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Argonauta Kapitel 01-02

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Julia ließ den Brief wieder auf die Auflagefläche des Schreibtisches segeln. Draußen waren die Kakadus, immer noch lautstark zeternd, davongeflogen und glitten auf ihren weißen Schwingen mühelos durch die Lüfte. Sie entfernten sich eilig und waren bald nur noch drei winzige Punkte am Horizont, bis sie schließlich gänzlich ins Nichts verschwanden. Nur allzu gerne hätte Julia sich den Vögeln angeschlossen. Frei und ungebunden wie ein Vogel zu sein, das hieß auch, sein bisheriges Leben und all die Erinnerungen an die eigene Vergangenheit zurücklassen zu können.

Ein lautes Brummen riss Julia aus ihren Gedanken. Julias Smartphone, das neben ihrem Wecker auf dem Nachttischchen lag, hatte zu vibrieren begonnen und tanzte eifrig auf seiner hölzernen Unterlage wie die Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte. Julia stand auf, eilte schleunigst zurück zum Bett und griff sich das Mobiltelefon. Ihre schlanken Finger tippten das Passwort ein und der Bildschirm erhellte sich. Ein kleines Sprechblasensymbol zeigte an, dass Julia eine neue Textnachricht auf ihrer Instant-Messanging-App erhalten hatte. Julia schaute neugierig auf den Absender der Nachricht: Gina, ihre beste Freundin. Sie hatte Gina vor einigen Jahren auf einer Studentenfete kennengelernt. Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb gut verstanden und bald schon hatte die beiden eine tiefe Mädchenfreundschaft miteinander verbunden. Während Julia ihr Studium in Leipzig beendet hatte, war Gina einige Zeit später zu ihrem Lebenspartner Martin nach Bremen gezogen, um dort weiter zu studieren, doch der Kontakt zwischen den beiden jungen Frauen war seitdem nicht mehr abgerissen. Während Julia ihr Biologiestudium inzwischen beendet hatte, arbeitete Gina, die zuvor noch ein freiwilliges ökologisches Jahr abgeleistet hatte, noch durch ihr letztes Jahr ihres Masterstudienganges durch. Kurz überschlug sie, wie spät es jetzt bei Gina daheim in Deutschland sein mochte. Hier in Brisbane war es kurz nach sieben Uhr morgens, acht Stunden früher als in Mitteleuropa, was bedeutete, dass es dort erst kurz nach elf Uhr abends war. Julia öffnete die Nachricht und las:

Gina (07:05 Uhr):

Hey Julchen,

bist du gut in Down Under angekommen? Wie war dein Flug?

LG Gina.

Julia tippte mit flinken Fingern eine kurze Antwort ein und schickte die Nachricht dann ab:

Julia (07:06 Uhr):

Morgen Gina (hier ist es nämlich schon Morgen),

ja, ich bin gut angekommen. Flug war ok, aber der Jetlag ist fies.

LG Julia

Nur wenig später hatte Gina bereits eine neue Nachricht geschickt:

Gina (07:07 Uhr):

Du Arme! Hoffentlich erholst du dich schnell. Was hast du für heute geplant?

Julia (07:07 Uhr):

Wird schon werden. Treffe mich heute mit Prof. Davies.

Gina (07:08 Uhr):

Und abends?

Julia (07:08 Uhr):

Werde ich zeitig ins Bett gehen und mich ausschlafen.

Gina (07:09 Uhr):

Du kannst nicht immer daheim hocken. Du solltest endlich mal wieder ausgehen, Süße.

Julia (07:09 Uhr):

Weißt doch, ich geh nicht gern feiern.

Gina (07:09 Uhr):

Komm schon ... Wie willst du sonst einen Typen kennenlernen?

Gina (07:09 Uhr):

Oder ein Mädel? ;-)

Julia musste leicht lächeln als sie Ginas augenzwinkernde Nachricht gelesen hatte, eine Anspielung auf Julias sexuelle Orientierung. Gina hatte sie es zu verdanken, dass Julia vor einigen Jahren entdeckt hatte, dass sie -- genau wie ihre beste Freundin -- bisexuell war. Für Julia war es anfangs schwierig gewesen, diese Erkenntnis zu verdauen, inzwischen hatte sie jedoch akzeptiert, dass sie nicht nur auf Männer, sondern ab und an auch auf Frauen stand.

Doch ihr letztes romantisches Abenteuer lag schon eine ganze Weile zurück. Ein kalter Schauer lief Julia über den Rücken als sie plötzlich wieder von sorgfältig verdrängten Erinnerungsfetzen eingeholt wurde. Es schmerzte immer noch. Nach all der Zeit.

Julia (07:10 Uhr):

Ich habe aber keine Lust, jemanden kennenzulernen.

Gina (07:12 Uhr):

Ach komm schon, irgendwann musst du doch mal wieder aus deinem Schneckenhaus kriechen. Wie lange ist das mit Tom schon her? Lass die Vergangenheit endlich mal hinter dir und dich auf was Neues ein! Deswegen wolltest du doch diesen Neuanfang in Australien.

Da war er wieder, dieser eisige Griff um ihren Hals, der Julia die Kehle zuschnürte und sie am Atmen behinderte. Sein Gesicht erschien vor Julias geistigem Auge. Mundwinkel, die sich zu einem breiten Grinsen verzogen. Ein tiefes Grübchen in der Wange. Und ein Paar gütiger, rehbrauner Augen. Julia spürte deutlich den Schmerz in ihrer Brust aufflammen als stieße man ein rot glühendes Messer tief in ihre Eingeweide. Nach all den Jahren waren die Wunden immer noch nicht verheilt.

Es hieß, dass die Zeit alle Wunden heilte. Doch das stimmte nicht, wie Julia jeden Tag aufs Neue am eigenen Leib erfahren musste. Manche Verletzungen waren zu tief, um jemals zu heilen. Stattdessen bildeten sie schorfige, lebenslang schmerzende Narben, die einen grässlich entstellten und die grausame Eigenschaft besaßen, eine permanente Erinnerung an ein Ereignis zu sein, das man lieber vergessen würde. Das galt für die körperlichen wie für die seelischen Verletzungen.

„Tom, ich vermisse dich", flüsterte sie leise, doch niemand außer ihr selbst konnte ihre Worte hören.

Minuten verstrichen, ohne dass Julia zu einer weiteren Antwort fähig gewesen wäre. Das Gerät in ihrer Hand summte als Gina eine weitere Nachricht schickte:

Gina (07:21 Uhr):

Alles in Ordnung???

Julia wusste nicht, was sie Gina antworten sollte. Sie wollte nicht schon wieder darüber sprechen. Genau deswegen war sie nach Australien gekommen. Um die Vergangenheit vergessen zu können. Jetzt musste sie schon am ersten Tag nach ihrer Ankunft feststellen, dass die Vergangenheit sie offenbar selbst hier einholte. Sie schüttelte sich kurz als könne sie damit ihre trübsinnigen Gedanken von sich schütteln, dann tippte sie eilig:

Julia (07:22 Uhr):

Muss jetzt los, sorry. Komme sonst zu spät. Melde mich später wieder.

LG Julia

Julia ließ das Smartphone achtlos auf das Bett sinken. Dann zog sie unter ihrem Bett die Reisetasche hervor, welche auszupacken sie gestern nicht mehr geschafft hatte. Sie öffnete den Reisverschluss, klaubte ein sauberes T-Shirt, kurze Jeansshorts, frische Unterwäsche, ein Badetuch und ihren Kulturbeutel zusammen und sprintete danach ins Badezimmer.

Immer noch spukten die Erinnerungen an Tom in ihrem Kopf herum und sie zwang sich, an etwas anderes zu denken. Sie ließ sich melancholisch auf die Toilette plumpsen und während sie ihre Blase entleerte, putzte sie dabei ihre Zähne mit einer Handzahnbürste, die sie nach einigem Suchen aus ihrem Kulturbeutel hervorgezaubert hatte. Nachdem sie fertig war, stand sie auf, zog die Spülung und stellte sich dann unter die Dusche.

Kaltes Wasser prasselte auf ihren Körper hernieder und betäubte ihre rasenden Gedanken, die sich immer und immer wieder um die gleiche Sache drehten wie auf einem Kirmeskarussell. Julia nahm die Duschgelflasche und ließ einige Tropfen von deren Inhalt in ihre Handinnenfläche tropfen. Ein angenehmer Duft nach Rosenblüten und Lavendel stieg in ihre Nase. Mit kreisenden Bewegungen seifte sie ihren Körper ein. Die angenehme Kühle des Wassers und das sanfte Massieren ließen endlich die Anspannung von ihrem Körper fallen und sie kam innerlich ein wenig zur Ruhe.

Ihre Hände strichen über die sanften Wölbungen ihrer Brüste. Für Julias Geschmack waren sie zu klein, was bei ihrer Körpergröße von einem Meter fünfundfünfzig jedoch nicht ins Gewicht fiel. Im Grunde genommen konnte sie mit ihrem Körper wahrhaftig zufrieden sein. Ihre naturrote Mähne rahmte ein ebenmäßiges, sommersprossiges Gesicht mit kleiner Stupsnase und smaragdgrünen Augen ein. Ihre Figur schlank, zierlich und geschmeidig wie eine Raubkatze. Haut, die so samtig weich war wie ein Pfirsich und ihr fester, straffer Po mit den Rundungen eines knackigen Apfels.

Verträumt streichelten Julias Hände länger als nötig über ihre Brüste. Ihre rosigen Brustwarzen hatten sich aufgerichtet, aber Julia vermochte nicht zu sagen, ob es eine Folge ihrer zärtlichen Streicheleinheiten oder das kalte Wasser daran Schuld trug. Während sie mit ihren Fingerspitzen ihre erigierten Nippel verwöhnte, stieg in ihr ein Verlangen auf, das Julia schon länger nicht mehr gespürt hatte; sie wurde erregt.

Julia seufzte als sie keck in eine ihrer Brustwarzen zwickte. Ja, sie war geil und sie brauchte jetzt unbedingt einen Orgasmus!

Wie von selbst glitten ihre Hände über die nasse Haut ihres flachen Bauches. Ihre Fingerspitzen ertasteten den schmalen Streifen kurz getrimmter Schamhaare, der die Mittelachse ihres ansonsten glatt rasierten Venushügels zierte, orientierten sich an diesem und glitten noch tiefer, bis sie zwischen ihre Schamlippen tauchten. Feuchtigkeit umfing sie und Julia biss sich laut seufzend auf die Lippen. Die Rothaarige lehnte sich an die geflieste Wand der Duschkabine und begann zu masturbieren. Routiniert fuhren ihre Finger durch ihre eigene glitschige Spalte, nahmen zähflüssigen Schleim auf und verteilten ihn großzügig auf ihrer Scham. In kreisenden Bewegungen spielte Julia mit ihrer Klitoris, brachte sich zielstrebig dem Höhepunkt immer näher. Immer unruhiger reizten ihre Finger den empfindlichen Punkt. Julias Stöhnen wurde lauter, ihr Fingerspiel schneller und ihr Gesichtsausdruck immer verzückter. Dann kam sie. Der Orgasmus war lang und heftig und mit einem Schlag entlud sich sämtliche in den letzten Wochen angestaute sexuelle Energie. Ihre Beine wurden weich wie Pudding und während ihr Unterleib heftig pulsierte rutschte das zierliche Mädchen an der glatten Wand nach unten, landete mit dem Gesäß auf dem Boden und brüllte in einem Urschrei ihre Lust heraus. Während sie die letzten Ausläufer ihres Höhepunkts genoss, prasselte der kühle Regen der Duschbrause auf ihren erhitzten Körper herab. Mit entrücktem Blick blieb sie auf dem Boden sitzen. Sie atmete stoßweise und ihr Puls raste, doch so gut wie in diesem Augenblick hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie genoss noch einige Minuten lang das Gefühl der Befriedigung, dann zog sie sich kraftlos nach oben, stellte das Wasser aus, öffnete die Glastür der Duschkabine und trocknete sich mit einem weichen Frotteehandtuch ab, das angenehm nach Weichspüler duftete.

Kapitel 2: Symbiose

Der Hauptcampus der University of Queensland in St. Lucia liegt am westlichen Ufer des Brisbane River und erstreckt sich über eine Fläche von 144 Hektar. Gegenüber, auf der anderen Seite des Ufers, erstrecken sich die Stadtteile Highgate Hill im Norden, Dutton Park im Osten und Fairfield im Südosten, während er im Westen vom Stadtteil Taringa flankiert wird. Über die Eleonor Shonell Bridge, die für den allgemeinen Automobilverkehr gesperrt ist und auf der nur Busse und Fahrräder fahren dürfen, erreicht man den Campus innerhalb weniger Minuten und betritt dabei eine kleine Welt für sich, sozusagen eine Stadt in der Stadt.

Auf dem Campus liegen nicht nur die Lehr- und Institutsgebäude mit ihren Hörsälen, Mensen, Toiletten und den zahlreichen Laboratorien; St. Lucia beherbergt auch Queenslands größte und umfangreichste Forschungsbibliothek, etliche Sportplätze und sogar einen Golfplatz. Mit seinen grünen Parks stellt der Campus gleichzeitig die grüne Lunge der Stadt dar und ist Naherholungsgebiet für Studenten, Lehrkräfte und all die anderen Stadtbewohner.

Julia schlenderte durch den grünen Park die College Road entlang, die dem Uferverlauf eines der Seen folgte, die sich im Park befanden. Auf der Wasseroberfläche lag ein dichter grüner Teppich von Seerosen, die ihre cremeweißen Blüten emporreckten und zahlreichen summenden Insekten zur Bestäubung feilboten. In der Mitte des Sees ragte ein alter Ast, der ungefähr Armdicke hatte, in einem flachen Winkel aus dem Wasser. Auf dessen rauer Rinde hatten sich zwei große Brillenpelikane niedergelassen, die mit ihren eindrucksvollen Schnäbeln eifrig ihr schwarz-weiß kontrastierendes Gefieder zurechtzupften. Ein laues Lüftchen wehte auf und Gischt wurde in Julias sommersprossiges Gesicht geblasen, die von dem laut rauschenden Wasserspiel stammten, das in der Mitte des künstlichen Gewässers installiert worden war und dessen geysirartige Wasserfontänen den Wasserspiegel sanft zum Schaukeln brachten.

In der Luft hing überall der Duft von Palisander, der so intensiv war, dass er beinahe die Sinne benebelte. Der ursprünglich aus Südamerika stammende Palisanderbaum stellte so etwas wie das inoffizielle Wahrzeichen Brisbanes geworden. Hunderte, vielleicht sogar tausende Exemplare der knorrigen Bäume waren überall auf dem Gelände des Campus angepflanzt worden und verwandelten St. Lucia jedes Jahr für zwei Wochen in ein betörendes Meer aus zartvioletten Blüten. Julia war von dem eindrucksvollen Naturschauspiel sofort in den Bann gezogen worden. Sorgenfrei sog sie das schwere Potpourri tief in ihre Lungen ein und ließ sich ganz von dem süßlichen Duft verzaubern. Bei den meisten Studenten war die Palisanderblüte jedoch weniger beliebt, ja sogar gefürchtet, denn es war eine grausige Ironie, dass das violette Blütenwunder zeitgleich den Beginn der Prüfungszeit ankündigte.

Julia spazierte über die asphaltierte Straße und genoss die warme Sommerluft. Sie spürte das Kitzeln der goldenen Sonnenstrahlen auf ihrer Nasenspitze und wusste, dass sie mit ihrer Entscheidung, hier einen Neuanfang zu wagen, richtig lag. Julia blickte auf ihre Armbanduhr. Zehn Uhr Zehn. Noch fünf Minuten.

Nachdem Julia sich fertig geduscht und angezogen hatte, hatte sie ihr winziges Hotelzimmerchen verlassen, um sich wie verabredet mit Prof. Fisher zu treffen. Doch dessen freundliche Sekretärin hatte Julia höflich erklärt, dass der Professor das Treffen habe kurzfristig absagen müssen. Ein Kollege sei unerwartet krank geworden und Prof. Fisher müsse für diesen die Vorlesung übernehmen. Sie hatte Julia vertröstet und ihr den Vorschlag gemacht, sie solle sich doch einfach zum Vorlesungssaal begeben. Für gewöhnlich pflege der Prof. nach seiner gehaltenen Vorlesung, ein Mittagsmahl einzunehmen und er könne sich dabei eventuell Zeit für Julia nehmen.

Julia hatte schulterzuckend geantwortet, dass es für sie kein Problem sei, sie habe sich ohnehin nichts anderes für den heutigen Tag vorgenommen. Die Sekretärin hatte kurz ihren Chef angerufen. „Prof?", hatte sie am Telefon den Sachverhalt erklärt, „es geht um Ihren Termin mit Miss Adler ... Ja genau, die junge Doktorandin aus Deutschland ... Ja, Chef, sie ist jetzt hier ... soll ich sie zu Ihnen schicken? ... Alles klar, Chef." Die Sekretärin hatte aufgelegt, gelächelt und Julia dann geantwortet: „Prof. Fisher weiß Bescheid. Er möchte sich wie besprochen nach der Vorlesung mit Ihnen treffen und lässt Ihnen ausrichten, dass er Sie zum Essen selbstverständlich einlädt."

Und nun war Julia also auf dem Weg zum Vorlesungssaal, in dem Prof. Fisher in fünf Minuten seine Vorlesung beginnen würde. Die Sekretärin hatte Julia eine kurze Lagebeschreibung mit auf den Weg gegeben.

Auf ihrem Weg kamen Julia einige Studenten entgegen, die sich wild gestikulierend miteinander angeregt unterhielten. Zwei von ihnen fielen Julia besonders auf: eine junge Frau mit langen blonden Haaren und ein junger Mann, der schüchtern ihre Hand griff. Als das Mädchen das bemerkte, errötete auch sie, dann lächelten die beiden einander mit einer Mischung aus Freude und Scham an. Offenbar waren die beiden ein frisch verliebtes Pärchen. Wie oft waren sie und Tom genau wie dieses Paar glücklich Hand in Hand über den Campus in Leipzig gelaufen?

Plötzlich war er wieder da, der Schmerz mitten in ihrer Brust. Das beklemmende Gefühl unvollständig zu sein. Ein Teil von mir fehlt, dachte sie.

Mit einer unbewussten Bewegung fuhr sie sich an den glänzenden Gegenstand, der den Ringfinger ihrer linken Hand zierte. Toms Ring. Das letzte Erinnerungsstück. Er hatte den Weißgoldring mit dem kleinen Brillanten für sie anfertigen lassen. Es hätte ihr Verlobungsring werden sollen, doch er hatte ihr die alles entscheidende Frage nie gestellt. Niemals stellen können. In den ersten Tagen hatte Julia den Ring selbstverständlich getragen. Dann war eine Zeit gefolgt, in der sie sich die Frage gestellt hatte, ob es nicht komisch sei, immerhin war der Ring niemals für seine eigentliche Bestimmung zum Einsatz gekommen. Am Ende hatte sie sich entschieden, ihn dennoch immer bei sich haben zu wollen. Und das hatte sie auch getan und seit nun schon fünf Jahren war das kleine Schmuckstück, das letzte Andenken an Tom, ihr ständiger Begleiter.

Julia hatte das Hörsaalgebäude erreicht und wurde aus ihren Gedanken gerissen. Sie trat durch ein imposantes Portal des aus Sandsteinblöcken errichteten Bauwerks, orientierte sich kurz anhand des Übersichtsplans und machte sich dann auf den Weg zum Hörsaal.

Wenig später saß Julia Adler inmitten einer Masse von Studentinnen und Studenten, einer laut murmelnden Menge und mitten drin, in der schützenden Hülle der Anonymität Julia. Sie war zu einer von vielen geworden. Klein und unbedeutend. Kaum sichtbar. Genau so, wie sie sich seit Jahren fühlte.

Sie hatte in der letzten Reihe des großen Hörsaales Platz genommen. Wie in einem Amphitheater waren die einzelnen Ränge etagenartig in einem Halbkreis angeordnet. Die Sitzplätze waren aus altem Massivholz geschnitzt und der Saal verströmte das Gefühl von Erhabenheit. Zeitlosigkeit. Wie viele Generationen vor ihr mochten schon in dem gleichen Hörsaal auf den gleichen Plätzen gesessen und den Klängen der Dozenten gelauscht haben? Einzig die Tafel auf der dem Auditorium gegenüberliegenden Seite war einer nackten, weißen Wand gewichen, die von einem Beamer strahlend hell ausgeleuchtet wurde. Die moderne Technik machte selbst vor den historischen Räumen keinen Halt.

Das Raunen der Studenten war laut, sodass es Julia schwer fiel, überhaupt einem Gesprächsfaden folgen zu können. Man verstand sein eigenes Wort kaum. Nicht, dass Julia etwas zu sagen hätte, sie kannte ohnehin niemanden. Für sie war diese Menschenmasse ebenso anonym wie sie für die Masse es war.

Die Menschenmasse verstummte augenblicklich, als sich eine Eichenholztür öffnete und Prof. David Fisher den Raum betrat, ans Pult lief und mit freundlichen Augen ins Publikum blickte.

Fisher sah genauso imposant und eindrucksvoll aus wie im Fernsehen. Er war groß und muskulös, braun gebrannt und wirkte äußerst vital. Kein Wunder, dass beim Anblick des Hünen sofort jegliches Gespräch verstummte. Prof. Fisher verstand es wirklich, seine Zuhörerschaft für sich zu gewinnen, dabei hatte er noch nicht eine einzige Silbe gesagt. Einzig seine Kleidung wollte nicht zu ihm passen. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug mit dazu passendem weißem Hemd und einer marineblauen Krawatte. Auf Julia wirkte der Anzug zwar elegant, er wollte aber so gar nicht zu dem Bild des verwegenen Abenteurers und Meeresforschers passen, das sie vom Professor hatte.

Genau wie Indiana Jones, dachte sie amüsiert.

„Guten Tag, meine Damen und Herren", sagte Prof. Fisher auf Englisch mit donnernder Bassstimme. Julia war sofort beeindruckt. Sie hatte einige Dozenten in den letzten Jahren kennengelernt. Die meisten von ihnen waren ohne ein Mikrofon völlig hilflos gewesen. Doch David Fisher schien solche Technik nicht nötig zu haben. Er sprach klar, deutlich und selbst in der letzten Reihe noch absolut verständlich.

„Wie Sie sicherlich bemerkt haben, bin ich nicht Dr. Peters. Der Kollege lässt sich entschuldigen, er liegt mit einer schweren Grippe im Bett und hat mich gebeten, heute für ihn einzuspringen. Sie müssen also heute mit mir Vorlieb nehmen", eröffnete Fisher seinen Vortrag und seine Augen wanderten aufmerksam durch die Reihen. Sein Blick blieb, so hatte sie zumindest den Anschein, eine Sekunde länger bei Julia in der letzten Reihe haften als beim Rest der Zuhörerschaft und Julia hatte den Verdacht als umspielte ein leichtes Lächeln seine Mundwinkel. Sie konnte sich aber auch irren, denn auf die Entfernung vermochte sie es nicht sicher zu sagen.