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Die Studiendirektorin

Geschichte Info
Ein 60jähriger TV-Produzent trifft seine Schülerliebe wieder.
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JoeMo1619
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© JoeMo1619 - April 2024 ff.

Vorwort: Diese Geschichte hat einen etwas längeren, weniger erotischen Vorlauf, um den Spannungsbogen der dann emotional und physisch explodierenden Alt-Neu-Beziehung aufzubauen. Wer also kurzfristige Entspannung sucht, ist mit dieser Geschichte bestimmt nicht zufrieden. Alle anderen hoffentlich um so mehr.

Ich bin ein echter Ratzeburger, obwohl ich jetzt seit über 40 Jahren in Berlin lebe. Mein Vater war als Zwanzigjähriger bereits Ende 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen worden. Seine Familie war bei den schweren Bombenangriffen auf Lübeck ums Leben gekommen. Nur für sich selbst verantwortlich entschloss er sich, ab 1946 das Studium der Pharmazie an der weitgehend in Behelfsgebäuden und Schiffen untergebrachten Universität in Kiel zu beginnen, welches er sich durch harte Arbeit im Kieler Hafen selbst verdiente. Im Hörsaal lernte er dann meine Mutter kennen, deren Vater in der kleinen Kreisstadt Ratzeburg im Südosten Schleswig-Holsteins die einzige Drogerie betrieb. Kurz vor dem Staatsexamen heirateten meine Eltern im Ratzeburger Dom und nahmen das Angebot meines Großvaters an, im Nachbarhaus neben der Drogerie für sie beide eine nagelneue Apotheke einzurichten.

Ich, Ludwig Kaufmann, kam 1953 zur Welt, meine Schwester zwei Jahre später. Mein Namenspatron war Beethoven, dessen Musik eine besondere Leidenschaft meiner Eltern war. Mitte der fünfziger Jahre ging es meinen Eltern finanziell bereits so gut, dass sie am Ostufer des Domsees ein für diese Zeit typisches Einfamilienhaus bauten, welches direkt am See gelegen, einen fantastischen Blick auf den altehrwürdigen Backsteindom auf der Ratzeburger Insel hatte. Hier wuchs ich auf, ging ab 1963 auf die Lauenburgische Gelehrtenschule, die durch die großen Erfolge des dort tätigen Mathematiklehrers und Sporttrainers Karl Adam, der den deutschen und internationalen Rudersport revolutionierte, weltweit bekannt geworden war. Ich versuchte mich, wie viele meiner Mitschüler, auch am Rudersport, war jedoch für die großen Boote zu leicht, um Berücksichtigung zu finden. Ich war halt ein langer Schlaks. Stattdessen begann ich mit einer anderen Randsportart, die in der Turnhalle des Gymnasium nachmittags und abends ihre Trainingsstunden hatte: dem Fechtsport.

Genau dieser Sport brachte mich in Unter- und Oberprima mit Gisela Martens, meiner ersten richtigen Freundin zusammen. Gisela war mit fast 1,80 Metern Länge ziemlich groß und unglaublich schnell und geschickt mit ihrem Florett, so dass sie mich im Training oft genug Treffer für Treffer von der Plagne fegte. Selbst mit dem Degen, damals noch eine reine Herrenwaffe, war sie furchterregend gut. Die Zeit Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre hatte für uns die „Segnungen" der sexuellen Revolution mit sich gebracht, was Gisela und ich zu zweit, aber auch mit einigen weiteren Freunden und Freundinnen sowohl auf den reichlich stattfindenden Feten als auch an versteckten Stranduferplätzen des Ratzeburger Sees weidlich ausnutzen.

Direkt nach dem Abitur setzte ich mich zum Ärger meines Vaters, aber mit Unterstützung meiner Mutter nach Berlin ab, da ich absolut keine Lust auf Wehr- oder Ersatzdienst hatte. Meine Studienfachwahl an der Freien Universität schaffte einen zweiten Konfliktfall zwischen meinen Eltern. Ich hatte nicht die geringste Neigung und Fähigkeit zu naturwissenschaftlichen Fächern, das dokumentierte sich hinreichend in der Notenverteilung meines Abiturzeugnisses; in Deutsch, Fremdsprachen und Fächern wie Geschichte und Erdkunde sehr gut bis gut, in Mathe, Biologie und anderen Naturwissenschaften soeben drei bis vier. Die Hoffnung meiner Eltern, den mittlerweile gut laufenden, zusammengefügten Apotheken- und Drogeriebetrieb an ihren Sohn weiterzugeben, hatte sich nicht erfüllt. Diese Chance ergriff dann einige Jahres später meine Schwester.

Ich schrieb mich an der FU in den Fächern Deutsch, Geschichte und Publizistik ein und geriet damit in ein recht linkes politisches Umfeld, ohne aber den kommunistischen Utopien und Träumen vieler Kommilitonen anheim zu fallen. Meine Liebesbeziehung mit Gisela endete wie viele Schülerlieben. Wir besuchten uns jeweils einmal in unserer neuen Hochschulstadt, sie war zum höheren Lehramtsstudium nach Kiel gegangen, drei Monate später lief unsere Beziehung ganz ohne Trennungsstress auseinander, weil sich beide Seiten neuen Ufern zuwandten.

Wie das Leben so spielte, meine neue Berliner Freundin Renate wurde überraschend schwanger und machte mich zu meinem zweiundzwanzigsten Geburtstag zum Vater einer absolut süßen Tochter, die auf den Namen Marlies getauft wurde. Ganz konventionell heirateten wir kurz darauf, was den Zeitdruck, das Studium erfolgreich abzuschließen, spürbar erhöhte. Ich hatte dann unglaubliches Glück, als ich bereits während meines Examens eine erste Anstellung bei Sender Freies Berlin fand und dort in die Fernseh- und Spielfilmabteilung hinein rutschte.

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte ich mich zu einem leidlich erfolgreichen Fernsehfilmproduzenten, der insbesondere Romanadaptionen für die ARD in Drehbücher umsetzte und coproduzierte. Daneben veröffentlichte ich mehrere Romane und unter einem Pseudonym eine Kriminalromanserie, die so erfolgreich wurde, dass ich von den Royalties und Tantiemen gut leben konnte.

Mein Privatleben war deutlich chaotischer. Meine erste Ehe hielt nur bis zum verflixten siebten Jahr, dann zog Renate mit unserer Tochter erst aus und kurze Zeit später in die Dahlemer Villa eines wohlhabenden Zahnarztes ein. Ein zweiter Eheversuch kurz nach dem Mauerfall mit einer Ost-Berliner Kinderbuchautorin scheiterte bereits nach drei Jahren, nachdem sie vom westlichen Kapitalismus so frustriert war, dass sie sich lieber im gerade entstandenen Russland eine neue Heimat suchte. Seither lebte ich allein, hatte aber genügend Bekannt- und Liebschaften, wodurch auch mein Sexleben nicht zu kurz kam. Berlin in den Jahren vor und nach der Jahrtausendwende war wirklich ein extrem spannendes Pflaster und die Berliner Medien- und Kulturwelt hatte fast täglich neu hinzuziehende Frauen aller Altersklassen.

Ich hatte vor einigen Wochen im großen Familien- und Freundeskreis in einer neuen Minibrauerei, die in die ehemalige Gas-Kokerei Berlins eingebaut worden war, meinen 60. Geburtstag gefeiert. Dabei hatte ich meiner Tochter und meinem Schwiegersohn Robert, die mein Elternhaus am Ratzeburger Domsee übernommen und vollständig um- und ausgebaut hatten, zugesagt, im Frühjahr für vier Wochen als Haus- und Jugendlichenaufpasser nach Ratzeburg zu kommen, weil sie sich, vor dem Beginn der jährlichen Hurrikansaison, den lang gehegten Traum einer Karibik-Kreuzfahrt erfüllen wollten. Meine beiden Enkel Bernd, jetzt 15 Jahre alt, und seine zwei Jahre jüngere Schwester Luise sollten in der Zeit ganz normal weiter auf die Gelehrtenschule gehen. Trotz Marlies zweigeteilter Kindheit mit Vater und Stiefvater hatte sie ein gutes Verhältnis zu mir erhalten, das sich auf meine einzigen Enkel übertragen hatte.

Es war Mittwochnachmittag in der dritten Urlaubswoche, als es an der Tür klingelte. Bernd erwartete seine Freunde zu irgendeinem Computerspielnachmittag, öffnete die Haustür und kam dann sofort zu mir ins Wohnzimmer, wo ich gerade an einem Drehbuch für eine neue Produktion arbeitete.

„Ludwig, da stehen zwei Polizisten vor der Tür und wollen Dich sprechen."

Ich schaute erstaunt zu ihm auf, legte mein Laptop beiseite und stemmte mich in die Höhe. „Ich habe nichts ausgefressen", lachte ich noch meinen Enkel an, „und ich bin auch nirgendwo so schnell gefahren, dass ich polizeilichen Hausbesuch erwarte."

Bernd war neugierig geworden und begleitete mich zurück zur Haustür. In der Tat standen dort ein uniformierter Polizist und eine ziemlich junge Polizistin.

„Guten Tag. Sind Sie Ludwig Kaufmann?" fragte der ältere Polizist.

Ich nickte. „Ja, das bin ich. Was kann ich für Sie tun?"

„Können wir Sie allein sprechen?" Der Polizist klang ernst und hatte Bernd im Hintergrund gesehen. Er wollte ihn offensichtlich bei dem Gespräch nicht dabei haben.

„Kommen Sie rein." Ich trat einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Bewegung. Dann bedeutete ich meinem Enkel mit einer stummen Kopfbewegung, dass ich in der Tat mit dem Polizistenpaar allein reden wollte. Bernd verzog sich daraufhin sichtbar unzufrieden in sein Zimmer.

Im Wohnzimmer, dass einen wunderbaren Blick auf den Domsee und den auf der anderen Uferseite liegenden Backsteindom ermöglichte, bot ich den beiden Polizisten einen Platz ein.

„Was ist der Grund für Ihren etwas überraschenden Besuch? Hat irgendeiner von uns etwas verbrochen?"

Der ältere Polizist räusperte sich zunächst. „Nein, da kann ich Sie beruhigen. Aber wir sind leider der Überbringer einer Unfallnachricht." Er zog ein zusammengefaltetes Blatt aus einer Uniformtasche und gab es mir. „Wir wurden benachrichtigt, dass Robert und Marlies Witten bei einem Landausflug auf Curacao mit einem Kleinbus schwer verunglückt sind. Sie befinden sich jetzt im Krankenhaus von Willemstad und werden dort intensivmedizinisch versorgt. Ihr Zustand soll jetzt stabil und nicht mehr lebensbedrohlich sein. Mehr wissen wir aber nicht."

Ich schaute die beiden Polizisten mit ratlosem Gesicht an. „Verkehrsunfall? Und lebensgefährlich verletzt? Alle beide?"

„Das müssen wir der uns übermittelten Nachricht entnehmen. Mehr wissen wir aber auch nicht. Wir haben zwei Telefonnummern erhalten, die eine ist die Reiseleitung der Kreuzfahrtreederei auf Curacao, die andere ist die Rufnummer des Krankenhauses, in dem sich ihre Tochter und ihr Schwiegersohn befinden." Er reichte mir einen Briefbogen mit den beiden Telefonnummern.

„Wir wissen von zwei Kindern jugendlichen Alters des verunglückten Ehepaares", mischte sich die junge Polizistin das erste Mal ins Gespräch ein. „Wollen wir gemeinsam mit ihnen über die Unfallnachricht reden? Oder wollen Sie dies allein machen?"

Ich dachte einen kurzen Moment nach. Dann nickte ich und stand auf. „Meine Enkel sind beide zu Hause. Ich hole sie dazu."

Wenige Augenblicke später standen Bernd und Luise im Wohnzimmer. Ich dirigierte sie mit einem Fingerzeig zum zweiten Sofa, auf dem sie Platz nehmen sollten.

„Eure Eltern sind bei einem Landausflug in einen Verkehrsunfall verwickelt und dabei schwer verletzt worden", begann ich die Aufklärung. Dann schaute ich den älteren Polizisten an, der umgehend die Informationen, die er mir erteilt hatte, wiederholte. Spontan fing Luise an zu weinen, was ihren Bruder veranlasste, sie tröstend in seinen Arm zu nehmen.

Er selbst hatte etwas gefaster reagiert. „Wie schwer sind sie denn verletzt? Besteht die Gefahr, dass sie sterben?"

„Wir haben bisher nur sehr spärliche Informationen, aber sie sollen beide außer Lebensgefahr sein. Wir haben Ihrem Großvater Kontakttelefonnummern übergeben, mit denen Sie sich umgehend in Verbindung setzen können."

Zehn Minuten später hatten sich die Polizisten verabschiedet und wir drei versammelten uns um mein Mobiltelefon, das ich mit einem Lautsprecher so laut stellen konnte, dass wir drei alle zugleich zuhören konnten. Fünf Stunden Zeitverschiebung bedeutete, dass auf Curacao gerade Mittagszeit angebrochen war. Wir hatten Glück und erreichten im Büro der Kreuzfahrtreederei sofort eine Dame, die uns eine Menge berichten konnte.

„Robert und Marlies Witten hatten gestern einen Landausflug gebucht und waren mit vier weiteren Kreuzfahrtgästen in einem Minibus unterwegs, als dieser mit einem entgegenkommenden LKW zusammenstieß und einen kleinen Hang herabgestoßen wurde. Dabei hat sich der Bus mehrfach überschlagen." Wir drei schauten uns mit wachsender Panik an, hörten aber der Schilderung weiter zu. „Polizei und Notdienste haben zwei Stunden gebraucht, alle Insassen zu bergen. Der Fahrer und der Gast, der auf dem Beifahrersitz gesessen hat, sind beide tot. Die übrigen fünf Gästen haben diverse Knochenbrüche, Quetschungen und Schnittwunden erlitten, dazu kamen Gehirnerschütterungen unterschiedlicher Stärke. Mehr Auskunft kann sicherlich das Krankenhaus direkt erteilen."

Bernd, Luise und ich waren absolut geschockt, aber das hielt uns nicht ab, sofort nach Gesprächsende direkt das Krankenhaus anzurufen. Erfreulicherweise sprachen sowohl die Rezeptionistin als auch der Arzt, an den wir vermittelt wurden, relativ gut verständliches Englisch.

Nachdem wir uns über die Fallnummer der polizeilichen Information als direkte Verwandte identifiziert hatten, erteilt uns der Arzt eine erste Auskunft. „Marlies Witten hat eine Beckenfraktur und einen doppelten Bruch des rechten Beins erlitten. Das Bein ist bereits operiert worden. Dazu hat sie ein mittleres Schädeltrauma, aber keine weiteren Kopfverletzungen. Ein paar Schnittwunden vom zersplitternden Autoglas konnten problemlos behandelt werden."

„Und mein Schwiegersohn?"

„Leider etwas schwerwiegender. Er verzeichnet beide gebrochene Oberschenkel, dazu eine komplizierte Fuß- und Knöchelverletzung, sowohl Bänder als auch Knochen sind betroffen. Was uns am meisten Sorgen bereitet, ist sein großer Blutverlust, den er bis zur Bergung erlitten hat. Wir haben vergangene Nacht sehr hart um sein Leben gekämpft, weil sein Kreislauf ständig zusammenbrach. Jetzt liegt er in einem künstlich induzierten Koma und sein Zustand wird zunehmend stabiler. Wenn wir ihn die nächsten 24 Stunden weiter stabilisiert bekommen, haben wir eine gute Chance, dass er den Unfall überlebt."

Die Nachrichten und der ärztliche Befund waren niederschmetternd. Er hätte eigentlich nur noch von einer Todesnachricht übertroffen werden können. Bernd und Luise waren absolut fassungslos, sie wären auf der Traumurlaubsreise ihrer Eltern um ein Haar zu Vollwaisen worden. Uns war aber aufgrund der Schwere der Verletzungen vollkommen klar, dass die Heilung und Rehabilitation sowohl von Marlies als auch Robert viele Monate andauern würde und selbst der Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach Deutschland erst einmal vollkommen ungewiss war.

In der Zwischenzeit ließ ich mir von Bernd erst einmal die Telefonnummern meiner ersten Ehefrau, immerhin Marlies Mutter, und von Roberts Eltern heraussuchen. Dann informierte ich beide über die schockierenden Nachrichten. Nach einigen Hin- und Her-Telefongesprächen entschieden wir, dass Renate zusammen mit Roberts Vater mit der nächstmöglichen Maschine von Amsterdam nach Curacao fliegen würden, um sich vor Ort ein Bild zu machen und gegebenenfalls alle notwendigen Maßnahmen ergreifen würden. Ein Blitztelefonat mit meinem beruflichen Reiseagenten in Berlin ergab eine Reisemöglichkeit für den kommenden Vormittag, die ich direkt für beide buchen ließ.

Zum Abendessen gingen meine Enkel und ich über den Schweriner Damm zu einem griechischen Restaurant, um Kriegsrat zu halten. Luise hatte sich so weit beruhigt, dass sie wieder zu einem klaren Gespräch fähig war.

„Was machen wir denn nun?" brachte Bernd unser Gespräch sofort auf den entscheidenden Punkt.

„Zunächst bleibt hier erst einmal alles beim Alten. Ich rufe morgen bei meiner Produktionsgesellschaft an und organisiere alle meine Termine neu. Damit habe ich meinen Rücken frei, so lange hier zu bleiben, wie es notwendig ist."

Ich konnte meinen Enkeln die Erleichterung über diese klare Ansage direkt ansehen. Ihnen war wie mir klar, dass ihren Eltern eine monatelange Reha-Zeit bevorstand, um wenigstens halbwegs sich selbst wieder ordentlich bewegen und versorgen zu können.

„Dann habe ich ein unmittelbares Anliegen, Ludwig", setzte Bernd nach. „Übernächste Woche ist ein spezieller Elternsprechtag für die Schüler der zehnten Klasse, die sich nun für die Kurswahl der Oberstufe entscheiden müssen. Normalerweise nimmt Mama all diese Termine an der Schule wahr, aber diesmal wird sie bestimmt nicht verfügbar sein. Kannst Du statt ihrer dort hingehen?"

Ich lachte leise. „Elternsprechtag in der Gelehrtenschule. Mein Lieber, ich habe mich jedes Mal gefürchtet, wenn das bei mir vor fast fünfzig Jahren anstand. Mein Vater war jedes Mal über mein ‚Versagen' in Naturwissenschaften entsetzt und meine Mutter musste das dann immer wieder ausbügeln. Ist das bei Dir genauso?"

Bernd schüttelte mit dem Kopf. „Eigentlich nicht. Ich bin kein Streber, aber auch kein Loser. Wenn es mir Spaß macht und der Lehrer gut ist, dann kann ich richtig gut sein. Aber in Physik beispielsweise haben wir eine richtige Trantüte als Lehrer, da hat man einfach keine Lust, mitzumachen und mitzudenken.

Ich musste wieder lachen. „Zeigt, dass Du ein ganz normaler Gymnasiast bist. War bei mir ähnlich, nur dass ich für Naturwissenschaften überhaupt kein Talent hatte. Da war dann hartes Auswendiglernen angesagt, um die Klassenarbeiten überhaupt zu überleben."

Im Übrigen beschlossen wir, die Nachrichten der beiden Großeltern, die am nächsten Tag nach Curacao reisten, abzuwarten, bevor wir weitere Pläne machten.

Tief in der Nacht des darauffolgenden Tages erstatteten die beiden Reisenden ihren ersten telefonischen Bericht. Marlies war bei ihrem Krankenhausbesuch trotz starker Schmerzmittel wach gewesen und hatte ihnen die schrecklichen Ereignisse aus ihrer Sicht geschildert. Der LKW war einfach in ihre Fahrbahn hinein gefahren, war frontal in den Kleinbus geprallt und hatte ihn dann von der Straße herunter in den Abhang geschoben. Sie wäre dann eine Zeitlang bewusstlos gewesen und erst wieder zu sich gekommen als die Retter und Sanitäter begannen, die Unfallopfer zu bergen. Mein Schwiegersohn lag noch im künstlichen Koma, sollte aber am nächsten Tag langsam aufgeweckt werden.

Robert und Marlies hatten glücklicherweise für diese Reise eine spezielle Auslandskrankenversicherung abgeschlossen, die sowohl für den Krankenhausaufenthalt in Willemstad als auch für einen speziellen Krankentransportflug zurück nach Deutschland aufkam. Der behandelnde Arzt in Willemstad ging davon aus, dass Marlies und Robert für den langen Rückflug in zwei bis drei Wochen transportfähig sein würden und ich übernahm es, die Gespräche mit der Auslandskrankenversicherung aufzunehmen, um diesen Transport professionell organisieren zu lassen. Mehr gab es für uns in Ratzeburg nicht zu tun.

Um ein Gefühl für die Dauer der Heilung und Rekonvaleszenz der Unfallopfer zu bekommen, vermittelte mir meine Apothekerschwester ein abendliches Gespräch mit der Chefarzt der orthopädischen Abteilung des Ratzeburger Kreiskrankenhauses, mit dem sie und ihr Mann privat eng befreundet waren.

Sein Fernbefund war mehr als ernüchternd. „Ihr solltet vorsichtshalber bis zu einem Jahr für Heilung und Reha einplanen", meinte er sehr nüchtern. „Sie werden beide viele Schmerzen bei dem ganzen Reha-Prozess aushalten müssen. Ich kenne Robert und Marlies ganz gut, sie waren bis jetzt sportlich aktiv und körperlich fit. Das wird helfen, aber es ist ein langer Weg, wieder zu einem halbwegs normalen Privat- und Berufsleben zurückzukehren." Er zuckte mit seinen Schultern. „Sie werden hier in Ratzeburg und gegebenenfalls an der Medizinischen Universität in Lübeck eine erstklassige medizinische und physiotherapeutische Betreuung vorfinden. Aber es ist ihr Körper, den sie wieder in Schwung bringen müssen. Das wird harte Arbeit für beide."

„Wie lange werden sie Hilfe im Haushalt und bei anderen Tätigkeiten brauchen?" Ich dachte mittlerweile ganz pragmatisch. Renate als auch Roberts Eltern waren alle voll berufstätig und in angestellten Arbeitsverhältnissen. Der einzige ‚freischaffende Künstler' in der Familie, der zumindest über einen wesentlichen Teil seiner beruflichen Zeit- und Ortseinteilung selbst bestimmen konnte, war ich. Mir schwante, dass die Hauptlast der familiären Unterstützung an mir hängen blieb. Immerhin hatten Robert und Marlies mein ehemaliges Elternhaus großzügig um- und ausgebaut und dabei von Grund auf modernisiert, so dass auch ein fünftes Familienmitglied, nämlich ich, für einige Monate genügend Platz hatte.

Eine Woche später waren Renate und Robert Vater zurück in Deutschland. „Die beiden Unglücklichen sind in dem Krankenhaus wirklich gut versorgt und sollen in etwas zwei Wochen ihre Heimreise antreten können", berichteten sie beide bei einem Kurzbesuch in Ratzeburg. Ich hatte meine erste Ehefrau seit vielen Jahren nicht mehr gesehen und war positiv erstaunt, dass sie sich, die nun auch kurz vor ihrem 60. Geburtstag stand, verdammt gut gehalten hatte. Aber die besonderen Umstände dieses unverhofften Wiedersehens ließen keine weiteren Gespräche außerhalb der aktuellen Familienereignisse zu. Sie machte sich am frühen Abend auf die weitere Heimreise, weil sie am kommenden Morgen bereits wieder an ihrem neuen Arbeitsplatz in einer Berliner Online-Tageszeitung sein wollte.

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