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Rameaus Geburtshaus

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"Oh ja, das wäre eine prima Idee -- hast du Räder?"

"Natürlich -- aber nur Herrenräder -- Auguste fährt auch nur auf solchen, sie sind ja auch viel stabiler."

"Dann zieh ich natürlich Hosen an -- nur beim Ab- und Aufsteigen muß ich daran denken, das Bein hinten rüberzuschwenken."

Wir kamen zugleich mit Auguste zu Hause an, und während wir alle gemeinsam in der Küche das Abendbrot vorbereiteten, erzählten wir ihr unsere heutigen Erlebnisse.

"Im alten Schwimmbad wart ihr", sagte Auguste, "da gehen wir auch gern hin, das ist ja auch ganz nahe."

Und als Gaston mit einem Tablett im Eßzimmer verschwunden war, fragte Auguste verschmitzt lächelnd:

"Hat er dir auch von dem modernen Bad erzählt?"

"Ja, das hat er."

"Da geht er mit seinen Kollegen manchmal hin --"

"Wegen der zu fünfundneunzig Prozent nackten Mädchen, wie er gesagt hat --"

"-- nicht selten hundert Prozent -- gönnen wir den Herren ihren Spaß!"

Bei Tisch berichtete Gaston als Nachtrag noch von meiner Dreihundert-Meter-Leistung, die ich auf zweihundert Meter korrigieren mußte, und nach dem Essen gab ich ein richtiges Couperin-Konzert mit meinen Lieblings- Ordres, dem sechsundzwanzigsten, vorletzten, in fis-moll, den letzten in h-moll, wo Couperins Cembalowerk im Springtanz "Saillie " in so zwielichtich-makabrer Stimmung abschließt, dann den fröhlichen achten Ordre in B-Dur mit dem ,Moucheron`, der Brummfliege, und als Rausschmeißer den ,Tic-Toc-Choc`, für den man eigentlich ein zweites Manual gebracht hätte, das sich aber auch gut auf einem Klavier spielt, wenn man die rechte Hand eine Oktave höher nimmt als notiert. Als Belohnung wieder kein Rosenstrauß, sondern innige Umarmungen.

Am nächsten Tag sollte ich also allein meine Kenntnisse der Dijoner Sehenswürdigkeiten vertiefen. Aber ganz so kam es nicht. Morgens um zehn wollten sich die nicht in die Ferien entschwundenen Kollegen von Gastons Schule zu einer inoffiziellen Konferenz treffen, zu der mich Gaston einlud, und abends um sieben gab es ein Konzert junger Künstler im Konservatorium, zu dem auch Auguste kommen wollte.

Also zog ich am Morgen das Kostüm an; Gaston frühstückte wieder mit mir und ging dann mit mir zu seiner nicht weit entfernten Schule. Er stellte mich vor, ich wurde mit Hallo als ausländische, sehr willkommene Kollegin begrüßt, Gaston sagte etwas kleinlaut:

"Wir duzen uns hier alle --"

"Très bien, Mesdames Messieurs, ich heiße Mélanie."

Bei der Konferenz ging es um mir so sattsam bekannte Themen wie die mangelnde Finanzierung der Schule, die mageren Gehälter, die blödsinnigen, völlig weltfremden Lehrpläne, den Sexualkundeunterricht, ..., alles in sehr scharfen Reden, und schließlich -- dies nun für Deutschland, jedenfalls damals noch, völlig undenkbar -- wurde die Organisation eines Lehrerstreiks spätestens im November beschlossen. Es wurde natürlich nur französisch gesprochen, aber es waren außer Gaston noch genügend viele Kollegen darunter, die Deutsch verstanden, und so konnte ich meine Diskussionsbeiträge auf Deutsch sagen. Aber man hört sich ein auf die fremde Sprache, und gegen Ende der Konferenz verstand ich fast alles.

Danach gingen die Kollegen in ein gutes Restaurant essen, und ich wurde dazu eingeladen. Mir das Essen bezahlen zu lassen konnte ich mit Hinweis auf die besprochenen mageren Gehälter zum Glück abwehren. Es war ein gemütliches Beisammensein, man hatte darauf geachtet, daß ich neben Tischnachbarn saß, die beide Deutsch verstanden, und es wurde meiner Beobachtung zugestimmt, daß mittlerweile viel mehr Franzosen Deutsch können als umgekehrt Deutsche Französisch.

Als das Gelage nach mehreren Gängen zu Ende war, lohnte sich für Gaston und mich vor dem Konzert kaum noch ein Gang in die Stadt, so schlenderten wir nur in Richtung Konservatorium, setzten uns in eine Bistro, von wo wir Auguste kommen sehen mußten, und genehmigten uns ein Glas Rotwein.

Langsam wurde ich nervös, weil Auguste nicht kam und nicht kam und ich ungern zu spät zu Konzerten komme und mich durch die schon Sitzenden drängele. Gaston beruhigte mich, bestellte für sich noch ein Glas Rotwein, und als er es drei Minuten nach dem offiziellen Beginn des Konzertes halb ausgetrunkebn hatte, kam Auguste um die Ecke gerast. Gaston winkte ihr zu, Auguste hastete zu unserem Tisch, trank das Weinglas leer, sagte: "Wir sind doch noch nicht zu spät?", was Gaston mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln beantwortete, bevor ich so etwas wie "Doch!" sagen konnte. Gaston legte ein paar Münzen auf den Tisch, und wir gingen über den Platz zum Konservatorium.

Dort war der Saal noch fast leer, und wir fanden gute Plätze. Das Konzert begann pünktlich zum akademischen Viertel. Es war ein reiner Klavierabend, die Zwischenprüfung einer Studierenden des Konservatoriums. Im ersten Teil spielte sie Rachmaninov, mit dem ich noch nie viel anfangen konnte, aber als sie im zweiten Teil eine Auswahl von Brahms' späten Klavierstücken spielte, kamen mir wieder die Tränen. Auguste umarmte mich vom Nachbarplatz und fragte mich flüsternd:

"Hast du Heimweh?"

"Nein, aber mir kommen schnell die Tränen bei so schöner Musik."

Auguste ließ mich von ihrer Umarmung frei, hielt aber während des ganzen Brahms-Teils meine Hand.

Beim Abendessen, wieder bei Durands, verkündete Auguste, daß sie die nächsten drei Tage den Abend- und Nachtdienst für einen erkrankten Kollegen übernommen hatte:

"Dann müßt ihr also ohne mich auskommen."

"Das ist aber schade!", ließ ich mich vernehmen.

"Ihr werdet es schon schaffen. Gaston kann schon ein Tiefkühlessen aufmachen und aufwärmen, oder du machst was, Mélanie, oder ihr geht in ein Restaurant, jeder für sich oder zusammen, wie ihr wollt, ihr seid ja freie Menschen."

Nach dem Essen spielte ich den ganzen Ordre mit seinen abgründigen f-moll-Stücken, zu dem der ,Tic-Toc-Choc` gehört. Nach dem Klavierspiel brachte mich Gaston wieder zum Hotel, wir tranken noch ein Glas Beaujolais und besprachen den nächsten Tag: Ich würde allein durch die Stadt bummeln, Gaston hatte Erledigungen zu erledigen, und wir würden uns am Nachmittag auf dem Hauptplatz treffen und sehen, wo wir zu Abend äßen. Beschwingt vom Wein ging ich auf mein Zimmer, badete, legte mich nieder und schlief in einer Viertelsekunde ein.

Am nächsten Morgen konnte ich selig so lange schlafen, wie ich wollte, mich um zehn Uhr morgens gemütlich in die Wanne legen, danach mich endlich ferienmäßig mit T-Shirt ohne BH und dreiviertellangen Hosen anziehen, um halb zwölf Uhr frühstücken und dann in die Stadt gehen. Niemand wartete ungeduldig auf mich, auch nicht das Museum der Schönen Künste, das als eines der reichsten in Frankreich gilt. Damit war am Nachmittag mein Bedarf an Sehenswürdigkeiten für heute gedeckt, und ich flanierte "nur so" durch die Straßen. Ich kam an den Rand der Altstadt, erkannte die Straße zum Schwimmbad wieder und legte mich dort in die Sonne, nachdem ich herausgefunden hatte, daß man sich einen Badeanzug leihen konnte. Zu gegebener Zeit trottete ich in die Stadt zurück und zu meinem Hotel, wo Gaston schon im Restaurant auf mich wartete.

Wir aßen dem Stil des Hauses entsprechend, wie es schon Gaston gesagt hatte, fürstlich, nicht ganz billig, aber preiswert. Auf meine nachdrückliche, zum Schluß gar recht laut ausgesprochene Bitte ließ mich Gaston meine Zeche bezahlen. Dann aber beschlossen wir, an diesem Abend nicht noch zum Haus der Durands hinauszufahren, um Musik zu machen oder noch etwas fernzusehen, sondern wir blieben im Restaurant, bestellten einen Roten von der gegenüberliegenden Seite Frankreichs, nämlich einen Bordeaux, und aßen nach angemessener Pause noch eine Portion Crèpes.

Ohne die Enthemmung durch den Wein hätte Gaston vielleicht nicht gefragt:

"Irgendwie siehst du nicht fröhlich aus -- hast du Ärger zu Hause?"

"Nicht daß ich wüßte."

"Aber irgendetwas beschäftigt dich doch -- das sieht man dir doch an!?"

"Irgendetwas beschäftigt einen denkenden Menschen doch immer -- dich nicht?"

"Natürlich -- klar -- aber bei dir -- ist was mit Dieter?"

"Woher weißt du, daß mein Mann Dieter heißt?", gab ich in einem unbewußt etwas schärferen Ton zurück, der Gaston anzeigen mußte, daß er den richtigen Nerv getroffen hatte. Dabei hatte ich den ganzen Tag und auch jetzt im Restaurant nicht eine Sekunde lang an Dieter gedacht; zuletzt hatte ich überlegt, was ich am Samstag auf der Radtour anziehen sollte und ob ich mir noch was kaufen müßte.

"Das hast du schon im Zug in einem Nebenssatz, glaube ich, erwähnt."

"Mit Dieter ist alles in Ordnung, er hat nur in der Firma so viel zu tun, daß wir dieses Jahr wahrscheinlich nicht zusammen werden verreisen können. Deshalb bin ich ja jetzt eine Woche allein hier."

"Und mit dir und Dieter ist auch alles in Ordnung?"

"Was sollen diese Fragen? In jeder Ehe gibt es mal 'ne Krise, und dann versöhnt man sich, gibt sich ein Küßchen und macht weiter."

"Ich habe aber den Eindruck, ihr habt im Augenblick eine ernstere Krise, und deshalb bist du allein hier."

"Quatsch! Wir stecken nicht mehr in einer Krise als vor einem Jahr, und das geht dich eigentlich ebenso wenig an wie meine ,cuisses` -- oder noch weniger."

"Ich meine ja nur -- du hast ja recht -- nicht weniger als vor einem Jahr -- dann seid ihr entweder wunschlos glücklich oder steckt in einer Dauerkrise --"

"Ich möchte jetzt in meinen wenigen Ferientagen nicht darüber sprechen -- punctum. -- Wie steht es überhaupt mit Auguste und dir?"

"Danke -- ohne Probleme -- ohne ernste Probleme. Seit die Kinder aus dem Haus sind, nehmen wir uns mehr Freiheit --"

"-- aha! --"

"Nichts ,aha`! Wir verreisen zum Beispiel manchmal allein. Ich zum Beispiel fahre gern auf meinem Mountain Bike über die Höhen der Cévennen, und das ist Auguste zu langweilig immer mit den Schafen und den Schäfern, sie fährt dann lieber an die See. Und wenn wir wieder zu Hause sind, freuen wir uns, daß wir uns wiederhaben, erzählen, was wir erlebt haben, sind ausgehungert ... ,et couchons ensemble`."

Bei dieser naheliegenden, aber doch unerwarteten Wendung wurde ich rot, was Gaston wohl bemerkte und mit einem feinen Lächeln quittierte; er murmelte so etwas wie "das sagt man eigentlich nicht in Gegenwart einer Dame."

"-- in Gegenwart einer fremden Dame", sagte ich lachend, ",vous faites amour`, das ist doch normal, das werden Dieter und ich wohl auch machen, wenn ich wieder zu Hause bin."

"Es heißt ,vous faites l'amour`. -- Dann ist zwischen euch also doch alles in Ordnung!?"

"Im Großen und Ganzen ja, das sagte ich ja bereits."

"Was machen wir morgen? Ich habe morgen nichts vor -- frühstücken wir hier zusammen -- und dann können wir ins ,Musée des Beaux Arts` gehen --"

"Da war ich heute, aber ich hab längst nicht alles gesehen."

"Das wäre dann eine Idee -- es soll ja morgen nicht mehr so schön sein."

"Wirklich?"

"Ja, hat man im ,Méteo` gesagt."

"Dann gute Nacht -- sieh mir nicht beim Schlafengehen zu!"

"Hatte ich auch nicht vor -- Salut, Mélanie!"

"Salut, Gaston!"

Gaston gegangen, hing ich in der Badewanne wieder meinen Gedanken nach. Wann würde Gaston mit seinem Angriff beginnen, etwa schon morgen, es war ja der zweite, aber auch der vorletzte Tag, an dem unser nun schon traditionelles gemeinsames Abendessen wegen Augustes Dienstplan ausfallen mußte -- allerdings: Wenn er Augustes Abwesenheit hätte ausnutzen wollen, warum hatte er nicht schon heute mit nachdrücklicheren Avancen begonnen? Daß er es gar nicht versuchen würde, mich zu seiner Feriengeliebten zu machen, konnte ich mir nur schwer vorstellen, einige lockere Bemerkungen waren ja schon gefallen. Würde er versuchen, mich bei sich zu Hause zu verführen und sein heiliges Ehebett zu besudeln, oder würde "es" hier im eigentlich recht gemütlichen Hotelzimmer passieren oder gar modern und pornohaft auf dem Klo im ,Musée des Beaux Arts`? Nun, dieses wohl nicht. Sollte ich ihm so was Intimes verraten, daß ich die Pille nahm, oder sollte ich ihn lassen brav ein Kondom benutzen? Fragen über Fragen -- und erfahrungsgemäß kommt es meistens doch noch ganz anders.

Am Morgen wachte ich erst fünf Minuten vor der mit Gaston verabredeten Frühstückszeit auf und drehte mich gleich auf die andere Seite, denn draußen rauschte der Regen, was ich, besonders am Morgen nach dem Aufwachen, als besonders gemütlich liebe. Kaum hatte ich mich zurechtgeräkelt, da klopfte es an der Tür. Der Frechdachs wird doch nicht hoffentlich schon jetzt ... Aber nein, es war das Zimmermädchen, das gleich mit einem "Excusez, madame!" wieder entschwand, als ich verschlafen die Tür öffnete. Ich hatte mich gerade wieder langgelegt, da ging das Telephon, und Gaston teilte mir das völlig überraschende Factum mit, daß er im Restaurant sitze und auf mich warte.

"Heute dauert es noch ein bißchen länger", sagte ich nur und fügte gnädigerweise noch hinzu: "Lies doch auch die Pariser Zeitungen!"

Ich ließ ihn ruhig warten, nahm ein Bad, dachte dabei nach, was ich heute anziehen sollte, entschloß mich dann zu einem engen T-Shirt ohne BH und Jeans, um die war es mir am wenigsten leid, wenn sie im Regen etwas naß würden, zog mich an, wählte dann doch ein etwas weiteres T-Shirt und begab mich ins Restaurant. Dort las Gaston im "Figaro", der ausgelesene "Monde" lag noch auf dem Tisch.

Obwohl ich ihn so schäbig hatte warten lassen, war Gaston noch höflicher als zwei Tage zuvor, sprang auf, sobald er meiner ansichtig wurde, rückte mir den Stuhl zurecht und verkündete, daß für mich ein hartgekochtes Ei und für uns beide eine Käseplatte und frische Croissants im Anmarsch seien.

"Entschuldige, Gaston, daß ich dich hab so lange warten lassen, aber ich finde das so gemütlich, im Bett zu liegen, wenn es so regnet, aber als ich eben aufgewacht war, kam das blöde Zimmermädchen -- das wollte wohl möglichst schnell mit der Arbeit fertig sein, und dann hast du angerufen -- da bin ich in Windeseile aufgestanden -- aber es hat dann doch ziemlich lange gedauert -- ich mußte erstmal richtig wach werden."

"Aber dann hättest du doch bloß zu sagen brauchen, du willst noch liegen bleiben, und dann hätten wir später gefrühstückt!"

"Wäre denn dafür überhaupt genug Lesestoff vorhanden gewesen -- den "Monde" hast du doch schon durchgelesen."

",Den` "Monde" hab ich noch nie von einem Deutschen gehört -- aber es ist ja eigentlich richtig. Und es ist noch genug da, sogar die "Humanité" von den Kommunisten."

Wir genossen das Frühstück in aller Ruhe, so in etwa eineinhalb Stunden, dann meinten wir doch, mit dem Studium der Kunst beginnen zu sollen. Unter Gastons Riesenregenschirm eng aneinander gedrückt, um nicht zu sagen geschmiegt, gingen wir den kurzen Weg zu den ,Beaux Arts` und ließen es auch dort ruhig angehen. Wir hasteten nicht von Saal zu Saal, sondern ließen wenige Bilder auf uns wirken und setzten uns öfter auf die Bänke. Als sich aber Gaston von einer nackten Schönen eines französischen Barockmalers gar nicht trennen wollte, nahm ich zart seine Hand und bat ihn, der Heiligkeit der Hallen angemessen, im Flüsterton:

"Ich würde auch gern wenigstens kürz noch zu den Sälen mit den Modernen."

"Natürlich, Mélanie, komm, ich zeig's dir!"

Obwohl Kunst nicht zu Gastons Fächern gehörte, war er wohl schon einige Male mit Schulklassen in diesem Museum gewesen, und er fand den Weg durch das Labyrinth der Gänge zu den Sälen mit den modernen Malern auf Anhieb. Hier gingen wir etwas schneller durch, Gaston blieb nicht ganz so lange vor einer nackten Schönen von Picasso stehen -- da sah ich im nächsten Saal ein Bild, das mich elektrisierte: ein Bild von Paul Klee, meinem Lieblingsmaler unter den Modernen.

Ich mußte mich setzen und dieses Bild betrachten. Ein originaler Paul Klee! Hatte ich so etwas schon einmal gesehen? In der Hamburger Kunsthalle? Vielleicht. Aber in jüngeren Jahren hatte ich Klees Kunst noch nicht für mich entdeckt. Wie immer bei erhabener Musik, bei einem erhabenem Kunstwerk, bei sonst etwas Erhabenem -- der Leser möge die kitschige Ausdrucksweise entschuldigen, und er weiß wohl schon: Mir kamen die Tränen. Dies bemerkte der liebe Gaston, setzte sich neben mich und umfaßte zart meine Schultern. Ich neigte wohl unbewußt meinen Kopf zu seiner Hand, und er drehte sie herum, so daß eine Schale entstand, in die ich meinen Kopf betten konnte. Im Nachhinein betrachtet war dieser Moment der Durchbruch, Gastons Durchbruch, obwohl dieses von "brechen" abgeleutete Wort gar nicht paßte und dieser Moment nur wenige Sekunden dauerte: Ich richtete mich alsbald wieder auf, denn mit zur Seite gelegtem Kopf ist es ein schlechtes Bilderbetrachten. Wir blieben wohl eine Dreiviertelstunde vor dem Bild von Klee sitzen, betrachteten zwischendurch auch die anderen Bilder im Saal, aber der Klee stach sie alle aus.

Als wir uns endlich sattgesehen hatten, war es schon nach vier Uhr nachmittags. Wir verließen die ,Beaux Arts`, um diesen Eindruck nicht durch die Betrachtung weiterer Bilder abzuschwächen, und aus demselben Grunde fanden wir, daß wir nichts weiter besichtigen wollten, zumal es noch etwas regnete. Wir fanden, es sei nun Zeit zum Mittagessen, und weil Gaston keine gesteigerte Lust verspürte, bei sich zu Hause für uns etwas zu bruzzeln, beschlossen wir, im Hotelrestaurant zu essen. Während des Essens rekapitulierten wir, welch schöne Gemälde wir in den ,Beaux Arts` gesehen hatten, vor allem, aber nicht nur, den Paul Klee; auch der barocken nackten Schönen wurde gebührend gedacht (der modernen nackten Schönen von Picasso etwas weniger), und Gaston ließ sich vernehmen:

"Du mußt nicht glauben, daß mir dies Bild nur wegen dem nackten Weib --"

"-- wegen des nackten Weibes --"

"Du hast ja recht, Mélanie, wir Deutschlehrer! -- nicht nur wegen dem -- wegen des -- weil mir das nackte Weib gefällt, --"

"Das Bild gefällt dir, weil dir das nackte Weib gefällt -- du wirst immer besser, echt!"

"Das Bild ist auch von einem berühmten Maler, vielleicht außerhalb Frankreichs nicht so bekannt, aber er gehört zu unserem Olymp."

"Zu eurem Olymp -- toll -- doch, ja, ich hab auch schon von ihm gehört."

Das stimmte damals, inzwischen aber habe ich den Namen vergessen. Ich müßte nochmal hinfahren und nachsehen -- wenn die ,Beaux Arts` nicht inzwischen umgehängt haben. -- Ich sagte dann aber doch:

"Entschuldige bitte, Gaston, mein Reden -- ich stoße dabei manchmal die Leute vor den Kopf."

"Mir gefällt, wie du redest, das Bild ist ja wirklich zweit- oder drittklassig, wenn man an den Klee denkt." Dabei streichelte er meine Hand. "Nehmen wir noch einen Kaffee?"

"Gern! Ich glaub, sonst schlaf ich gleich ein."

"Ja: Museumsbesuche machen müde; das glaubt man als junger Mensch immer gar nicht."

Und nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

"Ich schlage vor, wir lassen uns den Kaffee in dein Zimmer bringen. Von da oben haben wir einen so schönen Blick auf die Stadt."

Aha, auf meinem Zimmer! Mit dem schönen Blick hatte Gaston allerdings recht, und jetzt, nach dem Regen und mit der reingewaschenen Luft, war die Aussicht von meinem Zimmer sicher ein Erlebnis.

Weil kein Liftboy zu sehen war, schickte ich mich an, die Treppe hochzusteigen, was Gaston zu einem sauren Kommentar veranlaßte. Als wir aber mein Zimmer betraten, war Gastons Ärger verflogen. Der Ausblick war wirklich überwältigend. Erst von hier oben sahen wir, daß sich die Regenwolken hoben und am Horizont schon ein blauer Streifen zu sehen war. Wegen dieses herrlichen Ausblicks setzten wir uns nicht wie normale Menschen gegenüber an den kleinen Tisch, sondern nebeneinander auf dieselbe Seite mit Blick aus dem Fenster.

Der Kaffee kam und mit ihm zwei von Gaston ohne mein Wissen bestellte Stücke Torte. Während wir Kaffee und Kuchen genossen, nannte mir Gaston die verschiedenen Gebäude und Kirchtürme einschließlich der hohen spitzen Dächer der turmlosen gotischen Kirchen der Bettelorden. Dann ging er über zu einigen in der Ferne sichtbaren Kirchen von Dörfern, die wir auf unserer geplanten Radtour besuchen wollten. Weil ich nicht jede dieser Kirchen gleich erspähte, stand Gaston auf und trat hinter mich, um mir die Richtung ohne parallaktische Verschiebung zu zeigen.

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