier nicht ein Schwimmbad, wo man sich abkühlen und in der Abendsonne auch etwas sonnen kann? Ich hab Badesachen mitgebracht."

"Das ist eine sehr gute Idee! Dann nehmen wir ein Taxi -- hier um die Ecke stehen meistens welche --, fahren zu deinem Hotel, du nimmst dein Badezeug und ziehst dich vielleicht um, ich fahre in unsere Wohnung, hole meine Sachen, ich hole dich im Hotel ab, und wir fahren zur ,piscine`, die liegt dort raus, nicht hier", und zeigte dabei in eine Richtung.

Gesagt, getan. Ich zog mir das noch auf dem Bett liegende T-Shirt und den kurzen Rock an, den Bikini schon darunter. Ich war schnell fertig, aber kaum hatte ich im Restaurant Platz genommen und mir noch eine Limonade bestellt, war Gaston schon zur Stelle. Ich stürzte die Limonade hinunter, um das Taxi nicht unnötig lange warten zu lassen, und wir ließen uns zum Schwimmbad fahren.

Man sah gleich: Es waren angenehm wenig Leute da, viele Franzosen waren in den Ferien verreist. Wir zogen uns in Männlein- und Weiblein-Kabinen um und trafen uns wieder bei den Tischtennistischen. Gaston sah mich als Bikini-Schönheit bewundert an, und als er noch nach fünfzehn Sekunden nichts von sich gab, sagte ich neckisch:

"Du mußt jetzt wieder sagen, ich sehe hinreißend aus oder etwas Ähnliches."

Gaston antwortete schlagfertig:

"Als Deutschlehrer wiederholt man sich nicht gern -- wenn wir unseren Schülern sagen: keine Wortwiederholungen, dann kann ich doch nicht wieder --"

"-- ,hinreißend` sagen, nein, das geht wirklich nicht!"

Leer, wie das Schwimmbad war, fanden wir einen guten Platz an einer großen Kastanie, wo wir uns sowohl sonnen als auch im Schatten liegen konnten.

Irgendwann erklärte mir Gaston:

"Dies ist das alte traditionelle Schwimmbad. Wir haben hier noch ein moderneres, das hat all so was wie eine Wasserrutsche, Whirlpool, auch ein Restaurant, nicht nur wie hier einen Eisstand, da sind auch viele junge Leute, die Mädchen oben ohne --"

"Da wärest du wohl lieber hingegangen!?"

"Nein, Melanie, da passe ich nicht mehr hin, die zu fünfundneunzig Prozent nackten Mädchen sind zwar ein leckerer Anblick, aber die laute Dudelmusik, die die da immer spielen -- nein, das ist nichts für mich -- oder wärest du lieber dahin gegangen?"

"Damit du auch meinen Busen siehst?"

"Natürlich braucht auch da niemand barbusig zu gehen."

"Nein, was du über die blöde Musik gesagt hast -- ich kann mir denken welche -- da gefällt es auch mir hier besser -- wunderbar, diese alten Bäume."

"Dieses Bad ist, glaube ich, achtzig oder schon hundert Jahre alt."

"Wir können als sportliche Übung mal einen der Bäume durchsägen und die Jahresringe zählen! -- So, ich geh jetzt eine Runde schwimmen, dann sollten wir langsam aufbrechen."

Ich bin ja sonst nicht sehr sportlich, aber in dem Jahr, in dem in meiner Schulzeit das Schwimmen dran war, hatte ich eine Note besser als sonst. Zur maßlosen Verblüffung von Gaston schwamm ich in beachtlich kurzer Zeit vier Fünfzig-Meter-Bahnen mit auf den ersten Blick professionell aussehenden Wenden, entstieg dem Schwimmbecken, rief dem vor sich hinspaddelnden Gaston zu: "Nachmachen!", begab mich in die Kabine und zog mich wieder an. Nicht viel später war auch Gaston wieder vorzeigbar, und wir schlenderten durch Villenstraßen und einen Park zum Haus der Durands. Auf diesem Weg erzählte mir Gaston:

"Du bist ja eine tolle Schwimmerin, aber mein Sport in der Jugend war das Radfahren. Ich bin sogar bei den Jugendmeisterschaften im Département Haute-Saône mal Dritter geworden."

"Ich kann zwar ganz gut schwimmen, aber so etwas habe ich nie erreicht -- hab aber auch nie an Meisterschaften teilgenommen."

"Dann kannst du natürlich auch nichts gewinnen!

"Wie recht du hast -- vielleicht wäre ich in Hamburg auf Platz dreiundvierzig gekommen."

"Mindestens -- wahrscheinlich sogar auf einundvierzig -- ich wollte vorschlagen, ob wir nicht an einem der Tage ein Radfahrt in die Umgebung machen sollen?

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