Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Junge Liebe Teil 11

ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

Sie hatte sich wie der letzte Mensch verhalten. Und die Last dieser Schuld lauerte irgendwo im Hintergrund auf eine Chance, sie zu zerquetschen. Also klammerte sie sich an ihren Plan und blendete alles andere aus.

Bis...

„Die Ärzte sagen, dass du katatonisch bist", sagte Peter ruhig.

Tanja schluckte. War das ein Traum?

„Sie sagen, du reagierst kaum auf irgendetwas. Vielleicht nimmst du nicht einmal deine Umgebung wahr", murmelte er wie zu sich selbst. Und dann wieder lauter: „Ist das so, Tanja? Nimmst du mich wahr?"

Gegen ihren Willen schluckte sie hart und Tränen traten in ihre Augenwinkel.

Sie versuchte, es zu verhindern, aber sie fühlte, wie ihr Kinn anfing zu zittern und wie sich ihr Kopf leicht bewegte.

„Also hörst du mich doch", stellte ihr Cousin fest. „Dann habe ich eine Frage an dich."

Sie stählte sich. Oder versuchte es zumindest.

Er würde nach dem Grund für ihren Selbstmordversuch fragen. Oder nach ihrem Hass auf ihn. Und sie würde ihm nicht antworten.

Peter musste sicher sein, dass sie nichts weiter als verachtenswert war, damit ihr Tod einen Sinn machte. Er war so mitfühlend und weich. Er musste sie aus seinem Herz verbannen, auch wenn sie darin sowieso niemals den Platz eingenommen hatte, den sie sich wünschte.

Es musste sein!

„Was hat Rene Pfaffer dir angetan?", fragte er gepresst.

Was? Nein!

Ein Schluchzen rutschte ihr aus der Kehle, als ihr Kopf unwillkürlich herumflog. Fassungslos starrte sie ihn an.

Er durfte davon nichts wissen. Nicht einmal Nadia wusste davon. Niemand wusste...

Kenni!

Die Schuld hatte auf diesen Moment der Schwäche gewartet und brach über sie herein. Schnell konnte sie ihren Cousin nur noch schemenhaft erkennen. Aber sie hatte gesehen, dass er... gereift war. Sicherer als zuvor.

Nicht dank ihr. Soviel stand fest.

So sehr sie es auch versuchte, Tanja konnte dem Schmerz nicht die Stirn bieten. Sie versank in einem Meer aus Scham, Schuld und Selbsthass. Nur mit Mühe konnte sie verhindern, dass sie hemmungslos anfing zu schluchzen.

Dann war da seine Hand an ihrer Wange. Ohne Rücksicht auf die Tränen. Und seine Stimme...

„Warum hast du mir nichts gesagt, Tanja?"

Weinte er?

Hilflos presste sie ihr Gesicht gegen die Berührung und konnte das Schluchzen nicht mehr unterdrücken.

Plötzlich wollte sie ihm so viel sagen. Wollte ihn um Verzeihung bitten. Sich erklären. Ihm alles beichten. Aber es ging nicht.

Ihre Kehle war zugeschnürt und nichts als krampfartiges Schluchzen drang daraus hervor. Die Worte wollten einfach nicht an dem Knoten in ihrem Hals vorbei. Egal wie hart sie es auch versuchte.

Verzweifelt bäumte sie sich gegen die Fesseln an ihren Armen auf, aber die gaben nicht nach.

Hektik brach im Raum aus, als Leute hinzukamen. Sie zerrten Peter von ihr fort und Tanja wollte schreien. Doch sie konnte nicht.

‚Nein! Bleib bei mir!', wollte sie ihm zurufen. ‚Verzeih mir!'

Aber er wurde fortgerissen und Fremde bemühten sich, sie auf das Bett zurückzudrücken.

Tanja kämpfte. Gegen ihren eigenen, verräterischen Körper, der sie daran hinderte, zu sprechen. Und gegen die Menschen, die sie von Peter fernhalten wollen.

Sie kämpfte, bis das dumpfe Gefühl der Betäubung über ihr zusammenschlug und die Kraft sie verließ.

Bis alles um sie herum schwarz wurde.

Bis sie allein war in der Dunkelheit. Allein mit ihrer Schuld...

XXV.

Kenni saß auf einer niedrigen Mauer im Eingangsbereich des Krankenhauses und wartete. Patty stand vor ihm und er hatte seine Arme um sie gelegt. Sie war besorgt und er versuchte, ihr ein wenig Ruhe zu spenden. Aber er wusste auch, dass sie in Gedanken bei Peter war.

Ihre leichte Unruhe war allerdings nichts im Vergleich zu Nadias Nervosität. Die Blondine war nicht einfach angespannt, sie war außer sich. Sie konnte nicht stillstehen, während sie alle warteten.

Kenni wusste in etwa, was ihr vermutlich im Kopf herumging.

Peter war entschlossen gewesen, seiner Cousine allein gegenüberzutreten. Nadia hatte versucht in umzustimmen, aber er war eisern geblieben. Und nun sorgte sich Nadia darüber, was dort drinnen geschehen mochte.

Normalerweise hätte Kenni ihre Sorge sogar geteilt. Tanja hatte immer gewusst, wie sie die Schwäche von Peter ausnutzen konnte. Sie hatte seine Weigerung, ihren seltsamen Hass zu erwidern, gegen ihn verwendet. Und ihn damit in gewisser Weise für viele Jahre daran gehindert, endlich erwachsen zu werden.

Nadia kannte Tanja noch besser als Kenni. Sie wusste vermutlich, wie durchtrieben der Rotschopf sein konnte. Und wie eiskalt sie wirklich war. Aber trotzdem war er eigentlich unbesorgt.

Es war die Art, wie Peter zu Nadia gesagt hatte, dass er dieses Gespräch allein führen musste. Die Art, wie er dem Bitten, Flehen und Drängen widerstanden hatte.

Er war nicht mehr der Kerl, den man vor einer Woche noch mit einem boshaften Kommentar völlig aus der Bahn werfen konnte. Das eine, fehlende Puzzlestück zum Erwachsenwerden, das ihm gefehlt hatte, war ihm von seiner neuen Freundin gegeben worden. Und jetzt war er genau so, wie ihn Kenni eigentlich schon immer gesehen hatte.

Nadia mochte sich Sorgen machen, aber Tanja würde diesen neuen Peter nicht mehr um den Finger wickeln. Und ihn auch nicht verunsichern. Nicht, solange sie selbst da war und auf ihn wartete, um ihn auf jede erdenkliche Weise zu stützen.

Ob es den beiden bewusst war oder nicht - sie waren genau der Stützpfeiler, den der jeweils andere gebraucht zu haben schien. Ganz zu Beginn war es Kenni erschienen, als wäre Nadia eine etwas andere Version von Tanja. Und nun, wo er langsam ein wirklich umfassendes Bild davon hatte, weswegen Tanja so war, wie sie war...

Lange betrachtete er die auf und ab tigernde Blondine und fragte sich, was ihr wohl zugestoßen sein mochte. Irgendwas Schreckliches von der Art, wie Tanja es mit sich herumschleppte, musste auch in ihrer Vergangenheit lauern.

Sie schien immer dominant und selbstsicher, aber Kenni verstand langsam, dass sie sich dabei so sehr auf Peter stützte, wie sie sich zuvor an das geklammert hatte, was ihren Schmerz verursachte. So wie Tanja sich auch an ihr Erlebnis geklammert und an ihrem Hass festgehalten hatte.

Der Unterschied war, dass es nun kein Hass mehr war, der Nadia stützte. Es war Liebe.

Langsam wanderten Kennis Gedanken weiter zu der jungen Frau, die er im Arm hielt. Auch Patty kämpfte mit schrecklichen Erfahrungen. Ihre Hinweise waren es gewesen, die das Mosaik am Ende zusammengefügt hatten.

Sie war nicht wie Tanja und Nadia. Sie war klein gehalten worden. Und nun blühte sie auf. Und zwar nicht dank ihm selbst, wie er sich eingestand.

Vielleicht spielte er gerade mit ihr ein wenig ‚miteinander gehen', aber im Grunde war er nur ein unbeteiligter Beobachter. Patty stützte sich auf Nadia und Peter und er war nur zufällig anwesend und durfte daran teilhaben.

Beinahe lächelte er, als ihm bewusst wurde, wie wenig es ihm ausmachte. Er liebte Patty nicht und sie liebte nicht nur einen, sondern gleich zwei andere. Aber solange er mitspielen durfte, würde er nicht Nein sagen.

Die einzige Person, von der er einmal geglaubt hatte, er würde sie lieben, lag dort im Krankenhaus. Und dass es mit ihr nichts werden würde, hatte Kenni schon vor Jahren akzeptiert. Also presste er dem Leben einfach so viel Vergnügen wie möglich ab, wenn er den ‚Hauptpreis' schon knicken konnte.

„Vielleicht solltest du dich um sie kümmern", murmelte er leise in Pattys Ohr. „Sie dreht gleich durch vor Sorge."

Patty zögerte nicht. Es war, als hätte sie nur auf seine Erlaubnis gewartet. Kaum hatte er es gesagt, war sie schon auf dem Weg, Nadia in den Arm zu nehmen und leise und beruhigend auf sie einzureden.

Es war nicht überraschend, dass es in seinen Augen sogar richtig aussah, wie die beiden Arm in Arm dastanden. Peters zwei Freundinnen, die einander trösteten.

Sollte er nicht eigentlich Neid empfinden bei diesem Anblick?

Die Frage blieb unbeantwortet, denn Peter erschien im Ausgang des Krankenhauses. Sofort musste Kenni schlucken.

Sein Freund ging langsam und bedacht. Aber die fast schon stoische Ruhe, mit der er normalerweise Widrigkeiten begegnete, war wie weggewischt. Er war außer sich. Das konnte Kenni allein schon an der Art sehen, wie er die Schultern hielt. Und wie sich seine Fäuste immer wieder ballten. Und sein Kiefer mahlte.

So hatte Kenni ihn noch niemals zuvor gesehen...

Statt zu den Mädels zu gehen, kam Peter direkt auf ihn selbst zu. Und sein Gesichtsausdruck war so einschüchternd, dass Kenni zum ersten Mal in seinem Leben Furcht vor seinem besten Freund verspürte.

Er sah so aus, als würde er gleich jemandem die Fresse polieren. Was allein schon eine Premiere bei Peter war. Und leider war Kenni der Einzige, der gerade infrage kam...

Nun auch nervös schob er sich von der Mauer, um seinem Kumpel stehend zu begegnen. Dass er ohne Vorrede am Kragen gepackt wurde, kam dennoch überraschend.

„Du sagst mir jetzt, was du weißt", grollte er mit fest zusammengebissenen Zähnen.

„Peter...", schnaufte Kenni beschwichtigend.

„Alles, Kenneth!", unterbrach ihn Peter sofort.

„Okay", keuchte er. „Du kannst mich loslassen. Ich erzähls dir."

Peter ließ ihn tatsächlich los. Und stellte ihn dabei gewissermaßen wieder auf die Füße. Vage war er sich bewusst, dass Nadia sich wie eine Raubkatze im Bogen langsam auf die beiden zubewegte. Ihr Blick funkelnd vor... Begeisterung?

Patty hingegen zögerte noch, sich dazu zu gesellen. Und Peter war eindeutig nicht in der Stimmung, ihm lange Zeit zu lassen, sich zu fangen.

Als er anfing zu erzählen, was Tanja ihm einmal anvertraut hatte, als sie zusammen einen Joint durchzogen, lauschten alle aufmerksam.

Im Grunde war es, was allen schon klar war. Aber Peter wollte offenbar die konkrete Bestätigung, die er vermutlich von Tanja nicht bekommen hatte. Und auch wenn Kenni es lieber vermieden hätte, der Überbringer dieser Nachricht zu sein, musste es nun doch endlich einmal gesagt werden.

„So, wie ich es verstanden habe, wollte Tanja dich eifersüchtig machen, indem sie mit einem anderen Sex hatte. Und sie wollte dir eins auswischen, weswegen sie zu jemandem ging, mit dem du so gar nicht kannst. Aber die Sache lief anders, als sie es sich vorgestellt hat...", erzählte er.

„Ich kann das nicht so wiedergeben, wie sie es gesagt hat. Aber sie war ziemlich fertig, als sie davon gesprochen hat, dass sie es dann doch nicht mehr wollte. Und dabei hat er ihr heftig wehgetan. Viel mehr als sowieso schon, weil es ihr erstes Mal war.

Seitdem, sagte sie, hätte sie Schmerzen beim Sex. Und weil sie es wegen dir getan hat, hat sie dir die Schuld gegeben."

Nadia schnaubte missbilligend, aber Patty mischte sich ein, bevor die Blondine etwas über die geistige Verwirrung ihrer einstigen Freundin sagen konnte.

„Ich habe einmal gehört, wie Rene Andre davon erzählt hat", sagte sie.

Schon zuvor hatte sie eröffnet, dass sie wusste, wer Tanja zugestoßen war. Nun stellte sie klar, dass sie auch wusste, was dabei passiert war.

„Er hat nicht einfach Sex mit ihr gehabt", erklärte sie. „Er hat seinen Frust an ihr ausgelassen und sie dabei auch geschlagen. Und wenn er nicht gelogen hat, dann hat er ihn auch... in ihren... Hintern gesteckt."

„Das passt", meinte Nadia nun etwas weniger ablehnend. „Aber trotzdem hat sie sich die Suppe selbst eingebrockt."

„Egal wie dumm sie sich verhalten haben mag", knurrte Peter, „so etwas hat niemand verdient."

„Und eine Behandlung, wie du sie danach von ihr erhalten hast, auch nicht", protestierte Nadia.

„Das ist nicht der Punkt!", fuhr Peter auf. „Wie sie sich verhalten hat, ist eine Sache. Aber was ihr zugestoßen ist, steht auf einem anderen Blatt. Niemand hat sowas verdient. Und egal wie scheiße sich jemand verhält, das ist keine rückwirkende Rechtfertigung dafür!"

Nadia zuckte nicht zusammen, als er sich ihr zuwandte und so energisch wie niemals zuvor sprach. Sie sah ihn an und Kenni wollte einen Besen fressen, wenn sie ihn dabei nicht ganz offen anhimmelte. Sogar - oder vielleicht auch gerade - seine Wut schien sie richtig anzumachen.

Und Kenni musste sich eingestehen, dass er das sogar irgendwie verstehen konnte. Das Gefühl der unmittelbaren Bedrohung durch Peter war nämlich vorübergezogen.

Sein Freund war stinksauer, aber diese Wut richtete sich nicht gegen irgendwen, sondern gegen eine ganz bestimmte Person. Und diesem Dreckskerl stand nun eine Lektion ins Haus.

„Mach keine Dummheiten", sagte Kenni jedoch genau deswegen mahnend.

„Ich mache, was längst jemand hätte tun sollen", gab Peter zurück.

„Genau deswegen habe ich es dir nicht erzählt, Peter", appellierte Kenni noch einmal. „Der Dreckskerl ist es nicht wert, für ihn in den Knast zu gehen!"

„Ich werde ihn nicht umbringen, Kenni", erwiderte Peter erstaunlich beherrscht. „Aber ich werde ihm die längst überfällige Tracht Prügel verpassen..."

Niemand sagte etwas darauf. Nicht einmal Kenni konnte dazu noch Einwände vorbringen, denn im Grunde stimmte er Peter von Herzen zu.

Und außerdem war er beeindruckt. Es gab eine jähzornige Seite an Peter, die manchmal aus der Verzweiflung geboren ausgebrochen war. Bei solchen Wutausbrüchen hatte Peter durchaus auch etwas Mobiliar zerlegt. Und genau diese Art von Reaktion hatte Kenni befürchtet, wenn sein Freund die Wahrheit erfuhr.

Aber Peter war nicht jähzornig, sondern entschlossen. Wütend, aber beherrscht. Dagegen konnte - und wollte - er beim besten Willen nichts sagen.

Und die anderen beiden waren weit davon entfernt, ihm Einhalt gebieten zu wollen. Nadia betrachtete ihren Freund voller Bewunderung und Patty himmelte ihn auf ihre Weise an. Ob es seine Gewaltbereitschaft oder sein Gerechtigkeitssinn oder die überwältigende Präsenz war, die er gerade ausstrahlte, war für Kenni unklar, aber trotzdem verstand er es irgendwie.

Er fühlte sich ja sogar selbst irgendwie gut dabei, einen Kumpel zu haben, der so offensichtlich bereit war, im Falle eines Falles zuzuschlagen. Selbst - oder gerade - in dieser Situation bewies Peter wieder einmal seine Verlässlichkeit.

Wäre er selbst nur ein wenig mehr wie Peter, hätte Tanja vielleicht sogar sein Interesse erwidert. Und es wäre niemals zu alldem gekommen.

Ein Jammer...

XXVI.

Patty schlug das Herz bis in den Hals, als sie Peter zu seinem Wagen folgte.

Vermutlich war er nicht begeistert, aber sie könnte ihm sagen, wie er am besten zu ihrem Bruder gelangen konnte. Und deswegen musste er sie mitnehmen. Egal was er davon hielt.

Und sie musste dabei sein, wenn Rene endlich bekam, was er verdiente. Für das, was er Tanja angetan hatte. Und stellvertretend dadurch auch für all das, was sie durch ihn erlitten hatte.

Als Peter einstieg, blickte er sie an. Kurz machte der entschlossene Zug einer gewissen Sanftheit Platz. Was ihr Herz noch einmal etwas höher hüpfen ließ.

„Du musst nicht mitkommen", sagte er. Und an ihr vorbei: „Keiner von euch muss das."

„Glaubst du, wir würden dich allein gehen lassen?", fragte Nadia von direkt hinter ihr.

Das konnte sie nur nickend bestätigen.

Er diskutierte nicht darüber. Auch wenn es ihm vielleicht nicht gefiel. Und Patty musste sich auf die Lippe beißen, um nicht unpassender weise zu lächeln. Weil sie sich nie zuvor so sehr als Teil einer... Familie gefühlt hatte, wie in den letzten knapp vierundzwanzig Stunden. Und ganz besonders jetzt.

Als sie einstieg, traf ihr Blick den von Nadia und sie sahen sich einen Moment lang an. Auch die unfassbare Blondine war nicht so finster entschlossen und ernst wie Peter. Auch sie hatte ihre eigenen Hintergedanken. Ihre Augen glitzerten eher freudig erregt.

Der Einzige, der angemessen ernst und besorgt aussah, war Kenni. Und auch wenn sie seine Hand ergriff, als sie mit ihm zusammen auf der Rückbank saß, war sie in Gedanken nicht bei ihm.

Es war ganz sicher nicht fair, aber für Patty waren es Peter und Nadia, die sich wie eine Familie anfühlten. Die eine, weil sie sich um sie kümmerte, wie es ihre Mutter nie getan hatte. Und der andere, weil er sich schützend vor sie stellte, wie es der Vater hätte tun sollen, den sie niemals gekannt hatte.

Ihre konkreten Gefühle mochten ein wenig unpassend für eine Familie sein, wenn man nicht das, was Rene immer wieder mit ihr getan hatte, als Maßstab anlegte. Aber der Rest fühlte sich genau so an, wie sie es sich immer vorgestellt hatte.

Die Fahrt verlief schweigend. Jeder hing eigenen Gedanken nach. Bald schon waren sie wieder im Dorf. Und dann schnell am ziemlich baufälligen Haus der Pfaffers.

Sie stiegen alle aus und Patty hielt sich an Nadia, die sich beeilte, Peter zu folgen. Der ging zielstrebig und unaufhaltsam zur Vordertür. Er klingelte oder klopfte nicht. Er probierte, ob die Tür sich öffnen ließ, und trat ein, als sie sich als unverschlossen erwies. Erst dann hielt er inne und drehte sich um.

Noch immer wurde kein Wort gesprochen. Patty, die sich direkt hinter Nadia befand, beantwortete die stumme Frage in seinem Gesicht mit einem Fingerzeig nach oben.

Die Treppe knarzte und ächzte unter dem Gewicht von zwischenzeitlich vier Leuten, als wolle sie gleich zusammenbrechen. Aber sie hielt. Und oben vertiefte sich der abgetakelte und versiffte Eindruck, den das Innere des Hauses machte, um ein Vielfaches.

Die Pfaffers hausten in Dreck und Gestank. Es wäre Patty peinlich gewesen, dass die anderen erlebten, wie sie selbst noch vorgestern gelebt hatte. Aber Nadia ergriff ihre Hand und schenkte ihr einen mitfühlenden Blick, der alles in ein anderes Licht rückte.

Sie hätte sagen können, dass sie so oft auf der Flucht vor ihren Verwandten war, dass sie niemals Zeit zum Aufräumen fand. Aber das war unnötig. Niemand machte ihr einen Vorwurf.

Der Widerwille auf dem Gesicht ihrer Freundin richtete sich nicht gegen Patty, denn die war nicht länger Teil dieser Familie.

Es war nicht nötig, noch einmal einen Hinweis auf den Aufenthaltsort von Rene zu geben. Der verriet sich selbst.

„Patze?", schnauzte er aus seinem der Zimmer, das an den engen Flur angrenzte.

Patty zuckte mächtig zusammen. Zu oft hatte sie diesen Tonfall gehört und wusste, welchen Ärger er bedeutete. Aber diesmal musste sie sich nicht fürchten. Das zeigte ihr der erneute, feste Druck von Nadias Hand. Aber noch deutlicher zeigte ihr das die Art, wie Peter sich versteifte und ihr ganz kurz einen beruhigend gemeinten Blick zuwarf.

Sein Gesicht war dabei zwar alles andere als sanft. Es war im Gegenteil so hart, das einem angst und bange werden konnte. Aber genau das gab ihr ein Gefühl absoluter Sicherheit.

Sie musste sich keine Sorgen mehr über ihren Bruder machen. Denn noch, bevor der ein zweites Mal schreien konnte, verschwand Peter durch seine Zimmertür.

Aufgrund der Enge konnte Patty nicht sehen, was geschah. Sie konnte an ihm vorbei nichts erkennen. Sein Rücken war einfach zu breit.

Also hörte sie nur, was vor sich ging. Und das war aussagekräftig genug.

„Bübler!", japste Rene erschrocken.

Dann gab es ein Poltern - von einem umfallenden Stuhl vielleicht - und gleich darauf ein hartes, dumpfes Klatschen gefolgt von einem jammernden Stöhnen.

Peter beugte sich über Rene, der offenbar nun auf dem Boden lag. Darauf folgte noch mehrmals das gleiche Geräusch wie zuvor. Und sie sah die Bewegungen seiner Schulter und Arme.

Es war der Klang einer Faust, die einen Körper traf. Peters Faust und Renes Körper.

Das Jammern steigerte sich zuerst zu zwei kurzen Schreien und wurde dann zu einem Winseln.

„Ich hab dich gewarnt!", schnauzte Peter laut. „Das gilt auch rückwirkend."

Rene wimmerte nur und Patty sah einen Teil von ihm. Es schien, als rolle er sich hilflos zusammen.

„Du hast Tanja wehgetan, du Schwein", grollte Peter und schlug noch mehrmals zu. „Und deiner eigenen Schwester!"

„Was 'n hier los?", maulte eine Stimme von der Seite.

Patty fuhr zusammen mit Nadia und Kenni wirbelten herum. Die gedrungene Gestalt von Andre trat auf den Flur. Er trug nur Unterhose und Unterhemd - wie üblich schon einige Tage lang die gleichen - sah mächtig verkatert aus und rieb sich die Augen.

123456...8