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Argonauta Kapitel 01-02

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„Ich bitte Sie", sagte Renner flehend, „es muss doch eine Lösung geben. Bestimmt gibt es in Ihrer Bank einen Ersatzschlüssel. Außerdem ... wie gesagt, wir möchten die Angelegenheit möglichst schnell klären. Wäre es Ihnen nicht möglich, das Schließfach zu öffnen und den Inhalt zu unserem Treffen mitzubringen?"

„Mr. Renner, was Sie da von mir verlangen, verstößt gegen so ziemlich jede Vorschrift unseres Hauses. Wir nehmen die Privatsphäre unserer Kunden sehr ernst."

„Es klingt vielleicht pietätslos, aber Ihr Kunde ist tot, Sir. Es gibt keine Privatsphäre mehr, die Sie schützen müssten. Mein Mandant hat mir versichert, dass der Gegenstand im Schließfach nicht besonders groß ist. Er passt in eine Aktentasche, um genau zu sein. Und er ist wie bereits erwähnt auch nicht besonders wertvoll."

Douglas rieb sich nachdenklich das Kinn. Sein Verstand sagte ihm, dass er besser auflegen sollte und die Vorkommnisse dieses merkwürdigen Morgens einfach zu vergessen. Seine Vorgesetzten hatten sehr genaue Vorstellungen davon, was er tun sollte und was er besser nicht täte. Aber irgendetwas hatte Douglas' Neugierde geweckt. Es war sonst nicht seine Art und er wahrte für gewöhnlich stets die nötige Diskretion. Aber diesmal war es anders. Douglas hätte selbst gern gewusst, was sich in dem Schließfach verbarg. Was konnte sich bloß darin verbergen? Was war so wichtig, dass die Angelegenheit keinen Aufschub zuließ? Außerdem hatte der Anwalt doch irgendwie auch recht. Jürgens war tot und Tote interessierten sich nicht für Diskretion.

„Also gut", seufzte Douglas resigniert, „Sie haben gewonnen. Aber nur unter Vorbehalt und nur, wenn ich davon überzeugt bin, dass Ihre Dokumente stimmen."

Stunden später saß Stanley Douglas wie vereinbart pünktlich im Schnellrestaurant auf einem Hocker in einer etwas abseits vom Publikum gelegenen Ecke. Renner hatte telefonisch gemeldet und ihm mitgeteilt, dass er sich ein paar Minuten verspäten würde und er schon einmal für sich und ihn bestellen solle. Er würde essen, was immer Douglas für ihn ordern würde.

Douglas schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Am Morgen hatte es dem Anwalt nicht schnell genug gehen können und nun ließ er ihn hier warten. Und das alles nur wegen einer uralten Mappe?, fragte Douglas sich in Gedanken selbst. Kurz nachdem er und Renner ihr Telefonat beendet hatten, hatte Douglas Ruth gebeten, vorsorglich sämtliche Termine am Nachmittag abzusagen. Anschließend hatte er sich den Generalschlüssel besorgt und war höchstselbst nach unten gestiegen in das Kellergeschoss, in dem sich die alten Schließfächer der Bank befanden. Von ungewohnter Nervosität erfüllt hatte er den Schlüssel in das Schloss gesteckt. Es war schwierig gewesen, so aufgeregt war er gewesen. Beinahe hätte er den Schlüssel fallen gelassen. Dann hatte er ihn herumgedreht. Der Schlüssel war erwartungsgemäß etwas schwergängig gewesen, das Schloss war eben lange nicht geöffnet worden. Doch der Schlüssel war der richtige gewesen und wenige Sekunden später war die Tür des Schließfachs entriegelt worden. Was Douglas dann zu sehen bekam, überraschte ihn. Das Fach war vollkommen leer, sah man von einer einzigen fleckigen Aktenmappe ab, die einen Stapel vergilbter Blätter enthielt, die zusammengenommen einen Stapel von etwa drei Zentimetern Höhe ergaben. Darum ging es? Um ein paar alte Papierfetzen? Was in Teufels Namen war wohl an dieser Mappe so besonders? Neugierig hatte Douglas einen kurzen Blick hinein geworfen. Die Dokumente mussten uralt sein. Das meiste davon waren handschriftliche Notizen, kurze Skizzen und nautische Angaben, von denen Douglas nicht einmal ansatzweise etwas verstand. War Jürgens eventuell Seemann gewesen und sein Enkel war in dessen Fußstapfen getreten? Douglas konnte sich nicht vorstellen, wie dieses merkwürdige Bündel Papier sonst einen emotionalen Wert haben sollte. Kopfschüttelnd hatte er die Mappe in seinen Koffer gesteckt zusammen mit dem Ausdruck der Seiten, die Ruth im Archiv für ihn kopiert hatte.

Die Bedinung, eine freundliche Enddreißigerin, riss Stanley aus seinen Gedanken und stellte zwei Hamburger auf seinen Platz. Er lächelte ihr freundlich zu als sich die Tür des Restaurants öffnete und ein Mann eintrat, der Thomas Renner sein musste. Douglas winkte ihm zu und Renner nickte verlegen.

Der Anwalt war jung, genau wie Douglas vermutet hatte. Seine Gesichtszüge waren weich und pickelig so als wäre er mitten in der Pubertät steckengeblieben. Renner war nicht besonders groß, spindeldürr und steckte in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug, der ihm eine Nummer zu groß war.

„Entschuldigung", sagte er mit der Piepsstimme, die Douglas schon von ihrem Telefongespräch am Morgen gewohnt war, „ein Mandantengespräch, das etwas länger gedauert hat als geplant. Haben Sie schon bestellt?"

Douglas zeigte mit dem Finger auf die beiden Hamburger und sagte dann: „Haben Sie die Dokumente dabei?"

„Hier, in meinem Koffer", antwortete Renner und setzte sich. Der Koffer war mit einem Zahlenschloss versehen. Renner stellte mit drei Rädchen die richtige Kombination ein, drückte dann zwei kleine Knöpfe an den Verschlüssen und mit einem lauten Klackgeräusch sprangen diese auf. Renner zog eine Klarsichtfolie aus dem Koffer heraus, in der sich drei Seiten befanden. Er schob sie Douglas zu.

Stanley, der inzwischen von seinem Hamburger abgebissen hatte, wischte sich die Hand an einer Papierserviette ab und angelte die Dokumente nacheinander heraus. Zuoberst lag die Vollmachtserklärung des Mandanten. Es folgte die Sterbeurkunde, die Douglas kurz überflog. Offenbar war Jürgens eines natürlichen Todes gestorben, jedenfalls hatte der Arzt als Todesart weder unnatürlich noch ungeklärt eingetragen. Zuletzt befand sich unter den Dokumenten noch eine beglaubigte Kopie eines Testaments, das überschrieben war mit den Worten: „Letzter Wille von Heinrich Jürgens". Erst jetzt fiel ihm auf, dass er in all der Hektik seinen Koffer im Auto gelassen hatte. Verdammt, du Blödmann, dachte er. Aber gut, Renner hatte ihn warten lassen, dann würde dieser sich nun eben auch noch ein wenig gedulden müssen.

Stanley Douglas hatte genug gesehen. Die Dokumente waren echt. Er würde Renner bitten, der Bank Kopien zuzuschicken, für die Akten.

„Haben Sie es dabei?", fragte Renner aufgeregt. Den Burger vor sich ließ der junge Mann links liegen. Stattdessen wirkte er aufgeregt wie ein Kind kurz vor der Bescherung.

„Ja", antwortete Douglas leise. Er kam sich vor wie in einem schlechten Spionagefilm.

„Wo ist es?", fragte Renner.

„Im Auto. Ich habe den Schließfachinhalt in meinem Aktenkoffer." Er grinste breit. „Sie haben selbst gesagt, der Inhalt würde da hinein passen."

Renner grinste breit und bleckte zwei Reihen strahlend weißer Zähne. „Das habe ich. Und wie mir scheint, hatte ich recht."

Douglas lachte. „Das hatten Sie wirklich. Aber jetzt lassen Sie uns erst einmal essen. Unsere Burger werden sonst kalt."

Als die beiden eine halbe Stunde später das Schnellrestaurant verließen und auf dem Weg zu seinem Wagen waren, hatte Douglas das seltsame Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Irgendein Detail schien nicht zu passen. Er wusste nur nicht, was es war. Sein Bauchgefühl sagte ihm nur, dass er etwas übersehen hatte.

„Ich bin mir sicher, mein Mandant wird höchsterfreut sein, die Mappe seines verstorbenen Großvaters endlich zu erhalten. Das bedeutet ihm wirklich sehr viel", sagte Thomas Renner.

„Das freut mich", entgegnete Douglas, „aber bitte verraten Sie mir eines. Was ist so besonders an dieser Mappe?"

Renner zuckte mit den Schultern. „Das weiß wahrscheinlich nur mein Mandant selber. Meine Aufgabe ist es nur, seine Interessen zu vertreten, wie verrückt sie auch sein mögen."

„Woher kommt dann aber Ihr persönliches Interesse? Ich hatte gerade im Restaurant den Eindruck als wären Sie selbst sehr aufgeregt", sagte Douglas gedehnt.

„Glauben Sie mir, wie Sie habe ich keinen blassen Schimmer. Es ist nur ... das ist der erste Fall, mit dem meine Kanzlei mich persönlich betraut hat. Vielleicht will ich mich einfach nur beweisen und lege deshalb besonders viel Ehrgeiz an den Tag."

Douglas grinste. „Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, seien Sie nicht zu ehrgeizig."

„Sie sprechen da aus Erfahrung?", fragte Renner.

„Leider ja", antwortete Douglas. Er fügte hinzu: „Meine Frau macht mir die Hölle heiß, weil ich zu viel arbeite. Letztens hat sie sogar angedroht, dass sie sich scheiden lässt, wenn ich nichts ändere."

Renner lachte. „Unsere Kanzlei hat auch sehr gute Scheidungsanwälte, wenn Sie einen benötigen."

„Danke, aber so weit will ich es nicht kommen lassen." Douglas blieb stehen. „Wir sind da", sagte er und kramte in seiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel. Er angelte danach. Irgendwo musste er doch sein.

Renner tippelte nervös mit den Füßen. Er schien höchst unruhig zu sein. Erneut bekam Douglas das Gefühl, dass irgendetwas merkwürdig war. Welches Detail übersehe ich bloß?

Da war er. Seine Finger zogen den Autoschlüssel heraus und er entriegelte den Wagen.

„Ich gebe zu, ich kann es kaum erwarten", sagte Renner aufgeregt.

„Sieht man Ihnen überhaupt nicht an", sagte Douglas. Er öffnete die Tür und beugte sich nach vorne, um an die Aktentasche zu gelangen, die auf seinem Beifahrersitz ruhte. Stanley öffnete den Koffer, um diese verdammte Mappe zu entnehmen. Auf der Mappe ruhte noch die Kopie des Depotmietvertrages, die Ruth Schmidt ihm am Morgen besorgt hatte. Er zog an der Mappe, die darunter lag.

Plötzlich hielt er inne. Die Dokumente waren durch das Ziehen verrutscht und Douglas starrte den Ausdruck von Jürgens' Personalausweis an. Plötzlich wusste er, was nicht stimmte.

„Die Namen", flüsterte er.

„Wie bitte?", fragte Thomas Renner.

Stanley wirbelte herum und blickte den Anwalt an, der nervös auf seiner Unterlippe kaute. „Die Namen", wiederholte er, „Der Name des Großvaters Ihres Mandanten war Henning Jürgens, richtig?"

„Richtig."

„So wie hier?", fragte Douglas verwirrt und zog das Dokument mit dem Personalausweis hervor, um es Thomas Renner in die Hand zu drücken.

„Ja, das ist der Name", sagte der Anwalt, „na und?"

Douglas blickte Renner finster an. „Das Testament, das Sie mir gezeigt haben ... darauf steht Heinrich Jürgens. Heinrich, nicht Henning." Das Testament war eine Fälschung. Wie hatte er das bloß übersehen können?

Renners Gesichtszüge verfinsterten sich. „Sie haben mich angelogen", platze es ungläubig aus Douglas heraus. Er zückte sein Handy. „Ich rufe die Polizei! Sie sind ein Betrüger!"

„Das hättest du nicht tun sollen", sagte Renner unvermittelt. Er klang traurig, irgendwie mitleidig und Douglas' Verwirrung steigerte sich nur noch mehr.

Renner trat auf ihn zu, baute sich vor ihm auf. Mit einem Mal wirkte er gar nicht mehr so schmächtig. Dann spürte Douglas einen stechenden Schmerz im Bauch. Vor Schreck ließ er sein Handy fallen. Dumpf schlug es auf dem Beton des Gehsteigs auf und das Display zersplitterte. Verwirrt blickte Douglas nach unten und sah das Messer, das tief in seinem Bauch steckte. Renners Hand hielt den Griff fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er drehte das Messer ruckartig um neunzig Grad. Blut quoll aus der Wunde hervor und tränkte Stanleys Hemd. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Als er sah, wie das Blut langsam aus ihm heraus sickerte, wurde ihm schlecht. Stanley wurde kreidebleich. Schwindel überkam ihn und er torkelte, prallte mit dem Rücken gegen sein Auto. Renner zog das Messer aus der Wunde heraus, die sogleich noch stärker zu bluten begann. Douglas röchelte. Er wollte um Hilfe rufen, aber seiner Kehle entwich nicht einmal ein verzweifeltes Röcheln. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er sterben würde.

Renner trat noch dichter an ihn heran. „Gleich hast du's geschafft", flüsterte er Douglas ins Ohr.

Stanley sackte zu Boden. Er röchelte, während das Leben langsam aus ihm strömte. Der Fremde, den Douglas nur als Thomas Renner kannte, griff sich in aller Seelenruhe den Aktenkoffer, der immer noch auf dem Beifahrersitz lag und entfernte sich dann, bog um die Ecke und verschwand aus Stanleys Blickfeld. Douglas wurde schwarz vor Augen. Er atmete ein letztes Mal aus. Dann war es vorbei. Stanley Douglas hatte es geschafft.

Kapitel 1: Metamorphose

Laut kreischte der Wecker. Ein nerv tötender Ton, schrill und hoch, dass es in den Ohren fast schon wehtat. Unnachgiebig plärrte das Gerät ohne dabei Luft holen zu müssen. Noch völlig schlaftrunken streckte Julia Adler ihre müden Glieder. Sie drückte ihren Rücken durch. Langsam richtete die Vierundzwanzigjährige, noch halbwegs im Reich der Träume dämmernd, ihren Oberkörper auf. Julia gähnte herzhaft und rieb sich verträumt den Schlaf aus den Augen. Dann schlug sie vorsichtig die Lider ihrer smaragdgrünen Augen auf und funkelte böse den Wecker an, der auf ihrem kleinen Nachttischchen weiterhin unablässig seinen Dienst tat.

7:03 Uhr. Zeit, um aufzustehen. Einen Moment lang war die junge Frau versucht, das Gerät mit ihren kleinen Händen zu greifen, schwungvoll gegen die Wand des Schlafzimmers oder aus dem Fenster zu werfen und dann einfach wieder unter die warme, kuschelige Federbettdecke zu schlüpfen und wieder in Morpheus' Arme zu versinken. Doch sie widerstand ihrem inneren Schweinehund und gestand sich, so schwer es ihr auch fiel, keinen weiteren Schlaf mehr zu. Obwohl der Jetlag ihr noch schwer zu schaffen machte.

Durch das Fenster begrüßte sie schon der neue Tag und entsandte erste Sonnenstrahlen in Julias spartanisch eingerichtetes Zimmer. Der Himmel draußen war klar und blau. Ein kleiner Schwarm krähengroßer, weißer Vögel tänzelte mit akrobatischer Leichtigkeit verspielt durch die Luft. Sie landeten im Geäst eines Baumes direkt vor Julias Fenster und zankten laut kreischend miteinander. Mit dem kräftigen dunkelgrauen Schnabel hackten sie nacheinander und aufgeregt richteten sie ihre schwefelfarbenen Federhauben auf. Es waren Gelbhaubenkakadus.

Du bist nicht mehr in Deutschland, rief sich Julia ins Gedächtnis und ihr Herz pochte aufgeregt. Der Beginn eines neuen Lebensabschnitts.

Behände schälte die Rothaarige sich aus ihrer Decke wie ein Schmetterling nach seiner Metamorphose von der dicken, madenartigen Raupe hin zum bezaubernden Falter aus seinem Kokon. Genauso fühlte sie sich auch. Ein Neuanfang. Metamorphose.

Sie schwang ihre Beine schwungvoll aus dem Bett und ihre zierlichen Füße gruben sich in den weichen, hochflorigen Teppich, der ihre empfindlichen Fußsohlen sanft kitzelte. Dann gab sie sich einen letzten Ruck und stand auf. Mit noch wackeligen Beinen tapste sie vollkommen unbekleidet durchs Zimmer in Richtung Fenster. Mit jedem Schritt wurde Julia sicherer und der Schlaf fiel von ihr ab.

Sie setzte sich auf den wackeligen Holzstuhl, der neben dem ebenso windigen Schreibtisch direkt vor ihrem Fenster ausgebaut war -- neben einem einfachen Kleiderschrank und dem Bett die einzigen Möbel des kleinen Raumes, der für die nächsten Wochen ihr Zuhause sein würde. Obwohl, eigentlich würde sie die meiste Zeit gar nicht hier verbringen.

Der Blick aus ihrem Fenster war atemberaubend. Die Kakadus im Baum stritten sich noch immer lautstark. In der Ferne erhob sich eine imposante Konstruktion aus Stahl und Beton. Auf 1072 Metern Länge überspannte das riesige Bauwerk einen Fluss, der sich heute ziemlich ruhig gab und seine trüben Wassermassen träge unter dem Stahlbetonkoloss durchschob. Die Story Bridge. Das Bauwerk verband mit 6 Fahrspuren, 3 in jeder Richtung, die Stadteile Kangaroo Point und Fortitude Valley miteinander und stellte somit eine der Hauptverkehrsadern Brisbanes dar, der Hauptstadt Queenslands.

Auf dem Schreibtisch lag, neben Julias Laptop, ein unordentlicher Berg an Papieren. Bisher war Julia noch nicht dazu gekommen, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, sie hatte ohnehin keine große Lust darauf, das zu ändern. Mit ihren Fingern angelte sie nach einem hervorlugenden Briefbogen, der im Stapel fast ganz unten lag und zog daran. Sie faltete den Brief, der auf Englisch geschrieben war, auf und las ihn aufmerksam, obwohl sie den Inhalt inzwischen auswendig kannte. Denn es war der Brief, der ihr Leben verändert hatte:

Sehr geehrte Frau Adler,

ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für Ihre Bewerbung auf die von meiner Arbeitsgruppe zu vergebende DoktorandInnenstelle. Ihre Unterlagen sind fristgerecht im Sekretariat der Fakultät für Naturwissenschaften an der University of Queensland eingegangen.

Insgesamt sind 23 Bewerbungen auf die ausgeschriebene Stelle eingegangen. Nach sorgfältiger Überprüfung aller eingereichten Unterlagen, freue ich mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass wir uns dafür entschieden haben, Ihnen diese Stelle anzubieten.

Bitte teilen Sie uns innerhalb der nächsten drei Wochen schriftlich (vorzugsweise per E-Mail) mit, ob Sie die Stelle antreten möchten. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich mich leider dazu gezwungen sehe, die Stelle anderweitig zu vergeben, sollten Sie nicht fristgerecht eine Antwort einreichen.

Hochachtungsvoll

Prof. David Fisher

Julia hatte keine Sekunde lang gezögert und noch am selben Tag geschrieben, dass sie die Stelle unbedingt annehmen wolle. Dass sie dafür nach Australien ziehen müsste, störte sie nicht im Geringsten. In Deutschland hielt sie ohnehin nichts mehr und sie beherrschte die englische Sprache ausgezeichnet. Sie war im Gegenteil sogar froh, endlich von hier weg zu können.

Prof. Fisher hatte ihr umgehend geantwortet, dass er sich sehr über diese Nachricht und auf die Zusammenarbeit freue, aber auch freundlich darauf hingewiesen, dass Julia ihre Entscheidung nicht überstürzen solle. Daher hatte er sie dazu eingeladen, ihn zunächst einmal für einige Wochen auf seiner nächsten Expedition zu begleiten. Wenn sie dann immer noch wolle, könne sie die Stelle haben. Julia war mit diesem Vorschlag einverstanden und nun war sie hier und saß in einem kleinen Zimmer eines kleinen Hotels. Ein Familienbetrieb, der zwar keinen großen Luxus versprach, doch für Julias Bedürfnisse völlig ausreichend. Den Großteil ihrer Zeit würde sie sowieso an Bord von Prof. Fishers Forschungsschiff verbringen, der Argo.

David Fisher war nicht nur in Forscherkreisen eine bekannte Persönlichkeit. Der Sechsundfünfzigjährige hatte mit einer schonungslosen Doktorarbeit zum bedenklichen Zustand des Great Barrier Reefs in Fachkreisen für Furore gesorgt und galt als einer der anerkanntesten Experten für die Erforschung tropischer Riffkorallen. Insbesondere beschäftigte er sich mit der Erforschung der Lebensbeziehungen zwischen Korallenpolypen und deren einzelligen Symbiosepartnern, den Zooxanthellen. Die Öffentlichkeit kannte Fisher dagegen vor allem aus dem Fernsehen. Durch seine imposante Erscheinung, Fisher war ein groß gewachsener, durchtrainierter Hüne mit sonnengebräunter und windgegerbter Haut und konnte trotz seines Alters noch immer ein volles Haupthaar sein eigen nennen, das zwar mittlerweile an den Schläfen leicht ergraute, ihn aber kein bisschen weniger attraktiv wirken ließ, war er für eine populärwissenschaftliche Fernsehsendung, die sich mit der Unterwasserwelt der Weltmeere beschäftigte, prädisponiert. Mittlerweile drehte er zusammen mit einem erfahrenen Kamerateam bereits die dritte Staffel seiner bei Kritikern und Publikum gleichermaßen beliebten Reihe Abenteuer im Ozean -- Auf Expedition mit David Fisher.

Erst kürzlich war der Professor mit seiner Crew von anstrengenden Dreharbeiten im Westen Australiens zurückgekehrt, wo man in der Shark Bay das seltsame Jagdverhalten der Großen Tümmler gefilmt hatte. Etwa dreißig der knapp dreitausend dort lebenden Delfine beherrschen etwas Verblüffendes, das man bis dato nur dem Menschen und einigen Menschenaffenarten zugetraut hätte; die intelligenten Meeressäuger stülpen sich Schwämme über ihre Schnäbel, um bei der Futtersuche am Meeresboden ihre empfindliche Schnauze vor Verletzungen zu bewahren -- sie benutzen Werkzeuge.