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Die Anstellungsprüfung

Geschichte Info
Die Höhere Töchterschule sucht einen neuen Lehrer.
11.7k Wörter
4.7
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Georg öffnete vorsichtig den schweren Vorhang einen Spalt, durch den ihm sofort ein Schwall heißer, feuchter Luft entgegenschlug. Die Frau, die ein nur ein paar Meter entfernt von ihm stand und ihm halb den Rücken zukehrte, war so gut wie nackt. Sie hatte ein weißes Tuch um ihren Kopf geschlungen, das jedoch ihre dunklen feuchten Haare nur schwer bändigen konnte. Ihre Kopfbedeckung leuchtete im schummrigen Licht des Raumes, das durch einige winzige Oberlichter in der hohen Decke hineinfiel. Der Umriss ihres Körpers wurde von dem dünnen karminroten Baumwolltuch, das sie um sich gewickelt hatte, eher betont als verhüllt. Es war oberhalb ihrer großen Brüste geschlungen, die dadurch zusammengedrückt wurden aber noch leicht hin und her pendelten, wenn sie sich bewegte. Sie hatte ihren nackten Fuß auf ein Art Steinbank in der Mitte des Raumes gestellt und beugte sich hinunter, wobei sich ihr runder Hintern deutlich unter der behelfsmäßigen Bekleidung abzeichnete. Zuerst konnte Georg den Gegenstand, mit dem sie hantierte, nicht erkennen. Dann verstand er, dass es ein Rasiermesser war, mit dem sie sich den Schaum von der Wade strich.

"Jetzt muss ich alles noch mal machen. Sie haben die Hälfte vergessen und ich muss Ihnen nacharbeiten", beschwerte sich die Unbekannte ohne aufzuschauen und fuhr fort:

"Gleich fahren Sie zur Poststation, Maria, und schauen nach, ob der Bewerber gut angekommen ist. Ich kann nur hoffen, dass sich dieser geschickter anstellt als der letzte. Die Gräfin wird schon ungeduldig, die Stelle endlich zu besetzten. Dieses Mal besteht sie sogar darauf, unseren Kandidaten persönlich in Augenschein zu nehmen. Aber eines sage ich Ihnen: Ich weigere mich, jemanden einzustellen, der die nötige Eignung vermissen lässt", vollendete sie ihre Ansprache an die zweite Person, die Georg nicht sehen konnte.

Georg fühlte sich ertappt, obwohl er sicher war, dass die Frau ihn nicht gesehen hatte. Da sie offenbar nicht allein war, trat er schnell den Rückzug an. Er verließ das Badehaus auf demselben Weg wie er hereingekommen war. Vorbei an dem gemütlichen Zimmer mit den Sofas und den dicken Teppichen, die man durch eine halb geöffnete Tür sehen konnte. Hinaus zur Hintertür, wo er sich unauffällig wieder zum Fuhrmann stellte, der zusah, wie die Arbeiter seine Ladung Brennholz an der Wand des Badehauses aufschichteten. Georgs Herzschlag beruhigte sich und der Schweiß auf seiner Stirn begann, an der noch warmen Herbstsonne des späten Nachmittags zu trocknen.

Der Fuhrmann hatte ihn ein Stück des Wegs mitgenommen, als Georgs Postkutsche unweit des Städtchens gestoppt worden war. Alle Räder standen still, weil die Arbeiter, die den neuen Bahndamm anlegten, aus Protest die Strecke blockierten. Sie hatten wohl ihren Lohn nicht oder nur unvollständig erhalten. Georg hatte keine Lust gehabt, sich an dem Disput zu beteiligen. Er hatte sich sein Bündel geschnappt und sich zu Fuß auf den Weg in die Stadt gemacht. Dass das Fuhrwerk von der Chaussee abgebogen war, um beim Schloss seine Ladung abzuliefern, war eine willkommene Abwechslung gewesen. Seine Neugier, das Badehaus auszukundschaften, war mit dem Bild der unbekannten Frau belohnt worden, das ihm immer noch vor Augen stand.

"Und was treibt Euch in die Gegend", verscheuchte der Fuhrmann die letzten Dampfschwaden aus Georgs Kopf.

"Bin nur auf der Durchreise. Unterwegs zum Onkel", erwiderte Georg. Sein Tonfall war düster, worauf sich sein Gesprächspartner erkundigte, ob es einen Trauerfall in der Familie gegeben hätte.

"Nein, nein, keine Sorge. Alle sind wohlauf. Werde nur für den Rest meines Lebens im Kontor des Onkels verschimmeln müssen", stellte Georg resigniert klar.

Der Fuhrmann lachte hämisch und erwiderte: "Könnte schlimmer kommen. Aber passt auf, dass Ihr nicht obendrein eure fette Cousine ins Ehebett gelegt bekommt. Ich zeige Euch nachher, wo es hier die schönsten Mädchen gibt, wenn Ihr noch ein Weilchen bleibt."

Das musste Georg in der Tat, denn heute war kein Weiterkommen mehr. Der Fuhrmann setzte ihn am Südtor ab, wo neben der Poststation auch ein großer Gasthof gelegen war. Nach ihrem unfreiwilligen Aufenthalt an der Baustelle war die Postkutsche ebenfalls eingetroffen.

Georg betrat den Schankraum des Gasthofes, als schon der Wirt, ein untersetzter kräftiger Mann mit wachen Augen hinter dem Tresen hervorkam.

"Sie müssen der Herr Studiosus sein. Na, da wird jemand erleichtert sein, dass Sie doch noch auftauchen. Erst die Verspätung und dann waren Sie nicht dabei."

Georg schaute irritiert. Woher wusste der Mann, dass er kommen würde? Hatte sein Onkel ihn etwa angekündigt? Aber dem hatte er in seinem letzten Brief seine Reiseroute eher vage beschrieben, um noch einige Verbindungsfreunde abklappern zu können, bevor die Zeit der Freiheit vorbei war.

"Wer erwartet mich denn so dringend?", fragte er deshalb grade heraus.

"Na, das Fräulein Robiensohn von den höheren Töchtern", klärte ihn der Wirt auf und wies auf den Durchgang zum Hof.

Dort stand neben einer kleinen zweirädrigen Kutsche eine schlanke junge Frau und redete mit ihrem Pony. Sie trug ein einfaches, vorne geknöpftes schwarzes Kleid. Unter der schwarzen Haube schauten ihre rotblonden Haare hervor. Georg hatte sie noch nie gesehen. Als er heraustrat, unterbrach sie ihr Gespräch mit dem Pony und sah ihn strahlend an.

"Gott sei Dank, mein Herr, Sie sind doch noch angekommen. Ich schon Angst, dass etwas passiert ist, als ich Sie nicht in der Postkutsche gefunden habe. Mein Name ist Mary Robinson, Lehrerin an der Schule für Höhere Töchter. Meine Herrin, die gnädige Frau Direktorin von Otten, schickt mich, um zu sehen, ob Sie gut untergebracht sind. Morgen wird sie Sie empfangen. Dann können sie gemeinsam den Dienstantritt näher besprechen. Dabei will sie auch noch einmal Ihre Befähigung prüfen. Heute Abend besuchen wir die Gräfin, der Stifterin der Schule. Vielleicht wollen Sie sich erst etwas ausruhen und frisch ankleiden, dann werde ich euch zur Gräfin begleiten."

Weil die junge Frau mit einem leichten Akzent gesprochen hatte, wollte Georg sie beeindrucken, kam aber nicht über eine Höflichkeitsfloskel hinaus.

"Georg Herwig, always your humble and obedient servant... Offenbar liegt hier eine Verwechslung vor, Fräulein Robinson. Ich bin nur auf der Durchreise und weiß gar nicht, wovon Sie sprechen."

Sie zog die mit Sommersprossen gesprenkelte Nase kraus und eine Falte bildete sich zwischen ihren blauen Augen.

"Sind Sie denn nicht der Magister Herzog aus Halle, der Bewerber für die Lehrerstelle an der Gräflichen Erziehungsanstalt für Höhere Töchter?"

"Nein, das tut mir Leid. Wie gesagt, ich bin nur auf der Durchreise, auf dem Weg zu meinem Onkel. Ich werde in seinem Kontor arbeiten. Meine Studien musste ich leider aufgeben..."

"God damn...", entfuhr es ihr und sie schimpfte leise vor sich hin. Georg verstand nichts aber ihre Notlage war deutlich.

"Ich habe in der Postkutsche auch niemanden gesehen, auf den Ihre Beschreibung zutreffen könnte. Der Bewerber, den Sie erwarten, wir wohl erst morgen eintreffen. Ich würde Ihnen gerne helfen. Ich bin zwar nicht der Magister Herzog, den sie erwarten, aber..."

Die junge Frau fuhr herum, ihre Augen blitzten auf.

"... aber Sie könnten es sein."

Sie fixierte Georg, der sich mit einem Mal ganz unbehaglich fühlte. Er wusste, dass er groß genug war, um auf dem Fecht- und Tanzboden keine schlechte Figur abzugeben, auch wenn seine Fähigkeiten sich in Grenzen hielten. Sein langes Gesicht mit der langen Nase und dem schmalen Mund konnten auf den oberflächlichen Betrachter blasiert wirken. Aber für denjenigen, der genauer hinsah, machten seine dunklen Augen das mehr als Wett.

Miss Robinson hatte offenbar genau hingesehen. Ihr feines spöttisches Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen.

"Es könnte funktionieren. Er würde der Gräfin sicher gefallen", sprach sie zu sich selbst, um sich dann direkt an Georg zu wenden:

"Mein Herr, können Sie sich vorstellen, für einen Abend den Magister Herzog zu geben? Ich garantiere für gute Unterhaltung, ein exzellentes Diner im Schloss und wir übernehmen die Logis hier im Gasthof. Sie erweisen der Schule einen großen Dienst... und wir... ich wäre euch sehr dankbar", fügte sie zum Schluss die Stimme senkend hinzu. Dann blickte sie ihn herausfordernd an.

Das hörte sich nach einem Burschenabenteuer an, wie es Georg grade recht kam. Die Aussicht ins Schloss zurückzukehren verursachte ein leichtes Kribbeln in seinem Magen und zog von da hinunter in seine Hoden. Sollte er sich wirklich auf diese Maskerade einlassen? Aber was sollte schon geschehen. Er würde morgen weiterreisen und wahrscheinlich nie wieder im Leben in diese Gegend kommen.

"Ich könnte...", fing er an, nur um sofort von Miss Robinson unterbrochen zu werden.

"Wunderbar. Ich wusste, Sie sagen nicht nein. Wir müssen noch ein wenig an Ihrem Äußeren arbeiten. Sie gehen zum Barbier und lasst Euch rasieren und ich besorge ein passendes Gewand. Sie waren ja nicht auf ein Diner eingestellt", sagte sie und deutete auf seinen weit geschnittenen und schon etwas abgewetzten Gehrock.

"Ich muss noch etwas regeln. Wir treffen uns dann um acht Uhr am Schlosstor", sprach 's, sprang in ihre Kutsche und fuhr ab. Ein Stück die Straße hinunter drehte sie sich noch einmal um und winkte Georg zu.

***

Georg fühlte sich wie ein Edelmann, als er am Abend in Frack und Zylinder aus dem Gasthof trat und sich auf den Weg stadtauswärts machte. Die Passanten auf der Landstraße wunderten sich, hier einen feinen Herren zu Fuß zu treffen noch dazu ohne Mantel und Stock. Beides hatte das Paket, das der Wirt "mit freundlicher Empfehlung von Fräulein Robiensohn" auf Georgs Zimmer gebracht hatte, nicht enthalten.

Am Tor zum Schlossareal wartete die junge Lehrerin schon. Auch sie hatte versucht, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden, obgleich ihr dunkles Kleid betont schlicht ausfiel und lediglich mit einem Schal und einem kleinen Federhut kombiniert war.

"Guten Abend, Herr Herzog. Wie schön, dass Sie gekommen sind", sagte sie lächelnd und erinnerte Georg daran, dass er nicht zum reinen Vergnügen hier war.

Er begrüßte sie etwas zu steif und sie begannen, die Zufahrt zum Schloss hinaufzusteigen. Miss Robinson plauderte munter auf ihren Begleiter ein, erzählte von der gräflichen Familie und erklärte die Anlage des Schlosses, dessen moderner Wohnflügel einem großen Herrenhaus glich. Auch ihre Schule war auf dem Areal auf der Seite zur Landstraße hin untergebracht. Bedrückt trottete Georg neben ihr her. Er hatte nicht einmal Lust, sie über das Badehaus auszufragen. Die Hochstimmung, die er noch bei seinem Aufbruch verspürt hatte, war gänzlich verflogen. Irgendwann blieb er abrupt stehen.

"Verzeihen Sie mir, dass ich so schweigsam bin. Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das wirklich eine gute Idee war, Sie hierher zu begleiten. Ich komme mir vor wie ein Schauspieler, der in einem unbekannten Theater eine unbekannte Rolle für ein unbekanntes Publikum spielen soll. Bei dieser Aufgabe steht ja das Scheitern quasi schon auf dem Programmzettel. Aber jetzt komme ich wohl nicht mehr aus der Sache heraus ohne Sie zu enttäuschen, oder?"

"Ach, machen Sie sich keine Sorgen", lachte Miss Robinson. "Ich brauche keinen Schauspieler, sondern einen Bauern. Er soll die Weiße Dame angreifen, zur Ablenkung. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich so offen mit Ihnen bin. Aber ich weiß keinen anderen Ausweg. Es ist eine unendliche Geschichte, wir finden keinen passenden Lehrer für Naturgeschichte. Meine Herrin, die Direktorin, und die Gräfin streiten ständig darüber. Das macht mir das Leben nicht leichter", seufzte sie und rückte ihren Hut zurecht.

Im Weitergehen fuhr sie mit ihren Erläuterungen fort: "Die Gräfin möchte, dass unsere Schülerinnen auch Naturwissenschaften lernen. Heutzutage reichen ein bisschen Französischunterricht, Literatur und Kunst längst nicht mehr, sagt sie. Sie hat große Ambitionen. Das Curriculum der Schule soll neue Klienten anzulocken. Die Direktorin sieht das im Prinzip genauso. Sie fürchtet sich aber vor der Einmischung in ihre Kompetenzen. Außerdem würde sie am liebsten eine Lehrerin einstellen. Aber eine Frau gibt es auf diesem Feld leider nicht, und bei den männlichen Bewerbern hat sie total unrealistische Vorstellungen."

"Ich war in Schock, als der neueste Bewerber nicht in der Postkutsche war. Es war schon schwierig genug, überhaupt einen zu finden. Da war ich überglücklich, dass Sie ja gesagt haben zu dieser kleinen Maskerade. So kann das Spiel weitergehen. Wir finden schon eine Lösung, die alle befriedigt", schloss sie immer noch lächelnd.

"Ich verstehe", erwiderte Georg, "es geht also um Politik. Aber ist das nicht ein großes Risiko. Wie werden Sie es der Gräfin erklären, dass Magister Herzog plötzlich ganz anders aussieht, wenn er denn eingestellt wird?"

"Ach, die Gräfin wird den Bewerber ja frühestens im nächsten Frühling wiedersehen auf dem Empfang, wo wir das Ende des Schuljahrs feiern. Da wird sie sich nicht mehr an Sie erinnern. Wir machen jetzt nur einen kurzen Höflichkeitsbesuch, dann sind wir wieder weg", erklärte sie.

Miss Robinson hatte sich bei Georg untergehakt und sie schritten die letzten Meter über eine Treppe zum Eingang des herrschaftlichen Hauses. Ein Diener, der Miss Robinson freundlich zunickte, ließ sie ein und kündigte sie bei der Gräfin an. Jetzt gab es für Georg tatsächlich kein Zurück mehr, ob nun als Schauspieler oder als Bauer.

Die Gräfin, eine blonde ältere Dame von eher kleiner aber stabiler Statur, empfing sie gleich und nachdem die förmliche Vorstellung abgeschlossen war, wurden sie in ein prächtiges Speisezimmer geleitet. Die Gräfin nahm am Kopf einer langen Tafel Platz und entschuldigte sich, dass sie nur den kleinen Saal und einen bescheidenen Imbiss vorbereitet hatte, aber das erscheine ihr angemessen für ein Arbeitstreffen.

"Ich bin so dankbar, dass der Herr Magister... wie war noch gleich sein Name... , sich für unser kleines Institut entschieden hat. Einen jungen Wissenschaftler verpflichten zu können, ist ein wichtiger Schritt für uns wie für die Frauenbildung im Allgemeinen", sprach die Gräfin und erhob das Champagnerglas auf Georg, der rechts von ihr platziert war. Ihr Lächeln schimmerte so weiß wie die Perlenkette, die sie zum weißen, schulterfreien Spitzenkleid trug. Dann nahm sie sich eine Auster und saugte sie mit einem leisen Schlürfen in den Mund.

"Wobei die letzte Entscheidung natürlich bei meiner werten Cousine Katharina, der Direktorin von Otten, liegt. Sie weiß die akademischen Fähigkeiten unserer Bewerber viel besser einzuschätzen als ich. Deshalb mische ich mich auch nicht in den Auswahlprozess ein", sagte sie zu Miss Robinson gewandt, die zu ihrer Linken saß und säuerlich lächelte.

"Nehmt auch eine", sagte die Gräfin dann zu Georg und deutete auf die Schale mit den Austern. "Wann bekommt man schon mal so eine Gelegenheit. Ich weiß, der Geschmack und das Gefühl im Mund sind erst einmal ungewohnt, aber er ist mit nichts zu vergleichen." Aus Angst sich zu blamieren und möglicherweise die ungewohnte Speise über den Tisch zu spucken, zögerte Georg. Aber die Gräfin ließ sie nicht locker, bis er sich vorsichtig eine Auster auf die Zunge rutschen ließ, um sie dann nach kurzem zaghaften Kauen hinunterzuschlucken. Er war sich nicht sicher, ob er den Geschmack wirklich mochte, war aber doch stolz, die Prüfung bestanden zu haben.

Nach seinen kulinarischen Kenntnissen nahm die Gräfin dann Georgs akademische Referenzen unter die Lupe.

"Herr Herzog kommt zu uns von Professor Rosenbaum aus Halle", klärte Miss Robinson die Gräfin auf.

Georg warf ihr einen vorwurfsvollen Blick über den Tisch zu. Wahrscheinlich hatte sie es gut gemeint, aber er hatte keine Ahnung wer dieser Rosenbaum war. Um die Illusion, dass er Herzog war, nicht sofort zum Platzen zu bringen, musste er schnellstens das Gespräch auf ein anderes Thema lenken.

"Ach, das ist doch nicht der Rede wert. Mein Studium bei Professor Rosenbaum war eher eine Episode. Ich bin dann weitergezogen, weil ich neugierig war und meinen Horizont nicht beschränken wollte."

"So, so, von Rosenbaum kommt er...", lächelte die Gräfin süffisant und nippte an ihrem Rotwein. "Gut, dass Ihr dort nicht stehen geblieben seid. Rosenbaum mag eine Menge von den venerischen Krankheiten verstehen, aber für den freien Geist der Antike geht ihm eindeutig jegliches Verständnis ab. Und wie wollen wir ohne ein Verständnis für die Alten die seelische und körperliche Natur des Menschen begreifen?"

Georg fiel ein Stein vom Herzen, sage aber nichts, sondern kaute wie zur Bestätigung weiter auf seinem Kotelett herum. Doch schon die nächste Frage der Gräfin, wo denn seine eigenen Interessen lägen, brachte ihn wieder in Bedrängnis. Sollte er den Ruf des Bewerbers Herzog als Langweiler zementieren, indem er über die Klassifikationssysteme der Mollusken sprach? Oder war Herzog ein Irrer, der beim Diner vom mumifizierten Monster-Säugling aus Ägypten dozierte? Vielleicht wäre es hier kein Problem, sich als Anhänger der sich immer mehr ausbreitenden Evolutionslehre zu bekennen? Seiner Einschätzung nach glaubte die Gräfin nicht an die Schöpfungsgeschichte und die Sintflut. Er war unentschlossen und fühlte sich wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat.

"Liebe Frau Gräfin, Herr Herzog ist ja noch jung... da hat er so viele Interessen", versuchte Miss Robinson, die seine Unsicherheit gespürt hatte, Georg zur Seite zu springen.

"Ja, ja... das stimmt... ", stotterte Georg. Und das war nicht einmal gelogen. Er hatte in der Tat ziemlich wahllos dies und das studiert und es war auch immer mal wieder eine naturgeschichtliche Vorlesung dabei gewesen. Als er zu Miss Robinson hinübersah, fasste er Mut. Er erinnerte sich daran, dass er nicht als Schauspieler engagiert war. Als Bauer konnte er sagen, was er dachte.

"Um ehrlich zu sein, ist mir der Berg des Wissens, der sich da im letzten Jahrhundert aufgetürmt hat, nicht ganz geheuer. Und jeder Forscher fügt noch ein paar Schubkarren hinzu, so dass sich das Gebirgsmassiv stets verbreitert. Früher wollte ich noch aus ganzem Herzen Naturforscher werden, heute bin ich mir nicht mehr sicher. Als ich elf war, hat mir mein Vater sein Exemplar von Forsters 'Reise um die Welt' geschenkt. Ich bin mit Forster in die Südsee und die Antarktis gefahren, habe unbekannte Pflanzen und Tiere gesammelt und nebenbei fremdartige Völker studiert."

"Ach ja, Tahiti, die Insel der Venus", warf die Gräfin mit einem ironischen Lächeln ein. "Heute regieren dort die Missionare, die die Frauen zwingen, ihre Brüste zu verstecken und ihnen verbieten, den zu lieben, den sie wollen. Ich möchte nicht in der Haut der armen Königin stecken... Euer Vater, mein Herr, ist offenbar ein liberaler Geist. Den Revolutionär Forster sieht heute niemand mehr als geeignete Lektüre für ein Kind an."

"Ja, das war er wohl", pflichtete Georg ihr bei, ohne zu erwähnen, dass sein Vater nicht nur ein Liberaler sondern ebenfalls ein Revolutionär gewesen war. Soweit wollte er doch Rücksicht auf Herzogs Ruf nehmen.

Zu Miss Robinson gewandt nahm die Gräfin das Gespräch wieder auf: "Liebe Maria, Forster und sein Vater waren zwei deutsche Forscher, die vor fast hundert Jahren Kapitän Cook auf seiner Reise in die Südsee begleitet haben. Ich habe als junges Mädchen Forsters Schwester Antonia kennengelernt. Sie war für eine gewisse Zeit bei meiner Großtante Gesellschafterin und, ganz wie Ihr, Englischlehrerin. Sie hat uns von ihrem Bruder dem Weltreisenden erzählt, der damals schon fast vergessen war. Aber über ihre eigenen Reisen hat sie immer geschwiegen und auch geschrieben hat sie darüber nie. Dabei hätte sie sicher viel zu erzählen gehabt."

"Dafür ist sie aber auch nicht an ihren Reisen gestorben wie ihr Bruder", warf Georg ein.

"Das ist richtig. Schonen konnte er sich nicht, wie man es vielleicht einem Frauenzimmer zugestehen mag. Wenn wir einmal vom Kinderkriegen absehen... Vielleicht hat Antonia deshalb nie geheiratet...", sinnierte die Gräfin und fuhr dann fort: