Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Legenda Major

ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

Ich bin sprachlos, auch er drängt mich. Er zumindest spricht leise, nicht drängend und ich weiß, er meint es nur gut. Das gespannte Schweigen in der Runde zeigt mir, dass er nur das ausgesprochen hat, was alle denken. Sämtliche Augen sind auf mich gerichtet.

„Himmel, warum immer ich", sage ich grinsend. „Wenn ihr das wirklich wollt, dann werde ich eure Königin. Macht euch aber darauf gefasst, dass es dann einige Veränderungen gibt."

„Das kann ich mir vorstellen", grinst Sigur. „Aber ich denke, das ist auch gut. Stillstand ist nie gut für ein Land."

Die Räte jubeln und auch Pupso kommt auf mich zu, um mir voller Ehrfurcht die Hand zu reichen. Ich fühle mich eingeschüchtert wie ein kleines Mädchen. Ich soll Königin werden! Schon wieder. Allerdings weiß ich, dass es hier nach meinen Regeln passiert und ich keinem Druck ausgesetzt sein werde. Dafür werde ich schon sorgen. Das Leben war ein besserer Lehrmeister als alle meine Lehrer zuvor.

„Was ist nun mit dir und meinem Sohn?", erkundigt sich der Vorsitzende.

Während er das sagt, grinst er schelmisch. Mir aber macht das nichts aus. Ich stehe zu meinen Gefühlen.

„Wir sind ein Paar und ich denke, wir werden heiraten, wenn dein Sohn mir einen Antrag macht", grinse ich.

Pupso schaut zu seinem Sohn und zum ersten Mal kann ich Stolz in seinem Blick erkennen. Mit so viel Wärme in den Augen hat er seinen Sohn noch nie angeschaut, zumindest nicht in meiner Gegenwart.

„Das wird er, da kannst du dir sicher sein. Er liebt dich, wie ich meine Frau geliebt habe", sagt er leise zu mir. Er ist sogar so leise, dass vermutlich nur ich seine Worte verstehen kann.

„Ich weiß, ich habe Sigur ungerecht behandelt. Er hat unter meinem Schmerz gelitten und das war falsch. Sei du ihm die Kraft und die Wärme, die ich nie für ihn sein konnte."

Ich schaue den Vorsitzenden überrascht an. Ich habe ihn bisher für einen kühlen und berechnenden Mann gehalten. Dass er so selbstreflektiert und warmherzig sein kann, das ist mir neu. Aber es freut mich und ich hoffe, dass es der Beginn einer neuen Ära zwischen ihm und seinem Sohn ist.

Ganz spontan nimmt er mich in den Arm und drückt mich an sich. Wenn ich mich nicht ganz täusche, hat er sogar eine kleine Träne in den Augen. Diese wischt er sich jedoch mit einer geschmeidigen Handbewegung weg. Sein Blick, als er sich von mir löst, sagt aber alles.

Nach der Versammlung mache ich mich mit Sigur auf den Weg zum Reich der Mitte. Ich bin in Gedanken.

„Was beschäftigt dich?", vernehme ich Sigur in meinem Kopf.

„Ich muss an deinen Vater denken."

„Was hat der alte Mann schon wieder von sich gegeben? Passt ihm etwa nicht, dass du dir ausgerechnet mich zum Partner erwählt hast?"

„Ganz im Gegenteil, er freut sich für mich und vor allem für dich. Dein Vater hat Worte zu mir gesagt, die mich sehr berührt haben. Er hat gemeint, er könne in deinen Augen die unendliche Liebe für mich sehen, die er für deine Mutter empfunden hat."

„Das hat er gesagt?"

„Ja, er hat auch gesagt, dass er sich sehr wohl dessen bewusst ist, dass er dich ungerecht behandelt hat. Er hat gemeint, ich solle dir die Kraft und die Wärme geben, die er dir nicht gegeben hat. Ich vermute, er konnte es nicht, weil deine Mutter die Kraft und die Wärme war, die ihm mit ihrem Tod plötzlich abhandengekommen ist."

„Das ist wieder einmal typisch, er schiebt es nun an dich ab."

„Sigur, dass dir dein Vater nicht die Liebe und Zuneigung gegeben hat, die ein Vater seinem Sohn entgegenbringen sollte, vor allem, wenn die Mutter nicht mehr da ist, finde ich unfair und schlimm. Aber seit ich mich in dich verliebt habe, kann ich ihn irgendwie auch ein ganz kleines Bisschen verstehen. Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde, wärst du plötzlich nicht mehr da. Ich glaube, auch mein Herz würde brechen."

Sigur sagt nichts darauf. Ich kann aber dank unserer Verbindung spüren, dass er nachdenklich geworden ist.

„Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wärst du nicht mehr da", gesteht er nach einiger Zeit.

Den Rest unseres Fluges schweigen wir. Ich will ihn nicht in seinen Überlegungen stören. Mir ist klar, dass sich gerade das Bild seines Vaters in seinem Kopf und in seinem Herzen ändert. Dabei will ich weder stören noch ihn drängen. Kurz vor der Landung sagt er dann etwas, das mich sehr berührt.

„Wie soll ein gebrochenes Herz noch lieben?"

Seine Überlegung ist durchaus nachvollziehbar. Allerdings rechtfertigt es trotzdem nicht ganz sein Verhalten.

„Trotzdem, er hätte sich der Verantwortung für seinen Sohn bewusst sein müssen. Ich kann, nach dem, was er mir gesagt hat, verstehen, warum er so geworden ist. Ich kann ihn aber trotzdem nicht verstehen. Er hätte für dich da sein müssen und dich lieben, ohne Wenn und Aber. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass er in seinem Schmerz versinkt. Seine Liebe zu dir hätte seine Wunden lindern können und er hat diese Chance verpasst."

„Du bist eine unglaublich kluge Frau. Dazu schön und einfach nur liebenswert", meint er.

Dann setze ich auch schon zur Landung an. Ich nehme wieder die Lichtung hinter dem Schloss, auf der wir schon einmal gelandet sind, als wir hier waren, König Winibert zu befreien. Ich verwandle mich zurück und schon machen wir uns auf den Weg zum Schlosstor.

Wir schweigen beide und auch ich hänge schon wieder meinen Gedanken nach. Ich hoffe wirklich, dass sich das Verhältnis zwischen Sigur und seinem Vater verbessert. Sie haben viel gemeinsame Zeit verloren und sollten nun den Rest, der ihnen noch bleibt, nutzen. Ob sich das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater jemals bessern wird, steht vermutlich in den Sternen. Bisher habe ich bei ihm keine Reue gesehen. Das wäre die Grundvoraussetzung. Als wir schließlich am Tor ankommen, reißt mich eine Stimme aus meinen Grübeleien.

„Prinzessin, ich wusste es!"

Ich schaue den jungen Mann genauer an und erkenne sofort den Wachmann, der uns zusammen mit seinem älteren Kollegen ins Verließ gebracht hat. Er zieht aus der Tasche über seinem Herzen die Brosche hervor.

„Euer Wetteinsatz!", meint er.

„Danke, dass du mich nicht verurteilt hast. Es hat mir sehr viel bedeutet, dass du an mich geglaubt hast", antworte ich.

Er kniet vor mir und blickt demütig zu Boden. Trotzdem kann ich sehen, wie er über das gesamte Gesicht strahlt. Ich nehme die mir dargebotene Brosche in die Hand und betrachte sie.

„Steh auf! Ich bin nicht mehr deine Prinzessin und auch nicht deine Königin."

„Ihr werdet immer meine Prinzessin sein!"

„Hier nimm!", fordere ich ihn auf. Dabei halte ich ihm die Brosche wieder hin. „Nimm sie zum Dank, dass du mir im Herzen immer treu geblieben bist. Nimm sie als Andenken an eine schwere Zeit, die wir Gott sei Dank hinter uns lassen können."

„Dank Euch, Prinzessin. Das war nur Euer Verdienst. Ihr habt die Welt gerettet."

Ich nehme seine Hand und lege die Brosche hinein, weil er nichts tut, um sie von sich aus zu nehmen. Dann schließe ich seine Finger, sodass er das Schmuckstück in seiner Hand einschließt. Ich bemerke, wie er leicht rot wird.

„Diene treu und ergeben Königin Anastasia, sie wird eine gute Monarchin sein und verdient es, dass ihr alle an sie glaubt, wie du an mich geglaubt hast."

Nach diesen Worten verabschiede ich mich und betrete das Schloss. Schweigend gehe ich über das Kopfsteinpflaster, das den Boden des Innenhofes bildet. Es fühlt sich sonderbar an, dass diese Mauern lange Jahre meine Heimat waren, dass ich sie so lange nur sehr selten verlassen durfte. In ihnen habe ich mich eingeengt gefühlt. Nun aber bin ich frei und fühle mich auch so.

„Wie fühlt es sich an, wieder hier zu sein?", erkundigt sich Sigur mitfühlend.

„Vertraut und doch fremd", gestehe ich.

Am Haupteingang stehen wie üblich vier Wachen. Drei wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Der vierte hingegen verbeugt sich und öffnet mir mit einem „Willkommen" die Tür. Ich bedanke mich und setze meinen Weg zum Thronsaal fort.

„Kannst du dich erinnern, wie wir das letzte Mal diesen Weg gegangen sind?", frage ich grinsend.

„Da haben sie ganz schön dumm aus der Wäsche geschaut", lacht auch Sigur.

Vor dem Thronsaal stehen auch diesmal vier Wachleute. Auch sie lassen mich durch. Als wir den leeren Saal betreten, folgen uns zwei der Wachleute. Ich kann deutlich ihre Unsicherheit spüren.

Ich stehe noch im Mittelgang zwischen den Besucherstühlen, als ein mir unbekannter Mann auf mich zugeeilt kommt. Auch er weiß nicht recht, wie er sich mir gegenüber verhalten soll.

„Prinzessin, ich bin der neue Kämmerer, eingesetzt von Königin Anastasia. Sie hat mir mit einem Boten die Anweisung erteilt, Euch zu behandeln, als wäre sie selbst anwesend. Sie wird heute noch nachkommen."

„Gut, dann bringt mir die beiden Gefangenen", sage ich entschlossen.

Ich schaue mich im Saal um. Als Kind war es immer ein beeindruckendes Erlebnis, wenn ich ihn betreten durfte. Allerdings war er dann auch immer voller Leute. Ihn zum ersten Mal völlig leer zu sehen, ist eine für mich neue und ernüchternde Erfahrung. Es ist einfach nur ein leerer Saal. Seine Magie, die ich wohl nur in meiner kindlichen Naivität in dieses Gemäuer projiziert habe, ist verflogen, einfach nicht mehr da.

Ich mache die wenigen Schritte und setze mich in die erste Besucherreihe. Sigur zögert etwas, als ich ihm aber zunicke, setzt er sich zu mir.

„Schaffst du das?"

„Natürlich, mich bindet nichts mehr emotional an diesen Raum."

„Du bereust es nicht, die Macht abgegeben zu haben?"

„Ich möchte die Zeit mit dir verbringen. So viel Zeit, wie ich nur aufbringen kann. Macht ist immer mit Verantwortung verbunden. Warum sollte ich mir diese freiwillig aufladen, wenn es Menschen gibt, die es gerne machen und dafür geeigneter sind als ich."

„Ich zweifle nicht an deiner Eignung."

„Aber ich muss es nicht machen und solange es jemand gibt, dem ich vertraue, muss ich nicht selbst eine Aufgabe übernehmen, die zwar notwendig ist, die aber nicht von der Person, sondern von der Eignung dazu abhängt."

Sigur zieht mich in eine herzliche Umarmung. Die Wachen betrachten uns argwöhnisch, aber das ist mir egal. Ich gehe davon aus, dass sich hier noch kein Paar so innig umarmt hat, wie wir. Deshalb gehe ich aus Übermut noch einen Schritt weiter und ziehe ihn an mich, lege meine Lippen auf die seinen und küsse ihn voller Leidenschaft. Nun schauen die Wachen betreten in eine andere Richtung.

Erst als ich Ketten rasseln höre, löse ich mich von meinem Geliebten. Zwei kräftige Wachleute sind dabei den Kämmerer und den Kommandeur der Garde in den Saal zu ziehen. Die beiden stemmen sich aus Leibeskräften dagegen, haben aber gegen die Hünen, die sie hinter sich her schleifen, keine echte Chance.

„Wir erkennen dich nicht als unsere Richterin an", faucht mich der Kämmerer an.

„Als ob mich euer Einverständnis interessieren würde", lache ich hämisch auf. „Dies zu bestimmen, liegt nicht mehr in eurer Hand."

„Dein Urteil ist nichts wert", legt Börinor nach.

„Ich will mir heute nur ein Bild davon machen, was ihr für Menschen seid", sage ich ehrlich.

„Was soll das heißen, was wir für Menschen sind?", begehrt der Kämmerer auf.

„Nun ja, was sind das für ekelhafte Typen, die ihr eigenes Land, die ihre Heimat und alle ihre Freunde verraten und hintergehen?"

„Was wirfst du uns vor?"

„Ich werfe euch vor, nur an euch zu denken und alle anderen über den Tisch zu ziehen. Kämmerer, hast du auch nur einen Moment an deine Frau, an deine Mutter oder an deine Kinder gedacht?"

„Die sollten ein besseres Leben haben."

„Unter der Herrschaft eines selbstherrlichen Königs? Einem Monarchen, den nur seine Person interessiert hat? Wie schnell glaubst du, hätte er euch beide fallen gelassen, wenn er gesehen hätte, dass ihr für ihn wertlos geworden seid?"

„Er hat mir versprochen, sein Statthalter in diesem Reich zu sein", hält mir der Kämmerer vor.

„Ein Statthalter, der das tun muss, was Meibert sagt. Super!"

„Er hat mir Macht und Reichtum versprochen."

„Und du hast daraufhin nicht mehr länger nachgedacht?"

„Ich wollte etwas werden!"

„Du warst unter meinem Vater Kämmerer. Was wolltest du mehr? König wärst du nie geworden, weder unter meinem Vater noch unter Meibert", halte ich dagegen. „Aber, selbst wenn das möglich gewesen wäre, glaubst du, es ist so leicht König zu sein? Das ist ein ausgesprochen verantwortungsvolles Amt."

„Ich wollte doch nur ...", sagt er. Er vollendet den Satz aber nicht.

„Was wolltest du? Deine Eitelkeit befriedigen?"

Daraufhin sagt er kein Wort mehr. Sein Blick aber verrät mir, dass langsam die Einsicht bei ihm siegt. Nun wende ich mich dem Kommandeur der Garde zu. Er blickt mich verbissen an.

„Wie kann man nur die Macht über sein Reich abgeben. Ihr hättet Königin in zwei Reichen sein können. Wir hätten die anderen angreifen und ...", beginnt Börinor.

„Stopp! Rede gar nicht weiter. Ich will keine Länder erobern. Hast du das noch immer nicht verstanden?"

„Aber das wäre die ganz große Macht!"

„Die Weltherrschaft! Ich weiß. Aber wofür?"

„Damit alle das tun, was du sagst!"

„Du armer Tropf. Du tust mir wirklich leid."

„Was? Ich tue dir leid?", faucht er mich an. „Du hast versagt. Du traust dich nicht, die Gelegenheit zu ergreifen und die Welt zu unterjochen."

Bei diesen Worten schaudert mir. Wie kann man es als gut ansehen, die Welt zu unterjochen? Hat dieser Mann denn überhaupt etwas vom Leben verstanden? Mir reichts.

„Bringt beide zurück in den Kerker. Wir werden morgen in Anwesenheit von Königin Anastasia die Urteile fällen. Informiert die Menschen, damit sie der Verhandlung beiwohnen können. Wer will darf kommen. Die Anrechte der Adeligen und der hochgestellten Bürger auf einen Platz im Saal sind aufgehoben. Jeder darf erscheinen und wird mit Respekt und Freundlichkeit empfangen", sage ich zu den Wachen und dem neuen Kämmerer.

Die Gefangenen werden wieder weggeführt. Dabei hat der Kämmerer ganz offensichtlich seinen Widerstand aufgegeben. Er geht ohne sich zu wehren mit den Wachen mit. Börinor dagegen sträubt sich noch stärker als zuvor, zurück in den Kerker zu müssen. Er schimpft und flucht zum Rotwerden. Ich hingegen erhebe mich und gehe hinaus in den Garten. Sigur folgt mir und geht die ganze Zeit wortlos neben mir her.

„Was Machtgier aus Menschen machen kann", sage ich.

„Hast du dir bereits ein Urteil gebildet?"

„Ich denke schon."

Er schaut mich neugierig an, allerdings sage ich nicht mehr. Ich möchte mich vorher mit Anastasia beraten. Sie ist die Königin und sie soll dem Urteil zustimmen. Zudem bin ich mir im Fall des Kämmerers noch nicht ganz sicher. Er war am Ende still und ich glaube, langsam setzt sich die Einsicht durch.

„Besuchen wir den Kerkermeister?", frage ich neckisch.

„Du meinst?"

„Wäre neugierig, wie er reagiert."

„Dann lass uns gehen", lacht auch Sigur.

Wir schlagen den Weg zum Kerker ein. Die Wache am Eingang erklärt mir, dass der Kerkermeister in seinem Büro zu finden sei. Da ich weiß, wo dieses liegt, brauche ich keine Führung und klopfe an die Tür, sobald wir dort sind.

„Wer stört mich?", höre ich ihn brummen. Er ist offenbar schlecht gelaunt.

„Heißt das herein oder draußen bleiben?", frage ich schelmisch.

„Mann, das heißt, wer ist da."

„Aurora."

„Welche Aurora?", sagt er. Es folgt eine kurze Pause. „Aber doch nicht die Aurora."

„Die frühere Prinzessin."

Als ich das sage, öffne ich die Tür und stehe in einem geräumigen und luxuriös eingerichteten Zimmer. Ich hätte nie gedacht, dass man sich hier im Keller so verschwenderisch einrichten kann. Hinter einem großen Schreibtisch sitzt ein bleicher Kerkermeister. Auf dem Tisch steht ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit. Eine leicht bekleidete Dame steht neben ihm. Ihre Haare sehen zerzaust aus und auch ihre Kleidung sitzt nicht richtig.

„Eure Hoheit, was kann ich für Euch tun?"

„Eure Hoheit, echt jetzt? Das klang das letzte Mal noch ganz anders."

„Verzeiht mir!"

„Warum sollte ich?"

Er steht hastig auf, kommt auf mich zu, fällt vor mir auf die Knie und schaut mich flehend an. Mir ist allerdings bewusst, dass es ihm einzig und allein um die Erhaltung seines Postens geht. Wenn ich das Büro und das Glas auf dem Schreibtisch sehe, mir überlege, was er mit dem Mädchen gerade gemacht hat, kann ich mir gut vorstellen, dass er sein angenehmes Leben um keinen Preis verlieren möchte.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehe ich mich um und verlasse diesen Bereich des Schlosses. Er versucht mich noch ein Stück zu begleiten und wieselt um mich und Sigur herum, aber ich schenke ihm keinerlei Beachtung mehr.

Ich werde Anastasia empfehlen, ihn zu den schweren Jungs im Steinbruch zu versetzen. Er soll dort als einfacher Wachmann dafür sorgen, dass keiner entkommen kann.

Kapitel 25

Zusammen mit Anastasia, Nina und Sigur betrete ich den Thronsaal. Als die neue Königin den Raum betritt höre ich „Oh!" und „Ah!" rufen. Die Leute sind überrascht. Für sie dürfte es ungewohnt sein, dass sie von einer Frau regiert werden, von einer so jungen und hübschen noch dazu.

Wir vier haben uns beim Frühstück ausführlich über das Reich der Mitte unterhalten und mit dem neuen Kämmerer beraten. Dieser scheint ein guter Mann zu sein. Mit seiner Wahl hat Anastasia wieder einmal bewiesen, eine gute Königin zu sein.

Als Anastasia und ich auf den Thron zugehen überkommt mich ein sonderbares Gefühl. Ihn so leer und verlassen zu sehen, macht Eindruck auf mich. Wenn ich vor meinem Weggehen den Saal betreten habe, saß immer mein Vater dort. Das wird er nie mehr.

„Nimm Platz!", bietet Anastasia an. Dabei deutet sie auf den Thron.

Ich schaue sie ein wenig überrascht an. Ja, ich hätte mich als Kind manchmal aus reiner Neugier gerne auf den Thron gesetzt, einfach um zu spüren, wie es sich anfühlt, dort zu sitzen und auf die Leute herabzuschauen. Aber jetzt, ist dieser Wunsch nicht mehr vorhanden. Nicht umsonst habe ich freiwillig darauf verzichtet. Deshalb gehe ich stattdessen auf den kleineren Thron zu, der eigentlich für die Königin vorgesehen ist. Bevor ich mich setze, wende ich mich an Nina.

„Darf ich?"

„Warum fragst du mich?", meint sie verwundert.

„Das ist der Thron, der eigentlich dem Partner der Königin zusteht, also dir."

„Du meinst doch nicht etwa...?"

„Doch, Nina. Du wirst als Frau der Königin Aufgaben zu erfüllen haben. Deshalb steht dir auch dieser Platz zu."

„Heute wäre mir lieber, du würdest darauf Platz nehmen", antwortet sie.

Ich stelle mich vor den zweiten Thron, warte aber, bis sich Anastasia auf den eigentlichen Thron niederlässt und setze mich erst dann. Eine gespannte Ruhe herrscht im Saal. Alle blicken erwartungsvoll zu uns. Da erhebt sich Anastasia und alle im Saal tun es ihr gleich.

„Liebe Anwesende, wir haben uns heute hier versammelt, um einen Neuanfang zu unternehmen. Was war, das ist vorbei und wir versuchen es nun besser zu machen. Wir wollen mit Zuversicht auf eine neue Zeit zugehen. Ich bin eure neue Königin und fühle mich geehrt. Es war Aurora, die eine neue Weltordnung ermöglicht hat. Trotz allem hat sie auf den Thron verzichtet. Ich wünsche mir aber, dass sie im Andenken dieses Landes, in der Geschichte, fest verankert ist und bleibt.

Um ohne Altlasten in eine gute Zukunft zu gehen, müssen wir noch das Urteil über den früheren Kämmerer und den Kommandeur der Garde fällen. Sie haben versucht, die Welt aus den Angeln zu heben.

Die beiden haben Auroras Vater, den König, unter Drogen gesetzt, ihn hintergangen und wollten die Prinzessin aus dem Weg räumen. Verbrechen, die jedes für sich schon unverzeihlich sind, und die eigentlich nur ein Urteil kennen. Hochverrat ist eines der schlimmsten Verbrechen, das man begehen kann."

Als sie das sagt, höre ich eine Frau im mittleren Alter scharf Luft holen. Sie sitzt in der ersten Reihe und schart fünf Kinder um sich, die ich auf zwei bis 12 Jahre schätze. Sie hat Tränen in den Augen und ihr Blick wandert nun von Anastasia zu mir. Da ich weiß, dass Börinor keine Familie hat, kann es sich bei der Frau und den Kindern nur um die des früheren Kämmerers handeln.