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Argonauta Kapitel 01-02

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David Fisher fuhr fort: „Nachdem Sie sich in der letzten Stunde bei Dr. Peters etwas intensiver mit den Nahrungsgeflechten in der antarktischen See beschäftigt haben, werden wir uns heute einem gänzlich anderen Lebensraum zuwenden, den tropischen Korallenriffen."

„Erbaut werden die Korallenriffe von den hermatypischen Polypen der hexacorallen Anthozoen aus der Ordnung der Scleractinia, den Steinkorallen. Vor allem die Gattung Acropora ist hier zu nennen. Ferner sind auch die octocoralle Blaue Koralle Heliopora coerulea und die zu den Hydrozoen gehörenden Feuerkorallen der Gattung Millepora an der Bildung der Riffe beteiligt, indem sie das im Wasser gelöste Calciumcarbonat aufnehmen und daraus ein Kalkskelett aus Aragonitkristallen bauen. Bitte rekapitulieren Sie hierfür unbedingt noch einmal Ihre Cnidarier-Vorlesung aus der speziellen Zoologie des letzten Semesters, wenn Sie bei diesen Begrifflichkeiten noch Defizite aufweisen."

Fisher drückte auf den Laserpointer in seiner Hand und hinter ihm warf der Beamer die Projektion einer Landkarte der Erde an die Wand, die an einigen Stellen rund um den Äquator rot eingefärbt war.

„Tropische Korallenriffe finden wir, der Name deutet es schon an, nur im Bereich zwischen den beiden Wendekreisen in flachen Gewässern. Ganz allgemein werden sie auch als die tropischen Regenwälder der Meere bezeichnet. Hat jemand eine Ahnung, warum das so ist?"

Ein Student mit Nickelbrille meldete sich und antwortete: „Weil sie so artenreich sind?"

„Ganz recht. So ist es. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 haben Wissenschaftler aus aller Welt eine Volkszählung der Meere durchgeführt, den Census of Marine Life. Dabei haben sie sage und schreibe 230.000 verschiedene Arten entdeckt. Allein 60.000 von ihnen finden wir in den tropischen Korallenriffen und man schätzt, dass bis zu eine Millionen verschiedene Tier- und Planzenarten in den Riffen leben, wenn wir die Arten einbeziehen, die uns noch gar nicht bekannt sind. Wir finden dort eine ungeheure Fülle an unterschiedlichen Lebensgemeinschaften: kompetitive, antagonistische Räuber-Beute-Beziehungen, aber auch zusammenarbeitende. Genau wie in den tropischen Regenwäldern, die ebenfalls wahre Hotspots der Biodiversität darstellen. Aber es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, die Riffe und Regenwälder miteinander teilen."

Fisher machte eine Kunstpause. Dann fuhr er fort: „Was haben Sie in der letzten Stunde bei Dr. Peters über den Nährstoffkreislauf in antarktischen Gewässern gelernt?"

Eine etwas stämmige Studentin hob den Arm und räusperte sich: „Ähm, kalte Gewässer enthalten viel Sauerstoff und Nährstoffe, daher gibt es dort sehr viel Plankton, der die Grundlage der ganzen Nahrungskette ist."

„Exakt so ist es", sagte Fisher, „in kalten Gewässern tummelt sich das Leben, weil kaltes Wasser sehr nährstoffreich ist. Das gilt nicht nur für die antarktischen Gewässer, sondern auch überall dort, wo man kalte Meeresströmungen findet." Fisher zeigte mit dem Laserpointer auf die Karte, die immer noch hinter ihm leuchtete und umfuhr die westliche Küste Afrikas. „Zum Beispiel hier", sagte er, „verläuft der Benguela-Strom, der kaltes Wasser aus dem Süden nach Westafrika transportiert. Und das gleiche Bild finden wir an der Pazifikküste Südamerikas ebenfalls. Kalte, planktonreiche Meeresströmungen als Nahrungsgrundlage für reiche Fischgründe. Aber was finden wir in genau diesen Regionen nicht? Genau! Tropische Korallenriffe -- und das, obwohl wir uns hier innerhalb der beiden Wendekreise in den Tropen befinden. In der Tat erstrecken sich die Korallenriffe in diesem Bereich ausschließlich auf Regionen, in denen die Wassertemperatur immer mindestens 19 Grad und unter 30 Grad beträgt. Wir finden sie also in warmen Gewässern und die sind ausgesprochen nährstoffarm, ja es sind geradezu Wasserwüsten. Genau das gleiche finden wir auch im tropischen Regenwald. Der tägliche Regen wäscht dort sofort sämtliche Nährstoffe aus dem Boden in tiefe Schichten, die für jede Wurzel unerreichbar sind. Wie passt das also in das Bild der artenreichen Korallenriffe? Wie kann diese offensichtliche Diskrepanz zwischen der enormen Produktion von Biomasse auf der einen Seite und der starken Oligotrophie auf der anderen Seite erklärt werden?"

Ratlose Gesichter in allen Reihen. Julia musste lächeln. Die Frage war ziemlich einfach. Einige Studenten tuschelten leise miteinander, aber keiner machte Anstalten, sich zu melden.

Was soll's, dachte Julia und hob den Arm.

„Ja bitte?", fragte Prof. Fisher sie mit erwartungsvollem Blick.

„Die Sonne", sagte Julia.

Prof. Fisher lächelte. „Würden Sie das bitte ein wenig näher ausführen, Miss ...?"

„Adler, Sir. Julia Adler."

Fisher antwortete: „Ach, Sie sind das also. Na, dann lassen Sie uns doch einmal an Ihrem Wissen teilhaben."

Julia zuckte gleichgültig mit den Achseln. Wenn es weiter nichts ist. „Die Antwort lautet Zooxanthellen", sagte Julia kryptisch, „die Tätigkeit der Zooxanthellen kann das so genannte Riffparadoxon erklären."

Prof. Fisher nickte bestätigend mit dem Kopf. Er drückte erneut auf seinen Laserpointer und die Präsentation blätterte eine Folie weiter. Sie zeigte nun das Bild eines einzelnen Korallenpolypen in einer Makroaufnahme. Sein hydrengleicher Leib, ein sackartiges Gebilde, das an der apikalen Spitze von einem Tentakelkranz umsäumt wurde, war blass, fast durchsichtig, und mit zahlreichen bräunlichen Pünktchen übersät.

„Das Zauberwort lautet Symbiose", erklärte der Professor geheimnisvoll. Er trat vor sein Rednerpult und sagte dann: „Für gewöhnlich ernähren sich Polypen von dem, was mit der Meeresströmung angespült wird und was sie mit ihren Tentakeln einfangen können. Detritus, Plankton, oder aber ein Fisch, der nicht aufgepasst hat und der von dem Nesselgift der Polypen gelähmt wurde. Das allein reicht aber nicht aus, um in den nährstoffarmen Gewässern als Polyp über die Runden zu kommen. Er sucht sich deshalb Hilfe und die findet er in Form der Zooxanthellen. Als solche bezeichnen wir einzellige Algen aus der Gruppe der Dinoflagellaten, die als Endosymbionten in den Zellen der Polypen leben. Der bekannteste Vertreter der Zooxanthellen ist die Alge Symbiodinium microadriaticum. Miss Adler hat vollkommen recht, wenn sie behauptet, dass Korallen ihre Energie aus der Sonne beziehen. Sie können dies jedoch nicht direkt tun, sondern sie brauchen dabei die Hilfe durch ihre Endosymbionten. Die Zooxanthellen betreiben bekanntlich oxygene Photosynthese, erinnern Sie sich bitte an die Vorlesungsreihe Allgemeine Botanik. Wie auch die grünen Pflanzen, assimilieren Dinoflagellaten unter Verwendung von Wasser und Licht Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid und wandeln diesen in eine energiereiche Verbindung um, in Zucker nämlich, von dem sich die Algen ernähren, als Nebenprodukt entsteht dabei Sauerstoff, ohne den wir alle jetzt nicht in diesem Raum säßen."

Julia erinnerte sich zurück an die Zeit als sie bei ihrer Professorin in der Botanikvorlesung gesessen hatte und damals die Photosynthese das Thema gewesen war. Genau genommen betrieben sämtliche Grünpflanzen eine besondere Form der Photosynthese, die als oxygene Photosynthese bezeichnet wird und bei der Sauerstoff als Abfallprodukt frei wird. Vor rund drei Milliarden Jahren, als es noch keine Algen und dergleichen gab, gab es in der Atmosphäre praktisch keinen Sauerstoff. Bis heute war der Anteil von Sauerstoff an der Luft allein durch die Arbeit photosynthetisch aktiver Lebewesen auf 21 Prozent gestiegen.

„ Nicht nur die Algen", fuhr Fisher fort, „auch die Korallen bekommen einen Teil, sogar den Großteil, des produzierten Zuckers ab. Auch den Sauerstoff, der bei der Photosynthese als Nebenprodukt anfällt, erhalten die Korallen für ihre Zellatmung. Erst dadurch können die Korallen überleben und diese erstaunlichen Leistungen der Riffbildung vollbringen. Und es erklärt gleichzeitig, warum wir Korallenriffe nur in flachen, lichtdurchfluteten Meeresbereichen finden. In größeren Tiefen ist es schlicht zu dunkel für die Zooxanthellen, sie können dort keine Photosynthese mehr betreiben."

„Aber", warf der Student mit der Nickelbrille aus der ersten Reihe ein, „ich verstehe nicht, welchen Nutzen die Algen davon haben. Wenn es sich um eine Symbiose handelt, dann müssten doch beide Seiten davon profitieren, oder etwa nicht?"

„Und das tun sie auch!", sagte Fisher überzeugt. „die Nesselkapseln der Polypen schützen auch die Zooxanthellen vor vielen Fressfeinden. Darüber hinaus richten die Polypen sich stets optimal zum Sonnenlicht aus, sie sorgen also dafür, dass ihren Symbiosepartnern stets genügend Licht für die Photosynthese zur Verfügung steht. Und es gibt noch einen Vorteil, den die Zooxanthellen aus der Symbiose ziehen können. Während des Stoffwechsels der Polypen fällt Ammoniak an, das eigentlich giftig ist. Doch anstatt sich des Ammoniaks zu entledigen und es auszuscheiden, geben die Polypen diese Verbindung an die Zooxanthellen weiter, die das Ammoniak weiter verwerten und als Lieferanten für den lebenswichtigen Stickstoff verwenden. Doch es wird noch komplizierter, meine Damen und Herren. Der Ammoniak allein reicht als Stickstoffquelle für die Symbiodinium-Zooxanthellen nicht aus. Es muss also noch eine weitere Quelle für Stickstoff geben. Irgendwelche Vorschläge?"

Doch keiner der Studenten meldete sich zu Wort. Auch Julia überlegte fieberhaft, ging verschiedene Möglichkeiten in ihrem Kopf durch, verwarf sie dann aber wieder. Etwas enttäuscht schaltete Fisher zur nächsten Folie um. „Vielleicht hilft Ihnen das auf die Sprünge", sagte er hoffnungsvoll.

Julia betrachtete aufmerksam die Abbildung an der Wand. Es handelte sich um grünlich leuchtende Formen, die wie auf einer Perlenschnur dicht aneinander gereiht waren. Ganz eindeutig handelte es sich um Zellen. Durch ihre grüne Färbung erinnerten sie an die Zellen von Pflanzen und ganz offensichtlich betrieben diese Zellen, ähnlich wie Pflanzen und die Zooxanthellen, mit ihren Farbpigmenten Photosynthese. Die einzelnen Zellen waren leicht kantig und von kubischer bis rhombischer Form. Nur eine Zelle wich von den anderen ab. Sie war größer und rundlicher, wirkte geradezu aufgetrieben wie eine Seifenblase und sie war blasser als die übrigen Zellen mit einer deutlich verdickten Zellwand.

Aber natürlich, dämmerte es Julia und sie schalt sich eine Ohrfeige, dass sie nicht früher darauf gekommen war. „Heterozysten", sagte sie laut und erschrak als sie merkte, dass sie sich gar nicht gemeldet hatte und lief puterrot an.

„Wie bitte?", fragte Fisher.

„Heterozysten", wiederholte Julia und räusperte sich. Nervös spielte sie mit einer Haarlocke. „Manche Cyanobakterien bringen spezialisierte Zellen hervor, mit denen sie molekularen Stickstoff in Ammonium überführen können."

David Fisher nickte mit dem Kopf. „Ist es nicht erstaunlich?", fragte er in die Runde. „Der Mensch hat Jahrhunderte gebraucht, bis schließlich das Haber-Bosch-Verfahren entwickelt wurde, mit dem es möglich wurde, den molekularen Stickstoff aus der Luft in Ammoniak umzuwandeln, der wiederum das Ausgangsprodukt für künstlichen Dünger war. Noch heute findet die Technik Anwendung, aber sie ist extrem kompliziert und erfordert hohe Drücke und sehr heiße Temperaturen. Und dann entdeckten Biologen schließlich, dass Cyanobakterien seit Jahrmillionen genau dieses Kunststück beherrschen als sei es das Leichteste auf Erden. Ganz ohne hohe Drücke und Temperaturen. Sie brauchen dafür nur ein Enzym namens Nitrogenase. Die Sache hat nur einen Haken."

„Nitrogenase ist extrem anfällig gegenüber Sauerstoff", antwortete Julia, die sich inzwischen vorkam als würde sie mit dem Professor einen Dialog alleine führen. „Weil während der Photosynthese Sauerstoff anfällt, können gewöhnliche Bakterienzellen keine Stickstofffixierung durchführen."

„Und deshalb passiert das in den Heterozysten. Ganz genau. Einige Zellen der Kolonie wandeln sich zu Heterozysten um und liefern für die anderen Zellen Stickstoff. Diese wiederum übernehmen dann für die Heterozysten die Photosynthesearbeit. Wir haben es hier mit einem klassischen Fall von Arbeitsteilung zu tun."

Der Student mit der Brille meldete sich wieder zu Wort: „Professor, ich verstehe immer noch nicht, was das mit den Korallen zu tun haben soll."

„Ist es Ihnen noch nicht aufgefallen?"

„Nein, was soll mir aufgefallen sein?"

„Es ist ganz einfach. Korallenpolypen gehen nicht nur eine Partnerschaft mit den Zooxanthellen ein, sondern auch mit Cyanobakterien, die sie bei der Belieferung der Zooxanthellen mit Stickstoff unterstützen."

„Aus dem Duo wird ein Trio", fiel nun auch bei dem Studenten der Groschen.

„Genau genommen ist es sogar ein kompliziertes Geflecht aus noch viel mehr Partnern. Wie wir erst in den letzten Jahren herausgefunden haben, besiedeln viele verschiedene Algen- und Bakterienarten die Korallen. Manche leben in ihnen, so wie die Zooxanthellen, manche auf ihnen. Und zwischen allen herrscht ein ständiges Geben und Nehmen. Jeder erfüllt eine bestimmte Rolle. Wir wissen zum Beispiel, dass manche Bakterien Vitamine für die Korallen produzieren. Alle sind untrennbar miteinander vernetzt."

Der Professor lächelte verschmitzt. Dann fragte er in die Runde: „Darf ich Ihnen etwas verraten? Die Korallenpolypen wären ohne ihre Symbiosepartner nicht einmal in der Lage, ihre bizarr anmutenden Kalkskelette aufzubauen, das, was wir nämlich als das eigentliche Korallenriff mit eigenen Augen sehen können." Im Hintergrund erschien das Bild einer verästelten Unterwasserlandschaft.

„Ich kann Ihnen nun ein bisschen Chemie nicht ersparen", sagte Fisher und seufzte. Neben dem Bild des Korallenriffs erschien eine chemische Formel:

Ca2+ + 2 HCO3- ⇌ CaCO3 + H2O + CO2

„Korallenpolypen nehmen Kalziumionen und Hydrogencarbonat-Ionen aus dem Meerwasser auf, woraus Calciumcarbonat ausgefällt wird, also nichts anderes als Kalk in Form von Aragonitkristallen. Als weitere Produkte der Reaktion entstehen Wasser und Kohlendioxid. Da es sich um eine Gleichgewichtsreaktion handelt, kann der Prozess auch in die andere Richtung ablaufen, das heißt, die Seite der Edukte und die Seite der Produkte stehen miteinander in einem Gleichgewicht aus ständigem Werden und Vergehen", fuhr Fisher mit seiner Vorlesung fort. Er ließ eine weitere Formel unter der ersten erscheinen:

H2O + CO2 ⇌ H2CO3

„Unglücklicherweise", sagte Fisher, „hat Kohlendioxid im Wasser die Eigenart, sich zu lösen. Und dabei entsteht nichts anderes als Kohlensäure."

Fisher ließ seine Worte ein wenig wirken, dann machte er einen weiteren Gedankensprung: „Wie Ihnen bekannt ist, habe ich die Tradition, dass ich am Ende unseres Kurses eine kleine Abschlussveranstaltung in meinem Garten gebe. Letztes Jahr hat dabei eine Studentin ein Sektglas auf meinem Marmortisch umgekippt. Am nächsten Tag hatte ich den Salat, der Tisch war völlig ruiniert, denn er war stumpf geworden."

David Fisher ließ traurig die Schultern hängen. „Aber ich versichere Ihnen, obwohl ich ziemlich sauer war, ich habe besagte Studentin nicht durch die Prüfung fallen lassen", sagte er glucksend, „aber was ist passiert? Wie Sie wissen, ist Marmor chemisch gesehen ebenfalls nichts anderes als Kalk und die kleinen Perlen im Sekt sind gelöstes Kohlendioxid, also Kohlensäure. Und diese reagiert mit dem Kalk, indem sie ihn auflöst. Schauen Sie, was passiert."

H2CO3 + CaCO3 ⇌ Ca2+ + 2 HCO3-

„Schauen Sie sich das an. Die Kohlensäure löst den Kalk auf und es entstehen unsere ursprünglichen Ausgangsprodukte. Anders ausgedrückt, das Gleichgewicht der Reaktion wird auf die Seite der Edukte verschoben und damit haben die Korallen ein Problem. Denn unter diesen Bedingungen entsteht kein Kalkskelett."

Julia verstand sofort, worauf Fisher hinaus wollte. Es war simpel, um auf die Lösung zu kommen. Sämtliche Informationen lagen ausgebreitet vor den Augen der Studenten. Der junge Mann mit der Brille rieb sich nachdenklich am Kinn.

„Damit Kalk ausfällt, müssen wir das Gleichgewicht auf die Seite der Produkte verschieben. Das funktioniert, indem wir einfach Wasser und Kohlendioxid entfernen. Wenn wir das wegnehmen, wird das ganze System auf die Seite der Produkte gedrängt und Kalk kann ausgefällt werden. Aber wo soll man nur mit dem Kohlendioxid hin?", stellte Fisher die Gretchenfrage.

„Ganz einfach", sagte Julia und wartete erst gar nicht ab, bis Fisher sie drangenommen hatte, „die Zooxanthellen nehmen es für ihre Photosynthese auf und stellen daraus den Zucker her."

„Bingo", sagte Fisher zufrieden. Er antwortete: „Miss Adler hat einmal mehr den Nagel auf den Kopf getroffen. Und wir sehen noch einmal in aller Deutlichkeit, dass alles Leben im Korallenriff, ob Groß oder Klein, miteinander in einem komplizierten Wechselspiel steht und dass einer ohne die anderen nicht kann."

Fisher sah auf seine Uhr. „Wir haben leider ein wenig Zeit verloren", sagte er, „bitte prägen Sie sich die letzte Folie gut fürs nächste Mal ein. Wir werden dort nahtlos anknüpfen und klären, was das Ganze mit der gefürchteten Korallenbleiche zu tun hat. Bis dahin bedanke ich mich für Ihr Zuhören und wünsche Ihnen allen einen angenehmen Tag."

Die Menge klopfte mit den Handknöcheln laut auf die Tische, die übliche Art und Weise auf die Studenten Beifall klatschten.

Julia erhob sich von ihrem Platz, während alle um sie herum ihre Sachen packten und sich aus dem mittlerweile etwas stickig gewordenen Vorlesungssaal quetschten. Julia schritt unsicher die Stufen nach unten, wo Prof. Fisher immer noch am Pult stand und gerade damit beschäftigt war, den USB-Stick mit der darauf gespeicherten Vorlesung aus dem Laptop zu ziehen.

„Miss Adler", sagte er freundlich zu Julia. „Wie schön, dass Sie gekommen sind", dagte er und gab ihr die Hand. Aus der Nähe war seine Erscheinung für Julia noch imposanter. Mit ihren gerade einmal einen Meter fünfzig Körpergröße wirkte sie neben dem Professor fast zwergenhaft. Der breitschultrige Mann war ehrfurchtseinflößend, beinahe einschüchternd. Sein Händedruck war warm und fest.

„Danke, es freut mich ebenfalls, Sie kennenzulernen, Herr Professor", antwortete Julia schüchtern.

„Bitte nennen Sie mich David, wir sind hier nicht so förmlich."

„Julia", antwortete Julia.

„Haben Sie Hunger?", fragte Fisher.

„Ein bisschen."

„Dann kommen Sie, ich lade Sie ein. Ich bin übrigens sehr von Ihnen beeindruckt. Wenn doch nur alle meine Studenten in meinen Vorlesungen so mitdenken würden wie Sie."

Julia errötete leicht und folgte Fisher dann in die Mensa.

David Fisher entpuppte sich als freundlicher, wissbegieriger Mann, der während ihres Mahls eine angeregte Diskussion mit Julia führte. Schwärmend wie ein begeisterter Schuljunge erzählte er ihr von seinen bisherigen Abenteuern auf der Argo.

„Sie müssen sich das Schiff unbedingt ansehen, Julia", sagte er euphorisch.

Julia ließ sich umgehend von Fishers Begeisterung anstecken. „Das würde ich wirklich sehr gerne. Ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten, endlich das Schiff zu sehen, das für die nächsten Monate mein Zuhause sein wird."

„Wie wäre es mit Morgen, Julia? Treffen wir uns doch einfach gegen Mittag im Hafen. Sagen wir um zwölf? Dann zeige ich Ihnen die Argo und stelle Ihnen die Crewmitglieder und die anderen Wissenschaftler vor."

„Gerne", antwortete Julia.

„Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einfach eine Wegbeschreibung geben. Im Übrigen habe ich für Sie einen Account für das Universitätsnetzwerk anlegen lassen. Damit haben Sie Zugriff auf die Universitätsbibliothek und die Online Lernplattform. Ich habe mir außerdem die Freiheit gegeben, Ihnen gleich ein paar Artikel zum Thema Ihrer Doktorarbeit zu schicken. Die sollten Sie bitte in der nächsten Zeit durcharbeiten und bis wir nächste Woche in See stechen werden alle gelesen haben. Wenn Sie Fragen haben, können Sie mir jederzeit eine Mail schicken oder mich anrufen."