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Freund oder Feind?

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"Ich soll dir zeigen die Station?" fragte sie.

Bei Stefan läuteten alle Alarmglocken. Offenbar war das eine der Frauen, vor denen Sermo ihn gewarnt hatte.

"Vielen Dank. Aber nein, ich habe noch einige Formalitäten zu erledigen," log er.

"Schade."

Sie standen beide auf und nahmen ihre Tabletts. Durch die Bewegung erreichte ihn ein Lufthauch von ihrer Seite, und ihn traf es wie ein Schlag. Einen derart betörend weiblichen Duft hatte er noch nie erlebt. Er erstarrte, sein Mund blieb offen und er atmete stoßweise ein, wie um noch mehr von diesem Aroma zu inhalieren.

Mit einem mal war es vorbei. Sie war gegangen und ihr Geruch hatte sich verzogen. Er brachte sein Tablett weg und verließ die Kantine.

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Er schlenderte durch das Städtchen. Sehenswürdigkeiten gab es keine, lokale Produkte, die sich als Mitbringsel für Sermo, mit der er nach dem Essen über Funk gesprochen hatte, geeignet hätten, ebensowenig.

Er dachte an Sasa. Vielleicht hatte er sich in seiner vorschnellen Beurteilung geirrt? Sie hatte ihm beim Frühstück Gesellschaft geleistet, und angeboten, ihm den Raumhafen zu zeigen. War daran etwas Verwerfliches? Dann war da natürlich ihr enges Top, welches nicht gerade seriös aussah. Andererseits hatte er, wie er sich eingestehen musste, überhaupt keine Ahnung, was bei Sasa bzw. ihre Spezies üblich war zu tragen.

Er ließ das Mittagessen aus, machte einen ausführlichen Mittagsschlaf, und ging am späten Nachmittag wieder in die Kantine. Es war ziemlich leer. Sasa saß dort. Nein, es war nicht seine Sasa, sondern eine andere, ebenfalls großbrüstig und mit rüsselförmigem Mund. Weiter hinten noch eine. Außerdem zwei Männer in ölverschmierten blauen Overalls. Stefan holte sich ein Tablett und stellte sich an die Ausgabe, als die Tür gegenüber sich öffnete. Diesmal war es Sasa. Er überlegte noch, ob sie ihn abgepasst hatte, oder ob es Zufall gewesen war, da war sie auch schon bei ihm.

"Hallo! Stefan!" sagte sie in einer hohen Fistelstimme. Sie nahm sich ein Tablett und stellte sich dicht hinter ihn. Instinktiv sog er ihren Duft ein, welcher aber nicht dieselbe starke Wirkung auf ihn hatte, wie heute morgen, wo er ganz unvorbereitet darauf gewesen war.

"Hi!" sagte er.

"Wie dein Tag war?"

Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als es einen dumpfen Knall gab, wie von einer entfernten Explosion. Dann erzitterten die Wände. Die Schüsseln auf der Ausgabe klapperten, einige fielen herunter, einige der Fenster klirrten, und Scherben rieselten auf den Boden. Die beiden Techniker in blauem Overall sprangen zur Seite, als eine Deckenplatte auf ihren Tisch fiel. Die Beleuchtung fiel aus, der Raum wurde nur noch von der schräg einfallenden Strahlen der roten Sonne, die wie eine riesige Feuerkugel vor den Fenstern hing, beleuchtet. Sie ließen Stefan und Sasa in einem tiefen Schlagschatten stehen. Weit entfernt gingen Sirenen los. Dann dröhnte es auch in diesem Gebäude. Die Türen wurden aufgerissen. Zwei schwarz uniformierte Sicherheitsleute, ein Mann und eine Frau sprangen in den Raum, Maschinenpistolen im Anschlag. Ohne Vorwarnung feuerten sie auf die Alien-Frau, die sich gerade von ihrem Tisch erhoben hatte. Sie brach in sich zusammen. Die andere war aufgesprungen und losgelaufen, dann wurde auch sie von der zweiten Salve in den Rücken getroffen.

Stefan wusste nicht, was hier los war, aber eines wusste er: Dass unbewaffnete intelligente Wesen nicht einfach so erschossen werden sollten. Nicht ohne Vorwarnung, nicht ohne Anruf. Instinktiv stellte er sich vor Sasa und richtete sich auf, um sie zu beschützen. Sie verstand sofort, machte sich dünn. Ihre Haut verdunkelte sich mit einem Schlag und sie wurde in seinem Schatten fast unsichtbar. Die beiden Sicherheitsleute kamen in den Raum und blickten sich um. Es dauerte eine halbe Minute, bis sie Sasa erspäht hatten. Sie hoben ihre Waffen, aber sie konnten sie nicht erschießen. Denn sie hätten vorher Stefan erschießen müssen. Man konnte in ihren Gesichtern ihre Unsicherheit erkennen. Sie zögerten. Zögerten eine Sekunde zu lang.

Die Tür wurde abermals aufgestoßen. Fünf oder sechs dunkelgraue Sasa erschienen, im Schatten des Eingangs fast nicht zu erkennen. Die an der Spitze riss ein hufeisenförmiges Ding hoch, zwei Blitze durchzuckten den Raum, welche Stefan blendeten. Weitere Blitze folgten. Als er wieder sehen konnte, lagen die beiden Sicherheitsleute tot auf dem Boden. Die beiden Techniker in ihren nun schwarz verußten Overalls ebenso. Die Sasa stand nun vor ihm und ihre Waffe war auf seine Stirn gerichtet. Zwischen ihnen stand Sasa und gab zischende und surrende Geräusche von sich. Sie bebte am ganzen Körper. Die anderen Sasa antworteten mit ebensolchen Geräuschen.

"Du hast ihr Leben gerettet," sagte die Anführerin schließlich zu ihm, und senkte etwas ihre Waffe. "Deswegen verschone ich dich." Sie sprach die gemeinsame Sprache fast akzentfrei, mit einem weichen, fast erotischen Unterton, der überhaupt nicht zu dem gesagten passte. "Aber ich muss dich mitnehmen. Du bist Pilot?"

Stefan antwortete nicht.

"Kannst du einen Hopper fliegen?"

Er schwieg. Die Pupillen der Anführerin verengten sich zu schmalen senkrechten Schlitzen, wie bei einer Schlange. Langsam nahm sie die Waffe hoch. Sasa zischte und pfiff aufgeregt.

"Also gut," sagte die Anführerin schließlich. "Aber wenn dir dein Leben lieb ist, dann lauf." Sie stieß ihn vorwärts. Er lief, vor ihm Sasa, hinter ihm Sasa.

"Ich habe gesagt ihr, du kannst fliegen Hopper. Du kannst doch? Oder? Ich werde beschützen dich," sagte seine Sasa. "Ich verspreche das. Ich schulde Dank dir."

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Einige aus der Gruppe kannten sich im Gebäude offenbar sehr gut aus. Aber zu Stefans Verwunderung versuchten sie nicht, dieses zu verlassen und zum Flugfeld zu kommen. Statt dessen stiegen sie über Seitentreppen immer höher hinauf. Hin und wieder hörten sie aus anderen Gebäudeteilen Schüsse. Zweimal trafen sie auf weitere bewaffnete Sasa-Gruppen, die sich mit ihnen vereinigten.

Nach einem Lauf von vielleicht einer Viertel Stunde erreichten sie das Dach des Hafengebäudes, und nun wurde Stefan klar, warum sie die ganze Zeit nach oben gelaufen waren: Dort gab es einen Landeplatz für Hopper, Transportfahrzeuge für planetare Kurzstreckenflüge. Vielleicht 50 Sasa waren dort, einige mit Waffen, andere offenbar verängstigt und mit angespanntem Gesichtsausdruck. Die Transportluke eines Hoppers stand offen und die Sasas waren dabei, den Hopper zu besteigen.

"Du fliegst," sagte die Anführerin zu ihm. "Unsere beiden Pilotinnen sind tot. Los!" Sie drückte ihm die Spitzen ihrer Waffe in den Rücken. "Danach werde ich dich freilassen. Das habe ich Sasa versprochen."

Stefan kletterte in das Cockpit, die Anführerin hinter ihm. Die Steuerung des Hoppers war im Grunde genommen nicht viel anders als die eines kleinen Raumschiffs. Der spezielle Typ war Stefan zwar unbekannt, aber ein kurzer Blick genügte ihm, um sich zu orientieren. Er startete die Vorheizsequenz des Antriebs und schaltete die Außenmonitore ein. Es dauerte eine Minute, dann war der Antrieb bereit und die letzten Sasas im Laderaum verschwunden. Er schloss die Luke, fuhr den Antrieb auf volle Leistung und zog die Maschine hoch. Er fühlte sich nun etwas sicherer. Hier war er in seinem Element.

"Wohin soll's denn gehen?" fragte er.

"Nach Süden, zu den Canyons."

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In einem Büro im ersten Stock des Hafengebäudes saßen zwei schwarz uniformierte Männer mit zahlreichen silbrig glänzenden Streifen auf der Brust vor einem Schreibtisch, einer mit einem fleischigen Kahlkopf, einer mit einer blond gefärbten Mecki-Frisur. Ihnen gegenüber Doktor Krettol und ein schlaksiger Mann, der vielleicht Ende 40 sein mochte, und mit seiner dicken Brille und dem penibel rasierten Gesicht wie ein Beamter aussah.

"Sie haben zunächst das Tor des Gefängnisses gesprengt und die Gefangenen befreit," erläuterte Mecki. "Bis unsere Leute da waren, waren sie schon wieder weg. Sämtliche Ausfallstraßen der Stadt waren abgeriegelt. Aber wir wissen jetzt, dass sie gar nicht geplant hatten, die Stadt über die Straßen zu verlassen und sich in den Felsen zu verstecken. Sie haben sich den Weg durch das Hafengebäude freigeschossen, auch noch unsere dortigen Arbeiterinnen mitgenommen, und sind dann mit einem Hopper geflohen. Zwei unserer Jäger werden gerade startklar gemacht. In zehn Minuten werden sie den Hopper eingeholt haben. Aber wir haben ein Problem."

"Ja?" fragte Dr. Krettol.

Die beiden schwarzen Männer sahen sich an. "Es ist ein Mensch bei ihnen." sagte schließlich der Kahlkopf. "Ousterhout."

"Der Frachterkapitän," ließ sich Dr. Krettol vernehmen. "Hmmm. Sah eigentlich ganz harmlos aus. Steckt er mit ihnen unter einer Decke?"

"Das ist unklar. Unsere Sicherheitskameras haben klar aufgezeichnet, dass er einer der Sasa geholfen hat. Aber auch, dass er mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde, mit ihnen zu gehen und den Hopper zu fliegen."

"Er fliegt den Hopper?"

"Vermutlich... Vielleicht haben wir ihre Pilotinnen erwischt."

"Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche..." ließ sich der hagere Mann mit Brille vernehmen. Er hatte eine angenehm weiche Stimme. "Ob er freiwillig mitgegangen ist, oder gezwungen wurde, ist für uns völlig irrelevant. Wichtig für uns ist nur eines: Weiß er Bescheid, oder weiß er nicht Bescheid?"

"Könnte sein, vielleicht aber auch nicht," knurrte Mecki. "Er hat sich längere Zeit mit einer Sasa unterhalten. Vielleicht hat sie was gesagt. Vielleicht hat sie aber auch nur versucht, Geld zu verdienen."

"Ganz klar das zweite," sagte der Kahlkopf. "So gehen sie bei Außenweltlern immer vor: Erst Vertrauen aufbauen, dann geil machen, dann bis auf den letzten Cent schröpfen."

"Solange wir nicht sicher sind, dass er nichts weiß," sagte der Mann mit der Brille nüchtern, "bleibt uns nur eine Möglichkeit: Er muss verschwinden."

Dr. Krettol nickte zustimmend.

"Benutzen sie bei den Sasa konventionelle Waffen und schaffen sie die Kadaver umgehend her." fuhr der Mann mit Brille fort. "Bei Ousterhout eine Plasmakanone. Dann bleibt nicht mehr übrig, was man untersuchen könnte."

Die beiden schwarzen Männer nickten. "Ich werde sofort entsprechende Befehle an unsere Jäger erteilen." sagte der Kahlkopf.

"Die Sasa sind egal," fügte Dr. Krettol hinzu, "Wenn welche entkommen, lassen sie sie. Ousterhout hat Top-Priorität. Er darf auf keinen Fall überleben."

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"Wir werden verfolgt," sagte Stefan und zeigte auf die zwei Punkte auf dem Radarschirm, die sich von hinten schnell den Hopper näherten.

"Ich seh's auch." Die Sasa hatte inzwischen ihre Waffe nicht mehr auf ihn gerichtet, sondern einer Mitstreiterin gegeben. "Sie werden versuchen uns auf dem Boden anzugreifen, nicht in der Luft."

Stefan schaute sie fragend an.

"Sie wollen unsere Leichen," erläuterte die Sasa. "Steuern Sie die Landzunge dort vorn an. Landen Sie mit dem Heck zur Klippe, dort drüben, auf der anderen Seite des Canyons. Möglichst nah an der Kante!"

In diesem Moment erschien auf dem Radar ein weiterer kleiner Punkt, der sich mit rasanter Geschwindigkeit dem Hopper näherte.

"Ich kann nur hoffen," sagte Stefan, "dass die Rakete nicht selbstlenkend ist." Er ging auf vollen Gegenschub, die Spanten krachten und sie wurden nach vorne geworfen. Der Hopper trudelte dem Erdboden entgegen. Mit lautem Kreischen schoss die Rakete über ihnen hinweg, eine Rauchspur hinter sich herziehend. Stefan gelang es, den Flug kurz über dem Erdboden wieder zu stabilisieren. Einen halben Kilometer vor ihnen tauchte das Geschoss in die gewaltige Schlucht, die sich nicht weit vor ihnen auftat. Einige Sekunden später stiegen Feuer und Rauch von dort auf.

"Verdammt! Was ist bloß in die gefahren?" sagte die Sasa. Dann schaute sie Stefan an und ihre Pupillen erweiterten sich aufgrund einer plötzlichen Erkenntnis. "Sie! Sie sind es! Es ist wegen Ihnen!" rief sie. "Landen Sie! Landen Sie sofort!"

Stefan drückte das Höhenruder runter. Hart setzte der Hopper auf dem Fels auf, riss im Rutschen eine tiefe, fast hundert Meter lange Spur in den Geröllboden. Nur wenige Meter vor dem Abgrund der Schlucht kam das Gefährt zum Stehen. Die Sasa hatte bereits die Hydraulik für die Öffnung der Ladungsluke betätigt. Alle versuchten zu fliehen, bevor die nächste Rakete den Hopper treffen würde. Auch Stefan sprang aus dem Cockpit und rannte weg, bis zum Abgrund. Die Jäger waren jetzt bei ihnen, schwerbewaffnete Flieger mit Strahltriebwerken, die wie riesige Hornissen über ihnen in der Luft schwebten. Er hörte das Feuer von Maschinengewehren. Einige der Sasa fielen und blieben liegen. Die anderen rannten weiter und sprangen ohne zu Zögern über die Klippe. 200 Meter ging es dort senkrecht hinab. Es war Selbstmord. Keine von ihnen würde das überleben. Wie verzweifelt sie sein mussten...

Er blieb stehen. Er zumindest war gerettet.

Da sah er, dass eine Sasa auf ihn zurannte. Sie hatte etwas in der Hand. Eine Waffe? Es war "seine" Sasa, diejenige, die er in der Kantine gerettet hatte, diejenige, die ihn in der Kantine gerettet hatte. Vor ihr stoben Steinchen auf, von Maschinengewehrfeuer zersiebt. Sie rannte weiter. Auf ihn zu.

Er sah zu den Jägern. Die schweren Plasmakanonen, die an den Seiten ihres Rumpfes befestigt waren, drehten sich langsam. Er schaute ihnen direkt in die Mündung. Da verstand er: Sie wurden auf ihn ausgerichtet!

"Spriiiing!" schrie Sasa.

Da sprang er. Über die Klippe. In den Abgrund. Gleichzeitig gab es ein ohrenbetäubendes Donnern, Feuer und Hitze und Schmerz umfing ihn...

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"Ist er ganz sicher tot?" fragte der Mann mit der Brille.

"Hundertprozentig," sagte der Kahlkopf. "Zuerst waren meine Leute nicht sicher, ob er nicht vorher gesprungen war. Sie haben deshalb die ganze Gegend mit Drohnen abgesucht. Wenn er gesprungen wäre, hätte er da unten irgendwo liegen müssen. 230 Meter geht's da runter. Aber da war nichts."

"Haben Sie die Höhlen abgesucht?"

"Wie sollte er in die Höhlen gekommen sein, nach so einem Sturz? Aber ja, wir haben auch dort gesucht. Keine Spur. Auch flussabwärts. Nichts! Nein, die Kanone hat ihn erwischt und das Plasma hat ihn aufgelöst. Da gibt es keinen Zweifel."

"Gut gemacht," sagte Doktor Krettol und fingerte an ihrer Rubin-Kette. "Wir müssen jetzt seine Kollegin informieren. Die Copilotin Sermo Kadawi. Ich werde das übernehmen."

"Was ist mit den beiden Containern voll SEL? Unser Kunde erwartet die Lieferung."

"Ich sehe da kein Problem," ließ sich der Mann mit Brille vernehmen. "Rein rechtlich übernimmt Frau Kadawi die Geschäfte des Frachters, nachdem ihr Vorgesetzter gestorben ist. Und Vertrag ist Vertrag. Sie muss ihn erfüllen."

"Du bist herzlos," sagte Doktor Krettol. "Wir könnten ihr zumindest ein oder zwei zusätzliche Tage geben. Das wäre nach diesen Geschehnissen nur menschlich."

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Ein Tag später saß Sermo im Büro der Hafenmeisterin. Sie war mit einer Ein-Mann-Kapsel auf dem Planeten gelandet, während die "Gute Hoffnung" auf Autopilot im Orbit blieb, was immer noch sicherer war, als den Frachter auf einem vielbesuchten Raumhafen stehen zu lassen. Die Sekretärin hatte ihr einen heißen Tee gebracht, der sie beruhigen sollte. Aber Sermo war ruhig. Noch nie war sie ruhiger gewesen. Der Tod Stefans hätte sie schockieren sollen. Statt dessen fühlte sie - gar nichts. Der Tod des Mannes, den sie aufrichtig geliebt hatte, mit dem sie die letzten zwei Jahre ihres Leben geteilt hatte, ließ sie kalt. Erschreckt war sie nur darüber, was für ein Unmensch sie war, dass sie so reagierte.

"Was ist das für eine Truppe, die ihn entführt hat?" wollte sie wissen.

"Lokale Bevölkerung," antwortete Doktor Krettol. "Die hiesige Spezies, wir nennen sie Sasa. Es gibt leider einige radikale Gruppen, die mit Gewalt gegen die Anwesenheit von Menschen auf ihrem Planeten kämpfen. Sie verüben hin und wieder Sprengstoffanschläge oder treiben Sabotage. Ihr Kollege hat einfach Pech gehabt, genau in eine ihrer Aktionen geraten zu sein. Wenn sie wollen, kann ich ihnen die letzten Aufnahmen, die wir von ihm haben, zeigen."

Sermo nickte.

Doktor Krettol dreht einen flachen Bildschirm in Sermos Richtung. Sie tippte einige Tasten einer unter ihrem Tisch verborgenen Tastatur. Sermo sah einen großen Raum, offenbar eine Art Kantine. Stefan stand neben der Ausgabe. Ein seltsames kleines Wesen, das wegen der schlechten Qualität dieser offensichtlichen Aufnahme einer Sicherheitskamera nicht genau zu erkennen war, hielt ihm eine Waffe an den Kopf. Sie schrie etwas, was Sermo nicht verstand. Stefan zog etwas den Kopf ein und legte ihn nach rechts. Sermo wusste, dass er das immer dann machte, wenn er Angst hatte. Dann liefen sie los. Der Bildschirm wurde schwarz.

"Wollen Sie sehen, wie er gestorben ist?" fragte Doktor Krettol. "Sie müssen natürlich nicht. Ich kann das verstehen."

"Doch. Ich will es sehen!" antwortete Sermo mit fester Stimme.

Die Szenerie auf dem Bildschirm wechselte. Das Bild war offenbar von einem Flieger aus aufgenommen, welcher vielleicht zehn Meter über dem Boden schwebte. Man sah Gestein, welches rot in der Sonne leuchtete, und dahinter einen unermesslich wirkenden Abgrund. Schüsse waren zu hören. Da stand Stefan, alleine gelassen vor der Dunkelheit des Abgrunds. Eines der abscheulichen Wesen rannte auf ihn zu. Sie hatte etwas in der Hand, was wie eine großkalibrige Waffe aussah. Sie schrie. Es klang etwa wie "Shriiiiii". Ein Schrei voller Hass und Abscheu. Dann drückte sie ab und Stefan verschwand in einer Feuerkugel. Die Kamera war für einen Moment überbelichtet. Als das Bild wieder da war, glühte das Gestein an der Stelle, an der Stefan gestanden hatte, röter noch als der Rest. Dahinter dräute der schwarze Grund.

Sermo drückte einige Tränen aus den Augen. Wie alle Frauen hatte sie die Fähigkeit, bei Bedarf zu weinen. Unwille gegen diese Frau mit dem protzigen Schmuck, die ihr gegenüber saß, keimte in ihr auf. Wieso zeigte man ihr ein manipuliertes Video vom Tod ihres... ja was, eigentlich? Partners? Freundes? Mannes? Wenn man sie schon anlog, hielt sie es vorerst für besser, nicht zu zeigen, dass sie die Lügen durchschaute. Dann plötzlich kam ihr die Erkenntnis, dass Stefan vielleicht noch lebte. Vielleicht. Es war, als hätte man einen Schalter bei ihr umgelegt. Sie spürte, wie das Blut ihr in die Wangen schoss und wie sie anfing, heftiger zu atmen.

"Wenn Sie wollen", sagte die ältere Frau, die ihre Reaktion offenbar falsch interpretierte, "können Sie noch einige Tage hierbleiben, um die ganze Sache etwas zu verdauen. Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir Ihnen sein Quartier zuweisen? Dort befinden sich auch noch seine persönlichen Sachen."

"Nein," schniefte Sermo theatralisch, "das wäre nett."

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Sie wusste, dass sie in Stefans Quartier nicht viel finden würde. Dass er nicht einmal seinen Koffer ausgepackt haben würde. Aber das war egal. Auch dass das Quartier hässlich war, war egal.

Sermo war mit einem viel drängenderen Problem beschäftigt: Das Video vom Tod Stefans hatte eine Framerate von 200 Bildern pro Sekunde gehabt. Davon waren 7 Frames manipuliert worden. Der Feuerstoß, der von der Waffe der seltsamen Alien-Frau ausgestoßen wurde, passte in Textur und in Spektralzusammensetzung nicht zum Rest. Er war offensichtlich später eingearbeitet worden. In Wahrheit kam der Feuerstoß aus einer Position, die sich vielleicht einige Meter unter der aufnehmenden Kamera befunden haben mochte. In ihrem Geist sah sie die einzelnen Frames immer und immer wieder. Sie hatte zwar bei Gelegenheit schon gemerkt, dass sie schneller reagieren konnte, als Stefan, aber kein menschliches Auge konnte Details im Bereich von 5 Millisekunden auflösen. Kein menschliches Auge konnte Spektralanalysen und Cosinus-Transformationen von Farbmischungen durchführen.

Kein Mensch reagierte auf den Tod eines Angehörigen mit Gleichgültigkeit.

Sie ging ins Badezimmer. Stefans Sachen lagen noch auf der Ablage unter dem Spiegel. Sie spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und blickte in den Spiegel. Aber was sie sah, war keine Frau mit sorgsam hochgestecktem braunen Haar, mit ausdrucksvollen Augen und einem sinnlichen Mund. Sie sah ein Monster.