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Dunkler Abgrund Ch. 15

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Jetzt blickten sie kalt und entschlossen. Konzentriert. Todbringend. Grausam. Sein sonst eiskaltes Gesicht war bar jeden Ausdrucks und wirkte durch den Dreck in seinem Gesicht noch lebloser.

Dies hier war ein Krieger aus alten Zeiten.

Lukan hatte gedacht, dass er Alecs Kälte kannte. Doch ein Vampir musste sich anpassen können, um in der wandelnden Welt der Menschen leben zu können. Das, was Lukan von Alec kannte, war tatsächlich das angepasste Bild gewesen, wurde ihm jetzt klar. Dies hier, dieser Alec war jemand vollkommen anderes. Dies war ein Monster, von dem die alten Texte berichteten. Dies war das Monster vor dem sich die Wahren Familien fürchteten. Alec hatte dieses grauenvolle Gesicht für einige Zeit abgelegt und durch Grace hatte er sogar ein Lächeln in den Tiefen seiner schwarzen Seele gefunden. Doch Grace war nicht mehr da. Aber das Monster hatte nur auf diesen Zeitpunkt gewartet. Und brach nun heraus.

Alecs Schritte auf dem Boden hallten leicht nach, als er zum Kühlschrank trat und drei Blutbeutel herausnahm. Ohne den anderen eines Blickes zu würdigen, biss er in den ersten Beutel und trank.

Keiner der Anwesenden wagte es den Blick von ihm zu nehmen, während er schließlich den ersten Beutel sinken ließ und seine Zähne in den zweiten schlug. Sie alle erfüllte derselbe Gedanke: Wenn sie auch nur ein falsches Zeichen geben würden, würde dieses eiskalte Monster über sie herfallen und sie schlachten. Ohne einen Tropfen zu verschwenden.

Der dritte Beutel wurde angestochen und all ihre Augen hefteten sich auf das Ding, das sich langsam leerte. Als zählen sie die Sekunden, die ihnen noch zum Leben blieben, bevor Alec sich ihnen zuwandte. Alles an Alec schien ihnen zu sagen, dass dies nur ein Snack war. Ein kleiner Appetitanreger.

Selbst Lukan fühlte eiskalte, schweißdurchtränkte Schauer über seinen Rücken laufen, während er Alecs Hände ansah, die die Blutbeutel fast zärtlich quetschten.

Jahre zogen niemals spurlos an einem Wesen vorbei. Jedes von ihnen veränderte einen Vampir. Vielleicht gab es deshalb von den ganz alten nur noch so wenige. Sie alle ereilte das gleiche Schicksal. Mit der Zeit kam die Langeweile, denn jedes Gesicht ähnelte einem, das sie schon kannten. Mit noch mehr Zeit kam die Überdrüssigkeit. Dann der Widerwille. Und schließlich wurde aus kleinen Späßen an den Menschen, kleinen Gemeinheiten, um die Jahre zu füllen, langsam aber sicher Grausamkeit.

Alec hatte sie alle überlebt und nicht viele von diesen grausamen, uralten Wesen getötet. Er war Richter gewesen. Und Henker. Immer hatte er sich einen winzigen Teil an Menschlichkeit bewahrt. An Gutmütigkeit, Wärme und Leben.

Doch dieser kleine Teil war gerade in Gefahr. Und damit sie alle.

Jeder einzelne in diesem Raum. Jeder einzelne auf der ganzen Welt. Sie alle schwebten in Gefahr.

Plötzlich hob Alec den Kopf und wandte sich zur Stahltür. Auch Lukan spürte die plötzliche Abwesenheit des Sonnenscheins auf dem Grundstück. Es war, als würde man einen gefährlichen Elektrozaun hinter dem steif aufgerichteten Rücken plötzlich ausschalten. Bloß noch beruhigender. Belebender.

Alec ließ die leeren Beutel zu Boden fallen und ging mit gesetzten, vibrierenden und harten Schritten zur Treppe und verschwand hinter der Stahltür.

Ein Luftholen erfüllte für einige Sekunden den Raum. Schließlich sagte eine der Hexen leise: „Oh Scheiße."

Lukan wollte ihr gerade von ganzem Herzen zustimmen, als Jean Antoine seinen Blick auf ihn lenkte.

„Wir gehen ihm hinterher", beschloss er und meinte damit scheinbar sich und einen Mann, der sich hinter ihm erhob. Lukan kannte ihn nicht, trotzdem hatte er für einen seltsamen Moment das Gefühl in einen Spiegel zu blicken. Wortwörtlich. Doch dann verschwand das Gefühl, als der Mann auf eine seltsame Weise die Oberlippe hochzog. Als würde ein Hund kurz davor sein zu knurren.

„Gott, ich hasse diesen Scheiß."

„Es bleibt uns nichts übrig. Irgendwer muss ihm helfen", meinte Jean Antoine mit leiser Stimme und nahm den Mann so vertraut an die Hand, als kennen sie sich schon ewig. „Wenn er durchdreht, muss ihn jemand aufhalten. Und wenn alles gut geht... Verschwinden wir einfach, bevor Alec herausfindet, dass du..."

Der Mann versteifte sich einen Moment, als gefiele ihm der Gedanke an Flucht nicht, doch dann sackten seine Schultern zusammen. „Er ist wirklich sehr... angsteinflößend. Ich verstehe, warum du fliehen willst."

Jean Antoine ging langsam zur Tür und warf dem Mann einen Blick zu. „Hoffen wir einfach das Beste."

*

Hyries Griff an ihrer Schulter brannte, doch sie hatte zum Glück damit aufgehört, ihr das Gelenk aus der Knochenpfanne reißen zu wollen. Trotzdem ließ sie sie nicht los.

Die Sonne war schon vor einer Stunde untergegangen und seither standen sie im Eingangsflur der Höhle und warteten aus unterschiedlichen Gründen auf Alec. Doch mit jeder Sekunde wuchs in Grace die Gewissheit, dass Alec nicht kommen würde. Seine Gefühle für sie waren einfach nicht stark genug, um sich dieser Situation auszusetzen. Genau wie Hyrie es befürchtet hatte; sie war nur eine von hunderten, dessen Tod Alec mittlerweile nichts mehr ausmachte. Sie war einfach ein Gesicht unter vielen. Nichts Besonderes.

Die Hoffnung schwand mit jeder verrinnenden Sekunde mehr, doch schweigend wollte Grace ihrem Schicksal nicht in die Augen sehen. Wenn sie schon nicht kämpfen konnte, würde sie eben reden: „Alec ist nicht schuld am Tod deines Geliebten und das weißt du auch."

Hyrie änderte leicht den Griff um Grace' Schulter. Schmerz schoss in ihren Rücken, doch sie biss sich auf die Schulter und richtete sich auf. „Er hatte damit nichts zu tun", versuchte sie es erneut. „Er hatte keine Ahnung von dem Gift in deinem Blut."

Hyrie lachte leise. „Und woher weißt du das? Hat er dir etwa gesagt, dass er es nicht weiß?" Sie gab ein schnaubendes Geräusch von sich. „Wie konnte er es dir denn erzählen, wenn er doch gar nichts wusste von dem Gift?"

„Ich träume", erwiderte Grace schnell. „Ich habe von dir geträumt, Hyrie. Ich weiß, wie sehr du unter dem Verlust leidest. Du musst das nicht tun. Lass mich einfach gehen. Alec interessiert sich offensichtlich nicht für mich. Zumindest nicht genug, um deine Rache zu garantieren."

„Er wird kommen", schnappte Hyrie kalt und riss wieder an ihrem Arm. „Er wird kommen."

Grace stieß einen leisen Schmerzlaut aus, bevor sie sich erneut auf die Lippe biss, um den Schmerz auszublenden. Sie musste Hyrie einfach überzeugen! Es konnte doch nicht sein, dass Hyrie tief in ihrem Inneren wusste, dass sie sich selbst belog und trotzdem auf diese Rache bestand. Es musste einfach nur ihren Verstand erreichen. „Er wird nicht kommen. Er liebt mich nicht, Hyrie", sagte Grace und spürte, wie sich bei den Worten nicht nur die Gewissheit verfestigte, dass dies die Wahrheit war, sondern wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Es stimmte tatsächlich! Er liebte sie einfach nicht und sie konnte deshalb nicht einmal wütend auf ihn sein. Er hatte niemals romantische Versprechungen gemacht. Er hatte sie niemals groß umworben und ihr geschmeichelt. Er hatte eben das genommen, was da war und wenn Grace ehrlich war, hatte sie sich förmlich an ihn geworfen.

Ein Schluchzen brach aus ihrer Brust hervor, doch sie riss sich zusammen. Jetzt war einfach nicht die Zeit, um sich selbst zu bemitleiden. „Er liebt mich nicht", wiederholte sie und war überrascht von der Heiserkeit ihrer Stimme. Brennend stiegen Tränen in ihre Augen, doch sie klammerte sich an ihrem Vorhaben fest, wieder frei zu sein, dass sie trotz des Schmerzes in ihrer Brust weitersprach: „Die Einzige, der du damit wehtust, bin ich. Alec liebt mich nicht, sonst wäre er schon zum Sonnenuntergang hergekommen. Das bricht mir das Herz und nicht ihm." Sie atmete rau ein, um ihre Gedanken zu sammeln. „Es wird ihm völlig egal sein, wenn ich sterbe, aber ich werde darunter leiden. Genau wie du jetzt leidest."

Hyrie antwortete nicht sofort. „Du leidest nicht wie ich. Deine Liebe lebt noch."

„Aber mich will er nicht. Dein Geliebter wollte dich und hat dich geliebt! Alec liebt mich nicht! Wem tust du denn gerade weh? Mir. Allein mir." Grace schnappte hoffnungsvoll nach Luft, als Hyries Griff leicht nachließ. „Er hat mir das Herz gebrochen. Wir stehen doch auf einer Seite", log sie und versuchte ihrer Stimme die nötige Bitterkeit zu verleihen. „Alec hat mich nur benutzt. Wenn du mich umbringst, schadest du ihm gar nicht. Nur einem weiteren Opfer von Alecs Machenschaften." Ihre Zunge füllte sich mit einem Mal belegt und ekelerregend an, während sie Lüge um Lüge auftischte. Nur um frei zu kommen. „Wir können zusammenarbeiten, Hyrie. Wir können ihn gemeinsam angreifen. Noch hält er mich für vertrauenswürdig und es würde ihn nicht wundern, wenn ich wieder bei ihm auftauche." Und das würde sie. Sobald sie frei wäre, würde sie zu ihm zurückkehren. Vielleicht liebte Alec sie ja nicht, aber sie liebte ihn. Und sie würde an seiner Seite bleiben, bis er sie wegschickte. „Ich kann ihm dein Gift einflößen. Ich kann ihn an einen Platz bringen, wo du ihn überwältigen kannst. Du bedrohst gerade eine gute Bündnispartnerin, Hyrie. Wir sollten uns einfach zusammentun!"

Hyrie ließ ihre Schulter los, doch ihre Finger legten sich nur einen Augenblick später um ihren Nacken, als eine Bewegung vor dem Eingang zu sehen war.

Plötzlich schlug Grace Herz bis zum Hals. Sie fühlte Alecs Nähe und wusste mit einem Mal mit absoluter Gewissheit, dass er nur ein paar Schritte entfernt von dieser Höhle war und sie suchte. Er rettete sie! Er rettete sie tatsächlich! Fassungslos versuchte sie in der Dunkelheit etwas zu erkennen, doch bis auf den schmalen Sandstreifen des Strandes sah sie niemanden. Aber er war da. Er war da, um sie zu retten, weil er sie liebte! So, wie sie ihn liebte!

All ihre Zweifel fielen mit einem Mal von ihr ab, als plötzlich Alecs riesige, bedrohliche Gestalt den Eingang zur Höhle ausfüllte. Trotzdem öffnete sie ihren Mund und sagte mit all der Überraschung, die sie empfand: „Du bist wirklich gekommen."

Alec starrte sie einen Moment fassungslos an, als sie ein seltsames Knacken in ihrem Genick fühlte. Hyrie hatte ihren Griff um ihren Nacken verstärkt und...

Ein dunkler Abgrund breitete sich vor ihr aus. Ansonsten gab es einfach nichts. Sie stand nicht wirklich auf dem Boden, aber trotzdem war dort diese Klippe. Eine Klippe, die sie lockte. Mit schmeichelnden, lautlosen Worten. Ihren Körper zog es dorthin, doch es war anders als in ihren Träumen. Sie wurde nicht gezwungen. Nicht einfach hingerissen. Es war einfach eine Option. Sie könnte gehen. Doch sie musste es nicht. Neugierde erfüllte sie plötzlich. Neugierde und dieses Gefühl von innerem Frieden. Von Glückseeligkeit. Von einem Hauch von Himmel. Sie betrachtete den Abhang, ohne ihn richtig zu sehen. Doch sie dachte nicht richtig nach über diese Option. Es war eher ein schönes, unfassbares, unbeschreibliches Gefühl, dass sie diesen letzten Schritt machen ließ... Diesen letzten Schritt über den dunklen Abgrund. Und sie versank im Nichts.

*

Er war um die Höhle herumgeschlichen. Über eine Stunde hatte er nach einer Möglichkeit gesucht, in die Höhle reinzukommen, ohne den offensichtlichen Eingang zu benutzen. Doch er konnte keine Stelle finden, an der der Boden so fest war, dass er ein Loch hineinsprengen konnte. Er hätte die ganze verdammte Höhle in die Luft gesprengt und damit Grace' Leben in Gefahr gebracht.

Er hatte Hyrie unerwartet treffen wollen. Am besten von hinten. Doch sie hatte diesen Ort mit Bedacht gewählt. Obwohl die Schmugglerhöhle nur eine von vielen war, war gerade diese Höhle so instabil, dass man keinen zweiten Eingang hineinsprengen konnte. Er musste also den Vordereingang benutzen und sich Hyrie präsentieren. Doch die Zeit schritt voran und er konnte einfach nicht sagen, was Hyrie gerade mit seinem geliebten Engel tat. Die Blutsverbindung zu ihr war zwar durch seine Nähe verstärkt worden, doch mehr konnte er nicht fühlen. Vielleicht lag es auch an dieser Metallplatte in ihrem Kopf, die alles abschirmte. Vielleicht war er einfach nicht in der Lage, ihre Gefühle zu lesen. Die Zeit verrann zwischen seinen Fingern und er konnte nichts tun, als herumzuschleichen und auf einen geeigneten Zeitpunkt zu warten. Gleichzeitig wuchs in ihm der Gedanke, dass Hyrie sie foltern könnte. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen. Seine Gedanken machten ihn verrückt. Den ganzen Tag war sie in Hyries Gewalt gewesen. Jedes weitere Zögern würde es nur schlimmer machen. Deshalb zog Alec lautlos seine Waffen und betrat die Höhle.

Sie beide standen direkt im Eingang. Kaum drei Meter vom Strand entfernt, hatte Hyrie seinen Engel wie ein Schutzschild vor die Brust gezogen und umfasste gerade ihren Nacken in einer bedrohlichen Geste. Doch das einzige, was Alec interessierte, war, dass Grace wohlauf war und nicht den ganzen Tag gefoltert wurde. Seine Brust hob sich zu einem erleichterten Atemzug, als sich all seine Ängste verpufften. Ihr ging es gut! Es war alles in Ordnung!

Ein erleichterter Schwindel ergriff ihn sofort, als er in ihre wunderschönen, blauen Augen sah und ihrem Blick begegnete. Ihr schlohweißes Haar hing ihr wild und lebendig ins Gesicht, während sich ihre Lippen wie in Zeitlupe langsam öffneten. Ihre Füße und Handgelenke waren gefesselt worden, doch ihr schmaler Rücken war stolz durchgedrückt. Seltsamerweise trug sie bis auf das Shirt nichts weiter. Weshalb hatte Hyrie sie ausgezogen, wenn sie nicht vorgehabt hatte, sie zu foltern?

Sein Blick zuckte zu Hyrie, die sich ebenfalls unfassbar langsam bewegte. In seinem Körper rauschten immer noch Adrenalin und Gewaltlust, deshalb nahm er all die Informationen innerhalb von einem Augenblick auf. Grace' überraschten Gesichtsausdruck. Hyries langsam ausbreitendes, triumphierendes Lächeln. Das unwillkürliche Zucken von Grace Händen, um ihn zu berühren.

„Du bist wirklich gekommen", sagte seine Liebe plötzlich. Doch es war diese fassungslose Überraschung in ihrer Stimme, die ihm in diesem Moment das Herz brach. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er kam. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er alles tun würde, um sie zu retten. Sie hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie sehr er sie von seinem ganzen Herzen und von seiner ganzen schwarzen Seele liebte. Sie war sein Leben. Sein Licht. Sein Engel. Wie konnte sie das nicht wissen? Hatte er es ihr denn nicht gezeigt? Nicht in tausend kleinen Berührungen und mit jedem Lächeln gezeigt? Er hatte es, aber in diesem Moment wurde ihm schneidend klar, dass er es ihr niemals gesagt hatte. Nicht einmal. Nie.

Er öffnete den Mund, doch bevor er antworten konnte, hörte er mit einer seltsam entrückten Fassungslosigkeit, wie sich Hyries Finger um ihr Genick schlossen. Und zudrückten.

Ihre Halswirbel gaben nach, wie ein Streichholz. Für einen Moment verkrampfte sich ihr Körper und sackte dann in sich zusammen. Nur noch gehalten von Hyries Hand.

Deshalb sah Alec mit brennender Klarheit den Moment, als in ihren strahlend blauen Augen das Leben verlöschte. Als hätte man hinter einem Schirm eine Kerze ausgeblasen. Das Leuchten verschwand, als sei es nie da gewesen und der Geruch von Tod füllte all seine Sinne. Das Band, das sie verbunden hatte, dieses Echo an Leben und Liebe zerschnitt. Und dann war sie nicht mehr da.

Alecs Augen blieben an ihr haften, als Hyrie sie schließlich losließ. Grace' Körper sackte zu Boden und schlug leblos mit dem Gesicht in den Sand. Ihre Glieder fielen schlaff neben ihren Körper und blieben genau so liegen, wie sie auftrafen. Keine Regung. Nichts.

Paralysiert und seltsam losgelöst von seinem Körper trat Alec einen Schritt in die Höhle. Nur im Augenwinkel sah er Hyrie, die nach einem Messer an ihrem Gürtel griff und es sich an die Brust setzte.

„Du hast mir meine Liebe genommen und ich habe mich gerächt", rief sie, als hätte sie einen Zuhörer. „Aber du wirst deine Rache niemals bekommen!" Damit stach sie sich das Messer ins Herz.

Alec registrierte das kaum. Er sah zwar, wie sie nach hinten fiel und sich nur Augenblicke später in Staub zersetzte, doch das spielte keine Rolle für ihn. Taub setzte er einen weiteren Schritt in die Höhle hinein. Auf seinen Engel zu, der einfach so dalag. Ohne Puls. Ohne Herzschlag. Ohne Leben. Direkt vor Grace gaben seine Knie nach. Schmerzhaft bohrten sich einige Muscheln und Steine in seine Knie, doch selbst das wollte diese seltsame Starre in ihm nicht lösen. Für einen Moment blieb er so sitzen. Die Arme schlaff neben seinem Körper. Er wollte sie nicht anfassen. Wollte nicht fühlen, was seine Augen ihm bereits sagten. Er wollte keine Gewissheit, doch er konnte sie auch nicht so liegen lassen. Rau nach Luft schnappend beugte er sich leicht vor und griff nach seinem Engel. Vorsichtig legten sich seine Finger um ihre Schultern und zogen sie zu ihm heran.

„Gracie?" Ihr Körper hing schlaff in seinem Griff, doch vorsichtig drehte er sie herum und legte ihre Knie auf seinen Unterarm. Sanft stützte er ihr lebloses Gesicht. Ihre Augen waren noch geöffnet, doch sie blickten durch ihn hindurch. Als sei sie für immer woanders. Irgendwo, wohin er ihr als Vampir ohne Seele niemals folgen könnte. In den Himmel.

Seine Knie trugen sein Gewicht kaum, als er sich hochstemmte und aus der Höhle lief. Am Strandaufgang blieb er schließlich ratlos stehen. Wo sollte er schon hingehen? Wer konnte ihm schon helfen?

Taubheit ergriff ihn und unsanft fiel er erneut auf seine Knie. Grace Kopf rollte ihm entgegen. Leblos. Tot. Er fasste nach ihr, drehte sie leicht, bis sie in seinem Schoß saß. Dann bette er ihren Kopf an seiner Schulter und strich ihr das weißblonde Haar aus dem Gesicht. Sand hatte sich an ihren Wimpern, ihren Augenbrauen und der Oberlippe verfangen. Mit leichten, zarten Berührungen wischte er ihn weg und sah zu, wie er von ihren weichen Wangen perlte.

„Grace?", fragte er wieder rau, doch sie antwortete nicht. Würde es nie wieder tun. Trotzdem biss er in sein Handgelenk, bis das Blut anfing zu fließen und legte die Wunde an ihren Mund. Seine Hände zitterten, doch er schaffte es, die blutende Wunde an ihren schlaffen Lippen zu halten. Die ersten Tropfen bedeckten die samtweiche Haut, die er so liebte zu küssen und die ihn auf unfassbare Weise verwöhnt hatten. Sein Blut färbte einen scharfen Kontrast zu ihrer blassen Haut und floss langsam zwischen ihre Lippen. „Schluck, Engel. Versuch es einfach", flüsterte er mit gebrochener Stimme und öffnete sein Handgelenk erneut.

Bitte.

Ihr Mund füllte sich, bis das Blut nutzlos aus ihrem Mundwinkel tröpfelte. Er wischte die Tropfen auf und strich sie sanft an ihren Lippen ab. „Kämpfe, Grace", wisperte er und legte seine Finger an ihre Kehle. Mit sanfter Massage am Hals zwang er sie zu schlucken. „Bitte, Gracie."

Er biss wieder in sein Handgelenk, führte es an ihren Mund, ließ das Blut in ihren leblosen Mund fließen, zwang sie durch Massage zum Schlucken. „Schluck, Liebling", bat er heiser. „Du musst trinken. Dann wird alles wieder gut."

Bitte.

Er massierte ihre Kehle, brachte ihren Hals dazu die Flüssigkeit zu transportieren, während ihre Augen den letzten Glanz verloren und dumpf wurden. Er ließ sie erneut trinken. Zwang sein Blut in ihren Körper. Spürte für einen winzigen, schwindelerregenden Moment, wie sich eine Verbindung zweier Blutlinien aufbaute und dann verlosch. „Du musst doch kämpfen, Süße", wisperte er verzweifelt, doch ihre Augen blieben stumpf. Leblos. "Du hast doch immer gekämpft."

Er ertrug den Blick nicht mehr und schloss mit zitternden Fingern ihre Augen. Dann flößte er ihr wieder Blut ein.

Gleich. Jeden Moment, sagte er sich immer wieder. Gleich würde sie die Augen aufschlagen und fragen, ob er wieder vorhätte, ihr die Mahlzeit wegzuessen. Sie würde die Füße in den Boden stemmen, dass Haar zurückwerfen und darauf bestehen, dass alles nach ihrer bezaubernden Nase lief. Ihr hübsches Gesicht würde sich von Zeit zu Zeit verziehen, doch sie würde versuchen zu vertuschen, dass wieder mal ein Flashback kam. Sie würde nicht weinen oder einen Nervenzusammenbruch erleiden, weil ihr so viel in ihrem Leben angetan wurde. Obwohl sie jedes verdammte Recht auf Erden dazu hatte. Weil sie Visionen hatte, die doch nichts ändern konnten. Weil Morgana sie gefoltert und ihr Leben zerstört hatte. Weil sie in einen Bunker zum Sterben geworfen wurde. Weil er sie im ersten Moment auch nur umbringen und ausbluten lassen wollte. Weil er sie mitgenommen hatte, als sie zu schwach war, sich zu wehren. Weil er nicht darauf geachtet hatte, ob sie in Sicherheit war. Weil Hyrie sie entführt hatte und er zu spät kam. Nein, sie würde nicht weinen.