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Die Studiendirektorin

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Zwei Tage später stand der von Bernd angesprochene Elternsprechtag für die Zehntklässler in der Lauenburgischen Gelehrtenschule an. Ich hatte mir von meinem Enkel einen exakten Gesprächstermin- und Lageplan anfertigen lassen, denn ich kannte das neue Schulgebäude überhaupt nicht. Die Gelehrtenschule, in der ich meine neun Schuljahre verbracht hatte, war nach rund fünfzig Dienstjahren so morsch und brüchig geworden, dass die Stadt Ratzeburg sie abgerissen und an derselben Stelle oben auf dem St. Georgsberg ein komplett neues Schulgebäude errichtet hatte. Diese Bauarbeiten hatten sich über zwei Jahre erstreckt, so dass Bernd einen Teil seiner Schulzeit in Containern und anderen Behelfsbauten verbracht hatte. Seit 2010 waren die Bauarbeiten abgeschlossen und ein geordneter Schulbetrieb wieder möglich.

Der vorletzte Termin auf meinem Laufzettel war mit seiner Mathematiklehrerin, Frau Studiendirektorin G. Buchmann. Bernd hatte mir in Vorbereitung auf den Elternsprechtag gesagt, dass Frau Buchmann eigentlich die Oberstufenleiterin und stellvertretene Schuldirektorin der Gelehrtenschule war und für das letzte halbe Jahr als Mathematiklehrerin nur eingesprungen war, nachdem sein eigentlicher Mathelehrer wegen einer Krebserkrankung langfristig ausgefallen war. „Eine ältere Dame, die aber wirklich erstklassig Mathe erklären kann", war Bernds Kommentar gewesen. „Man merkt, dass sie Mathe echt durchschaut hat."

So vorbereitet machte ich mich auf die Suche nach Frau Buchmanns Büro; sie nutzte für den Elternsprechtag ihr Dienstzimmer und nicht irgendeinen Klassenraum. Nach kurzer Suche fand ich das Schulsekretariat, von dem es auf der einen Seite zum Schulleiter und auf der anderen Seite eben zur Oberstufenleiterin ging. Die Bürotür stand offen, ein Zeichen, dass der nächste Elternvertreter eintreten durfte. Ich klopfte höflicherweise an die Bürotür und hörte ein freundliches „Herein. Schließen Sie bitte die Tür und nehmen Sie schon einmal Platz." Frau Buchmann saß am rechtwinklig anbauten Seitenarm ihres Schreibtisches und schrieb augenscheinlich gerade etwas auf ihrem PC. Deshalb sah ich sie halb von hinten, halb von der Seite, ohne ihr Gesicht erkennen zu können. Sie trug einen langen, dicht geflochtenen Zopf aus weitgehend silbergrauen Haaren, der von zwei lustigen, vielfarbigen Schleifen oben und unten zusammengehalten wurden.

Sie drückte auf die Enter-Taste, so dass das Schriftstück, vermutlich eine E-Mail, vom Bildschirm verschwand. Dann drehte sie sich mit Schwung zu mir hin und sprach mich zunächst mit routinierter Freundlichkeit an. „Was kann ich für Sie tun, Herr...?"

Ich war in dem Moment, in dem ich ins Gesicht der Studiendirektorin geblickt hatte, wie Lots Frau zu einer Art Salzsäule erstarrt. Frau Studiendirektor hatte ein klitzekleines Merkmal in ihrem Gesicht, dass ich nur einmal in meinem Leben gesehen hatte: eine kleine Windpockennarbe, exakt über der Nasenwurzel zwischen den beiden Augenbrauen. Langsam stotternd antwortete ich erst einmal auf ihre Eingangsfrage. „Ich bin der Großvater von Bernd Witten."

„Oh, ja. Wirklich schlimme Sache, der Unfall seiner Eltern. Weiß mittlerweile ganz Ratzeburg, seit die Lübecker Nachrichten groß darüber berichtet haben. Nicht einfach für Bernd, damit fertig zu werden."

„Ich helfe ihm so gut, wie ich kann." Ich zuckte leicht mit meinen Schultern. „Auch seiner Schwester."

Frau Buchmann zog ein Blatt Papier aus dem Aktendeckel und nahm in einer mir unglaublich vertrauten Bewegung einen klassischen Montblanc-Federhalter in die Hand.

„Ich muss hier eine kleine Notiz machen, weil ich - für mich absolut verständlicherweise - mit jemand anderem als den Eltern rede. Wie ist ihr Name bitte?"

„Ludwig Kaufmann."

Frau Bachmanns Kopf schnellte geradezu in die Höhe, ihre Augen starrten mich fassungslos an. Dann ließ sie ihren Füller auf den Schreibtisch fallen, lehnte sich weit in ihren Schreibtischstuhl zurück und drückte sich vom Schreibtisch ab. „Nein! Das gibt es nicht!" Sie rollte ihren Stuhl vorwärts und beugte sich über ihre aufgestützten Ellenbogen nach vorn. „Ludwig?" Es entstand eine absurd stille Pause, in der wir uns nur in die Augen sahen.

Dann beugte auch ich mich vor. „Jawohl Gisela. Ich bin es. Und muss zugeben, ich bin genauso überrascht wie Du."

Gisela Buchmann stand mit einem Schwung auf und streckte ihre Hand aus. „Unglaublich! Ludwig! Du bist Bernd Wittens Großvater?"

„Ja. Obwohl ich nur eingeschränkt etwas dafür kann. Aber immerhin ist seine Mutter, Marlies Witten, meine Tochter."

„Oh mein Gott!" Gisela Buchmann ließ meine Hand los und fiel rückwärts wieder in ihren Schreibtischstuhl. „Das ich Dich noch einmal persönlich sehe!" Sie klatschte in ihre Hände. „Ich muss zugeben, ich freue mich unbändig. Auch wenn die Ursache für Deinen Besuch in meinem Büro nun wirklich kuriose, ja fast tragische Ursachen hat."

Gisela und ich waren gleichermaßen über diese unvorhergesehene Begegnung emotional aufgewühlt. Sie bekam sich in ihrer typischen Selbstdisziplin zuerst in den Griff, nahm das Papier und ihren Füller und füllte die wenigen Zeilen aus:

„Ludwig Kaufmann, Großvater von Bernd Witten, geboren am 16. März 1953."

Dann lachte sie mich an. „Ich brauche nicht zu fragen. Eine Mathelehrerin hat häufig ein hervorragendes Zahlengedächtnis. Berufskrankheit, sozusagen."

Die restlichen Minuten redeten wir tatsächlich über meinen Enkel und Giselas Empfehlung für seine Fächerwahl in der Oberstufe. Dann war unser zehnminütiges Zeitlimit auch bereits aufgebraucht.

„Ich entnehme Deinen Worten", verabschiedete Gisela sich von mir, „dass Du noch mehrere Wochen in Ratzeburg verbringen musst und wirst."

Ich nickte. „Es muss sich jemand um die beiden Kinder kümmern. Marlies und Robert werden sicherlich mehr als ein halbes Jahr brauchen, bis sie sich wieder um sich selber kümmern können, geschweige denn in die familiäre Normalität zurückkehren. So lange bleibe ich hier. Ich kann weitestgehend von hier aus arbeiten, so dass es da keine Unterbrechung gibt."

„Davon musst Du mir unbedingt mehr erzählen." Wir reichten zum Abschied die Hand, wobei sie meine Rechte gleich mit beiden Händen umfasste. „Darf ich Dich demnächst einmal zum Abendessen einladen? Die Farchauer Mühle mit ihren Fischspezialitäten gibt es immer noch."

„Ich wäre begeistert. Ja." Ich griff nach meiner Geldbörse, in der ich auch meine geschäftlichen Visitenkarten aufbewahrte. „Ich lass Dir meine Karte hier. Da stehen meine Mobilnummer und meine E-Mail-Adresse drauf. Auf die Weise kannst Du mich immer erreichen und mir einen Terminvorschlag machen. Ich habe hier ansonsten kaum terminliche Verpflichtungen, also bin ich flexibel."

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir uns zum Abschied beide umarmen wollten. Aber bevor es dazu kam, klopfte es bereits wieder an der Türe.

„Ich vermute, da stehen schon die nächsten Eltern vor der Tür. Schön, Dich wiederzusehen, Ludwig. Ich melde mich sehr bald."

Ich absolvierte noch den letzten Lehrertermin und machte mich dann wie berauscht auf den kurzen Heimweg zum Bäker Weg, wo unser Zuhause stand. „Gisela, Gisela", murmelte ich auf der Heimfahrt und schüttelte mehrfach den Kopf. „Ausgerechnet meine alte Schülerliebe unterrichtet meinen Enkel in Mathe."

Dann hatte ich das Heim meiner Tochter und ihrer Familie, das vor Jahrzehnten in noch erheblich kleinerer Form mein Elternhaus gewesen war, erreicht und musste mich erst einmal zusammenreißen, um meinem Enkel meinen Bericht über den Elternsprechtag abzuliefern. Den Sonderpunkt Gisela Buchmann, geborene Martens, ließ ich wohlweislich aus.

Giselas erste, richtig lange Textmessage kam bereits am selben Abend.

„Ich war so schockiert, Dich plötzlich vor mir sitzen zu sehen, dass ich für einen kurzen Moment fast den Verstand verloren habe. Okay, es war in meinem Dienstzimmer zu einem dienstlichen Anlass, aber ich bedaure, Dich nicht umarmt zu haben. Ich möchte Dich unbedingt wiedersehen und habe so viele Fragen. Passt Freitag, 18.00 Uhr? Ich reserviere einen Tisch in Farchau und hole Dich ab. Liebe Grüße Gisela!"

Meine Antwort, obwohl von Beruf Schriftsteller und Drehbuchautor und deshalb wortgewaltig, war kürzer:

„Mehr als gerne. Ich glaube, wir haben beide viel zu erzählen. Freue mich sehr. Mit lieber Umarmung, Ludwig."

Es war ein merkwürdiges, aber wunderbares Gefühl. Meine Enkel waren in ihren Zimmern verschwunden und ich saß im Halbdunkel auf dem Sofa und schaute durch das große Fenster über den Domsee auf den über achthundert Jahre alten Dom, der abends stets beleuchtet wurde. In meinen Gedanken war ich auf eine Zeitreise gegangen und durchträumte meine über mehr als zwei Jahre gehende Beziehung mit Gisela, in den wir gemeinsam den Weg ins Erwachsenwerden gingen und unter den Umständen der damaligen Zeit unsere eigene sexuelle Revolution erlebten. Was hatten wir nicht alles miteinander ausprobiert? Die diskreten Besuche in Lübecker Kinos, bei denen wir im ‚Schulmädchenreport' und anderen Filmen mehr als genügend Anregungen erhielten, spornten uns und eine kleine Clique von vier Freunden und Freundinnen an, vieles nachzumachen. Wir hatten zwei „Nahkampfplätze" dafür: in den Sommermonaten eine versteckte Badestelle nördlich von Bäk in unmittelbarer Nähe zur undurchdringlichen innerdeutschen Grenze und im Winter im Partykeller von Gerds Eltern, die als Sporttanzpaar an Wochenenden oft auf Reisen waren und wir somit mehr oder weniger sturmfreie Bude hatten.

Am Freitag wartete ich überpünktlich an der Eisdiele am Schweriner Damm auf Gisela. Ich wollte vermeiden, dass meine beiden Enkel schon am ersten Abend erkannten, dass ich mich mit ihrer Studiendirektorin verabredet hatte. Wie nicht anders zu erwarten war Gisela genau zur angegebenen Uhrzeit am Treffpunkt. Ihre Selbstdisziplin und Verlässlichkeit hatte sich in den über vierzig Jahren nicht verändert. Sie sah hinreißend aus. Ihren silbergrauen Haarzopf hatte sie geöffnet und in zwei dünne Seitenzöpfe geflochten, die um den Kopf gingen, während ihr übriges Haar lang herabhing. Nur in einer Hinsicht war sie wie früher: mit Ausnahme eines sehr dezenten, rosafarbenen Lippenstiftes war sie komplett ungeschminkt.

„Ich hoffe, ich bin nicht zu spät und Du musstest nicht auf mich warten", entschuldigte sie sich zunächst, obwohl sie genau um 18 Uhr am Treffpunkt eingetroffen war.

„Nein, nicht im geringsten. Ich war nur etwas früher losgegangen, da ich es, ehrlich gesagt, kaum erwarten konnte, Dich erneut zu sehen."

„Geht mir genauso", lächelte sie mich an. Auch ihr sehr spezielles Lächeln, das auf einer Mundseite etwas schief war, ihr aber dadurch eine persönliche Note gab, war unverändert.

Ich klatschte in meine Hände, während sich ihr Auto, ein schon etwas älteres VW Golf Cabriolet, in Bewegung setzte. „Ob die Farchauer Mühle schon Maränen auf der Speisekarte hat?" fragte ich laut.

„Noch zu früh im Jahr. Die Maränensaison geht frühestens Mitte Mai los. Oder hast Du das vergessen?"

„Wohl ja. Ich habe jedenfalls seit Ewigkeiten keine mehr gegessen."

„Vermutlich kein Problem, denn ich nehme nach Deinen Worten am Elternabend an, dass Du noch viele Monate in Ratzeburg verweilen wirst. Du musst nur noch ein paar Wochen warten. Ansonsten ist die Fischkarte in der Mühle wie immer hervorragend. Und wenn Du mehr auf Fleischigem stehst, hast Du immer noch eine hervorragende Wildfleischauswahl."

„Wie steht es mir Dir? Immer noch kein Fleisch?"

„Im Prinzip ja. Ich esse wie früher sehr gerne Fisch, manchmal auch Geflügel, wie beispielsweise Ente. Rotes Fleisch habe ich, glaube ich, ein halbes Jahrhundert nicht gegessen. Und bei Molkereiprodukten bin ich voll auf Ziegenmilchprodukte umgestiegen. Bekommt mir erheblich besser."

Über unser Ernährungs- und Mahlzeitengespräch waren die Handvoll Kilometer bis zu Südspitze des Großen Küchensees wie im Flug vergangen. Vom Parkplatz des Restaurants hatte man einen direkten Blick auf die sportlich größte Sehenswürdigkeit der Ratzeburger Seen, die man zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht sehen konnte: der Start der legendären Regattabahn, deren Ziel in 2000 Metern Entfernung unmittelbar vor dem Lüneburger Damm lag, der die Dominsel mit dem westlichen Ufer verband.

Gisela hatte einen etwas versteckt liegenden Tisch für uns zwei reserviert. Sie konnte nicht ausschließen, dass an diesem Abend auch Ratzeburger Familien zur Farchauer Mühle herauskamen, die sie sofort erkannt hätten. Sie hatte zurecht angenommen, dass wir uns viel zu erzählen hatten. So war es dann auch.

„Seit wann bist Du wieder in Ratzeburg?" stellte ich letztendlich die mich fast am meisten interessierende Frage. „Ich hätte nie erwartet, dass Du hierher zurückkommst."

„Wie das Leben so spielt", grinste meine alte Freundin. „Ich hatte während des Referendariates einen Kommilitonen geheiratet, der wie ich sehr aktiv in der Kieler SPD war. Deshalb heiße ich heute auch noch Buchmann. Gehalten hat unsere Ehe dann rund sechs Jahre, bevor er sich zur Kieler Schwulenszene bekannte und nur noch mit Männern ins Bett wollte. Ich habe meine weiblichen Selbstzweifel hintenangestellt und mich neben meinem Lehrerdasein an einem Kieler Gymnasium voll in die Politik gestürzt. Bei Björn Engholms Erdrutschsieg 1988 bin ich in den Landtag gerutscht und habe es dort acht Jahre durchgehalten. Als dann nach Björns Rücktritt Heide Simonis Ministerpräsidentin wurde, habe ich schnell gemerkt, dass mir Politik keinen Spaß mehr machte. Heide und ich haben uns nie gemocht, schon in Kieler Zeiten nicht."

„Und dann bist Du direkt hierher zurückgekehrt?"

„Nicht sofort. Ich bin noch drei Jahre in Kiel an meine alte Schule zurückgekehrt. Aber in den acht Jahren Unterbrechung hatte sich das Kollegium spürbar geändert, was vielleicht kein Problem gewesen wäre. Aber durch die acht Jahre im Landtag, immerhin hatten wir eine absolute Mehrheit, war ich, wie soll ich sagen, unter den Kollegen eine Art Berühmtheit. Ich brauchte irgendwo einen Neuanfang an einem Ort, wo ich eine normale Frau und eine normale Mathelehrerin sein konnte." Sie lachte leise. „Du wirst lachen, aber Hauptschuldiger an meiner Rückkehr war unser alter Fechtclub. Der alte Fechtmeister arbeitete im Kreisschulamt und wusste von meiner letzten Teilnahme am Fechtturnier Alte Salzstrasse, dass ich nach einer neuen Anstellung suchte. Und so bin ich zur Jahrhundertwende an die Gelehrtenschule zurückgekehrt und habe die Leitung der Oberstufe übernommen." Jetzt lachte Gisela laut. „Und bin dabei mitten in eine baulich zusammenbrechende Schule hineingeraten. Du musst Dir vorstellen, dass in unserem alten Schulgebäude mehr und mehr Bereiche wegen Notreparaturen oder Baufälligkeit zeitweise und dann ganz geschlossen werden mussten. Dann schlug die Stadt zusammen mit dem Land den gordischen Knoten durch, riss die alte Schule Stück für Stück ab und baute das neue Gebäude, dass Du diese Woche zum ersten Mal besucht hast."

Ich revanchierte mich mit meiner Lebensgeschichte im alten West-Berlin und dann in der wiedervereinten Stadt, immer wieder von kleinen Fragen ihrerseits unterbrochen, wobei einige besonders neugierige Fragen nach meinen Lebensabschnittgefährtinnen und Geliebten dabei waren.

Wir hatten über drei Stunden zusammen gesessen, gegessen, ein wenig Wein getrunken und uns wirklich prächtig unterhalten. Zwischendurch hielten wir uns über den Tisch hinweg bei der Hand, wie zwei richtig alte Freunde. Nur mit dem Unterschied, dass wir uns mehr als vierzig Jahre nicht gesehen und gesprochen hatten. Aber die enge Vertrautheit, die unsere zweijährige Liebesbeziehung als Schüler gekennzeichnet hatte, war schlagartig wieder da.

Ich hatte - gegen ihren Willen - die Rechnung bestellt, als sich Gisela weit über den Tisch beugte, um ihre abschließende Frage flüstern zu können.

„Bist Du immer noch ein so großer Meister der Liebe mit Mund, Zunge und Händen wie früher?"

Ich grinste ob der Direktheit ein wenig verlegen, aber war mutig genug, ehrlich und direkt zu antworten. „Vermutlich noch besser, weil ich durch gutes Zuhören, Fühlen und reichlich Übung noch viel dazugelernt habe."

Gisela blieb nach vorn gebeugt. „Machst Du mir das Vergnügen, das überprüfen zu dürfen?"

Das war eine Einladung, die ich in dieser Geschwindigkeit nicht erwartet hatte. Aber ich empfand sie als ausgesprochen verführerisch. „Wann und wo? Heute Abend vielleicht nicht so gut, weil ich die beiden Kinder nicht unangekündigt über Nacht allein lassen will."

Gisela lehnte sich zurück. „Das kann ich voll verstehen und akzeptieren." Sie holte tief Luft und dachte ein paar Sekunden nach. „Eigentlich brauchen wir keine Dunkelheit. Wie wäre ein Besuch bei mir morgen Nachmittag zum Tee. Bernd und Luise haben Samstag nachmittags bestimmt eigene Pläne."

Ich nickte nur. Unsere Verabredung zu einem Liebesnachmittag stand.

An unserem Treffpunkt vor der Eisdiele, die mittlerweile längst geschlossen hatte, hielten wir an. Gisela stieg mit mir aus und wir holten die von uns beiden vermisste Umarmung zusammen mit einem langen, verführerischen Kuss nach.

„Ich freue mich auf morgen!", verabschiedeten wir uns voneinander. Dann ging ich die letzten paar hundert Meter zu unserem Wohnhaus zu Fuß.

Ich muss gestehen, dass ich Riesenprobleme hatte, einzuschlafen und in der Nacht zweimal wach lag. Zu viele Bilder meiner letzten Schuljahre und meiner vielfältigen Aktivitäten mit Gisela und unseren Freunden geistern durch meinen Kopf. Zudem musste ich mir eingestehen, dass ich nervös war. Trotz meiner vielfältigen Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht. Ich war mittlerweile sechzig Jahre alt und nicht mehr achtzehn. Aber Gisela auch.

Wie verabredet fuhr ich am Samstagnachmittag mit meinem Volvo V70 über die Dominsel auf die westliche Seite Ratzeburg. Gisela bewohnte eine schmucke Doppelhaushälfte in dem Neubaugebiet südlich des Bahnhofs, das auf dem Gebiet der ehemaligen Domäne Neuvorwerk entstanden war. Ich hatte vor einigen Jahren durch einen Fernsehbericht des NDR erfahren, dass mein Klassenkamerad Herbert Lindenbaum, der die Domäne nach seinen Agrarwissenschaftsstudium in den Jahren vor der Wiedervereinigung in vierter Generation übernommen hatte, nach dem Fall der Mauer im benachbarten Mecklenburg einen sehr großen, hochmodernen Agrarbetrieb auf dem Land zweier ehemaligen LPGs aufgebaut und zugleich in der CDU von Mecklenburg-Vorpommern sehr aktiv geworden war. Von der in meinen Schülerzeiten noch verträumt und einsam westlich der Stadt liegenden und voll bewirtschafteten Domäne war nicht mehr viel übrig geblieben.

Gisela öffnete auf mein Läuten hin die Haustür und löste bei mir eine positive Spontanreaktion aus. Ich sagte nur „Wow". Sie trug eine hautenge schwarze Lederhose, die detailgetreu zeigte, dass ihr Po und ihre Beine auch mit 60 Jahren hervorragend in Form waren. Oben trug sie eine weite, rote Seidenbluse, die fast durchsichtig war. Darunter trug sie reine weibliche Natur ohne weitere Verhüllung. Ihre immer noch „nur" B-Körbchen-Größe habenden Brüste zeigten nur geringe Schwerkraftwirkung und ihre beiden von mir so geliebten Brustwarzen mit den vorwitzig vorstehenden Nippeln waren unverändert.

Kaum hatte Gisela die Haustüre geschlossen, lagen wir uns in den Armen und knutschten miteinander wie zwei Teenager. Die nur fünf Zentimeter Längenunterschied waren durch ihre halbhohen Absätze nahezu ausgeglichen.

„Ich habe mich den ganzen Tag auf Dich gefreut", gestand mir Gisela als sie mich zunächst in ihr Wohnzimmer führte. Sehr hell und geschmackvoll eingerichtet, fand ich ein mir sehr vertrautes Möbelstück: den kleinen, rosenholzfarbenen Klavierflügel von Giselas Mutter, die als Klavierlehrerin auch meine Schwester unterrichtet hatte.

„Spielst Du eigentlich immer noch?"

„Zu wenig, wenn ich ehrlich bin. Aber wenn ich in der rechten Stimmung bin, kann ich zwei Stunden an diesem herrlichen Instrument sitzen und spielen. Ich habe den Flügel vor zehn Jahren generalüberholen lassen, nachdem meine Mutter gestorben war. Seitdem ist er besser als neu."