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Legenda Major

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„Sigur und ich befreien deinen Vater, wenn er noch lebt. Doch davon gehe ich aus. Tot würde er dem Kämmerer nichts nützen."

„Du willst ihn aus dem Kerker holen?", will er erstaunt wissen. „Du weißt, wie sicher so ein Kerker ist."

„Warum sollen wir es nicht versuchen? Am besten, gehen wir noch diese Nacht! Schließlich ist niemand besser geeignet als Sigur und ich. Wir kennen das Verließ recht gut."

Ich werfe Sigur einen Blick zu und er nickt nur zur Bestätigung. Ich bin ihm so dankbar, dass er mich unterstützt, ohne viele Fragen zu stellen.

„Du wirst in der Zwischenzeit Boten zu den Reichen des Südens und des Ostens schicken. Sie sollen die anderen informieren, dass ich auf eurer Seite stehe und lass dir einen Überblick über die Lage dort geben. Wenn Sigur und ich morgen zurück sind, dann können wir einen Plan aushecken. Super wäre, wenn wir zusammenarbeiten könnten."

„Wie willst du in einer Nacht meinen Vater befreien und wieder zurück sein?", erkundigt er sich ungläubig.

„Lass das meine Sorge sein", grinse ich.

Kapitel 15

Ich lande ganz in der Nähe des Schlosses. Hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich den größten Teil meines Lebens verbracht und hier kenne ich mich bestens aus. Trotzdem kommt mir dieses Gemäuer plötzlich so fremd vor. Ich kann kaum glauben, dass ich bis vor wenigen Wochen so gut wie nie diese Mauern verlassen habe. Doch inzwischen ist mir ein anderes Land zur Heimat geworden.

Ganz in der Nähe des Schlosses befindet sich die Lichtung, sodass wir nicht weit laufen müssen. Wir nähern uns von der Rückseite und gelangen damit unbemerkt bis direkt an die Schlossmauer. Ich hatte erwartet, dass wir auf Wachen treffen und diese ausschalten müssen. Aber offenbar brauchen sie jeden Mann für den Krieg und lassen das halbe Schloss unbewacht.

„Die sind sich ihres Sieges ziemlich sicher", kommuniziere ich mit Sigur.

„Besser für uns."

Ich überlege kurz, dann gebe ich meinem Begleiter ein Zeichen, mir zu folgen, und schleiche an der Mauer entlang bis zum Bereich, wo sich der Kerker befindet. Nur ein sehr enger Schacht kommt neben der Mauer von weit unten herauf. Es ist die einzige Verbindung nach außen und dient dazu, dass etwas Luft nach unten gelangt. Der Schacht ist allerdings mit schweren Eisengittern gesichert. Für einen Menschen ist ein Entkommen auf diesem Weg völlig unmöglich.

Ich aber bündle meine magischen Kräfte, das Eisengitter klappt hoch und der Schacht wird etwas breiter. Die Materie gehorcht mir. Es ist immer wieder ein unglaubliches Gefühl von Kraft und Macht. Gleichzeitig aber spüre ich auch die immense Verantwortung, die mit diesen Fähigkeiten einhergeht. Solche Möglichkeiten in den falschen Händen, wären eine fatale Kombination.

„Wir müssen da hinunter", teile ich Sigur lautlos mit.

„Du kennst dich gut im Schloss aus. Eine Prinzessin sollte solche Orte gar nicht kennen."

„Hast du eine Ahnung, was eine gelangweilte Prinzessin alles in Erfahrung bringen kann."

„Gelangweilt oder entdeckungsfreudig?"

„Ich fürchte beides."

„Eine gefährliche Mischung."

Er grinst dabei schelmisch und auch ich muss lächeln. Ich verstehe mich mit Sigur und ich fühle mich bei ihm einfach unglaublich sicher. Mir ist durchaus klar, dass uns meine Kräfte wahrscheinlich mehr helfen können als Sigur. Trotzdem gibt er mir die nötige Gelassenheit, um eine solch dreiste Aktion durchzuziehen. Unter normalen Umständen wäre es purer Wahnsinn, einen Gefangenen aus dem Kerker des Königreiches befreien zu wollen. Aber die Umstände sind nicht normal.

Es geht mir bei unserer Aktion nicht nur darum, Eburs Vater zu befreien, es geht auch darum, das Vertrauen der anderen Reiche zu erlangen. Ich will damit aber auch dem Kämmerer und dem Kommandeur der Garde zeigen, dass sie nicht tun und lassen können, was ihnen gerade beliebt. Sie sollen spüren, dass der Feind sich wehren kann, dass ich eine ernstzunehmende Bedrohung für ihre Pläne bin.

Ich steige in den Schacht und lasse mich langsam, indem ich mich mit Händen und Füßen an den Wänden abstütze, nach unten gleiten. Da die Wände des Schachtes feucht und moosig sind, muss ich höllisch aufpassen, nicht abzurutschen. Aber es klappt alles perfekt. Unten angekommen versperrt ein weiteres Eisengitter den Zugang zum Zellentrakt. Aber auch dieses Gitter weicht, dank meiner magischen Kräfte.

Während Sigur hinter mir herabsteigt, springe ich lautlos in den Gang, der vor den Zellen entlangläuft. Es ist sehr dunkel hier. Nur wenige Fackeln spenden ein schummriges Licht. Aber das wussten wir ja bereits aus eigener Erfahrung. Im Moment kommt uns dies jedoch zugute, da wir uns leichter vor den Wachen verstecken könnten, würde jemand auftauchen.

Ich bleibe unter dem Einstieg hocken und warte auf Sigur, der wenig später neben mir ebenfalls in die Hocke geht. Unsere Augen passen sich langsam dem spärlichen Licht an. Schon nach kurzer Zeit kann ich mich perfekt orientieren. Vermutlich sehe ich aufgrund meiner besonders starken Sehkraft besser als ein normaler Mensch und bekomme damit ein recht zufriedenstellendes Bild meiner Umgebung.

„Wie finden wir den König?", erkundigt sich Sigur.

Er flüstert, sodass nur ich ihn hören kann. Trotzdem öffne ich sofort die geistige Verbindung.

„Ich nehme neun Gefangene wahr. Ich dringe in den Geist jedes Einzelnen ein. Dann wissen wir, ob er hier ist und wo er sich befindet."

Ich konzentriere mich und schon beim dritten Gefangenen bin ich am Ziel. Es ist Winibert, Eburs Vater, der Mann, den wir suchen.

„Ich habe ihn."

„Wo?"

„Folge mir!"

Doch ich besinne mich eines Besseren und bleibe noch einen Moment da, wo ich bin. Ich will zuerst mit dem Mann Kontakt aufnehmen, damit er nicht erschrickt und womöglich noch Alarm schlägt. Das hätte uns noch gefehlt, dass er die Wachen auf uns aufmerksam macht.

„König Winibert, bleibt ruhig!"

„Wer ist da?", kommt es nach einiger Zeit zurück. Ich kann deutlich die Verwunderung in seinen Gedanken wahrnehmen.

„Ich bin Prinzessin Aurora. Ich komme, um Euch zu befreien und zu Eurem Sohn zurückzubringen."

„Ihr?! Ausgerechnet Ihr?"

„Ich bin nicht Euer Feind. Ich bin selbst in Ungnade gefallen."

„Warum?"

„Das erzähle ich Euch, wenn wir zurück im Reich des Nordens sind."

„Ihr wollt mir also sagen, ich soll Euch vertrauen."

„Genau!"

„Und wer sagt mir, dass das nicht eine Finte ist und ich nur hereingelegt werden soll?"

„Niemand. Ihr müsst mir vertrauen. Aber welchen Grund sollte ich als Prinzessin haben, Euch hinters Licht zu führen."

Es entsteht eine längere Pause. Er scheint nachzudenken. Ich kenne König Winibert als besonnenen und vernünftigen Mann. Ich hoffe, er kommt zum richtigen Schluss und das bald. Wir haben nicht ewig Zeit. Aber drängen will ich ihn auch nicht.

„Gut, du warst immer schon ein freundliches und nettes Mädchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ein schlechter Mensch bis. Also, was ist der Plan?"

„Ich komme zu Euch und hole Euch aus der Zelle. Dann verschwinden wir von hier."

„Das klingt nach einem sehr naiven Plan."

„Naiv, kann sein. Aber effektiv. Schon bald sind wir im Reich des Nordens. Ihr müsst mir aber eines versprechen."

„Wenn das hier gutgeht, verspreche ich alles, was du willst."

„Ihr versprecht zu keinem Menschen auch nur ein Wort davon zu sagen, was ihr in dieser Nacht zu Gesicht bekommt!"

„Auch nicht zu meinem Sohn?"

„Zu niemandem. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich es Ebur selbst erzählen."

„Wenn du meinst. Du hast mein Wort."

„Dann los!"

Ich schleiche zur Zelle, lasse meine Magie wirken und die dicken Eisenstangen bewegen sich von selbst zur Seite. Ich steige in die Zelle, helfe dem etwas geschwächten Mann auf die Beine und helfe ihm, aus der Zelle auf den Gang zu steigen. Dann lasse ich die Eisenstangen wieder an ihren alten Platz zurückkehren. Nun sieht es aus, als sei nie etwas geschehen.

„Wie machst du das?"

„Später habe ich gesagt."

Ich schleiche mit ihm zum Schacht, wo Sigur auf uns wartet. Er verneigt sich kurz stumm vor dem König.

„Was nun?", will er wissen.

„Wir müssen da raus."

„Der alte Mann schafft das nie im Leben."

„Ich helfe von unten etwas nach. Am besten ist, du kletterst zuerst hinauf und hilfst ihm dann, wenn er oben ist, aus dem Schacht zu klettern. Das dürfte etwas schwieriger werden. Aber wir haben keinen anderen Weg."

„Wenn du meinst."

„Erschrick nicht. Ich teste meine Aufstiegshilfe auch bei dir. Ich habe so etwas noch nie gemacht."

„Was hast du vor?"

„Ich will meine Luftenergie nutzen."

„Sei aber bitte vorsichtig mit deinen Kräften. Ich will nicht irgendwo in den umliegenden Bäumen hängen."

Er kichert und zeigt mir damit, dass er mich nur neckt. Er steigt auch ohne zu zögern in den Schacht und wirft noch einen Blick zurück.

„Ich werde vorsichtig sein", verspreche ich.

Als Sigur beginnt, langsam und mühevoll den Schacht emporzusteigen, lasse ich meine Luftmagie wirken und hebe ihn damit an. Zunächst bin ich etwas zu kräftig unterwegs und Sigur verschwindet augenblicklich aus meinem Gesichtsfeld. Deshalb nehme ich etwas Kraft raus.

„Schon besser. Bin schon oben, kannst aufhören."

„Jetzt Ihr", flüstere ich dem König zu.

„Ich soll durch diesen Schacht klettern? Das könnt ihr jungen Leute machen, aber ich schaffe das niemals im Leben. Unmöglich!", flüstert er zurück.

„Ich unterstütze Euch mit Luftmagie. Das kriegen wir locker hin. Oben wartet Sigur und nimmt Euch in Empfang."

„Ihr jungen Leute kommt aber auch auf Ideen. Na gut."

Ich helfe ihm, in den Schacht zu klettern und lasse dann meine etwas abgeschwächte Luftmagie wirken. Sanft wird er davon nach oben getragen. Ich bin sogar ein wenig stolz auf mich.

„Er ist da. Ich nehme ihn in Empfang. Kannst du ihn schweben lassen, nur einen Moment", informiert mich Sigur.

„Klar, sag mir einfach, wann ich aufhören kann."

Ich brauche auch nicht lange zu warten und Sigur verständigt mich, dass der König des Nordens wieder festen Boden unter den Füßen hat. Nun steige ich in den Schacht und beginne mühevoll den Aufstieg.

„Das ist aber schwer ohne Hilfe", schimpfe ich in Gedanken.

„Warum hilfst du dir nicht auch?", will Sigur wissen.

„Du hast Recht, warum eigentlich nicht?"

Jetzt lasse ich meine Magie wirken und bin wenige Sekunden später auch schon oben. Das fühlt sich sogar toll an. Ohne große Mühe steige ich aus dem Schacht und wirke erneut meine Magie, damit sich die Gitterstäbe wieder vor den Schacht schieben und dieser sowohl oben als auch unten verschlossen ist, wie zuvor. Niemand kommt mehr auf die Idee, dass wir durch den Schacht geflüchtet sein könnten.

„Und nun, hier wimmelt es doch von feindlichen Kriegern", jammert der König leise. „Wir sind schneller wieder drinnen, wie wir es raus geschafft haben."

„Nicht so negativ denken. Wir müssen zur Lichtung da hinten, dann geht es ab in die Heimat", antworte ich flüsternd.

Nur widerwillig folgt uns Winibert zur Lichtung. Wir bleiben am Rande stehen und beobachten kurz die Situation. Ich habe keine Lust, jetzt noch im letzten Moment jemandem in die Hände zu laufen. Als mir dank meiner Geistmagie klar ist, dass sich kein feindlicher Krieger hier herumtreibt, wende ich mich an meinen Begleiter.

„Den König lassen wir aufsteigen, indem er sich bei der Verwandlung festhält. Du steigst später auf. Beide schaffe ich nicht."

„Bist du sicher? Das Aufsteigen dauert zu lange", wirft Sigur ein.

„Wovon sprecht ihr?", will der König wissen.

„Gut, versuchen wir es", übergehe ich den Einwand Winiberts. „Halt ihm den Mund zu, sonst schreit er und macht alle auf uns aufmerksam."

„Was soll er?", will der König schockiert wissen.

„Wir haben keine Zeit für Erklärungen. Ihr müsst uns vertrauen. Kommt, gehen wir in die Mitte der Lichtung", sage ich.

„Damit uns alle sehen?!"

Ich achte nicht weiter auf seinen Einwurf und ziehe ihn einfach hinter mir her. Sigur folgt freiwillig. In der Mitte weise ich den König an, sich hinter mich zu stellen und an mir festzuhalten.

„Du hältst ihm den Mund zu?", frage ich Sigur in Gedanken.

„Du gibst mir Bescheid, sobald es losgeht?"

„Mache ich."

Ich weise den König noch einmal an, sich an mir festzuhalten. Er meckert zwar immer noch herum, tut aber trotzdem, was ich von ihm verlange. Sigur hält sich ebenfalls an mir fest. Ich überlege kurz, was für ein sonderbares Bild wir abgeben müssen und muss einen Moment lang grinsen.

„Jetzt", gebe ich Sigur über Gedanken Bescheid.

Ich höre, wie der König ein unterdrücktes Geräusch von sich gibt und weiß, dass sein Mund nun verschlossen ist. Ich leite die Verwandlung ein und schon sitzen beide weit oben in meinem Nacken.

„Habt ihr eine gute Position?"

„Der König wirkt etwas verkrampft, aber es geht. Ich halte ihn fest."

„Ja bitte, tu das."

Ich schwinge mich in die Lüfte und mit wenigen kräftigen Flügelschlägen bin ich bereits außer Reichweiter jeglicher Waffen, über die Menschen verfügen. Nun scheint sich auch Sigur zu entspannen. Ich kann das deutlich spüren. Zwischen uns hat sich eine Form der Verbindung aufgebaut, die unsichtbar ist, die es mir aber ermöglicht, seine Gefühle zu spüren.

„Auf in den Norden!", lasse ich beide wissen.

„Das glaubt mir keiner", schwärmt der König.

„Ihr sollt auch keinem etwas sagen. Das habt ihr versprochen."

„Ja, ja, schon gut, wie gesagt, das glaubt mir ja doch keiner."

Wir verfallen in ein Schweigen und jeder hängt seinen Gedanken nach. Ich bin heilfroh, dass diese Mission so problemlos gelaufen ist. Unser großer Vorteil waren meine Fähigkeiten. Im Schloss denkt natürlich keiner daran, dass ein Drache kommen könnte, um einen Gefangen zu befreien. Mit kräftigen Flügelschlägen sorge ich für eine beachtliche Geschwindigkeit. Es ist zwar ermüdender aber so kommen wir schneller unserem Ziel entgegen.

Nach einem ereignislosen Flug entscheide ich mich dazu, ganz in der Nähe des Schlosses im Reich des Nordens zu landen. Ich gehe zwar kein Risiko ein und lande so, dass uns keiner sehen kann, ich will aber auch dem König einen längeren Fußmarsch ersparen. Er ist vom langen Aufenthalt im Kerker sichtlich geschwächt. Er ist ja auch kein junger Mann mehr.

Kaum, dass wir gelandet sind, verwandle ich mich zurück und als nun Winibert an meinem Rücken hängt, lässt er sofort etwas peinlich berührt los. Ich kann ein belustigtes Kichern nicht unterdrücken. Winibert schaut mich etwas beleidigt an, beruhigt sich aber schnell wieder.

„Sigur, gehst du bitte voraus, damit sie uns einen Wagen oder eine Kusche schicken, damit der König nicht allzu weit laufen muss. Wir kommen euch inzwischen langsam entgegen."

„Ich laufe voraus und hoffe, die Wachen sind diesmal freundlicher."

„Nehmt diesen Ring mit, dann glauben sie Euch", meint Winibert.

Er zieht einen dicken Ring vom Finger und überreicht ihn Sigur. Ich wundere mich, dass die Wachen im Kerker dem König diesen Ring gelassen haben. Sie hätten ihn für viel Geld verkaufen können. Wachleute nehmen normalerweise den Häftlingen alles ab, was auch nur irgendwie von Wert ist. Das ist zwar verboten, aber niemand sagt etwas dagegen. Ich vermute, dass sie sich in diesem Fall dann doch nicht getraut haben. Einem König etwas wegzunehmen ist dann doch etwas anderes, als einen armen Schlucker seiner letzten Habseligkeiten zu berauben.

Ich werfe Sigur einen dankbaren Blick zu und er macht sich im Laufschritt auf den Weg zum Schloss. Der König und ich stehen noch einen Augenblick auf der Lichtung und machen uns dann auf den Weg.

Wir kommen nur äußerst langsam voran. Wie bereits vermutet ist Winibert geschwächt, sogar mehr als ich gedacht hätte. Der lange Aufenthalt im Kerker hat ihm echt zugesetzt. Vor allem hat er an Ausdauer eingebüßt. Immer wieder muss er eine Pause einlegen und schon bald entscheide ich mich, ihn zu stützen.

Ich überlege kurz sogar, ob ich es schaffen könnte, ihn auf einem Luftpolster zum Schloss zu befördern, lasse diesen Gedanken aber schnell wieder fallen. Zutrauen würde ich mir so etwas durchaus, aber wir wollen kein Aufsehen erregen und da wäre es kontraproduktiv, wenn der König durch die Luft angeschwebt kommt und ihn alle dabei sehen könnten.

Zum Glück ist der Tag noch nicht angebrochen. Ich könnte mir vorstellen, dass Winibert sonst zusätzlich Probleme mit den Augen bekommen könnte. Immerhin war er auch lange Zeit im Schummerlicht und das gleißende Sonnenlicht könnte ihm Schmerzen bereiten.

Nach etwa einer Stunde haben wir den Rand der leichten Senke erreicht, in der die Hauptstadt des Reiches des Nordens und das königliche Schloss liegen. Als man auf die Lichter der Stadt hinabschauen kann, bleiben wir stehen.

„Ich hätte nie zu hoffen gewagt, mein Land noch einmal zu sehen", sagt er.

In seiner Stimme liegt eine unglaubliche Rührung. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er den Tränen nahe ist.

„Danke!", sagt er nur.

„Wofür?"

„Dafür, dass ich meine Heimat wiedersehe kann", sagt er. Dabei macht er eine ausladende Handbewegung.

Langsam graut der Morgen und so können wir bereits die Umrisse der Häuser und des Schlosses erkennen. Ich kann gut nachvollziehen, dass Winibert sich ehrlich freut, seine Heimat wiederzusehen.

„Du bist ein ganz tolles Mädchen und ich glaube dir, dass du mit den Machenschaften deines Vaters nichts zu tun hast", meint er.

„Da, König Winibert, da kommt eine Kutsche. Die holt Euch ab und wir sind bald im Schloss."

Tatsächlich sehe ich eine kleine Staubwolke, welche zum Schlosstor herauskommt. Es kann nur die Kutsche sein. Ich bin froh, dass ich das Thema wechseln kann. Mir ist seine Dankbarkeit ein wenig peinlich. War es doch mein Vater, der ihn erst in diese ausweglose Situation gebracht hat.

„Ich bin bald im Schloss", meint er. „Ich werde meine Familie wiedersehen."

Dann brechen die Dämme. Er beginnt zu weinen und hält sich an mir fest. Der Mann ist einem Zusammenbruch nahe. Bisher hat er durchgehalten, weil er Haltung bewahren wollte und sich nicht dem Feind beugen wollte. Auch vor mir hat er noch versucht, stark zu bleiben. Doch jetzt, da die Rückkehr in die gewohnte Umgebung so nahe ist, kann er diese Fassade nicht mehr länger aufrechterhalten.

Ich lasse ihn gewähren und streiche ihm beruhigend über den Rücken. Immer wieder sage ich ihm, dass alles überstanden ist und dass alles gut wird. Er hält sich nur an mir fest und weint.

„Majestät, die Kutsche ist fast da", informiere ich ihn.

Er versteht mich sofort, versucht sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, so gut es eben geht. Erneut will er den Eindruck erwecken, als sei er immer noch der starke Mann. Er wirft mir einen dankbaren Blick zu. Er muss nichts sagen, ich weiß auch so, dass er es zu schätzen weiß, was ich für ihn tue.

„Vater, Vater, du bist endlich wieder da!", ruft Ebur.

Er ist aus der Kutsche gesprungen, noch bevor diese völlig zum Stillstand gekommen war. Mit Tränen in den Augen und ausgebreiteten Armen läuft er auf Winibert zu und schließt ihn in die Arme. Ich bin gerührt von der Herzlichkeit seiner Begrüßung. Ich wünschte, ich hätte ein ähnlich gutes Verhältnis zu meinem Vater. Aber das war schon vor den jüngsten Ereignissen nicht mehr so. Seit dem Tod meiner Mutter war er meist distanziert und hatte nicht viel Liebevolles an sich.

Ich stehe einfach daneben und freue mich, dass ich etwas bewirken konnte. Nun steigt auch Sigur aus und stellt sich neben mich. Auch um seine Lippen spielt ein zufriedenes Lächeln.

„Schön, wenn sich Vater und Sohn so gut verstehen", kommuniziere ich mit ihm.

„Ich beneide ihn ein wenig. Wie war das bei dir, Prinzessin."

„Ich wünschte, ich könnte meinem Vater so in den Armen liegen."

„Du darfst nicht vergessen, er steht unter Drogen."

„Es war auch vorher schon schwierig genug."

„Komm Vater, wir fahren zum Schloss. Mutter wartet sicher schon hart auf deine Rückkehr", sagt Ebur zu seinem Vater. Damit reißt er uns aus unserer stillen Unterhaltung.

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