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Die Rettung aus der Gosse

Geschichte Info
Reisen in Griechenland und Mittelosteuropa.
16k Wörter
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Zur Übersicht für die geneigte Leserin und den geneigten Leser -- es gibt ja deren einige, denen meine Geschichten gefallen -- hier eine chronologische Übersicht meiner bisherigen Geschichten:

[Der Unterschied]

[Die Grundbegriffe]

Das Obligatorische

[Über einen starken Typ]

[Ferienspaß I]

PennälerInnenfeten

Lernen fürs Abitur

[Ferienspaß II]

Erstes Eheleben

Auf Schlingerkurs in den Hafen (mit Ferienspaß III)

Der weltberühmte Pianist hat heute nicht seinen besten Tag

Auf der Durchreise

Der Wanderclub

Die Ernennung

[Hinter unverschlossenen Türen]

Vetternwirtschaft

Vom anderen Ufer

An der Ostsee hellem Strande ...

Wenn der Herr außer Haus ist, tanzt das Mäuslein im Bette

Die Rettung aus der Gosse

Die mit [] markierten Texte sind nicht in Literotica zu finden, denn sie handeln von Jugenderlebnissen, bei denen einige der handelnden Personen noch keine achtzehn Jahre alt sind, oder sie sind kürzer als 750 Wörter. Wer auch diese Texte lesen möchte, melde ich bei mir, möglichst per E-Mail.

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Es war ein Jahr vor meiner Scheidung, daß das für Altphilologen immer wieder wichtigste wissenschaftliche Ereignis, die alle drei oder vier Jahre stattfindende internationale Tagung, in Patras, also in Griechenland abgehalten wurde. Die Tagung fiel in die Sommerferien, wegen Urlaubs war die Teilnahme also kein Problem, aber da ich keinen Vortrag angemeldet hatte -- den hätte ich auf Englisch halten müssen, wo ich nicht so sonderlich fit bin --, mußte ich alles selbst bezahlen, und so gönnte ich mir die Teilnahme als Sommerurlaub. Otto war nicht sonderlich erbaut von der zweiwöchigen Pause -- aber mir mutete er eine vierwöchige Pause zu, wenn er im Herbst mit seiner Eheliebsten nach Italien in Urlaub würde fahren wollen!

Ich fand einen günstigen Charterflug nach Athen, dann kam der mit Abstand abenteuerlichste Teil der Anfahrt: die Taxifahrt zum Bahnhof der Schmalspurbahn nach Patras: mit 70 km/h durch engste Gassen, ohne zu bremsen zwischen den Lastwagen durch, ein Millimeter rechts, ein halber Millimeter links und durch. Aber die Statistik sagt ja, daß sich in Griechenland weniger Unfälle ereignen als zum Beispiel in Deutschland mit seinen ach so disziplinierten Autofahrern.

Die Fahrt mit der Kleinbahn war dann eine schöne Einstimmung in den Urlaub: auf hoher Brücke über den Korinth-Kanal und dann stundenlang am Golf von Korinth entlang, zusammen mit "Eingeborenen": Popen, Schülern, Bauern mit Hühnern in Käfigen, ...

Der Bummelzug hielt nach langer Fahrt, aber auf die Minute pünktlich an der Endstation in Patras am Hafen. Ich suchte und fand sofort ein Taxi, das mich zu dem kleinen Hotel bringen sollte, in dem ich ein Einzelzimmer gebucht hatte. Der Taxifahrer erwies sich als so freundlich, wie es ihrem Ruf im Touristenparadies Griechenland entspricht: Als ich ihm das Hotel genannt hatte, nickte er nur mit dem Kopf (in Griechenland sind Kopfnicken und -schütteln umgekehrt!) und zeigte mir das Hotel, das an der Hafenfront in etwa 100 m Entfernung stand. Er ließ nicht einmal den Motor an, sondern ergriff meinen Koffer, trug ihn mir zum Hotel und verabschiedete sich mit tiefer Verbeugung und gezogener Mütze. Er nahm noch nicht einmal ein Trinkgeld an!

Nun bin ich zwar Studienrätin auch für Altgriechisch, aber das Neugriechische hat sich nach mehreren Sprachreformen, die es immer mehr der tatsächlich gesprochenen Sprache angeglichen haben, so verändert, daß auch ich große Mühe habe, Griechen zu verstehen. Also radebrach ich an der Rezeption herum, zeigte meinen Paß und fragte nach dem bestellten Zimmer. Der Herr an der Rezeption sah mich verwundert an und gab mir in gutem Deutsch höflich zu verstehen, daß alles besetzt sei. Er sah noch die Liste der Reservierungen durch, aber mein Name stand nicht darauf. Wir suchten auf alle Fälle auch noch unter meinem Mädchennamen -- man weiß ja nie, was die im Reisebüro aus dem Paß falsch abschreiben --, aber auch unter H wurden wir nicht fündig.

"Besetzt" heißt in Griechenland wirklich "besetzt" und nicht "Schieben Sie mal einen Hundertmarkschein unter der Theke durch!"

"Ich rufe mal im Hotel ,Ares` hier in der Nachbarschaft an, da ist sicher noch was frei."

"Aber dazu habe ich keine Zeit mehr. Ich muß in einer Stunde bei der Eröffnung des Kongresses sein."

"Dann lassen Sie Ihren Koffer solange hier, und während Sie auf dem Kongress sind, telephoniere ich mit ,Ares`."

"Und wo kann ich mich umziehen?"

"Das habe ich vergessen! Sie können sich hier im Büro umziehen. Ich passe auf, daß so lange keiner da hineingeht."

Damit führte er mich in das kleine Büro hinter der Rezeption, von wo ich auch Zugang zu den Waschräumen und Toiletten des Personals hatte, und schloß hinter mir die Tür. In der Tat verstand ich, während ich mich umzog, wie er einem Kollegen, der wohl ins Büro oder auf die Toilette wollte, sagte:

"Da kannst du jetzt nicht rein. Da zieht sich eine Dame aus Deutschland um. Sie sagt, sie hätte hier reserviert. Hast du schon den Namen Knaack gehört?"

Nein, das hatte der andere leider auch nicht.

Als ich wieder herauskam: keine anmacherischen Komplimente, aber die höfliche Frage, ob man mir ein Taxi kommen lassen solle. Ich winkte erst einmal ab, da ich hoffte, daß mein Freund noch auf dem Platz stünde, und richtig, als ich aus der Tür trat, sah ich ihn in einiger Entfernung stehen. Ich winkte ihn, er erkannte mich wieder, und im Nu kam er bei dem Hotel vorgefahren. Ich wollte die rechte hintere Tür öffnen, aber nein: Mein Freund stieg aus, lief um das Auto, nahm die Mütze ab, hielt mir die Tür auf und ließ mich einsteigen -- ohne den Typ meiner Kniescheiben zu begutachten. Als er wieder hinter dem Lenkrad saß, fragte er nur kurz "Zum Kongreßzentrum, nicht wahr, gnädige Frau?" und fuhr schon los.

Die Fahrt war kurz, und während ich noch in meinem Portemonnaie nach dem Geldbetrag suchte, den das Taxameter anzeigte, plus Trinkgeld, stand der Gute schon mit gezückter Mütze neben mir und hielt mir die Tür auf. Er wollte das Fahrgeld nicht annehmen! Meinte er, nach der ersten Begegnung mit dem Koffertragen sei ich sein Gast, und es gebiete die Gastfreundschaft, auch für andere Dienstleistungen nichts anzunehmen? Nach langem Zureden nahm er mein Geld dann doch, ließ sich aber nicht davon abhalten, mir den Rest zurückzugeben.

Diese Prozedur dauerte einige Zeit, und es war inzwischen knapp bis zur Eröffnung. Ich betrat das Gebäude und ging durch die Halle in den großen Sitzungssaal. Ich erkannte kein einziges bekanntes Gesicht, beobachtete aber die Männer mit ihrer typischen Blickfolge: Busen--Beine oder Beine--Busen; wie immer war ich meistens schon vorbei, wenn sie beim dritten Punkt, dem Gesicht, angelangt waren. Im Saal sah ich auch keinen Bekannten, und so setzte ich mich auf einen nicht reservierten Platz in der ersten Reihe, von wo man besser hören kann als hinten in der Menge.

Ich mußte noch einige Zeit warten, denn die Eröffnung begann natürlich doch ziemlich verspätet. Dann folgte die übliche Folge der Reden und Ansprachen: ein Vertreter des griechischen Regierung, ein Vertreter des Nomos (des Kreises), der Oberbürgermeister von Patras, der Vorsitzende des Welt-Altphilologenverbandes, der Vorsitzende des griechischen Altphilologenverbandes, der Vorsitzende des deutschen Altphilologenverbandes, der viel zur Finanzierung des Kongresses beigetragen hatte, eine Gedenkrede auf einen im letzten Jahr verstorbenen früheren Vorsitzenden des Welt-Altphilologenverbandes -- es nahm und nahm kein Ende. Zusammengenommen ergaben die Reden eine wohl vollständige Geschichte des Weltverbandes seit seiner Gründung vor über 100 Jahren. Endlich schritt man zum Büfett.

Bevor ich in den anschließend liegenden Saal mit den sich unter den Speisen biegenden Tischen ging, konnte ich noch schnell ins Tagungsbüro gehen, bevor sich dort eine lange Schlange bildete. Ich bekam mein Schildchen und die Tagungsunterlagen und meldete auch gleich mein Pech mit der Hotelreservierung. Man wollte sich darum kümmern. Aber wie? Als ich hier fertig war, hatte sich schon eine Schlange von mindestens dreißig Personen gebildet.

Aber die Damen im Tagungsbüro arbeiteten zügig, und recht bald füllte sich der Büfett-Saal; gut, daß ich mir schon die ersten Herrlichkeiten auf den Teller gefüllt hatte, jetzt war auch an den beiden Büfett-Tischen eine ziemliche Schlange.

Ich sah mich, meinen Teller balancierend, um -- kein bekanntes Gesicht, wo waren alle die Kollegen, zum Beispiel auch die Kollegen aus anderen Städten, die ich vom Studium kannte? -- ich hörte mich um -- überall "nur" englisch, französisch, polnisch, wieder englisch, amerikanisch-englisch -- dänisch: das war schon aus der engeren Heimat, aber die beiden Herren, die so sprachen, sahen mir nicht sympathisch aus -- da wurde ich von der Seite angesprochen:

"Entschuldigen Sie, Sie sind doch Deutsche!"

Ich drehte mich zu dem Herrn herum: ein kleiner, etwas rundlicher Herr mit starker Minus-Brille und einem freundlichen Gesichtsausdruck.

"Kroll, Siegfried Kroll", stellte er sich vor, "und sie sind --", er mußte sich zu meinem Busen herabbeugen -- "die hätten die Schilder aber auch mit einer größeren Schrift machen können -- entschuldigen Sie noch mal -- Frau -- Knaack!"

"Knaack, Melanie Knaack", sagte ich fast gleichzeitig, worauf er lachend sagte: "Dann hab ich's ja richtig entziffert! Und wo kommen Sie her?"

"Ich bin Studienrätin in Hamburg."

"Und ich ebensolcher in Marburg. -- Darf ich fragen, wo Sie studiert haben."

"Nur in Hamburg."

"Ich in Marburg und Frankfurt. -- Und wann haben Sie absolviert?"

"1983."

"Ich schon 1972. Dann sind wir uns auch beim Studium nicht über den Weg gelaufen. Aber waren Sie nicht vor zwei Jahren auf der Tagung in Erlangen? Ich glaube, ich erinnere mich, ich hab Sie da gesehen."

"Ich war da. Aber ich kann mich, ehrlich gesagt, an Sie nicht erinnern."

"Ich mußte auch nach einem Tag wieder abreisen. Meinem Vater ging es plötzlich sehr schlecht."

"Das ist ja traurig. Und wie geht es ihm jetzt?"

"Er hat sich wieder gerappelt und ist munter wie in alten Tagen. Meine Mutter lebt auch noch und ist kerngesund."

"Wie schön für die beiden."

"Ja, wirklich! -- Deutsche Beamten!", begann er zu lästern, das machte ihn mir gleich noch sympathischer, "wenn der Kongreß nicht in die Ferien fallen würde, --"

"fiele", korrigierte ich ihn lachend.

"Sie haben ganz recht, Frau Kollegin! Fiele der Kongreß nicht in die Ferien, dann wäre hier die halbe deutsche Lehrerschaft. -- Ich muß das meinen Schülern auch immer korrigieren."

"Geben Sie auch Deutsch?"

"Nein, aber bei den Übersetzungen aus dem Griechischen und Englischen."

"Dem Englischen?"

"Ja, meine Fächer sind Englisch und Griechisch. Man weiß doch nie bei den Eseln in der Kulturpolitik, wann sie den Griechischunterricht ganz zumachen."

"Dann ist es ja gut, daß ich außer Griechisch auch Deutsch und Lateinisch hab."

"Genau, Frau Kollegin! -- Haben Sie hier ein Referat angemeldet?"

"Nein, da war ich zu faul zu --"

"Dazu war ich zu faul!" korrigierte mich jetzt Herr Kroll lachend seinerseits.

"Ja, aber so sagt man im Norden, und nach Meillet ist das ur-indoeuropäisch, und das mögen die deutschen Philologen sonst ja so gern. Wie im englischen `to take off' -- und bei Homer --"

"Sie haben ja recht, aber die linguistischen Vorträge sind erst nächste Woche!"

"Sie haben ja auch recht, Herr Kroll", sagte ich lachend, "sagen Sie, worüber werden Sie sprechen?"

"Übermorgen werde ich vorschlagen, den Kanon der in der Schule gelesenen Schriftsteller zu ändern. Vielleicht weniger Thukydides, aber in jedem Fall auch die Komödie. Lysistrate als pazifistisches Stück und mit den herrlichen Homer-Parodien muß rein, vielleicht gekürzt."

"Ohne die vorgeschnallten Phalli."

"Vielleicht ohne die vorgeschnallten Phalli, aber unsere Jungs und Mädchen in den Abiturklassen wissen doch alle, was das ist!"

"Und wofür man sie gebraucht."

"So weit habe ich gar nicht gewagt zu denken in Gegenwart einer Dame! -- Darf ich fragen, wo Sie wohnen. Ich kann Sie nachher zu Ihrem Hotel bringen, ich bin mit dem Auto hier."

"Das ist ein Problem, meine Hotelreservierung hat nämlich nicht geklappt. Ich muß nachher noch ein Hotel suchen."

"Sie Ärmste! Darf ich Ihnen dabei helfen, damit sie nicht immer ein Taxi rufen müssen. -- Und -- ich wage es kaum anzusprechen -- wenn alle Stricke reißen, können Sie in meinem Wohnmobil schlafen --"

"???"

"Ja, das Angebot geht vielleicht zu weit, aber ich habe zwei getrennte Betten -- so weit getrennt, wie der enge Platz es zuläßt -- vier Meter, schätze ich."

"Danke für das Angebot, mich rumzufahren. Weiter werden wir dann ja sehen. Es müssen doch noch Betten frei sein. Es ist doch kein Ärztekongreß!"

Inzwischen hatte sich das Publikum im Büfett-Saal versammelt, und wir gingen umher, um nach Bekannten Ausschau zu halten. Wir unterhielten uns kurz mit einem Kollegen aus England, den Herr Kroll kannte, fanden aber sonst keine bekannte Menschenseele.

"Ich denke, es wäregut, wir beginnen mit der Hotelsuche", sagte Herr Kroll.

"Ich denke auch", antwortete ich.

Während wir zum Wohnmobil gingen, sagte Herr Kroll:

"Das ist doch eine Bande, unsere Kollegen, kein Schwein hier -- die liegen sicher hier alle in der Nähe in der Sonne und lassen uns die Fahne der deutschen Wissenschaft hochhalten!"

Wir fuhren in Herrn Krolls dieselknatterndem Gefährt zu meinem ersten Hotel. Mir wurde freundlich der Koffer ausgehändigt, aber auch im "Ares" sei alles besetzt.

"Fahren Sie doch bitte zur Fremdenpolizei, die müssen Ihnen etwas nachweisen."

Also zur Fremdenpoliziei. Der Beamte ist höflich, aber extrem korrekt und zugeknöpft. Er läßt sich meinen Paß geben und sucht in der Gesamtliste der Anmeldungen, die ihm vorliegt, unter "Knaack" und ohne weitere Aufforderung auch unter "Heilburg". Nichts! Seine Bemerkung: "Ich kann mir das nicht erklären", hilft mir auch nicht weiter. Ich bekomme die Adressen von drei weiteren Hotels.

Das erste liegt um die Ecke und ist auch besetzt.

Das zweite liegt im gegenüberliegenden Teil der Stadt, aber noch in erträglicher Entfernung vom Kongreßzentrum.

"Hoffentlich ist das kein Puff!", sagte Herr Kroll.

"Puff?"

"Ja! Kann ich Ihnen das erzählen? Ich glaube, ich kann! Also: Ich war mal auf einer Tagung in Coimbra in Portugal, da hatten sie auch die allerletzten Betten für die Gäste hergerichtet. Mein Hotel war früher einmal ein Hotel, aber jetzt ein Puff. Die Zimmer im zweiten und dritten Stock waren für die Zeit des Kongresses wieder als Hotelzimmer hergerichtet. Im Erdgeschoß und ersten Stock lief der Betrieb weiter. Wenn man an der Rezeption war, schlichen sich immer nicht gesehen werden wollende Herren vorbei, und das Tag und Nacht, die arbeiteten Non-Stop. Die Männer fanden das ja interessant, und einige haben wohl auch den Service in Anspruch genommen, aber die Damen schenierten sich oder tauschten mit Kollegen die Zimmer in anderen Hotels."

Damit waren wir bei dem zweiten Hotel angekommen: ein heruntergekommener Schuppen. Der Mann an der Rezeption schlief und war schon sehr hinüber, und als wir ihn endlich aufgeweckt hatten, lallte er, daß alles besetzt sei, "auch die -- Ba -- wanne", und schlief weiter.

"Das dritte Hotel --", sagte Herr Kroll, als wir wieder draußen waren, "-- ich kenne den Ort, das ist in einem Dorf 10 Kilometer außerhalb, da müssen Sie immer mit Taxi oder Bus oder Bahn fahren. Ich rate Ihnen ehrlich: kommen Sie ins Wohnmobil."

"Aber wir sind doch beide verheiratet!"

"Aber wir sind doch auch erwachsene Menschen! Ich tue Ihnen bestimmt nichts."

"Aber vielleicht bin ich eine Hexe und tue Ihnen was."

"Kommt drauf an, was Sie mir tun! -- Aber mal ernsthaft: Sie können da hinten auf der großen Liege schlafen, und ich nehme das Bett hier über der Vorderbank."

"Das ist doch nur dreißig Zentimeter hoch! Das kann ich nicht annehmen! Ich schlafe hier oben!"

"Sie haben sich verschätzt, meine Guteste, es sind fast fünfzig Zentimeter! Keine Widerrede! -- Und: Ich schlage vor, wir gehen auf den Campingplatz. Ich allein hätte meine Kiste ja auf den schönen Platz bei der großen Kirche gestellt, aber wenn wir zu zweit sind, ist es doch besser: Da haben wir Klos und Duschen."

"Aber kommen wir da noch rein?"

"Wir sind doch nicht in Deutschland, wo die Campingplätze nach zehn Uhr abends niemand mehr reinlassen. Ich bin sicher, wir können beliebig spät kommen. -- Ich kenne den Weg zu dem Campingplatz, und in der Nähe ist ein gemütliches Weinlokal. Wollen wir noch ein Glas Wein trinken?"

"Aber es ist doch schon sehr spät!"

"Erst halb elf -- ach nee, hier muß man ja die Uhren vorstellen: halb zwölf, aber für ein Glas Wein ist doch noch Zeit!"

"Okay! Sie haben gewonnen!"

Patras ist ja nicht allzu groß, und in wenigen Minuten hatten wir das Weinlokal erreicht. Es war zu dieser späten Zeit schon fast leer, und Herr Kroll führte mich zu einer Weinlaube im Garten, die er schon kannte. Er bestellte einen halben Liter offenen Retsina und:

"Frau Knaack, ich hätte noch Hunger. Die machen hier einen ausgezeichneten Lammbraten."

"Wenn es unbedingt sein muß. Wir hätten uns ja an dem Büfett vollfressen sollen."

"Da war es uns ja beiden ungemütlich, und das Hotelproblem hat Ihnen -- mir auch -- sicher auf den Appetit geschlagen. -- Herr Ober, können Sie jetzt noch Ihren Lammbraten servieren?"

"Natürlich, mein Herr!

"Für mich bitte eine kleine Portion", bestellte ich.

"Für mich eine mittelgroße", sagte Herr Kroll.

Wir unterhielten uns über alle mögliche Dinge, über unsere berufliche Tätigkeit, auch über unseren Familienstand: Wir waren beide verheiratet. Herr Kroll holte auch das Manuskript seines Vortrages hervor und gab es mir zu lesen. Ich überflog es und sagte:

"Sehr interessant, Herr Kroll: weniger Thukydides, mehr Aristophanes. Aber man sollte für Thukydides den Lehrplanmachern auch andere Historiker anbieten: etwas mehr Herodotos --"

"Klar!"

"-- und ich hab eine ganz verrückte Idee --"

"Und die wäre?"

"Josephus Flavius mit seiner Geschichte der Juden."

"Wunderbar, Frau Kollegin, daß ich darauf nicht gekommen bin! Darf ich vorschlagen: Ich kürze meinen Text etwas, und Sie sprechen anschließend ein paar Minuten über Josephus Flavius."

"Meinen Sie? Das müßte aber auf Englisch sein."

"Es brauchen ja nur ein paar Sätze zu sein. Schreiben Sie die morgen nachmittag nach den Vorträgen, und ich übersetze sie Ihnen dann ins Englische. Dann brauchen Sie Ihren Beitrag nur noch abzulesen."

"Danke, so werden wir's machen!"

"Und morgen früh gehen wir gleich ins Sekretariat und melden Sie als Koautorin an."

"Das ist doch gar nicht nötig."

"Doch, und das lassen wir uns schriftlich geben: Dann bekommen Sie vielleicht zu Hause von der Behörde doch noch einen Reisekostenzuschuß."

"Sie denken auch an alles!"

"Muß man doch! -- Ja, der deutsche Beamte ist hinter dem Geld her wie der Teufel hinter der armen Seele."

Wir vermieden aber alle heikle Themen, denn wir spürten wohl beide: Es begann zu knistern -- zumal wir ja auch schon delikate Themen angesprochen hatten wie Puffs und vorgeschnallte Penisse.

Es kam unser Lammbraten, und ich habe wirklich nicht vorher und nicht nachher so leckeres scharf gebratenes Schaffleisch gegessen als in diesem einfachen griechischen Gartenlokal. Die Teller und die Portionen waren recht klein, die Preise aber auch, und nachdem wir unseren Retsina ausgetrunken hatten und Herr Kroll diesen Tisch unter der Weinlaube für den folgenden späten Nachmittag für uns reserviert hatte, fuhren wir noch das kurze Stück zum Campingplatz. Natürlich war er noch geöffnet, der Mann an der Rezeption auch hier leicht angetrunken und mit offenem Hemd, das seinen mächtigen Bauch zeigte, am Tisch dösend, aber als er uns mit dem deutschen Auto kommen sah, setzte er seine Dienstmütze auf, knöpfte zwei Knöpfe seines Hemdes zu, machte die Aufnahmeformalitäten und lotste uns, mit einer Taschenlampe bewaffnet, zu einem freien Platz für unser Wohnmobil.