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Thao 16

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10.3k Wörter
4.64
10.7k
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Teil 16 der 48 teiligen Serie

Aktualisiert 06/09/2023
Erstellt 09/23/2019
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21. Immer noch im Park

„Reißt Ihr dreckige Männerwitze?", feixte Thao.

Sie hielt drei Papiertüten in ihrem Arm und blieb vor Simon stehen.

„Nimm die in der Mitte! Die ist mir runtergefallen."

Sie grinste, während der blonde Junge lachend zugriff. Simon warf Lena einen flüchtigen Blick zu. Er fand sie interessant, er konnte selbst gar nicht richtig sagen, wieso. Dass sie auf Frauen stand, sah man ihr wirklich nicht an. Thao fischte eine der Früchte aus der Tüte und ließ sie fluchend wieder zurückfallen.

„Scheiße, sind die heiß! Krass!"

Karl lachte.

„Soll ich pusten, mein Süßes!"

Sie schüttelte ungläubig ihren Kopf.

„Der schaut so lieb aus, mein Karl, dabei ist er ein ausgewachsener Teufel."

Lena beobachtete lächelnd die beiden. Es schien ihr zu gefallen, was sie sah.

„Seid ihr beiden denn schon lang zusammen?"

Thao sah grinsend zu ihr hinüber.

„Ein paar Wochen, aber was wir durch haben, da könntest ein ganzes Buch vollschreiben."

Amelie sah Simon fragend an.

„Schmecken dir die Kastanien?"

Der Junge nickte.

„Du hast abgenommen, kann das sein?", fragte Amelie.

Simon lachte, kaute weiter und hob zur Bestätigung seinen Daumen.

Das dicke Mädchen musterte ihn interessiert.

„Schaut gut aus. Noch ein wenig mehr und du schaust richtig super aus."

Thao sah stirnrunzelnd zu Amelie rüber.

„Baggerst du gerade Simon an, du verrückte Trulla?"

Karl seufzte, Taktgefühl war nicht gerade Thaos Stärke.

„Du kannst auch kein Fettnäpfchen auslassen, Thao, oder? Ist doch okay, wenn sie Simon etwas Nettes sagt."

Lena grinste. Bis jetzt hatte sie nur die stille Beobachterin gespielt. Thao sah fragend zu dem dünnen Mädchen.

„Du hältst uns für beknackt, oder?"

Es lag etwas Drohendes in ihrer Stimme. Die aber blieb ehrlich und nickte.

„So ein wenig vielleicht?"

Karl wurde neugierig.

„Mit wem hängst du so ab? Hast viele Freunde?"

Lena dachte nach.

„Eigentlich schon. Ein paar aus der Klasse, eine Nachbarin, dann die Kumpels aus der Schulband ...."

Simon zeigte sich interessiert.

„Echt? Was für ein Instrument spielst du?"

Lena schüttelte ihren Kopf.

„Ich singe."

Der blonde Junge sah Lena neugierig an.

„Welche Richtung?"

Das dünne Mädchen brauchte nicht nachzudenken.

„Ska, Reggae und ein wenig Rock."

Simon nahm seinen ganzen Mut zusammen.

„Hast mal Lust, was zusammen zu machen? Ich und Karl könnten dich begleiten. Wir spielen Gitarre."

Lena nickte.

„Klar, warum nicht."

Simon konnte sich kaum beherrschen. Man sah ihm seine Freude richtig an. Karl aber zeigte sich nicht sonderlich begeistert.

„Leute, ich weiß noch nicht. Habe mit der Schule im Moment genug zu tun."

Simon stieß Karl von hinten an. Der kapierte endlich.

„Ach Scheiße, was soll´s, ein Abend wird sich schon finden lassen."

Sie aßen schweigend weiter ihre Kastanien, unterhielten sich über dieses und jenes und folgten dem Treiben vor dem Pavillon. Auf einem kleinen Spielplatz tobten noch ein paar Kinder, doch die einsetzende Dunkelheit würde ihrem Spiel wohl bald ein Ende setzen.

„Kommst du ab und an ein Wochenende rauf, wenn du in der Klinik bist?"

Amelie sah zu Thao und lächelte.

„Du vermisst mich sonst, stimmt´s?"

Thao starrte gequält vor sich hin, als ob jemand mit Kreide über die Tafel quietschte. Sie antwortete nicht. Amelie grinste und umarmte sie einfach.

„Ich darf die ersten drei Monate nicht. Da heißt es die ganze Zeit trainieren, das Leben in neue Bahnen lenken und vielleicht werde ich auch schon das erste Mal operiert."

Lena zeigte ihr Mitleid.

„Scheiße! Das hört sich ja fast nach Knast an."

Amelie lachte.

„Ich glaube, für viele ist es das auch. Man wird halt schon verändert. Aber ich denke, ich werde gut damit klarkommen. Nur vermisse ich Euch jetzt schon!"

Thao verdrehte die Augen, als die ersten Tränen bei ihrer Freundin kamen.

„Jetzt höre auf zu heulen, Dicke! Ich kann doch so etwas nicht sehen, verdammt!"

Karl musste sich zusammenreißen, um nicht loszulachen und Simon starrte entsetzt zu Thao hinüber, die tatsächlich feuchte Augen bekam. Lena setzte sich zu dem dicken Mädchen und drückte es an sich.

„Das ist ne Zeit, die auch vergehen wird. Glaub mir das! Telefonieren kannst ja hoffentlich, oder?"

Amelie nickte und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Ich habe sogar Internet. Wir können uns über Facebook schreiben!"

Thao schüttelte den Kopf, Karl ebenso, nur Simon und Lena waren registriert.

„Warum seid Ihr nicht in Facebook?"

Lena war erstaunt.

„Das ist doch total in. Ich finde es super, man hält so viel besser Kontakt zu allen."

Karl sah das ganz anders.

„Für mich ist das sinnfreies Geplapper. Wenn ich da lese, was manche über sich schreiben, wird mir ganz anders. Sinnfreier, geistiger Durchfall, wenn Ihr mich fragt."

Amelie war richtig entsetzt.

„Ich finde, du übertreibst. Ich halte da mit vielen Kontakt, die ich sonst nicht sehen würde. Und so weiß ich wenigstens, was sie machen und wie es ihnen geht."

Thaos Freund winkte ab.

„Hättest ihnen ja auch ne E-Mail schreiben können! Für mich ist es eine riesige Verleitung, sich über das Internet bloßzustellen."

Amelie war damit nicht einverstanden.

„Es gibt viele Millionen, die es anders sehen, Karl!"

„Das war damals im Dritten Reich auch so, Amelie!"

Thao boxte ihn auf den Oberarm.

„Hey! Jetzt übertreib mal nicht!"

Karl winkte ab und schwieg. Für eine Weile wurde es ruhig im Innern des weißen Pavillons.

„Ich glaube, ich bin Schuld, dass Karl so reagiert. Bin mal ziemlich heftig über diese Seite angemacht worden und einige andere aus unserer Schule auch schon. Hat durchaus auch seine Schattenseiten, Amelie. Früher hat man jemandem wenigstens dabei ins Gesicht sehen müssen."

Simon machte eine Pause.

„Aber lassen wir das Thema! Ich schreib dich mal an und wenn du willst, Lena, dich auch."

Das schlanke Mädchen musterte den blonden Jungen lächelnd. Vielleicht spürte sie jetzt, dass mehr hinter seinem Interesse an ihr steckte.

„Wollen wir nicht noch ne Runde gehen, bevor es dunkel wird? Karl bekommt sonst Probleme mit seinen Hämorrhoiden."

Ihr Freund riss die Augen auf und starrte sie entsetzt an. Amelie, Lena und Simon brachen in schallendes Gelächter aus.

„Du bist so doof, weißt du das eigentlich?"

Thao grinste und gab ihm einen Kuss.

„Komm schon! Lass uns ein Stück gehen! Sonst klappt es nicht mehr bei dir mit dem Kacken."

Erneutes Gelächter brach los, während Karl sich an den Kopf fasste. Warum liebte er dieses Mädchen nur so?

Simon indes zeigte bei Lena vollen Einsatz. Er erzählte ihr von seiner Musik, seinen Gitarren und Lieblingsmusikern und erinnerte sie immer wieder daran, wie gern er sie mal singen hören würde.

Thao und Amelie sprachen über Bayern und wie das dicke Mädchen wohl in einem Jahr aussehen würde. Die Punkerin schlug eine Wette darüber vor, ob Amelie im Süden wohl nicht nur ihr Fett, sondern auch ihre Jungfräulichkeit verlieren würde. Zu Karls Erstaunen war das Mädchen damit einverstanden und setzte sogar darauf, dass sie es schaffen würde, sich in dieser Zeit einem Mann hinzugeben. Thao ließ grinsend ihre Hand in die von Amelie klatschen und umarmte sie lachend.

„Wettest du auch mit, Karl?"

Der Junge sah das dicke Mädchen verwirrt an.

„Ich? Wieso ich? Lasst mich raus aus diesem Scheiß!"

Amelie bettelte aber solange, bis er nachgab. Karl lächelte.

„Ich wette, dass du es schaffst!"

Thao boxte ihn.

„Woah! du Judas!"

22. Sorgen um Harald

„Oh Scheiße, ich kapiere es einfach nicht."

Thao versuchte, ihn zu beruhigen.

„Jetzt versuche dich abzuregen! Wir kriegen das schon."

Der Junge stützte seinen Kopf auf die Hände ab und sah auf die Formeln hinunter, deren Sinn er zu ergründen versuchte.

„Komm, wir machen Pause!"

Sie drehte sein Gesicht zu sich und küsste ihn liebevoll auf den Mund. Er aber resignierte.

„Du, ich packe das nie. Ich bin zu blöd fürs Abi!"

Thao streichelte ihm liebevoll durchs Gesicht.

„Bist du nicht! Wir haben noch Zeit. Gib nicht auf, das bist sonst nicht du!"

Er sah ihr in die braunen Augen und nickte schließlich.

Es klopfte an der Tür.

„Karl!"

Es war seine Mutter.

„Wo ist dein Vater? Ist er nicht nach Hause gekommen?"

Karl hob den Kopf.

„Ich denke, er muss arbeiten?"

Katja öffnete die Tür.

„Hallo, Thao!"

Die Punkerin winkte ihr zu.

„Er hat heute und morgen frei, Karl. Kannst mal auf deinem Handy nachsehen, ob er dir geschrieben hat?"

Karl reagierte verstört. Seine Mutter war früher zu Hause und noch in Uniform.

„Was ist denn los?"

Katja zeigte sich unruhig. Ihre sonst so beherrschte Miene gab ihre Unsicherheit preis.

„Ich habe ihm eine SMS geschickt, wollte mit ihm in der Mittagspause essen gehen, aber er hat nicht geanwortet bis jetzt. Auch auf meine Anrufe hat er nicht reagiert."

Thao sah Katja erschrocken an. Ihr kam eine Schlüsselszene aus ihrem Leben in Erinnerung.

„Hast du in der Arbeit angerufen? Vielleicht ist er dort? Ich meine, das macht er sonst oft. Und Peter? Weiß der irgendetwas?"

Katja schüttelte traurig und müde den Kopf.

„Hab ich alles schon durch, Karl. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist."

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Du weißt ganz genau, was mit ihm los ist, Mutter. Du kennst ihn 25 Jahre, oder?"

Katja sah ihren Sohn wütend an, aber es schien ihr die Energie für einen Ausbruch zu fehlen.

„Lass uns nicht streiten, Karl, bitte!"

Thao sah zwischen den beiden hin und her. Sie war zutiefst erschüttert. Sie sah ihrer Mutter und sich selbst einen Spiegel vorgehalten. Thao ging zu Katja und nahm sie in den Arm. Karl war das nicht recht, unterließ es aber, etwas zu sagen. Er gab seiner Mutter die Schuld, dass alles eskaliert war.

„Kommt! Gehen wir ins Wohnzimmer! Er meldet sich bestimmt."

Seine Mutter nickte und ließ sich von Thao aufhelfen.

„Es war, wie sonst auch. Ich habe nicht bemerkt, wie wütend er auf mich ist."

Karl sah sie an und schüttelte seinen Kopf. Er konnte sagen, was er wollte, es würde nirgendwo hängenbleiben. Er hatte es oft genug probiert. Seine Mutter brauchte diese Konflikte mit seinem Vater und ihm, um die eigenen Aggressionen abbauen zu können, nur die Auswirkungen wurden dabei immer schlimmer. Sein Papa hatte anscheinend nicht mehr genug Energie, um ihrem Drang, ihm weh tun zu wollen, standzuhalten.

Er sah zu Thao hinüber. Wie sehr er sie auf einmal verstehen konnte. Sollte nach all den Jahren die Beziehung zwischen seiner Mutter und seinem Vater zu Ende sein? War er vielleicht der Grund dafür gewesen, dass sie es überhaupt so lange miteinander ausgehalten haben? Karl und Thao saßen auf der großen Couch, Katja auf einem der Sessel gegenüber. Jeder für sich hing seinen Ängsten und Befürchtungen nach. Vor ihnen auf dem Tisch lag das Telefon, Katja schien es mit ihren Blicken förmlich anzubetteln.

Karl spürte seine eigene Unsicherheit. Er wusste, wie sehr sein Vater darunter litt, wenn seine Mutter Stress machte. Es war das Irrationale, für ihn nicht Greifbare und nicht Ausdiskutierbare, was ihn in solch einer Situation verzweifeln ließ. Sein Vater wollte seine Mutter verstehen, konnte es aber nicht.

Zwei Stunden vergingen, dann endlich klingelte das Telefon. Katja wollte rangehen, zögerte aber. Karl besann sich nicht lange und griff nach dem Teil. Sein Gesicht entspannte sich.

„Hey! Warum hast du nicht angerufen? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht."

Katja ließ sich zurück ins Polster fallen. Sie schien erleichtert.

„Nein, haben wir nicht. Wo hast du es hingelegt? Okay, ich sehe nach."

Karl ging zum Schlafzimmer seiner Eltern. Er kam nach ein paar Augenblicken zurück und zeigte seiner Mutter das Handy. Die verdrehte die Augen und grinste.

Karl aber wurde indes ruhig. Verwirrt sah er in Richtung Thao, die sofort aufmerkte. Sie stand auf und kam zögernd näher.

„Ist er ...?"

Karl nickte.

„Wir sollen zur Brücke kommen."

Das Punkermädchen zögerte. Tränen liefen aus ihren Augen. Sie schluckte, suchte irgendwie die Beherrschung zu wahren.

„Warum?"

Karl legte seinen Arm um sie und wandte sich an seine Mutter.

„Fährst du uns?"

Katja nickte.

Thao sprach nicht während der Fahrt. Lethargisch sah sie aus dem Fenster des Wagens, an dem Straßenlaternen vorbeizogen, gemischt mit den beleuchteten Fenstern der Häuser.

23. Eine letzte Botschaft von Heinrich

Karl ließ sie in Ruhe. Er war sich nicht sicher, wie er ihr zur Seite stehen konnte. Katja warf immer wieder einen Blick in den Rückspiegel, der Streit mit Harald hatte für alle jegliche Bedeutung verloren.

Es dauerte nicht lange und der Kombiwagen bog in die kleine Seitenstraße des verlassenen Industriegeländes ein. Harald stand unter der Brücke und winkte ihnen zu.

„Kann ich dir irgendwie helfen?"

Thao warf Karl einen flüchtigen Blick zu und schüttelte dann ihren Kopf. Sie nahm seine Hand und drückte sie, als Ersatz für die fehlenden Worte.

„Thao!"

Harald kam ihr entgegen und schloss sie in seine Arme.

„Er hat nicht leiden müssen."

Der Arzt sah ihr mit ruhigem Gesichtsausdruck in die Augen.

„Und er hat etwas für dich hinterlassen."

Er holte einen Rahmen aus dem Kofferraum und einen großen braunen Papierumschlag.

„Er wollte, dass du allein bist, wenn du es dir ansiehst."

Thao ließ den Kopf sinken, ihr ganzer Körper schien zu beben.

„Du kannst dir alles in Ruhe unter der Brücke ansehen. Wir bleiben auf Abstand."

Thao umarmte Harald, presste ihre Stirn gegen seine Brust und heulte los. Die Tatsache, dass ihr Freund nicht mehr am Leben war, schien sie trotz aller Vorbereitung auf diesen Moment zu überwältigen. Erinnerungen kamen hoch, Bilder und einzigartige Momente, in denen Heinrich ihr Leben geprägt und mitgestaltet hatte.

Sie setzte sich auf den Sockel des Trägers, genau an die Stelle, wo der Penner früher gelegen hatte. Sie sah vor sich auf den Boden, dort, wo sie ihre Füße hatte, waren vor ein paar Wochen noch die seinen. Ihr Blick wanderte die Brücke entlang, die sich in dem vorbeiziehenden Wasser des Flusses widerspiegelte. Das Punkermädchen sah die Lichter auf der anderen Uferseite, ein paar Lichtkegel von Autoscheinwerfern, die vorbeizogen. Thao fühlte das kräftige Papier zwischen ihren Fingern, zögerte aber, sich damit auseinanderzusetzen.

Mit zitternden Händen öffnete sie schließlich den Umschlag und zog einen Bündel Papiere heraus. Heinrich hatte ihr viel geschrieben, sie würde nicht alles auf einmal lesen können. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, warf einen flüchtigen Blick auf die drei Wartenden und begann dann, das erste Blatt zu lesen.

„Hallo Thao!

Ich würde dich ja am liebsten „Kleines" oder „Liebes" nennen, aber ich weiß, wie sehr dich das auf die Palme bringen würde und ich will nicht, dass du dich in diesem Moment über mich ärgerst.

Die letzten Wochen waren für mich wichtig gewesen, Thao, und ich bin dir und Deinen Freunden so dankbar, dass ich diese Zeit von Euch geschenkt bekommen habe. Zwar rauben mir starke Medikamente oft die Klarheit meiner Gedanken, aber hin und wieder kommen sie zurück und ich darf dann ein paar Rückblicke auf mein Leben werfen.

Es war nicht alles falsch daran und ich habe aufgehört, mit meinem Schicksal zu hadern. Die Menschen um mich herum sind lieb und nett zu mir, Gebermenschen, die unserer Welt ein wenig Hoffnung schenken. Wie schön wäre es, wenn es mehr davon geben würde.

Ich habe uns ein Bild gemalt. Es stellt uns beide beim Zeichnen dar. Ich habe aus der Erinnerung heraus versucht, dir gerecht zu werden und hoffe, dass du dich ein wenig darin wiederfinden kannst.

Thao Blick wanderte zu dem eingeschlagenen Bilderrahmen hinüber, biss sich auf die Lippen, Tränen rollten ihre Wangen hinab.

Thao, Liebes! Ich bin dir so dankbar für die gemeinsame Zeit. Ich kann dir gar nicht sagen, wie lieb ich dich habe und wie groß deine Bedeutung für meinen letzten Lebensabschnitt war. Ich drücke dich und denke an dich, solange ich dazu in der Lage bin. Egal, wohin die Reise mit mir geht, ich bleibe dein Heinrich und ein Stück von mir ist jetzt auch in dir. Zumindest in jedem Bild, das du malst oder zeichnest.

Malen ist das mit dem bunten Farben! du hast dich ja immer dagegen gesträubt, es zu versuchen.

Neben dem Bild habe ich dir ein paar Dinge und Gedanken aufgeschrieben. Wenn du willst, kannst du sie lesen, vielleicht in den seltenen Momenten der Langeweile?

Ich habe dich lieb, Thao, und hoffe, die Welt hält dir stand!

Heinrich

Thao griff nach dem Rahmen und löste die Schleife, die das Packpapier zusammenhielt. Das kleine Brückenlicht war eigentlich nicht hell genug, aber Thao reichten die Umrisse und wenige Details aus, um das Wesentliche auf dem Bild zu erkennen.

Heinrich und sie selbst saßen unter der Brücke, ließen ihre Beine die Uferbegrenzungsmauer hinunter baumeln und zeichneten. Er einen Block auf seinem Schoß, sie einen auf dem ihren. Er deutete mit seiner rechten Hand auf ihre Zeichnung und erklärte etwas, während sie seinen Ausführungen folgte. Er hatte sie beide so perfekt getroffen. Wie groß musste sein Talent gewesen sein, im Angesicht des Todes noch so etwas vollbringen zu können?

Sie raffte sich auf, packte Heinrichs Hinterlassenschaft zusammen und ging zu Karl und seinen Eltern zurück. Harald nahm ihr das Bild ab und legte es behutsam in den Kofferraum seines Wagens.

„Darf ich dich in den Arm nehmen?"

Thao sah zu Karl hoch, ihr Gesicht wirkte angespannt und müde. Sie nickte und fühlte seine Arme, die ihren Körper gegen den seinen drückten. Das Punkermädchen hörte im Hintergrund Harald mit Katja reden, sie hatten anscheinend ihren Streit für sie hintenangestellt.

„Komm! Wir fahren nach Hause!"

Thao löste sich von dem Jungen und stieg mit ihm in Katjas Auto ein. Ein letzter Blick zurück auf die Brücke ..., sie wusste nicht, ob sie ohne Heinrich noch einmal hier sein wollte.

24. Gespräch mit Katja

„Kommst du mal kurz, Thao?!"

Die Punkerin drehte sich zu Karls Mutter um. Sie wusste nicht recht, was diese von ihr wollte.

„Komm! Wir gehen in mein Zimmer."

Thao sehnte sich eigentlich nur nach Ruhe. Aber sie wollte im Haus auch keinen neuen Konflikt vom Zaum brechen. Katja hieß sie auf der kleinen Couch Platz zu nehmen und setzte sich zu ihr.

„Wenn du reden möchtest, Thao, dann bin ich immer für dich da."

Sie erwartete keine Antwort von dem Mädchen, sondern sprach gleich weiter.

„Mein Ausbruch heute früh ..., es tut mir leid. Ich bin einfach zurzeit müde und gereizt. Harald hatte ja die Schnauze von mir voll, also musstet Ihr Opfer für mich spielen. Nimm das bitte nicht ernst! Ich mag dich sehr und weiß, wie gut du meinem Jungen tust."

Katja zog das Mädchen an sich heran und nahm es in den Arm.

„Ich hatte nie einen Freund wie Heinrich. Er muss schon etwas Besonderes gewesen sein. Harald hat mir von einem Gespräch mit ihm erzählt ..., für mich immer noch kaum zu glauben, dass solch ein Mensch auf der Straße landet."

Thao musterte sie fragend.

„Wann hat er denn das letzte Mal mit ihm gesprochen?"

Katja war Polizistin, sie spürte, was hinter der Frage steckte.

„Im Hospiz gar nicht, Thao. Aber davor im Krankenhaus einmal. Er hat über den Stationsarzt immer wieder mal erfahren, wie es um ihn steht."

„Darf ich mir das Bild von ihm mal ansehen? Muss ja nicht mehr heute sein, aber ich bin neugierig, wenn ich ehrlich bin."

Thao sah Katja flüchtig in die Augen.

„Weißt du, was ich an Heinrich so besonders fand?"

Karls Mutter schüttelte ihren Kopf.

„Er hat gestunken und war dreckig und dennoch war er sauber."

Das Mädchen sah Katja nachdenklich an.

„Weißt du, wie ich meine? Innerlich. Er hat mir einfach so gut getan."

Katja dachte an ihren Mann. Auch er war wie ein Heinrich für sie und dennoch konnte sie oft nicht aus ihrer Haut hinaus. War sie deshalb schmutziger als er?