Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Thao 05

Geschichte Info
Nachricht von Heinrich, neue Bekanntschaft.
9.7k Wörter
4.68
11.2k
1

Teil 5 der 48 teiligen Serie

Aktualisiert 06/09/2023
Erstellt 09/23/2019
Teile diese Geschichte

Schriftgröße

Standardschriftgröße

Schriftabstand

Standard-Schriftabstand

Schriftart Gesicht

Standardschriftfläche

Thema lesen

Standardthema (Weiß)
Du brauchst Login oder Anmelden um Ihre Anpassung in Ihrem Literotica-Profil zu speichern.
ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

48. Heinrichs Nachricht

„Wo ist der Mann, der hier lag?"

Thao sah sich suchend um. Die beiden anderen Patienten sahen erst sich an, dann das Mädchen.

„Er ist verlegt worden. Hier!"

Der Mann im Nachbarbett reichte Thao ein blaues Kuvert, es sah eigentlich viel zu ordentlich aus für ihren Freund. Sie setzte sich auf das leere Bett, wo er vor ein paar Stunden noch gelegen haben musste. Eilig riss sie den Umschlag auf und überflog die Zeilen. Ihr Herz zog sich zusammen und das Blut wich aus ihrem Gesicht.

Liebe Thao!

Ich hoffe, du erschrickst nicht allzu sehr darüber, dass ich mich so heimlich davonstehle. Aber meine Lunge ist noch nicht gesund und wird in einer eigens darauf spezialisierten Klinik behandelt. Anbei ein Bild von mir! Ich habe es gezeichnet in einem Zustand, wo ich weniger der Penner, aber dafür dein dich ewig liebender Heinrich bin. Es ist ein wenig geschönt, aber lass es trotzdem gelten, ja? Hab Dank für die viele Zeit, die du bei mir verbracht hast, deine Hilfe, Deinen Zuspruch und Deinen Schutz. Ich hab noch nie einem jungen Mädchen dabei zusehen dürfen, wie es zwei erwachsene Kerle verprügelt hat. Abgesehen von Pipi Langstrumpf im Fernsehen vielleicht.

Versprich mir bitte, dass du in der Zwischenzeit weiterhin fleißig übst. Du bist meine letzte Schülerin gewesen und einer meiner besten obendrein. Bitte Thao! Und nicht nur immer diesen grausamen Mist! Das ist mir sehr wichtig.

Möge dir die Welt standhalten, Mädchen! Wir sehen uns unter der Brücke!

Dein Heinrich

Sie strich über das Bettzeug, man hatte es schon gewechselt. Tränen standen in ihren Augen, sie wusste selbst nicht genau, warum. Es passte einfach etwas nicht. Wieso hatte er ihr nicht gesagt, wohin er überwiesen wurde? Warum machte er ein Geheimnis daraus? Sie verstand ihn nicht, sie hätte ihn doch auch dort besuchen können. Vielleicht nicht so oft, aber ...

„Grüß dich!"

Sie drehte sich erschrocken zur Tür um. Es war der Krankenpfleger, den sie schon einmal bei ihrem letzten Besuch gesehen hatte.

„Weißt du, wo er hinverlegt worden ist?"

Der Krankenpfleger sah erst zu den beiden anderen Patienten hinüber, dann zu dem Punkermädchen.

„Das kann ich dir leider nicht sagen, das weiß nur der Stationsarzt. Du bist keine Angehörige, oder?"

Thao log.

„Doch! Ich bin seine Tochter."

Jakob schüttelte seinen Kopf.

„Tut mir leid. Er hat aber keine Verwandtschaft angegeben."

Thao sprang aus Heinrichs Bett und ging zur Tür. Sollte sich doch das Arschloch verpissen. Enttäuschung befiel ihren Geist, brutal und ohne Gnade. Sie hasste das. Warum mussten alle Menschen, die sie mochte, gehen?

„Hey! Ist alles in Ordnung?"

Sie zeigte ihm wütend ihren Mittelfinger und fuhr den Flur des Krankenhauses mit ihrem Skateboard entlang. Er wollte ihr hinterherrufen, aber er sah ein, dass er sie nicht aufhalten konnte. So blickte er ihr nach, schrak zusammen, als sie beinahe eine Krankenliege rammte und ihren Körper am Ende des Flurs schließlich gegen die Schwingtür krachen ließ und durch sie hindurch verschwand.

49. Mit Harald unter der Brücke

„Warum hast du es mir nicht einfach am Telefon gesagt? Was ist los mit Heinrich?"

Thao sah mürrisch von ihrem Platz am Fluss hoch und blinzelte zu Karls Vater hinauf, der mit dem Rücken zur Abendsonne stand.

„Karl macht sich um dich Sorgen und möchte nicht, dass du allein bist."

Die Punkerin ballte ihre Fäuste.

„Harald! Bitte! Sag es mir einfach, okay?"

Der lange, hagere Arzt, setzte sich neben ihr auf den Betonboden, ungeachtet seines Anzugs. Er war eigentlich sehr müde und hatte 12 Stunden Arbeit hinter sich gebracht.

„Er ist im Hospiz, Thao, und wird bald nicht mehr leben."

Das Mädchen sah auf das Wasser hinunter und sagte nichts.

„Er wollte wahrscheinlich nicht, dass du ihn dahinsiechen siehst."

Thao schloss die Augen, Tränen liefen ihre Wangen hinab.

„Was hat er?"

Harald war es gewohnt, schlechte Neuigkeiten mitzuteilen, aber selbst er musste mit sich kämpfen, um nicht die Fassung zu verlieren.

„Er hat Lungenkrebs, Thao. Inoperabel! Sonst hätte ich es probiert."

Er sah ihren Kampf und litt mit ihr. Er hätte ihr so gern etwas von ihrer Last abgenommen.

„Woher kanntest du Heinrich?"

Thao sah zur Brücke hoch, öffnete den Mund und atmete tief durch.

„Ich hab ihn hier getroffen, fast genau an dieser Stelle. Sie ist super schön, wenn man scheiße drauf ist, weißt du?"

Sie musste sich zusammenreißen.

„An dem Tag war sie besetzt von einem Penner."

Thao lächelte und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Das war vor zwei Jahren. Hast du gewusst, dass er Lehrer war?"

Harald verneinte.

„Ich habe aber gemerkt, dass er Bildung besitzt. Ich habe ihn vor ein paar Tagen besucht."

Thao sah ihn an, aber er winkte ab.

„Ich habe mich nur erkundigt, wie es ihm geht. Dass er solch einen aggressiven Krebs hat, habe ich erst gestern erfahren."

Harald warf einen kleinen Stein in das Wasser.

„Weißt du, wie er auf der Straße gelandet ist?"

Thao hob ihre Schultern.

„Er hat wegen einer Frau Schulden gemacht, aber viel hat er mir nie darüber erzählt."

Thao sah Harald nachdenklich an. Sie musste sich immer wieder die Tränen aus den Augen wischen.

„Weißt du was?"

Der Mann schüttelte den Kopf.

„Er hat gemeint, dass er hier glücklich war. Absurd, oder?"

„Warum nicht, Thao? Diogenes war es auch."

Die Punkerin dachte kurz nach und lächelte.

„Geh mir aus dem Licht ..."

Harald nickte.

„Vielleicht musstest du das für ihn auch tun."

Sie versuchte, sich gegen diesen Gedanken zu wehren, aber er tröstete sie.

„Wird er leiden, Harald?"

Der Arzt schüttelte seinen Kopf.

„Er wird starke Medikamente bekommen, bis es geschafft ist."

Karls Vater stand auf und gab ihr die Hand.

„Sind das seine Sachen dort?"

Thao nickte.

„Lass uns das, was dir wichtig ist, einpacken!"

Er zog sie hoch und drückte sie an sich. Das Mädchen umarmte ihn und heulte los, ungehemmt und alles an Scheiße herauslassend, was in ihr steckte. Das Leben konnte so fucking, bullshitmäßig unfair sein.

Bei Karl zu Hause

„Hast du ihre Mutter erreicht?"

Karl hängte seine Jacke an den Garderobenhaken, es hatte draußen stark geregnet.

„Ja! Sie ist heute erst nach Hause gekommen."

Katja schüttelte den Kopf.

„Was ist das für eine Frau? Schaut alle paar Tage nach ihrem Kind."

„Die haben sich beide gegenseitig aufgegeben, Mama, zumindest hat das Thao so angedeutet. Sie weiß jetzt zumindest, wo sie ist und hat auch unsere Nummer."

Die kleine Frau nickte.

„Sie ist in deinem Zimmer und hat nach dir gefragt."

Sie strich ihrem Sohn über den Kopf.

„Ich hoffe für dich, dass es ihr besser geht."

Karl nickte und drängte an ihr vorbei.

„Was ist das alles?"

„Klamotten! du weißt ja, Mädchen! Ich habe lieber zu viel eingepackt."

„Hi!"

Thao wandte sich kurz zu ihm um.

„Hi!"

Karl ging zu ihr und streichelte sie am Genick.

„Geht es dir besser?"

Sie nickte. Karl zog den Stuhl vom Tisch weg und drehte ihn so, dass sie ihn ansehen musste.

„Was ist los, Karl?"

Er hockte sich vor ihr hin und streichelte über ihre Schenkel.

„Hier! Ich habe lange suchen müssen, aber vielleicht hilft es dir ja."

Thao sah auf ein schwarzes Kärtchen hinunter, das er ihr reichte.

„Was ist das?"

„Sieh es dir einfach an!"

Sie öffnete die Karte und lachte.

„Und du willst mit mir dort hin?"

Karl nickte.

„Warte! Das ist noch nicht alles."

Er ging zur Zimmertür und verschwand kurz im Flur. Thao folgte ihm mit ihrem Blick und sah ihm dabei zu, wie er sich mit einem großen Gepäckstück plagte.

„Wann hast du das alles geholt?" Fragte sie ihn ungläubig.

Karl stöhnte, als er die schwere Tasche, mit dem schwarzen Kleidersack obenauf, in sein Zimmer zog.

„Vorhin. Hab Deiner Mutter Bescheid gesagt, wo du bist."

Thao sah ihn nachdenklich an. Dann drehte sie sich wieder zum Schreibtisch um und stützte ihren Kopf auf den Händen ab.

Karl war hilflos, sah sie traurig an, enttäuscht über die Wirkung seines Geschenks. Er wollte wieder rausgehen und sie alleinlassen, hatte er doch das Gefühl, sie zu stören. Er atmete tief durch, ihre Verzweiflung war auch seine.

„Bleib hier, Karl! Leg dich einfach aufs Bett, okay? Gib mir noch Zeit. Bitte!"

Er kam ihrer Aufforderung nach, legte sich hin und schloss die Augen. Er war schon fast eingeschlafen, als er die Erschütterung auf der Matratze spürte und ihren Arm, wie er auf seiner Brust zu liegen kam. Er war erleichtert, unsagbar erleichtert.

„Karl?"

Er drehte sich zu ihr. Sie gab ihm einen Kuss und sah ihn mit ihren schwarzen Augen an.

„Danke!"

Er zog sie zu sich heran, drückte sein Bein zwischen ihre Schenkel und schob seinen Arm unter ihren Kopf.

Simon

„Na Fetti?"

Thao kam hinter Karl aus dem Haus heraus. Der blonde Junge betrachtete sie neugierig.

„Bist heute besser drauf, oder?"

Die Punkerin grinste.

„Wenn ich so etwas Mopsiges sehe, wie dich, kann es mir nur gut gehen."

Simon sah Karl hilfesuchend an, der aber winkte ab.

„Sorry, Kumpel, aber heute bist du Opfer."

Der blonde Junge stöhnte.

„Sei nicht sauer, Simon! Komm an unsere Seite gerollt!"

Karl konnte nicht anders, er musste lachen.

„Ihr seid jetzt nicht den ganzen Schulweg arschlos zu mir, oder?"

Thao lachte.

„Arschlos ist höchstens Karl."

Ihr Freund verdrehte die Augen. Na ja, wenigstens musste Simon nicht allein herhalten.

„Kann ich dich was fragen, Thao?"

Die Punkerin musterte Simon neugierig.

„Klar? Obwohl ich dir gleich sagen muss, dass ich nicht weiß, wo es fettfreie Sahneschnitten zu kaufen gibt."

Der blonde Junge sah flehend zu Karl hinüber.

„Hör auf, Thao! Er meint es ernst."

Die Punkerin blies ihren Kaugummi auf und ließ die Blase platzten.

„Na schieß los, mein Mopselein!"

Simon sah wütend zu Karl hinüber, der Mühe hatte, die Fassung zu wahren.

„Was ist? Ich verarsche dich doch nicht!"

Thao versuchte sich jetzt zu beherrschen.

„Komm schon! Was willst du?"

Sie legte Simon ihren Arm auf die Schulter und sah sich suchend um.

„Jetzt! Die Luft ist rein."

Simon schüttelte den Arm herunter.

„Ich fasse es nicht. Du hast es mir selbst angeboten."

Das Punkermädchen hob ihre Arme.

„Stimmt! Sorry, Simon!"

„Ich habe ein Vorspielen und wollte dich fragen, ob du mir bei den Klamotten hilfst. So wie ich aussehe, nehmen sie mich niemals."

Thao konnte nicht anders, sie lachte wieder auf.

„Meinst du, sie sind auf der Clownschule so anspruchsvoll?"

Karl wurde es zu viel. Thao lenkte sich auf Simons Kosten von ihrer eigenen miesen Stimmung ab.

„Hör jetzt auf!"

Sie sah ihn an, er meinte es ernst. Sie wandte sich wieder Simon zu.

„Tschuldige! Was für ein Vorspielen?"

Simon reichte ihr eine Karte.

„Eine Hard-Rock-Cover-Band?"

Thao staunte.

„Was spielst du?"

Der blonde Junge wurde verlegen.

„Gitarre! Bass und E."

Thao sah Karl fragend an.

„Hat er es drauf?"

Ihr Freund nickte.

„Und wie!"

„Stille Wasser sind bekanntlich tief. Coole Sache, Simon!"

Thao legte wieder ihren Arm auf seine Schulter.

„Nach der Schule gehen wir einkaufen. Ich kenne da ein paar Lädsche, da machen wir det Piefken fein.", röhrte sie heiser.

Simon lachte. Egal, wie sie ihn verarschte und verhöhnte, er ahnte, was Karl an ihr fand.

„Kommt jetzt! Wir kommen sonst zu spät."

Thao hängte sich bei Karl ein und ließ sich auf ihrem Skateboard von ihm ziehen. Er drehte sich zu ihr um und flüsterte:

„Geht´s dir wirklich besser?"

Sie sah ihn an und nickte.

„Du bist Zucker, mein Süßer, genauso, wie deine Alten."

In der Pause

Thao saß auf ihrer Bank und sah sich Heinrichs Portrait an. Er lachte, sein Gesicht war offen, seine Augen schienen sie direkt anzusehen. Das Mädchen überlegte. Wenn sie zusammengewesen waren, hatte sie ihn selten angesehen, seinen Anblick vielleicht sogar gemieden. Sie hoffte für sich, dass er das nicht gemerkt hatte.

Sie sah sich um, Karl war nirgends zu sehen. Komisch, dass er in ihr Leben drängte, zu einem Zeitpunkt, als Heinrich daraus verschwinden wollte. Sie dachte an ihren Vater und ihre Großmutter Ha. Für sie kam damals keiner. Ihre Mutter tauchte bei diesen Gedanken auf, deren Platz brauchte keiner zu füllen. Sie schloss die Augen und schämte sich.

„Hallo Thao!"

Die Punkerin sah zu dem stämmigen, hochgewachsenen Jungen auf, welcher vor ihr stand.

„Was willst du?"

Salim konnte die Aggressivität ihrer Stimme kaum überhören.

„Einfach ein wenig mit dir reden. Brauchst nicht gleich wieder die Zicke raushängen lassen."

Sie sah ihn an, sagte aber nichts. Stattdessen kaute sie langsam auf ihrem Kaugummi.

„Ich habe gehört, du bist mit dem Karl zusammen?"

Thao reagierte nicht.

„Warum gerade er?"

Die Punkerin lachte.

„Scheiße, ich wusste es. Arschlöcher sind so leicht zu durchschauen."

Salim aber wollte es wissen.

„Es hätte zwischen uns klappen können, Thao! Und jetzt ..."

„Gehst du besser wieder!"

Sie sah ihn an, ohne Regung und Emotion.

„Geh einfach, okay! Dich und deine Macho-Scheiße kann ich nicht ab."

Die letzten beiden Sätze schrie sie fast.

Thao blickte ihm nach, es reute sie jede Sekunde, die sie an ihn verschwendet hatte. Sie öffnete wieder den Brief in ihrer Hand und las noch einmal Heinrichs Nachricht.

Es ging ihr wirklich besser, sie empfand nicht mehr nur Trauer, sondern gönnte auch. Sie dachte an seinen Husten, an das Pfeifen seiner Lungen bei jedem tiefen Atemzug. Es musste grausam sein. Er suchte nach Erlösung und sie verstand jetzt, warum er sie auf dem Weg dorthin nicht mehr sehen wollte. Sie war ein Grund für ihn, am Leben festzuhalten, das für ihn zur Qual geworden war. Nicht um seiner selbst Willen, sondern wegen ihr.

„Störe ich dich?"

Karl setzte sich neben sie hin, kramte in seinem Rucksack und reichte ihr ein Brot. Sie nahm es und biss davon ab.

„Bleib hier!", schmatzte sie.

Sie blickte ihn nachdenklich an und strich ihm durchs Haar. Karl ließ es sich gern gefallen.

„Was in zwei Wochen alles passieren kann, hmh?"

Thao nickte und spielte mit einer seiner Strähnen.

„Ich würde jetzt gern mit dir schlafen, Karl."

Er lächelte.

„Ich würde gern immer mit dir schlafen."

Das Punkermädchen lachte und wischte sich eine Träne aus dem linken Auge.

„Karl, du bist und bleibst doof, aber selbst das lieb ich an dir."

Der schmächtige Junge klopfte sich auf seine Brust.

„Na wenn das nichts ist, worauf ich stolz sein kann, was dann?"

Sie sahen sich in die Augen, dann bekam er einen flüchtigen Kuss von ihr.

Simon die Zweite

„Nee, häng das zurück! Probier das!"

Thao warf ihm ein T-Shirt zu und eine schwarze Lederhose. Sie wusste mittlerweile seine Größe auswendig und suchte emsig in den Kleiderständern nach Sachen, die für Karls Freund in Frage kamen.

„Bitte! Wir haben doch schon alles."

Der Junge war genervt. Thao aber musste lachen. Karl hatte ihr einmal erzählt, dass er schwule Tendenzen bei Simon vermutete, bis jetzt hatte sie aber keine an ihm entdecken können.

„Stell dich nicht so an, Purzel! Die noch und wir gehen weiter."

Simon war bestürzt.

„Ich dachte, wir gehen nach Hause?"

Das Punkermädchen grinste.

„Warum? Macht dir meine Gesellschaft keine Freude?"

Simon schüttelte den Kopf.

„Im Moment nicht."

Thao grinste.

„Das verletzt mich jetzt aber. Spielst du mir nachher was?"

Simon starrte sie an.

„Wo soll das denn gehen?"

Thao fasste sich an die Stirn.

„Wo hast du deine Gitarren?"

Der blonde Junge kapierte es immer noch nicht.

„Zu Hause?"

„Und deinen Verstärker?"

„Zu Hause?"

Die Punkerin schlug ihm vor die Brust.

„Und wo kannst du mir also nur etwas vorspielen?"

Simon glotzte blöd.

„Bei mir zu Hause?"

Sie schien das ernst zu meinen.

„Komm schon, Thao! Du verarschst mich die ganze Zeit, das willst du doch im Grunde gar nicht, oder?"

Die Punkerin wurde ernst.

„Doch! Zeig mir einfach, dass du etwas kannst, okay?!"

Simon atmete aus. Sie hätte ihn sowieso so lange bearbeitet, bis er nachgegeben hätte.

„Warum ist Karl eigentlich nicht mitgekommen?"

Thao wühlte in den Klamotten und sah ihn über die Kleiderstange hinweg an.

„Ich glaub, der hasst Klamottenkaufen wie die Pest. Hat nicht solch einen Spaß dran, wie wir Mädels."

Endlich durfte Simon aufatmen. Bepackt mit drei schweren Tüten und um einige hundert Euro erleichtert, gingen sie gemeinsam zu ihm nach Hause.

„Protzige Bude. Leck mich am Arsch."

Thao starrte das alte Herrenhaus an, welches, in einem großen Garten stehend, die stattlichen Laubbäume überragte.

„Sind trotzdem nicht glücklicher als andere. Lass dich nicht täuschen!"

Simon ging mit dem Punkermädchen durch die Pforte den Weg zum Haus hinauf.

„Sind deine Eltern da?"

Simon schüttelte den Kopf.

„Nur meine ältere Schwester. Du kennst sie übrigens. Hast ihr vor zwei Jahren einen fetten Arschtritt gegeben, weil sie sich herablassend in deine Richtung geäußert hat."

Thao erinnerte sich nicht.

„Dann brauche ich mir ja keine Sorgen darüber zu machen, dass sie es nicht verdient hat."

Der blonde, dickliche Junge schloss die Tür auf und bat das Mädchen hinein.

„Mein Zimmer ist ganz oben, dort gehe ich keinem auf den Sack."

Die Punkerin sah sich ehrfürchtig um.

„Scheiße, ist hier viel Gerümpel." Staunend ließ sie ihren Blick an der Wand des Treppenhauses entlangwandern, wo wuchtige Schränke, Gemälde und Wandteppiche einen pompösen Eindruck hinterließen.

Über ihnen wurde ein hübsches Frauengesicht sichtbar, welches, über das Geländer hinweg, zu ihnen herunter blickte.

„Bist du endlich da, Fettarsch?"

Simon stöhnte.

„Ja!"

Er wandte sich zu Thao um.

„Meine Schwester!"

Die Punkerin grinste.

„Du wirst lachen, aber jetzt erinnere ich mich wieder genau an sie."

Die blonde junge Frau sah nach unten.

„Wen hast du da mitgebracht?"

Simon drehte sich ratlos zu Thao um.

„Die Freundin von Karl. Sie will sich anhören, wie ich spiele."

Er hörte ein höhnisches Lachen.

„Die Kackstelze hat eine Freundin? Echt jetzt?"

Das Lachen erneuerte sich um dann abrupt zu verstummen.

„Du musst noch einkaufen, Pisser!"

Thao kaute auf ihrem Kaugummi, während sie ihren Blick auf die über ihnen liegende Etage gerichtet hielt.

„Komm! Ich geh hoch und sag ihr Hallo."

Sie war schon halb auf der Treppe, als Simon sie eingeholt hatte und zurückhielt.

„Halt die Füße still, okay? Wenn du ihr was tust, kriege ich es doppelt und dreifach zurück."

Thao ließ ihre Blase platzen.

„Jetzt motiviere mich nicht auch noch."

Sein Blick hatte etwas Flehendes.

„Bitte! Ich spiele dir was und dann lässt du mich in Ruhe, einverstanden?"

Die Punkerin nickte ihm gnädig zu.

Simons Zimmer war das eines Musikers. Eine große Anlage, Verstärker, Schlagzeug und fünf Gitarrenständer füllten den Raum. Ein kleiner Schreibtisch stand hinten am Fenster, man merkte sofort, dass er und das Bett nur sekundäre Bedeutung für den Besitzer hatten.

„Was sind das für Typen?"

Simon sah auf seine Plakate, die an der Wand hingen.

„Hendrix, Young, Berri, Richards, Musiker halt."

Er nahm eine Gitarre aus einem der Ständer, schaltete den Verstärker ein und setzte sich auf einen kleinen Hocker.

„Dort unter den Blättern ist irgendwo ein Sofa."

Thao grinste und räumte eine Menge Papier zur Seite. Simon aber schloss die Augen und zupfte die erste Saite. Es waren lange, herzzerreißende Töne zu hören, rhythmisches Beben, dann kreischendes Jammern. Der dicke, blonde Junge setzte sie virtuos zusammen und schwemmte das Mädchen mithilfe seiner Töne einfach davon. Es konnte sich nicht dagegen wehren, Simon diktierte ihr mit seiner Musik das augenblickliche Gefühl.

Eine Viertelstunde später hielt er inne, sah sie an und hob seine Augenbrauen.

„Und? Lässt du mich jetzt in Ruhe?"