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Julia

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Fingen das Entdecken an. Die Terra Incognita der neuen Partnerin. Öffneten uns dem Gefühl, diesem wunderbaren Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Immer neue Facetten und Details der anderen zu erfahren und erfühlen. Versanken in den immer wieder feucht schimmernden Augen der anderen. Dem fast unerträglich schönen Gefühl des Glücks und der Liebe.

Schien ihr Körper im milden Schein der Nachttischlampe oft wie von einem Schimmer umgeben, oder Weichzeichner, während ich sie zärtlich streichelte, küsste, neckte. Mich schließlich ausgiebig mit ihren wunderschönen kleinen Brüsten beschäftigte. Ihr war anzusehen, dass ich sie damit in den siebten Himmel beförderte. Nun... und in den Schlaf.

Das knüppelharte Rennen forderte dann doch seinen Tribut. Und trotz des zärtlicheren Vorgehens hatte sie kurz vorher noch eine zweite Einschlafhilfe auf ihrer Haben-Seite verbuchen können. Ich kuschelte mich an sie und deckte uns vorsichtig zu. Erst wollte ich über sie hinweg greifen, und das Licht löschen, aber dann konnte ich mich einfach nicht an ihr sattsehen.

An dem bildschönen, im Schlaf völlig entspannten Gesicht der Frau, mit der ich von nun an einschlafen und aufwachen würde. Mit der ich mein Leben teilen würde. Meine Träume, meinen Kummer und mein Glück. Das sonst zusammengesteckte Haar, das nun wie ein feuriger Halbkreis auf dem Kopfkissen ausgebreitet war.

Ihre Lippen leicht geöffnet, selbst im Schlaf hatte sie noch einen spöttischen Zug. Und einen Ansatz zum Schnarchen, bis sie dann ihren Kopf in meine Richtung drehte. Ich blieb noch lange wach. Wollte in diesem perfekten Moment eingefroren bleiben, bis in alle Ewigkeit.

***

Fast zwei Monate lang hatten wir doch recht viel Zeit für uns, bevor die Trainingslager in Italien anstanden. Statt Yoga fuhr ich tatsächlich wie besessen Rad, damit ich bei manchen ihrer Trainingsausritten dabei sein konnte, ohne sie zu bremsen. Selbst in ihrer Abwesenheit quälte ich mich auf der von ihr geerbten Rolle, als es in Deutschland zu schlechtes Wetter für Trainingsfahrten gab. Schnee und Eis.

Es gelang mir immer wieder, sie zu überraschen. Auch in ihrem Trainingslager und bei weiteren Rennen schlug ich kurzentschlossen für ein paar Tage auf. Es funktionierte, gerade im ersten Jahr sogar ganz hervorragend. Klar, vermissten wir uns in der Zeit, wo wir uns nicht sahen. Stellten aber sicher, dass die Zeit, die wir miteinander verbringen konnten, umso mehr zählte.

Julia erlebte in ihrem Sport darüber hinaus so etwas wie ihren zweiten Frühling. Fuhr einige sehr gute Platzierungen heraus, und bei einer Rundfahrt sogar einen völlig unerwarteten Tagessieg. Das brachte ihr neben der überfälligen Anerkennung auch das Interesse eines höher einzustufenden belgischen Teams ein.

Sie wechselte am Ende der Saison. Fühlte sich deutlich wohler dort und hatte mehr Freiheiten, mal für sich selbst zu fahren. Trotzdem kündigte sie an, dass die zweite Saison dort ihre letzte sein sollte.

„Ich verstehe nicht, warum? Du fährst so gut und erfolgreich wie nie zuvor, du fühlst dich wohl, warum jetzt?", gab ich meiner Überraschung Ausdruck, als sie mir das eröffnete.

„Nun, es fällt mir doch langsam alles schwerer. Ich regeneriere nicht mehr so schnell. Ich fahre fast ständig am Anschlag. Und... wie soll ich das erklären... die Bereitschaft, die... ja Lust, mich zu quälen, lässt immer mehr nach. Ich freue mich auf das Leben danach... mit dir."

Ich streichelte zärtlich ihr Haar, das sie sich gerade wieder wachsen ließ, nachdem sie eine in meinen Augen unglückliche Kurzhaarfrisur-Periode hinter sich gebracht hatte.

„Darauf freue ich mich auch. Ich möchte aber nicht, dass du wegen mir aufhörst", gab ich zu bedenken.

„Es ist wie gesagt nur einer der Gründe, dass wir mehr Zeit für uns haben. Ich habe endlich auch wieder kleine und große Träume. Mal vier oder sechs Wochen ohne Fahrrad in den Urlaub? Wie klingt das für dich? Oder endlich zusammenziehen?"

„Ja, aber das könnten wir doch auch so?"

„Ich denke ein Stück weiter. Was hältst du von einer Eigentumswohnung?"

„Oh."

Meine Gedanken rasten. Natürlich machten mich ihre Worte glücklich. Zeigten sie doch, dass sie nicht nur an eine nahe, sondern gleichfalls eine fernere gemeinsame Zukunft dachte. Finanziell war uns das sicher möglich, obwohl die Preise in Berlin nicht gerade niedrig waren.

Wir verdienten beide sehr gut, mein Job war außerdem nicht meine einzige Einkommensquelle und hatten beide die Tendenz, nichts davon auszugeben. Wir brauchten wahrscheinlich nicht einmal einen Kredit.

„Nun?"

„Großartige Idee. Eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung sollte erschwinglich sein."

„Na, vielleicht könnten wir ein paar Zimmer mehr gebrauchen."

Verständnislos starrte ich sie an.

„Darüber haben wir nie geredet. Wie denkst du über Kinder?", setzte sie zu meiner Verblüffung nach.

Uff. Gar nicht, wäre die ehrliche Antwort gewesen. Als ich mit dem Mann zusammen war, hatte ich mich sogar sterilisieren lassen wollen. Aber das war lange her.

„Du möchtest Kinder? Wie... adoptieren? Künstliche Befruchtung?"

„Darüber könnten wir uns Gedanken machen, wenn wir das notwendige Umfeld haben. Und das überhaupt beide wollen. Könntest du dir das vorstellen?"

In diesem Moment nicht. Meine Gedanken waren ohnehin nur noch ein wirrer Wust. Zu viele Perspektiven, mit denen sie mich da konfrontiert hatte, die ich nicht einmal am Horizont schimmern gesehen hatte. Das war mir offenbar anzusehen.

„Entschuldige, das ist alles ein bisschen viel im Moment, oder? Mach dir in Ruhe darüber Gedanken. Und vor allem keinen Stress. Davon hängt nicht ab, ob ich mit dir zusammenbleiben möchte, oder nicht. Es wäre eine mögliche Zukunft, verstehst du? Aber solange du in einer Zukunft bei mir bist, ist mir jede davon recht. Ich liebe dich."

„Ich liebe dich", gab ich zurück und küsste sie zärtlich.

Schon am nächsten Tag musste sie zur Vorbereitungsphase des Giro nach Italien. So hatte ich Zeit und Muße, mich mit ihren Vorschlägen auseinanderzusetzen. Einer gemeinsamen Eigentumswohnung hatte ich ja bereits zugestimmt.

Trotzdem vertiefte ich dort mein Wissen, schaute mir etliche Angebote an, Preisdifferenzen in den verschiedenen Stadtteilen, kalkulierte mit meinen, und was ich in etwa von ihren finanziellen Möglichkeiten wusste, mögliche Käufe durch.

Blieb bei meiner Einschätzung, dass auch eine größere Wohnung ohne Kreditaufnahme finanzierbar war. Ja, aber war eine größere Wohnung notwendig? Ein Kind, oder vielleicht sogar mehrere? Damals hatte ich mich einfach als nicht elternfähig eingeschätzt. War kaum mit mir selbst zurechtgekommen.

Das war jetzt anders. Ich scheute keine Verantwortung mehr und hatte mein Leben voll im Griff. Emotional wollte ich Julia jeden Wunsch erfüllen. Wenn das ihr Wunsch war... aber es war mehr als das. Ich konnte es mir vorstellen. Eine Tochter vielleicht, einen Sohn irgendwie weniger, obwohl das ja objektiv Quatsch war. Einfach eine gefühlsmäßige Disposition.

Einfach war das sicher nicht. Aber mit Julia zusammen? Warum sollten wir denn nicht ebenfalls als Eltern gut harmonieren? Wie wir das auf fast allen Ebenen taten. Das war uns allerdings nicht in den Schoß gefallen. Sondern das Ergebnis harter Arbeit, endloser, manchmal tränenreicher Diskussionen, nachdem die figurativen Flitterwochen beendet waren.

Wir waren beide kompromissbereit, harmoniesüchtig waren wir nicht. Klein beigeben hatte charakterlich keine von uns beiden drauf. Runterschlucken erst recht nicht. Eigentlich gute Voraussetzungen. Wir trugen alles aus. Kamen aus allen Auseinandersetzungen gestärkt heraus.

Eine Familie. Die ich selbst kaum erlebt hatte. Mein Vater hatte sich abgesetzt, als ich neun Jahre alt war. Meine Mutter gegen ein jüngeres Modell eingetauscht, wie es so schön hieß. Sich völlig aus unserem Leben verpisst. Kein Kontakt, keine Adresse, keine Unterstützung. Echt das Arschloch.

Am liebsten wäre meine Mutter damals nach England zurückgegangen. Ich überzeugte sie nach langen Kämpfen, mit mir in Deutschland zu bleiben. Ich wollte nicht in das Land, das ich nur von Kurzbesuchen bei meinen Großeltern und den Ferien kannte. Kaum war ich von zuhause ausgezogen, verzog sie sich dann doch. Das war aber okay. Ich brauchte sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Besuchte sie ab und zu in Manchester. Na, die würde sich freuen. Sie unterstützte meine lesbische Lebensausrichtung aus vollem Herzen, war selbst bi. Aber das Bewusstsein, dass sie daher wohl nie ein Enkelkind haben würde, machte sie schon traurig. Das hatte sie mir ehrlicherweise ein-, zweimal gesteckt.

Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr freundete ich mich mit der Idee an. Weitergeben, was ich mühsam und mit etlichen Rückschlägen für mich herausgefunden hatte. Was zählte, und was man getrost ignorieren konnte. Was schadete und was einer Entwicklung förderlich war. Vor allem aber, dass manche Fehler gemacht werden müssen. Nur daraus zu lernen war.

Ja, ich war zu allem bereit. Schaute gezielter nach größeren Wohnungen. Und machte schon einmal vorsorglich Platz in meinem Herzen für Zuwachs. Weichte es für Erweiterungen auf. Sah mir Kinder auf dem nahegelegenen Spielplatz an. Träumte von unserer Tochter. Immer mehr.

***

Julia war überglücklich, als ich ihr die vorläufigen Ergebnisse meiner Überlegungen bei meinem Besuch in der zweiten Giro-Woche mitteilte. Ich hatte ja, um Preise einschätzen zu können, im Internet nach Wohnungen recherchiert. Eine davon musste ich ihr unbedingt zeigen. Gerade mal zwei Straßen von ihrer augenblicklichen Wohnung entfernt.

Ein absolutes Hammer-Teil, Dachgeschoss, durch große Oberlichter total lichtdurchflutet, hätte wahrscheinlich als ein Atelier für eine Malerin herhalten können. Vier Zimmer, hundertvierzig Quadratmeter. Der Preis war... nun, sagen wir angemessen. An der oberen Grenze dessen, was wir uns leisten konnten. Und sie sprach aus, was ich ebenfalls beim ersten Anblick gefühlt hatte.

„Wow. Die ist es. Verdammt. Das ist unsere Wohnung."

„Genau das habe ich auch gedacht."

„Aber die ist doch bestimmt schon weg, siehst du nicht, wann die eingestellt wurde?"

„Nein, noch nicht. Ich habe mit der Maklerin gesprochen. Ein Paar hatte sie nehmen wollen, aber nach Zusage dann das Geld doch nicht zusammenbekommen. Ein richtiges Drama. Die anderen potentiellen Käufer hatten sich nach der Absage bereits anderweitig versorgt, so dass sie jetzt erst wieder Wohnungsführungs-Termine machen wollte."

„Und wann?"

„Eigentlich wollte sie schon morgen damit anfangen, aber ich habe ihr die Situation erklärt und wann du frühestens wieder in Berlin sein könntest, also hat sie den ersten Termin für uns günstig verschoben."

„Einfach so? Für uns? Das ist kaum zu glauben."

„Sie ist eine Lesbe. Ich kannte sie aus dem Himmelreich. Ich... dreh jetzt bitte nicht durch... hatte auch schon mal mit ihr geschlafen. Na ja, nicht nur einmal. Das war noch während der ersten Monate nach meinem Umzug nach Berlin. Ich hab sie kaum wiedererkannt. Sie mich schon. Und will natürlich, dass wir das Ding bekommen."

„So natürlich ist das nicht. Warum sollte ich durchdrehen? Oder hast du... etwas tun müssen, um den Aufschub zu bekommen?"

„Spinnst du? Nein, Quatsch. Nee, weil es eine Verflossene ist und so."

„Dann bin ich beruhigt. Mich interessiert nicht, wer dich früher versorgt hat. Nur wer es jetzt tut. Hm... Wo wir gerade beim Thema sind...", kam dieser Tonfall, der mir durch und durch ging.

„Öhm... Julia, du hast morgen eine Bergetappe."

„Du aber nicht und Zungenmuskelkater vervollständigt nur meinen allgemein desolaten Zustand. Also Madame, runter mit den Höschen, damit ich mich angemessen für deinen Fund und Einsatz bedanken kann."

„Das liebe ich so an dir. Dass man dich mit so kleinen Sachen glücklich machen kann. Und deine... ohh... heftige... uff... Dankbarkeit..."

Ihre Dankbarkeit war exzessiv, die Nacht definitiv kürzer als ihrer Bestform zuträglich und kostete sie dann doch noch einige Körner. Weil ich Schlimme meine Finger nicht von ihr lassen konnte. Da sie nicht gerade als Gämse verschrien war, fiel das niemandem auf. Sie hatte vorher auf den Flachetappen geglänzt und ihr Soll bereits übererfüllt.

Acht Tage später standen wir erstmalig in unserer Wohnung. Strahlten erst uns und dann Beate, ihres Zeichens Maklerin und früheres Betthäschen, an. Sie hatte sich irrerweise total aufgedonnert und machte einen auf gelangweilte, kaugummikauende Femme fatale. Zog sie das für mich ab?

„Wir nehmen sie natürlich", eröffnete ihr Julia.

„Du bist ein Glückspilz", meinte Beate. „Supergeile Wohnung, und noch geilere Frau. Ich gönn sie dir. Euch die Wohnung. Bin überhaupt nicht eifersüchtig."

Komische Frau. Dunkel erinnerte ich mich, dass sie damals schon irgendwie schräg drauf gewesen war. Auch Julia runzelte kurz die Stirn, war dann aber bemüht, die Sache unter Dach und Fach zu bringen, da noch weitere Anwesende kaufwillig schienen und mit ihr reden wollten. Deren Glück hielt sich in Grenzen.

„Ja... ich könnte jetzt eure Details aufnehmen. Aber... ganz ehrlich, da haben gerade zwei schon den Zuschlag erhalten. Tut mir echt leid", wimmelte sie das nächste Pärchen ab. „Aber wir haben noch andere fantastische Angebote. Gar nicht weit von hier. Vielleicht etwas kleiner... aber wenn ihr nicht schon was angesetzt habt..."

Zwei Tage später hatten wir tatsächlich den Kaufvertrag unterschrieben und das Geld auf den Weg gebracht. Julia musste wieder zu ihrem Team und so blieb ich mit meinem überschäumenden Glück allein, beziehungsweise konnte es nur mit Sammy und Jens teilen, die ebenfalls von der Wohnung begeistert waren.

Und gleich mit Plänen für eine Einweihungsparty aufwarteten. Da verwies ich auf Julias Rückkehr. Im Gegensatz zu mir konnte sie den beiden durchaus Dinge abschlagen. Nun konnte ich tatsächlich weder ihren nächsten Besuch in Berlin, noch das Ende der Saison abwarten. Mit ihr die Wohnung einzurichten, umzuziehen, unser Leben richtig zu beginnen.

Mit meinem Hauptgewinn. Nein, da hatte Beate falsch gelegen. Der Glückspilz war ich. Hatte die wunderbarste Frau der Welt. Bald ganz für mich. Sie sprach von ihren Plänen nach dem Radsport. Wollte in ihrem alten Beruf als Laborantin arbeiten, würde wahrscheinlich sogar problemlos einen Job in ihrem Ausbildungsbetrieb bekommen, da er ihrem Onkel gehörte.

Wollte für unser Kind, für eine Möglichkeit der Adoption, genau das stabile Umfeld schaffen, was vermutlich Voraussetzung war. So einfach war es für ein gleichgeschlechtliches Paar in Deutschland nämlich immer noch nicht. Da hatten wir aus unserem Bekanntenkreis einige böse Geschichten zu hören bekommen.

Wenn wir jetzt an den Abenden miteinander telefonierten, ging es nicht mehr um Sex. Nur noch um die gemeinsame, zum Greifen nahe Zukunft. Weitere Schlaglichter. Weitere Höhepunkte. Die Tour de France, wo ich komplett dabei war, ihr wie ein liebender Schatten folgte. Wo sie wirklich noch einmal glänzte, noch einmal alles heraushaute. Zwei Etappen gewann.

Danach eine Woche Erholung für sie in Berlin. Lockere Runden mit befreundeten Fahrerinnen aus Berlin, von denen keine in den großen Profi-Teams fuhr. Ich hatte zu viel bei der Arbeit zu tun, sonst wäre ich wahrscheinlich mitgefahren. Ahnte nicht, wie sehr ich das bedauern würde.

Ein Mittwoch. Es war halb sechs. Mein Handy klingelte auf der Arbeit. Eine unbekannte Nummer. Eine tränenerstickte Frauenstimme am anderen Ende. Die etwas sagte, was ich nicht begreifen konnte. Unfall. Verunglückt. Auf dem Weg ins Krankenhaus. Schwer verletzt. Sehr schwer verletzt. Nein. Nein. Nein.

Ich schaffte es noch Sammy anzurufen und mir ein Taxi zu bestellen. Alles war ganz weit weg. Wie ein Film, der vor mir ablief. Surreal. Ohne Bezug zur bekannten Wirklichkeit. Kam in die Notaufnahme und fragte nach Julia. Ein trauriger Blick der Schwester und dann nahm mich ein Arzt zur Seite.

„... Schwere der Verletzungen. Alle Wiederbelebungsversuche..."

Fetzen, die an mein Ohr, aber nicht wirklich in mein Bewusstsein drangen. Endete in diesem Moment alles so, wie es begonnen hatte. Mit einem momentanen Einfrieren der Zeit. Der Reduktion auf einen Punkt. Absolutem Stillstand. Dann nur noch dem dumpfen Pochen meines Herzens.

Nein. Das ging nicht. Nein. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein, was ich gehört hatte. Sie war tot. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Meine Julia. Mein Hauptgewinn. Tot. Für immer von mir gegangen. Setzte mich mechanisch auf einen Stuhl.

Leer. Nur schrecklich leer. Selbst wie tot. Unfähig zu denken. Unfähig zu fühlen. Erst als Sammy kam, sich neben mich setzte und zu weinen anfing, brachen auch bei mir alle Dämme. Weinte, klagte, schrie ich mein Leid hinaus in die Welt. Brach zusammen. Völlig zusammen.

***

Alles wurde bedeutungslos. Der Hergang unbegreiflich. Der Autofahrer war weder betrunken noch abgelenkt gewesen. Hatte die acht Fahrerinnen an der Kreuzung herannahen sehen und falsch reagiert. Ihre Geschwindigkeit unterschätzt. Nicht gebremst. War mitten in den Pulk hineingebrettert, als er ihnen die Vorfahrt nahm.

Hatte neben Julia eine weitere Fahrerin schwer und zwei andere leicht verletzt. Julia und mich um ihr und unser Leben gebracht. Das der zweiten Fahrerin zerstört. Sie war nach dem Unfall querschnittsgelähmt.

Es hatte nicht viel gefehlt, und es hätte eine weitere Tote gegeben. Ich hatte noch nie zuvor, nicht einmal in dunkelsten Tagen, die ich zuvor erleben musste, ernsthaft an Selbstmord gedacht. Wochen nach dem Unfall, nach der Beerdigung, als ich in meiner riesengroßen Traumwohnung, die unsere hatte werden sollen, alleine und verloren dasaß, dachte ich daran. Immer wieder. Nur noch daran.

Überlegte mir, wie es tun sollte. Dann aber griff jemand ein. Es war eine meiner Kolleginnen, die mitbekommen hatte, wie schlecht es mir wirklich ging. Obwohl ich mir alle Mühe gegeben hatte, es nicht zu zeigen, Theater zu spielen. Mich an die Hand nahm und in psychologische Betreuung brachte, bevor ich wirklich meine Pläne in die Tat umsetzte. Mich damit ins Leben zurückführte.

Von der Idee weg, dass ich hätte bei ihr sein müssen, mit in dem Pulk. Mit ihr hätte sterben sollen. Zurück zu der Einsicht, die ich ihr einmal zu vermitteln versucht hatte. Dass unsere Zeit zusammen ein Geschenk gewesen war. Für das ich dankbar war. Aufhörte, mich der Trauer zu ergeben, dass es nicht größer ausgefallen war. Begann ich, ins Leben zurückzufinden.

In ein anderes Leben. Fast wieder wie zuvor, bevor ich Julia kennengelernt hatte. Nur Arbeit, immer mehr Arbeit. Sonst nichts. Lange, lange nichts. Sammy und Jens, die mich regelmäßig besuchten, immer wieder versuchten, mich auch auf Partys und in Clubs zu lotsen. Vergeblich. Nun konnte ich selbst ihnen Dinge abschlagen.

Wenn ich an Julia dachte, dachte ich nun immer seltener an diesen unbegreiflich grausamen Moment, der alles zerstörte. Dachte stattdessen an unser erstes Wochenende. Nächte in Hotelzimmern in ganz Europa. Lange Gespräche. Zärtliche Momente. Gespräche, bei denen wir uns vor Lachen die Bäuche hielten.

Fahrtwind im Gesicht und der Blick auf ihr leckeres Hinterteil. Brennende Beine, wenn ich verzweifelt versuchte, an ihr dranzubleiben. Ihr wunderbarer, perfekter Körper. Ihr wunderschönes Gesicht. Ein graues und ein blaues Auge, die nicht nur manchmal geweint, sondern viel öfter gelacht hatten. Und dieses Lächeln, dieses immer spöttische Lächeln, das ich so lieben gelernt hatte.

Eines glaubte ich ganz genau zu wissen. Dass ich mich nie wieder in einen Menschen so verlieben konnte. Das stimmt auch. Das brauchte ich gar nicht. Weil eine andere, unabgeschlossene Geschichte eine unerwartete Fortsetzung nahm. Aber das und die gehört nicht hierher.

Hierher gehört nur meine Liebe zu Julia. Die mich weiterhin unauslöschlich begleitet.

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15 Kommentare
MKleinMKleinvor mehr als 1 Jahr

In Memoriam

Mit Entsetzen habe ich heute vom Tod von gLuT erfahren.

Liebe gLuT

Egal wo du jetzt bist. Ich danke dir für deine Geschichten.

Du hast mich inspiriert, mich unterhalten und zum träumen angeregt.

Deine Geschichten sind so erfrischend anders, als vieles was man hier lesen kann. Mit dir geht hier eine ganz besondere Autorin.

Dein Stil ,die Tiefe deiner Erzählungen und dein besonderer Humor haben dir, zu Recht, einen besonderen Platz in meiner Liste der besten Autoren/innen beschert.

Um so härter traf mich die Nachricht das du gegangen bist.

Du wirst mir immer in Erinnerung bleiben.

Herzlichst

Micha

HirnfickliteratHirnfickliteratvor mehr als 2 Jahren

Wow! Tolle Geschichte! Sehr berührend, realistisch, zwischendurch immer wieder heiß. Ich mag auch deinen Humor sehr. Vielen Dank!

AnonymousAnonymvor mehr als 2 Jahren

Ganz große Klasse!!!

Es klingt nicht wie eine erfundene Geschichte, sondern wie die Schilderung von etwas wirklich Erlebtem.

TiefImWestenTiefImWestenvor mehr als 2 Jahren

Eine Geschichte, die mich berührt hat. Vielen Dank!

Der Anfang ließ sich für mich etwas schwer an, zu lesen, da ich mit der Grammatik meine Schwierigkeiten hatte. Wenn Du die Möglichkeit hast, vielleicht einmal gegenlesen lassen.

SkimbleshanksSkimbleshanksvor mehr als 2 Jahren

Eine wundervolle Geschichte, die mich so in den Bann gezogen hat, daß ich bei dem unerwarteten Ende Tränen in den Augen hatte. Aber das macht sie nicht schlechter, ganz im Gegenteil. Eine echte Perle hier, ein Edelstein. Danke dafür!

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