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Legenda Major

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Noch während ich nachdenklich zur Frau hinschaue, werden die Türen zum Saal geöffnet und die beiden Gefangenen werden in den Saal geführt. Während der Kämmerer dem Wachmann widerstandlos folgt, widersetzt sich der Börinor auch heute aus Leibeskräften. Er schimpft und flucht, wie ein Rohrspatz. Es hilft ihm aber nichts, er wird vor den Thron gezogen und bleibt dort zusammen mit dem Kämmerer stehen. Während dieser wie ein geprügelter Hund dreinschaut, steht der frühere Kommandeur der Garde hoch erhobenen Hauptes da. Sein Blick sprüht vor Hass.

„Ihr habt keine Gewallt über mich. Ich erkenne euch beide nicht an, ihr dummen Weiber", faucht Börinor.

Ich erhebe mich, mache in aller Ruhe zwei Schritte auf ihn zu. Sein Schimpfen geht ohne Unterbrechung weiter.

„Was hast du noch zu sagen? Du kennst die Anklage und die mögliche Strafe", sage ich zu Börinor.

„Ach leck mich doch am Arsch!", faucht er.

Die Zuschauer halten den Atem an. Sie sind sichtlich geschockt. Das kann ich in den Gesichtern deutlich lesen. Ich habe mir aber nichts anderes erwartet und bin deshalb nicht sonderlich überrascht.

„Königin Anastasia, ich bin mir bewusst, dass auf Hochverrat die Todesstrafe steht. Für diesen Mann finde ich das allerdings zu milde. Ich schlage vor, dass er zur lebenslangen Arbeit im Steinbruch verurteilt wird. Dann muss er für den Rest seines jämmerlichen Lebens, jeden Tag mitansehen, wohin ihn seine Sturheit gebracht hat und wie sich dieses Land zum Vorteil aller Bürger entwickelt. Der Kerkermeister soll zu seiner Bewachung abgestellt werden und ihm jeden Tag berichten, was es Neues gibt. Und wehe, der Gefangene entkommt, dann darf der Kerkermeister für ihn die Steine klopfen."

„Das ist ein etwas eigenwilliges Urteil, aber es gefällt mir", grinst Anastasia. „Es soll so sein, wie Aurora es gesagt hat."

„Das könnt ihr nicht machen, das könnt ihr nicht machen!", brüllt Börinor.

Allerdings schenkt keiner mehr seinem Gezeter Beachtung. Das Volk hingegen jubelt und applaudiert. Es scheint mit dem Urteil zufrieden zu sein.

Nachdem die Zuschauer sich beruhigt haben, wende ich mich an den früheren Kämmerer. Er blickt mir ängstlich entgegen.

„Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?"

„Prinzessin Aurora, ich habe nichts, was mein Handeln rechtfertigen könnte. Ihr habt mir gestern im Gespräch die Augen geöffnet. Ich habe eine ganz, ganz große Dummheit gemacht, ich habe mich von einem Schwätzer bequatschen lassen und war gierig. Ich habe unverzeihliche Dinge gemacht, das gesamte Reich in Gefahr gebracht und schäme mich dafür. Ich werde mich eurem Urteil mit Demut beugen."

„Verräter, Feigling, Weichling", beschimpft ihn sein Mitangeklagter.

„Ich finde nicht, dass er ein Feigling ist, lieber Börinor. Ich bin vielmehr der Meinung, dass es sehr viel Mut braucht, um einen Fehler öffentlich, vor so vielen Menschen, einzugestehen und die Konsequenzen zu tragen", sage ich.

Ich blicke in die Runde. Dabei sehe ich, wie die Frau des früheren Kanzlers gebannt zu mir schaut. Sie zittert vor Aufregung. Die Kinder spüren die Unsicherheit der Mutter und der Kleinste beginnt zu weinen. Einige um sie herum verziehen genervt das Gesicht. Ich dagegen erhebe mich und gehe zu ihr hin. Da zufälligerweise ein Stuhl neben der Frau frei ist, setze ich mich zu ihr und nehme das weinende Kind auf den Schoß.

„Wie heißt du?", frage ich ihn.

„Josef", antwortet er mit dünner Stimme.

Ich blicke wieder zum Vater des Kleinen. Der Frau lege ich beruhigend eine Hand auf die ihre.

„Es wird alles gut. Vertrau mir!", flüstere ich ihr zu.

„Du hast einen Fehler gemacht, einen sehr gravierenden sogar. Aber du zeigst Einsicht und Reue. Ich habe dich immer für einen fähigen Mann gehalten und hoffe, dass ich mich nicht täusche. Du hast eine so wundervolle Frau und ganz süße Kinder. Wie sollte ich ihnen den Ehemann und Vater nehmen? Dann wäre ich nicht besser und auch ich würde einen enormen Fehler machen.

Mein Vorschlag für das Urteil lautet, du wirst eine soziale Einrichtung aufbauen und leiten, welche Menschen hilft, die sich in Not befinden, die Essen, Kleidung, Wohnung oder eine Arbeit brauchen. Du wirst diese Einrichtung führen und für das Wohl der dir anvertrauten Menschen sorgen. Du wolltest eine verantwortungsvolle Aufgabe, du sollst sie bekommen!"

Einen Moment herrscht absolute Stille im Saal, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Dann aber reden plötzlich alle durcheinander. Ich bin mir bewusst, dass mein Urteil äußerst unkonventionell ist und, dass keiner damit gerechnet hätte, dass der Mann auf freien Fuß kommt. Ein Blick zu Anastasia zeigt mir, dass sie mit meinem Vorschlag zufrieden ist. Ich glaube, sie wäre mit allem zufrieden, solange ich es vorschlage.

„Er wollte Euch hängen lassen. Er kann doch nicht einfach so davonkommen!", ruft ein Mann aus dem Publikum. Mir ist klar, dass er genau das ausspricht, was fast alle im Saal sich denken.

Bei seinen Worten stehe ich auf und versuche ihn ausfindig zu machen. Ich will ihm in die Augen schauen. Er bemerkt, dass ich ihn suche, und hebt die Hand. Es ist ein Mann um die 50. Ich halte immer noch den Kleinen im Arm.

„Ja, er wollte mich hängen lassen, zusammen mit meinem Freund. Und beide und nicht jemand hier aus dem Publikum. Wenn ich ihm jetzt verzeihen kann und Sigur wird es sicher auch tun, warum könnt ihr das dann nicht auch?", frage ich bewusst provokant.

„Aber er kann doch nicht so davonkommen", bohrt er nach.

„Haben sie noch nie einen Fehler gemacht?"

„Doch, aber keinen so großen."

„Ob große oder kleine, Fehler passieren. Ich kannte Meibert persönlich, er konnte ausgesprochen überzeugend sein und leicht jemand in die Irre führen, ihn manipulieren. Das ist noch keine Entschuldigung, das ist mir klar. Aber dieser Mann hat seinen Fehler eingesehen und bereut ihn. Hat er keine zweite Chance verdient?", sage ich und verstecke dabei nicht meine Emotionen. Dann halte ich den Kleinen hoch. „Soll ich diesem Kind den Vater nehmen? Wollt ihr das wirklich, könntet ihr so etwas verantworten? Dann würden wir doch den gleichen Fehler machen, wie er. Wir würden nur Rache wollen und nicht das große Ganze m Auge haben."

Der Kleine schaut unsicher zu mir herab. Ich lasse ihn sinken, lächle ihm aufmunternd zu und nehme ihn erneut in den Arm.

„Schon gut mein Kleiner", beruhige ich ihn. „Alles wird gut!"

„Aurora geht vermutlich andere Wege als wir es gewohnt sind. Sie folgt ihrem Herzen. Was ist daran schlecht, was kann daran schlecht sein, wenn sie auf ihr Herz hört?", will Anastasia wissen. Sie legt ausgesprochen viel Autorität in diese Worte. Dann allerdings wird sie emotional. „Sie hat ein Herz, ein ganz großes Herz und genau das bewundere ich an ihr. War es nicht genau dieses Herz, das sie dazu bewogen hat, die Welt zu retten, ihr eigenes Leben hintanzustellen und gegen die Gefahr zu kämpfen? Aurora hat ihre eigene Meinung, ihren eigenen Willen und dafür steht sie bedingungslos ein. Ja, ich sage es noch einmal, genau das bewundere ich an ihr. Das Urteil wird genau so sein, wie Aurora es vorgeschlagen hat. Lasst den Mann frei!"

Zunächst ist es still im Saal. Dann aber reden alle durcheinander und immer öfter kommen zustimmende Zwischenrufe. Einige Zuschauer stehen auf und applaudieren, es folgen immer mehr und schließlich steht der ganze Saal. Sie haben es verstanden!

Mein Blick gleitet zur Frau des früheren Kämmerers. Sie sitzt auf ihrem Stuhl und weint. Sie kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Eines der älteren Kinder zupft unsicher an ihrem Rockzipfel.

„Mama, was ist los? Warum weinst du?"

„Weil ich so froh bin!", sagt sie. „Alles wird wieder gut."

Dann erhebt sie sich. Sie versucht notdürftig die Tränen fortzuwischen. Mir fällt auf, dass sie eine ausgesprochen hübsche Frau ist. Im Moment allerdings schaut sie von den Sorgen geplagt etwas mitgenommen aus. Mit den Kindern im Schlepptau kommt sie zu mir.

„Gott segne dich, Aurora! Du bist ein wirklich guter Mensch."

„Ich habe doch nur das getan, was vernünftig und gerecht ist."

„Du hast unglaubliche Größe bewiesen. Mein Mann hat dir, deiner Familie und dem ganzen Reich sehr übel mitgespielt. Ich hätte auch erwartet, dass er streng bestraft wird. Er hätte es sich verdient, auch, wenn er es wirklich nur gut gemeint und nicht verstanden, dass dieser König des Ostens ihn nur benutzt hat."

„Ich weiß, dass er ihm auf den Leim gegangen ist."

Sie fällt mir um den Hals und drückt mich fest an sich. Ich versuche noch schnell den Kleinen zur Seite zu halten, damit er nicht zwischen uns zerquetscht wird. So stürmisch ist die Frau. Langsam kommt nun auch der frühere Kämmerer zu uns. Ich löse mich von seiner Frau. Sofort fällt sie ihrem Mann um den Hals. Ich kann aber hören, wie sie ihm halblaut ins Ohr flüstert.

„Du bist so ein riesengroßer Depp. Ich habe dir immer gesagt, dass dieser Typ nicht vertrauenswürdig ist. Aber du hast ja nicht auf mich gehört. Dein Glück ist nur, dass die Prinzessin eine sehr kluge und gerechte Frau ist und ihren eigenen Weg geht. Jeder andere König hätte dich zum Tode verurteilt."

„Ich weiß und ich werde einen solchen Fehler nie mehr machen", versichert er.

„Das kann ich garantieren. So etwas lasse ich nie wieder zu", sagt die Frau entschlossen.

Ich muss grinsen und bin froh, so entschieden zu haben. Die beiden lieben sich wirklich aus tiefstem Herzen und stehen auch in schwierigen Zeiten zueinander. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es der Frau gefallen sein muss, zur Gerichtsverhandlung zu kommen. Vermutlich haben alle im Saal und auf dem Weg hierher mit dem Finger auf sie gezeigt. Dabei kann sie selbst doch gar nichts für die Taten ihres Mannes.

Noch einmal blickt sie über die Schulter ihres Gatten zu mir und schenkt mir ein dankbares Lächeln. Ich nicke nur, setze den Kleinen ab, den ich in die Obhut eines seiner Geschwister schiebe und will mich umdrehen.

„Tante, wie heißt du?", sagt der Kleine plötzlich.

Ich halte in meiner Bewegung inne, gehe in die Hocke und nehme seine kleine Hand, um sie zu schütteln. Er schenkt mir ein offenes Lächeln.

„Ich bin Tante Aurora."

„Du bist eine gute Tante", meint er.

„Ich hoffe es. Wir sehen uns wieder, ich komme dich besuchen."

Daraufhin streckt er mir sein Händchen noch einmal entgegen. Ich nehme es und halte es sanft. Er lächelt mich immer noch an.

„Pass auf deine Mama auf und sei lieb zu ihr", sage ich lachend. „Sie ist eine gute Frau."

Dann stehe ich auf, will mich erneut auf den Weg machen. Aber ich werde ein weiteres Mal zurückgehalten. Diesmal ist es die Mutter des Kleinen. Sie hält mich am Ärmel zurück, auch wenn ihr das sichtlich peinlich ist.

„Ihr seid immer willkommen bei uns, Prinzessin."

„Ich bin keine Prinzessin mehr, aber ich komme gerne."

Ich ziehe sie noch einmal in eine Umarmung, ihr Mann streckt mir die Hand entgegen und bedankt sich noch einmal für meine Nachsicht. Er verspricht mir, sich für die soziale Einrichtung einzusetzen und diese zum Erfolg zu führen.

Danach mache ich mich wirklich auf den Weg. Ich nehme Anastasia unterm Arm und gehe mit ihr hinaus in den Garten. Dort setzen wir uns auf eine Bank.

„Ich danke dir!", sage ich.

„Wofür?"

„Dass du meine Urteile ohne Zögern angenommen hast."

„Sie waren klug und gerecht und ich hätte es nicht besser machen können. Du hast sehr viel Mut und Größe gezeigt, indem du dich nicht auf die Gesetze berufen hast, sondern deinem Herzen gefolgt bist. DU hast mir wieder einmal gezeigt, dass man neue Wege gehen muss, dass man Güte zeigen muss, wo sie angebracht ist und Härte, wo es unausweichlich ist. Diese Verhandlung war für mich eine Lehrstunde und ich werde mich bemühen, deinem Beispiel zu folgen."

„Ich lasse dieses Reich in guten Händen, das weiß ich und genau dafür danke ich dir auch."

„Du scherzt, ich habe zu danken. Du hast mir dein Reich freiwillig abgetreten, nur um das Gleichgewicht wiederherzustellen."

„Wenn ich ehrlich bin, dann war das nicht ganz so uneigennützig, wie es jetzt klingt. Ich bin nicht die Königin, die jeden Tag Entscheidungen trifft. Ich möchte auch leben. Ich bin mir sicher, ich wäre daran zerbrochen, hätte ich Königin werden müssen. Ich will Zeit mit meiner Familie verbringen und die hätte ich nicht. Du nimmst mir also eine große Last ab."

„So habe ich das noch nie gesehen", meint Anastasia nachdenklich.

„Du bist ein anderer Mensch, du bist, wie geschaffen dafür. Mit Nina hast du außerdem eine wunderbare Partnerin an deiner Seite, die dich unterstützen wird. Deshalb habe ich dir das alles ja auch zugemutet."

Sie lacht herzlich über meine Formulierung und zieht mich in eine innige Umarmung. Wir verharren einige Zeit so, bis wir durch erboste Rufe gestört werden.

„Ich nehme das nicht hin!", brüllt mein Vater schon von weitem. „Das ist mein Königreich!"

Ich warte neben Anastasia, bis er uns erreicht hat. Ich bleibe gelassen. Ein wenig wundert mich das. Noch bis vor wenigen Wochen hatte ich großen Respekt vor meinem Vater. Ihm nun entschlossen gegenüberzutreten, wäre mir nie im Leben in den Sinn gekommen. Und wenn, wäre ich nie und nimmer so ruhig geblieben. Das lag wohl eher an seinem Amt als an seinen Fähigkeiten. Das wird mir allmählich bewusst. Erst als er vor uns steht, ergreife ich das Wort.

„Du bist kein König mehr. Du hast den Laden an die Wand gefahren und wir anderen mussten den Karren wieder aus dem Dreck ziehen. Sei froh, wenn Anastasia so großmutig ist und dich weiterhin hier wohnen lässt."

„Warum gibst du den Thron so leichtfertig aus der Hand. Er steht unserer Familie zu und keiner Fremden."

„Ich handle ganz bestimmt nicht leichtfertig. Ich habe mir das gut überlegt und im Gegensatz zu dir weiß ich ganz genau, wem ich vertrauen kann und wem nicht. Anastasia wird eine wunderbare Königin sein."

„Du kannst mir das, was passiert ist, nicht vorwerfen."

„Wem denn dann? Übernimm doch endlich Verantwortung!"

„Ich war doch immer ein guter König und ein guter Vater. Du willst dich doch nicht ernsthaft beklagen!", schimpft er.

Jetzt reichts mir. Von einem guten König zu sprechen, wenn er die Welt beinahe an den Rand einer Katastrophe gebracht hat, finde ich dreist und seine Qualitäten als Vater kann ich wohl besser beurteilen als er selbst.

„Du hast kein Herz, Vater! Aber genau das braucht es, um ein guter König und ein guter Vater zu sein."

Seine Gesichtszüge erstarren. Mir ist klar, dass ich hart zu ihm bin, aber es ist die Wahrheit und die muss irgendwann raus. Jetzt ist dieser Moment gekommen. Er kann und soll sich nicht schon wieder aus der Situation mogeln.

„War ich so schlimm?"

„Du hast dir immer etwas vorgemacht und du hast immer nur dich gesehen. Das Volk hat es unter Anastasia mit Sicherheit viel besser. Du hast ja nur den Adel und die einflussreichen Bürger hofiert und versucht, es ihnen recht zu machen. Das alles nur, damit sie dir heuchlerisch sagen, wie gut du bist. Um den kleinen Mann hast du dich doch nie gekümmert. Ob eine Mutter, die für zwei Kinder sorgen muss, nachts vor Hunger weinend wach im Bett liegt, das hat dich nie gekümmert. Dabei ist sie genauso ein Teil deines Volkes."

„Und als Vater?"

„Ich bin alt genug, um meinen eigenen Weg zu gehen und ich bin froh darüber."

„So siehst du das. Dabei habe ich dir alle meine Liebe gegeben."

„Welche Liebe? Du hast mich seit Mutters Tod nicht ein einziges Mal in den Arm genommen und getröstet. Obwohl ich es damals so dringend nötig gehabt hätte, hast du mich allein gelassen. Ich war nur von Lehrern und Gouvernanten umgeben, die mir immer gesagt haben, was ich zu tun habe. Konnte ich auch nur einen Moment ein kleines Mädchen sein, das mit einer Freundin spielt und Spaß hat? Nein! Ich musste lernen, wie ich mich als Prinzessin und später als Königin zu benehmen habe. Verstehst du das unter Liebe?"

„War es für dich so schlimm?"

„Ich mach dir keinen Vorwurf, du hast es nicht besser verstanden. Aber glaube nicht, dass ich mich um dich kümmern werde. Anastasia hat mir zugesagt, dass du im Schloss wohnen kannst und für dich gesorgt wird. Mehr hast du von mir nicht zu erwarten."

Ich sehe ihm an, dass ihn meine Worte getroffen haben. Aber es musste einfach einmal raus. Ich habe lange nichts gesagt, wohl zu lange! Aber nun beginnt für mich ein neuer Lebensabschnitt mit Sigur und den lasse ich nicht von meinem Vater bestimmen. Ich will meinen Weg alleine gehen, wie ich es im Grunde mein ganzes Leben lang schon mache.

Mein Vater verabschiedet sich und geht von dannen. Ich schnaufe einmal tief durch und wende mich meiner Freundin zu. Sie ist die ganze Zeit hinter uns gestanden und hat kein Wort gesagt.

„Du warst hart zu ihm", meint sie.

„Ich habe ein Leben lang geschwiegen. Es musste einfach raus."

„Das kann ich verstehen."

Sie nimmt mich in den Arm und ich schmiege mich an sie. Es tut gut, eine Freundin zu haben. Etwas, das ich fast mein ganzes Leben lang nie hatte. Wir verharren einen Augenblick einfach so.

„Ich beginne ein neues Leben. Das will ich selbst bestimmen und mir keine Vorschriften mehr machen lassen. Mein Vater hat in meinem bisherigen Leben keine wirkliche Rolle gespielt, warum sollte ich ihn in Zukunft daran teilhaben lassen?"

„Du hast ein Recht darauf, auch egoistisch zu sein und auf dich zu schauen. Ich glaube, genau das musst du auch."

Kapitel 26

„Hallo, ich bin Aurora, ich möchte zu Königin Anastasia", sage ich zur Wache am Tor.

Der Mann mustert mich und Sigur eingehend. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, weiß er nicht, ob er uns davonjagen soll oder nicht.

„Sie wünschen?"

„Ich bin eine Freundin von ihr."

„Ach ja, das kann wohl jeder sagen."

„Jede, wenn schon. Nur eine Frau kann eine Freundin sein, ein Mann wäre ein Freund", antworte ich schnippisch.

„Für Besserwisserinnen haben wir hier keinen Platz", faucht er mich an. „Verschwindet!"

„Aurora, kannst du mit den Wachen am Tor nicht einmal freundlich sein?", lacht Sigur.

„Was denn? Stimmt doch, ein Mann kann keine Freundin sein."

„Das weiß ich, aber das musst du dem Mann nicht unter die Nase reiben."

„Genau und deswegen kommt ihr beide hier nicht hinein", meint die Torwache.

„Soll er etwa dumm sterben?", setze ich nach.

„Aurora!", lacht Sigur.

„Wetten, dass wir hineinkommen?", sage ich herausfordernd zum Wachmann.

„Das sehe ich anders. Du kommst nicht hinein! Darauf kannst du deinen hübschen Arsch verwetten", grinst der Mann vor mir.

„Anastasia, deine Wache macht Anspielungen auf meinen Hintern, Ich dachte, du wolltest in deinem Reich darauf achten, dass die Männer Respekt vor den Frauen haben", kommuniziere ich mit Anastasia über Gedanken.

„Aurora?"

„Wer denn sonst?", grinse ich.

„Wo bist du?"

„Vor dem Tor und deine Wache meint, ich könnte meinen hübschen Arsch darauf verwetten, dass ich nicht ins Schloss gelassen werde."

„Ich komme!"

Ich höre noch ihr Lachen. Dann unterbreche ich die Verbindung. Damit kann ich meine volle Aufmerksamkeit wieder der Torwache widmen, die mich herausfordernd anschaut.

„Also, was ist?", meint der Mann.

Die drei Kollegen hinter ihm beobachten die Szene mit einem amüsierten Ausdruck im Gesicht. Offenbar finden sie die Sache witzig.

„Was soll schon sein?"

„Zieht ihr Leine oder soll ich euch verhaften?"

„Ihr wollt uns verhaften? Echt jetzt?"

„Wenn ihr nicht innerhalb von fünf Sekunden einen Abgang macht, dann lasse ich euch drei Tage im Kerker schmoren."

„Wetten, dass in wenigen Minuten Königin Anastasia mich begrüßen wird?"

Der Mann lacht laut auf und kriegt sich fast nicht mehr ein. Er hält sich den Bauch und ist ganz rot im Gesicht. Ungesund rot, wie ich finde. Plötzlich aber bleibt ihm das Lachen im Hals stecken und sein Kopf wechselt von hochrot zu kreidebleich als er die Königin neben sich bemerkt. Seine drei Kollegen stehen schon stramm und verneigen sich tief.

„Aurora, du wirst dich wohl nie ändern, komm in meine Arme!", sagt die Königin lachend. Sie zieht mich dabei in eine herzliche Umarmung.