Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Julia

ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

Sie kicherte leise.

„Nein. Ich bin nur für One-Night-Stands nicht zu haben. Damit wir gleich mit offenen Karten spielen."

„Es muss ja nicht auf eine Nacht beschränkt bleiben", parierte ich gelassen. Plötzlich wurde ich seelenruhig. Plötzlich wurde mir klar, worauf das hinauslaufen würde. Plötzlich drang ein Schimmer einer gemeinsamen Zukunft in mein Bewusstsein.

Mehr als ein Wunsch oder eine Hoffnung. Eine Gewissheit, als wir uns tief in die Augen sahen. Ihr eben noch spöttisches Lächeln verschwand. Eine ungewisse Trauer huschte über ihr schönes Gesicht. Kurz nur, dann lachte sie wieder fröhlich.

„Ja, sicher. Ich bin der Hauptgewinn, weißt du? Die Frau, die niemals da ist. Selbst in den wenigen Monaten, die ich hier in Berlin bin, verbringe ich die meiste Zeit auf dem Rad. Beziehungen sind eines der Opfer, die ich für meinen Sport bringe."

„Weil du niemanden gefunden hast, der dich so nimmt, wie du bist?", setzte ich nach.

Sie seufzte theatralisch.

„Kannst du den Heiratsantrag vielleicht noch etwas zurückstellen, und stattdessen die Paprika waschen und schneiden? Steigst du übrigens auf alle Frauen so ein? Ist das deine Masche? Lass mich raten, du bist eher selten allein?"

Sauber abgeschossen.

„Ich? Ich lebe momentan wie eine Nonne", antwortete ich gedehnt. „Allerdings... war das nicht immer so."

„Interessant. Okay. Lass hören. Vor allem die Episode von der Lesbe mit Schwanz interessiert mich. Du machst mich neugierig. Wirklich neugierig. Auch wenn ich nicht genau weiß, warum."

„Oh doch. Das weißt du ganz genau."

Da war sie wieder, die Gewissheit. So, wie sie mich dann ansah, wurde klar, dass nicht nur ich so empfand. Zum ersten Mal strich ich ihr kurz und scheu über ihre Hand. Sie schloss für einen Moment die Augen, knuffte mich dann mit ihrem Ellenbogen in die Seite und wiederholte ihre Aufforderung.

„Also los. Lass hören. Und vergiss das Schneiden nicht."

Wir redeten, nur kurzzeitig durch andere Gäste und die Hausherren unterbrochen, bestimmt drei Stunden in der Küche miteinander. Tanzten dann noch zwei, drei Stunden ausgelassen mit den anderen zum Teil reichlich angeschossenen Partygästen eng miteinander, ohne wirklich Tuchfühlung aufzunehmen.

Aber die Nähe, ihre Nähe hatte etwas, was mich selig machte. Was mich befreite, öffnete, eine Euphorie erzeugte, die keine Droge der Welt generieren könnte.

„Noch ein alkoholfreies?", bot ich erneut meine Wasserträger-Dienste an.

Sie seufzte.

„Nein, eigentlich wollte ich schon vor einer Stunde zu Hause im Bettchen liegen. Ich muss langsam wirklich los."

Wie schwer ihr das fiel, war ihr deutlich anzusehen. Rational verstand ich natürlich, warum sie sich verabschieden musste. Aber Rationalität war in diesen Momenten nicht mein dominanter Zug. Ich drückte sie fest an mich, zum ersten Mal an diesem Abend.

„Nein. Ich lass dich nie mehr los."

Sie ließ es geschehen, erwiderte meine Umarmung eine Weile, bevor sie sich spürbar versteifte.

„Sorry, Janine. Aber ich muss wirklich. Ich habe dich gewarnt. Es kann nur in Quälerei enden."

„Wenn du so schnell ins Bettchen musst, meins ist nur zwei Etagen tiefer. Vorschlag zur Güte."

Sie lachte leise.

„Ja, das könnte dir so passen. Nicht so. Ich kann das nicht. Aber... ich bin noch drei Tage in Berlin, bevor ich nach Drenthe muss. Ich würde dich gerne wiedersehen. Wirklich gerne wiedersehen."

„Das macht dann schon zwei. Ich habe mein Handy gar nicht dabei, verflucht, ich kenne meine neue Nummer nicht auswendig... aber Sammy kann sie dir doch sicher geben. Oder soll ich dich anrufen... oder kommst du einfach vorbei? Du weißt ja, wo ich wohne."

Sie überlegte eine Weile, löste sich dann aus meiner Umarmung.

„Warte einen Moment, ich rede mal kurz mit Sammy und Jens."

Die beiden hatten sich kurz zuvor aus dem Tanzgewühl zurückgezogen und saßen kuschelnd und zufrieden auf ihrem großen Sofa. Beide sichtlich gedopt. Es war mir nicht entgangen, dass sie oft zu uns herübergeschaut und gefeixt hatten. So wurde ihr Grinsen gleich breiter, als sich Julia zu ihnen setzte und rasch mit ihnen redete.

Offenbar wurde nicht nur schnell ein Ergebnis erzielt, sondern zugleich Abschied genommen, denn sie umarmte und küsste beide, wie auch einen danebensitzenden Bekannten. Steuerte triumphierend lächelnd auf mich zu.

„Okay, du hast morgen doch bestimmt frei? Prima, Frühstück um zwei bei den beiden hier? Vorher kommen die auf keinen Fall aus dem Bett und ich hätte dann drei Stunden vor meiner Trainingseinheit am Abend. Passt dir das?"

Und wie mir das passte. Ich würde sie wiedersehen. Es würde weitergehen. Eine Geschichte nahm ihren Anfang. Irgendwie zog sie mich in den Flur, holte sich kurz aus dem Schlafzimmer ihre Jacke und dann standen wir vor der Wohnungstür. Sie hatte es plötzlich eilig.

Ich verstand ohne weitere Erklärungen. Wie schwer es ihr fiel, sich loszureißen, wie gerne sie vielleicht sogar gegen all ihre Prinzipien verstoßen hätte. Der lange Abschiedskuss klärte nämlich so einiges.

Und gab mir weiche Knie, wie ich sie seit meiner Pubertät nicht mehr beim Küssen bekommen hatte. Oh mein Gott. Und alles nur, weil ich den beiden nichts abschlagen konnte.

***

Ich verabschiedete mich eine Stunde später. Lag dann drei Stunden wach in meinem Bett. Und ging kurzentschlossen doch noch einmal zur Party zurück. Trank erst ein Bier, diesmal mit Alkohol, und schließlich noch zwei Tequilas mit Jens, während ich versuchte, ihn und Sammy über Julia auszuquetschen.

‚Exercise in futility' nennt man das im englischen Sprachraum. Völlig zwecklos. Die beiden waren ziemlich dun und nicht geneigt, mir auf die Sprünge zu helfen. Offenbar der Ansicht, dass der von ihnen ins Rollen gebrachte Ball nun ohnehin ins Tor flutschen würde.

Ich tanzte eine weitere Stunde, bis ich wirklich erschöpft war. Die Musik war genial, das war jetzt der Profi-DJ, den ich kannte. Die Atmosphäre hatte aber eine eindeutig sexuelle Komponente bekommen. Die dazu führte, dass ich mich nicht mehr wohl fühlte. Auch und gerade, weil das lesbische Pärchen mich antanzte.

Das wäre vor meiner Begegnung mit Julia wahrscheinlich alles andere als unangenehm von mir empfunden worden. Was war mit mir los? War ich tatsächlich verliebt? Nein, so hatte sich das noch nie angefühlt. Irgendwie war alles anders. War mein Empfinden und mein Leben schon jetzt völlig auf den Kopf gestellt.

Immerhin war ich nun wirklich müde, als ich mich in mein Reich zurückzog. Schlief mit dem Bild ihres leicht spöttischen Lächelns vor meinen Augen relativ schnell ein.

Ja, den Versuch am Morgen zu meditieren hätte ich mir sparen können. Auch meine Yoga-Übungen führte ich abwesend und mechanisch durch. Erst zehn Uhr. Noch vier Stunden, dann würde ich sie wiedersehen. Sie hatte mir nicht so viel von ihren Beziehungen erzählt. Mir aber fast meine komplette Lebensgeschichte entlockt.

Sie konnte unheimlich gut zuhören, das konnte ich schon zu diesem Zeitpunkt mit Gewissheit sagen. Irgendwie musste ich mich beschäftigen. Masturbieren half mir meistens abzuschalten. Komischerweise verwarf ich den Gedanken sofort, ohne mir selbst einen Grund zu liefern.

Stattdessen fing ich an, mein Rad zu putzen. In Berlin kann man ein gutes Rad selbst mit tausend fetten Schlössern nicht vor der Tür stehen lassen. Also stand es im langen Flur meiner Wohnung. Irgendwie musste es nun blitzen und blinken. Weil ich mir sicher war, dass sie es bald sehen würde.

Der einzige Mann in meinem Leben war ein Hobby-Radrennfahrer gewesen, das hatte ich ihr erzählt. Dass ich mir ein Rennrad angeschafft hatte, war eine späte Hommage an ihn gewesen. Das hatte ich ihr allerdings nicht erzählt. Auch nicht, wie sehr ich ihn geliebt hatte. Irgendwie immer noch liebte.

Es war alles schon so lange her, wie ein Kapitel aus einem ganz anderen Leben. Während ich die Speichen putzte, wurde mir allerdings bewusst, dass mich ihre Ausstrahlung und meine Reaktion darauf doch irgendwie an ihn erinnerten.

Ich versuchte die aufsteigende Beklemmung abzuschütteln. Nein, sie war anders. Und eine Frau, gottverdammt. Aber eine Frau, die mich mindestens genauso faszinierte und öffnete, wie er es getan hatte. Endlich die Beziehung, die ich mir immer gewünscht hatte? Endlich der ‚Hauptgewinn', den er mir immer gewünscht hatte? Verrückterweise hatte sie sich am Vorabend ja genau als das bezeichnet.

Verrückt. Das war alles doch total verrückt. So herrlich verrückt. Zum ersten Mal seit langem war ich durcheinander, so wunderbar, wunderbar durcheinander. Gab ich meine Klarheit und Ruhe gerne als Opfergabe auf dem Altar der Liebe. Fuck! Was waren das denn für quere Gedanken? Jetzt musste ich lachen. Okay, wenn ich an der Stelle noch lange weiterrubbelte, war der Lack ab.

Ganz ruhig, Mädel, ganz ruhig. Okay, jetzt waren es nur noch... Fuck! Drei Stunden. Und wenn ich ein paar Runden drehte? Vielleicht begegnete ich ihr zufällig irgendwo auf der Straße? Ja, klar, Berlin war ein 3,5 Millionen Dorf, da traf man sich zwangsläufig. Ich wusste ja nicht mal, in welcher Ecke sie wohnte.

Nein, Radfahren in dem Zustand war ohnehin keine gute Idee. Ich hatte die Tendenz, Verkehrszeichen, Ampeln, sowie andere Verkehrsteilnehmer auszublenden oder zu ignorieren, wenn mich etwas emotional so stark beschäftigte. Das hatte in der Vergangenheit schon zu einigen Unfällen geführt. Also eher nein.

Was lesen? Nein, konnte mich eh nicht konzentrieren. Ah, Backen. Das war die Idee. Ich hatte mir vor kurzem eine Brotbackmaschine geleistet. Ein schönes Vollkornbrot, das würde sie als Sportlerin doch zu würdigen wissen. Nach meinem Spezialrezept. Gesagt, getan. Gelungen. Hoffentlich. Na, sah zumindest ansprechend aus.

Und immer noch eine Stunde. Verdammt, eigentlich hatte ich viel zu wenig geschlafen. Waren vor allem meine Augen noch total müde. Ich sah doch bestimmt richtig Scheiße aus. Nein, jetzt nicht in einen Spiegel schauen. Das fehlte jetzt gerade noch, dass ich Komplexe kriegte. Sie war so wunderschön...

Oh Gott, was wollte ich überhaupt anziehen? Verflucht, es war ein Frühstück mit ihrem Bruder und seinem Boyfriend, kein echtes Date. Verflucht, dreh jetzt nicht durch Mädel. Ganz ruhig. Die... halbe Stunde... kriegst du auch noch irgendwie rum.

Oh Fuck! Ich hatte noch nicht mal geduscht. Jetzt aber... Alte, krieg dich ein. Ab ins Bad und dann hoch. Zu ihr. Jetzt wurde es fast noch knapp, das Brot geschnappt, zur Tür. Und da stand sie. Vor meiner Haustür. Grinste mich unsicher an.

„Na, das ist ja ein Zufall. Guten Morgen, Mittag, Mahlzeit, was auch immer", brabbelte ich überrascht.

„Kein Zufall. Ich stehe schon eine halbe Stunde vor deiner Tür", gab sie mit einem etwas leidendem Gesichtsausdruck bekannt.

Schon lagen wir uns in den Armen und küssten uns. Ich musste mich gegen die Tür lehnen, weil mir die Knie wieder weich wurden. Lösten uns erst nach langen Minuten schwer atmend voneinander.

„Öhm... halbe Stunde? Die Funktionsweise einer Klingel ist dir bekannt? Oder habe ich dich unter der Dusche nicht gehört?"

„Ich habe mich nicht getraut", meinte sie vorsichtig. „Nicht wichtig. Lass uns hochgehen."

„Hast du Angst vor mir?"

„Nein, vor mir. Komm, wir reden ein andermal drüber. Hoffentlich kriegen wir die zwei aus dem Bett."

Was meinte sie damit? Sie wirkte wirklich verunsichert. Glücklich, nach unserem Kuss, also ähnlich wie ich mich fühlte. Aber dennoch verunsichert.

„Hattest du Angst, dass du nicht mehr aus meiner Wohnung kommst, wenn du mich dort aufsuchst?", bohrte ich trotz ihres Widerspruchs weiter.

„So in etwa. Was hast du da in dem Beutel?"

„Brot. Ich hab Brot gebacken", erwiderte ich und auf ihren erstaunten Seitenblick hin: „Beschäftigungstherapie. Ich war kurz vorm Durchdrehen, weil die Zeit nicht verging."

Jetzt schmunzelte sie. Natürlich verstand sie das. Natürlich verstand sie mich. Ohne Grund hatte sie sich schließlich nicht eine halbe Stunde zu früh auf den Weg gemacht. Schon standen wir vor der Wohnungstür von Sammy und Jens. Sie drückte auf den Klingelknopf.

Keine Reaktion. Auch auf die nächsten drei Versuche nicht.

„Ich war gestern nochmal oben, weil ich nicht schlafen konnte", informierte ich sie. „Die beiden waren ganz schön hin. Ich bin mir sicher, dass die Party noch lange weiterging."

„Klar", meinte sie mit einem Schulterzucken, klingelte Sturm und hämmerte zusätzlich mit der Faust gegen die Tür. „Verdammt, macht auf."

„Lass sie doch schlafen. Wir können bei mir frühstücken", warf ich ein. „Ich halte mich zurück. Nur frühstücken, reden. Wir können meinetwegen sogar angezogen bleiben."

„Ich habe einen Schlüssel", meinte sie unbeirrt und zog ein Schlüsselbund aus der Tasche. Machte allerdings keine Anstalten, ihn zum Einsatz zu bringen, weil ich ihr ganz sanft meine Hand auf ihren Rücken legte und dann streichelte.

„Hab keine Angst... vor uns", versuchte ich sie weiter zu beruhigen. Sie zitterte richtig. „Komm."

Willenlos ließ sie sich von mir an die Hand nehmen und von der Tür wegziehen. Insgeheim befürchtete ich, dass nun doch noch einer der beiden verspätet aufmachen würde. Das durfte nicht passieren. Ich wollte, musste mit ihr allein sein.

Nichts dergleichen geschah. Unangefochten erreichten wir meine Wohnung. Nun zitterte ich beim Aufschließen. Mein Rad im Flur beachtete sie nicht mal. Umsonst geputzt. C'est la vie. Ich bugsierte sie in meine Küche, in der es noch herrlich nach dem Brot roch.

„Ich setz einen Kaffee auf", orientierte ich sie und mich.

Sie nickte und setzte sich an den Küchentisch. Die Küche war ein schmaler Schlauch, kein Vergleich zu der von Sammy und Jens oben. Insgesamt waren die Wohnungen auf der linken Seite deutlich kleiner. Ich hatte nur eine Zweizimmer-Wohnung, die auf der rechten Seite hatten viereinhalb Zimmer. Ich glaube früher gehörten die komplett zusammen, bevor der Besitzer sie dann so willkürlich abgetrennt hatte. Ursprünglich hochherrschaftlich mit Dienstboteneingang und so.

Sie saß stumm da und beobachte meine nervöse Geschäftigkeit. Schließlich seufzte sie.

„Verstehst du... es geht mir zu schnell. Ich bin dabei, mich Hals über Kopf in dich zu verlieben."

„Und das ist natürlich ganz schrecklich."

„Du weißt genau, was ich meine. Ich habe es dir gesagt. Beziehungen kommen für mich eigentlich nicht in Frage. Abenteuer erst recht nicht."

„Ich hab nur Käse und Brotaufstriche. Auch Marmelade und Nutella, wenn du was Süßes möchtest. Ich bin nebenbei Vegetarierin. Nimmst du Milch und Zucker?", fragte ich, da sie ja schließlich am gestrigen Spätnachmittag den Kaffee und Kuchen für uns geholt hatte.

„Nur Milch. Käse ist prima. Ich esse auch nicht mehr so viel Wurst wie früher, kein Problem."

„Siehst du, wir passen doch wunderbar zusammen. Du machst dir völlig unnötig Sorgen", versuchte ich locker zu bleiben. Vergeblich. Ich fühlte die Spannung genau wie sie.

„Ja, genau davor habe ich Angst, verstehst du das nicht?"

„Nicht genau. Aber wollen wir nicht erst einmal in Ruhe frühstücken? Und nicht gleich so in die Vollen und mögliche oder unmögliche Beziehungen klären? Ich bin neugierig, wie dir mein Brot schmeckt. Meine eigene Kreation."

Sie seufzte und lächelte schließlich.

„Ja, sorry, ich habe die Nacht kaum geschlafen. Bin völlig von der Rolle. Deine Schuld."

„Hättest halt hier übernachten sollen. Dann hättest du irgendwann geschlafen wie ein Baby. Ich habe diesen Effekt auf meine Freundinnen."

Sie knuffte mich in die Seite, während ich ihr Kaffee einschüttete. Na, zumindest da machte sie sich keine Gedanken um mögliche Folgen.

„Hey! Du sollst mich nicht auf dumme Gedanken bringen. Gesittetes Frühstück bitte", wurde ich zusätzlich gescholten.

„Ich? Ich hab doch gesagt, dass ich wie eine Nonne lebe... obwohl, ich hab kürzlich mal von einem Kloster im Mittelalter gelesen, wo sich die Frauen auf ganz spezielle Weise Gott näherten, und sich gegenseitig ständig..."

Schon hatte ich den nächsten Knuff in meiner Seite.

„Also gut. Ich bin ja schon still. Da fällt mir übrigens ein, dass du das gestern warst. Ich habe dir fast meine ganzen Sünden gebeichtet, aber du hast kaum von dir erzählt. Vielleicht fangen wir damit an? Vielleicht verstehe ich dann auch besser, wovor du eigentlich Angst hast?"

Sie seufzte tief und nahm die Brotscheibe entgegen, die ich ihr abgeschnitten hatte. Wunderbar gelungen. Das Brot. Und die Überleitung. Sie fing tatsächlich an, von sich und ihren Beziehungen zu erzählen. Und langsam verstand ich sie.

Der Sport hatte ihr drei richtig ernsthafte Beziehungen kaputt gemacht. Alle drei Frauen hatten ihr versichert, dass sie damit umgehen konnten, sie nur wenig um sich zu haben. Und es dann doch nicht gekonnt. Zwei davon hatte sie richtig geliebt. Dementsprechend zerfetzt hatten sie die Trennungen.

„... und verstehst du, das wird jetzt nicht besser werden, im Gegenteil. Jedes Jahr haben wir mehr Rennen, weil immer mehr Veranstalter Frauenrennen aufnehmen. Im nächsten Jahr startet erstmalig die WorldTour für Frauen. Mehr Rennen, längere Trainingslager, längere und vor allem mehr Transfers. Darauf freue ich mich total, das ist wie ein Traum für mich. Ich bin jetzt einunddreißig. Zwei, drei Jahre habe ich mindestens noch drin. Es gibt Fahrerinnen, die mit vierzig noch in der Weltspitze mitfahren. Verstehst du? Das ist, wer ich bin. Der Sport ist alles für mich. Und auch wenn ein Mensch mir unglaublich viel bedeutet, kann er derzeit nur eine Nebenrolle in meinem Leben spielen. Das kann, das will ich niemanden zumuten. Dir schon gar nicht, nach all dem, was du mir erzählt hast."

Uff. Ja, das war ein Brett. Natürlich hatte sie Recht und allen Grund, sich darüber Sorgen zu machen. Klares Dilemma. Nicht nur ihrs.

„Noch eine Scheibe Brot? Scheint dir ja zu schmecken", zögerte ich meine Antwort heraus, um mich zu sammeln.

Sie nickte und schluckte hart. Sie war den Tränen nahe.

„Ganz ehrlich... ich verstehe genau, was du meinst. Vor ein paar Jahren hätte ich genau wie deine Freundinnen einfach aus dem Gefühl heraus gesagt, natürlich komme ich damit klar. Ohne zu überlegen. Heute... sage ich ehrlich, ich weiß es nicht. Meinst du, ich habe keinen Schiss? Ganz ehrlich, ich hatte Beziehungen für mich bereits abgehakt. Ich bin sechsunddreißig und wäre vor dem gestrigen Abend nicht mal mehr auf die Idee gekommen, dass ich mich verlieben könnte."

Sie nickte und starrte auf ihren Teller, wo sie zwar ein Brot geschmiert, aber offenbar vergessen hatte, was sie damit anfangen wollte.

„Aber das solltest du jetzt kapieren: Für meine Partnerin wäre das nicht anders. Ich liebe meinen Job, gehe voll drin auf. Sitze manchmal um zehn noch vor meinem Schreibtisch, weil ich nicht aufhören kann. Mache Tonnen von Überstunden, die keiner von mir verlangt, von denen nicht mal mein Chef komplett weiß, weil ich über die Hälfte nicht angebe. Ich hab aus dem letzten Jahr zwanzig Tage Urlaub mit Sondergenehmigung mit in dieses rübergeschoben und auch in diesem Jahr noch nicht einen einzigen genommen. Jetzt haben wir Oktober."

Sie sah langsam auf und runzelte die Stirn, erwiderte aber nichts.

„Also für mich ebenfalls eher schlechte Voraussetzungen für eine ‚normale' Beziehung. Normal bin ich aber nie gewesen, wieso sollten es denn meine Beziehungen sein? Waren bisher nebenbei alles andere als das. Warum sollte nicht eine außergewöhnliche Beziehung mit einer außergewöhnlichen Frau wie dir möglich sein? Voller Schwierigkeiten und viel zu wenig Zeit, die wir zusammen verbringen könnten. Zeit, die wir trotzdem zählen lassen. Zeit, die wir als Geschenk betrachten und nicht danach fragen, ob es größer hätte ausfallen können. Weil ein Geschenk einfach ein Geschenk ist, das wir dankbar annehmen sollten?"

Keine Spur von Vorüberlegung. Das sprudelte alles einfach so aus mir raus. Ich war drauf und dran, zumindest mich selbst zu überzeugen. Und nicht nur mich. In ihre leicht wässrigen Augen trat so etwas wie ein Hoffnungsschimmer. Tatsächlich, ein graues und ein blaues Auge. Abgefahren.