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Argonauta Kapitel 03-07

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Als Julia heute Morgen die Augen geöffnet hatte, hatte sie so gut geschlafen wie lange nicht mehr. Noch Ewigkeiten hatten sie, der Professor, Melina und Stewart Meyer gemütlich am Tisch in dem behaglichen Aufenthaltsraum gesessen, gemeinsam gegessen und sich angeregt unterhalten. Irgendwann waren auch ein paar alkoholische Getränke geflossen und die Stimmung immer heiterer geworden. Der Chief hatte begeistert von seiner Arbeit im Maschinenraum erzählt, wo es warm war und nach Schweröl stank. Melina hatte von ihrem Vogelprojekt berichtet und auch der Professor hatte so manche abenteuerliche Geschichte aus seiner Zeit als junger Doktorand zum Besten gegeben. Als Julia sich schließlich von den anderen verabschiedet hatte, war es schon stockdunkel gewesen. Wie genau sie nach Hause gekommen war, wusste sie nicht mehr, was sicherlich dem Umstand geschuldet war, dass sie nicht mehr ganz nüchtern gewesen war. Sie wusste nur noch, dass sie irgendwann todmüde in ihr Bettchen gesunken und in Morpheus' alkoholgeschwängertem Atem eingeschlummert war.

Heute war Samstag. Der Professor hatte ihr über das Wochenende frei gegeben und Julia hatte überlegt, was sie mit der Freizeit anfangen sollte, die ihr so gar nicht recht kam. Die Arbeit lenkte sie ab, brachte sie auf andere Gedanken und ließ sie all die traurigen Gedanken der Vergangenheit wenigstens für einen kurzen Augenblick lang vergessen. Einen Moment lang war sie versucht gewesen, ganz einfach trotzdem zum Schiff zu gehen und sich irgendwie nützlich zu machen. So kurz vor dem Auslaufen war zweifelsohne noch viel zu erledigen und ein helfendes Paar Hände ganz bestimmt immer willkommen. Aber der Professor hatte darauf bestanden, dass Julia unbedingt ihre freien Tage genießen sollte und außerdem hatte Julia bislang kaum noch etwas vom Land und den Leuten gesehen. Vielleicht war es also doch gar nicht so schlecht, das Wochenende für eine kleine Erkundungstour zu nutzen. Und so hatte sie sich dafür entschieden, einer kleinen zoologischen Einrichtung etwa zwölf Kilometer von Brisbanes Innenstadt entfernt einen Besuch abzustatten, dem Lone Pine Koala Sanctuary. Das Sanctuary war ein knapp achtzehn Hektar großer Park, der bereits 1927 gegründet worden war. Es hatte sich die Rettung verwaister und verletzter Koalas zur Aufgabe gemacht, die hier in mehreren Gehegen aufgepäppelt und für die Wiederauswilderung in die Wildnis vorbereitet wurden, sobald sie groß genug oder wieder gesund waren. Daneben war das Sanctuary aber auch ein Zuhause für eine Reihe weiterer australischer Bewohner. In naturnah gestalteten Volieren lebten verschiedene Kakadus wie Rosakakadu, Inkakakadu, Rabenkakadu oder Nacktaugenkakadu, in anderen Gehegen lebten Tasmanische Teufel, Dingos Warane, Krokodile und es gab ein riesiges begehbares Gehege, in dem Besucher die Gelegenheit bekamen, Kängurus zu füttern und einem Emu Auge in Auge gegenüber zu stehen. Und eben auch ein Schnabeltier, das in einem eigenen kleinen Gehege in einem kleinen Häuschen lebte.

Julia freute sich. Hier her zu kommen, war definitiv die richtige Entscheidung gewesen. Mit ihrem Handy schoss sie ein paar Erinnerungsfotos an ihre erste Begegnung mit einem Platypus. Noch lange würde sie daran denken müssen, was für ein wunderbares und verzückendes Wesen das Schnabeltier doch ist. Sie bedauerte es fast, dass Schnabeltiere in keinem europäischen Zoo gezeigt werden konnten. Mit Ausnahme des Zoo von San Diego in den USA konnte man Schnabeltieren nur in ihrer Heimat, Australien und Tasmanien, begegnen. Selbst in Australien war es nur ein paar handverlesenen Zoos vorbehalten, Schnabeltiere zu halten.

Das Wetter an diesem Tag war wie schon tags zuvor angenehm warm und sonnig. Julia verließ das kleine Häuschen und schlenderte einen schmalen und gepflegten Weg entlang weiter auf dem Rundgang durch das Sanctuary. Einige hochgewachsene Bäume spendeten willkommenen Schatten. Links von ihr war das Gehege für die Tasmanischen Teufel.

Ein unrühmlicher Name für ein so hochbedrohtes Tier, wie Julia fand. Die überwiegend schwarz gefärbten Raubbeutler sind nur noch auf Tasmanien heimisch und leider, wie so viele Tiere Australiens, hoch bedroht. Die europäischen Siedler hatten in den Teufeln einen Schädling gesehen, der nur hinter ihren Viehherden hinterher gewesen sei, dabei ernähren sie sich fast ausschließlich von Aas und sind für das hiesige Ökosystem daher als Gesundheitspolizei unerlässlich. Sie sind für die Farmer sogar nützlich, denn die Beutelteufel verzehren nicht nur das Fleisch, sondern auch die Knochen und sogar das Fell toter Tiere und sorgen so dafür, dass Seuchen sich nicht so stark ausbreiten können. Doch das hielt die Farmer nicht davon ab, den Tasmanischen Teufeln gnadenlos nachzustellen und sie bis in die 1930er Jahre hinein fast auszurotten. Erst 1941 wurde der Tasmanische Beutelteufel unter Schutz gestellt und entging nur knapp dem Schicksal seines größeren Verwandten, dem Tasmanischen Beutelwolf.

In den darauffolgenden Jahren hatte sich der Bestand wieder allmählich erholt und war bis zur Jahrtausendwende auf rund einhundertfünfzigtausend Teufel angewachsen. Seit Mitte der 1990er Jahre werden die Beutelteufel von einer anderen Gefahr bedroht, einer gefährlichen Tumorerkrankung, die -für Krebserkrankungen eher unüblich- wie eine Infektionskrankheit von Tier zu Tier übertragbar ist. Die Seuche wütet seitdem nahezu in ganz Tasmanien und die armen Beutelteufel, deren genetische Vielfalt durch das jahrzehntelange Abschlachten durch die weißen Siedler ohnehin stark eingeschränkt ist, haben diesem unsichtbaren Feind kaum etwas entgegen zu setzen. Stellenweise sind ganze Beutelteufelpopulationen vom Krebs vollständig ausgelöscht worden. Insgesamt, so schätzten Forscher, sind die Bestände um fünfundachtzig Prozent eingebrochen. Immerhin gibt es einen Hoffnungsschimmer: seit 2013 arbeiten Wissenschaftler daran, einen Impfstoff zu entwickeln und konnten bereits erste Erfolge verbuchen.

Neugierig blieb Julia vor dem dicht bepflanzten Gehege stehen. Auch der Beutelteufel gehörte zu den Kostbarkeiten, die man außerhalb Australiens so gut wie nie zu Gesicht bekam, weil sie kaum in zoologischen Gärten gehalten wurden. Angestrengt suchte Julia mit ihren Augen das zugewucherte Gehege ab.

Komm schon, dachte sie, irgendwo musst du doch sein. Aber sie hatte kein Glück. Vermutlich hatten sich die nachtaktiven Tiere in eine Höhle oder in ein anderes dunkles Versteck zurückgezogen, wo sie den Blicken selbst der aufmerksamsten Besucher verborgen blieben. Die rothaarige Doktorandin blieb noch einige Augenblicke lang stehen und ließ den Blick noch einmal kurz durch das Gehege huschen. Vielleicht hatte sie ja doch nicht richtig geschaut und das Tier nur übersehen. Doch vergeblich. Ein wenig enttäuscht ging Julia weiter. Vielleicht würde sie später noch einmal vorbei schauen und hatte dann hoffentlich mehr Glück.

Doch nun wollte sie endlich einen Koala sehen! Hierfür war sie schließlich ins Sanctuary gekommen. Sie ging weiter und nach nur wenigen Metern blieb sie vor einem recht kleinen Gehege stehen, das mit verschiedenen Ästen und Eucalyptus-Zweigen ausgestattet war.

Nur etwa siebzig der weit über dreihundert bekannten Arten der Eucalyptus-Bäume bilden die Nahrungsquelle der Koalas. Sie fressen, abgesehen von wenig anderem Grünzeug und gelegentlich etwas mineralstoffhaltiger Erde, nichts anderes. „Koala" bedeutet in der Sprache der Aborigines so viel wie „trinkt nicht" und tatsächlich decken die plumpen Beutelbären fast ihren gesamten Wasserhaushalt allein über die Feuchtigkeit, die in den Eucalyptus-Blättern enthalten ist oder sich jeden Morgen als Tau auf ihrer Nahrung bildet. Rund vierhundert Gramm davon muss ein Koala täglich fressen, denn die Eucalyptus-Blätter sind nur wenig energiereich und schwer verdaulich. Dass Koalas überhaupt Energie aus dieser mageren Kost ziehen können, haben sie einzig einer Vielzahl kleiner Mikroorganismen zu verdanken, die im Blinddarm der Koalas leben -- unter allen Säugetieren besitzen die Beutelbären in Relation zur Körpergröße den längsten Blinddarm. Aber die Nahrung eines Koalas ist nicht nur schwer verdaulich, sondern auch giftig. Gerade die jungen Blätter vieler Eucalyptus-Arten enthalten große Mengen von Blausäure. Deshalb verbringen Koalas fast den ganzen Tag damit, die weniger giftigen Blätter herauszusuchen und tun ansonsten nicht viel. Mehr als zwanzig Stunden pro Tag schläft ein Koala, um so viel Zeit zum Verdauen zu haben und Energie zu sparen.

Da! In einer Astgabel auf Kopfhöhe erblickte sie ein hellgraues, plumpes Fellknäuel mit übergroßen, runden Ohren. Die Unterseite des Koalas war cremeweiß und seine Oberseite schien mit einem feinen Schimmer von Silber überzogen zu sein. Das Tier hatte seine Augen geschlossen und döste friedlich vor sich hin. Die große, schwarze Nase krümmte sich leicht und verriet, dass es sich um ein Männchen handelte. Dann und wann zuckte es mit seinen Ohren als träumte es. Julia fand, dass sie noch nie zuvor ein niedlicheres Geschöpf gesehen hatte. Mit seinem übergroßen Kopf, seinen riesigen Dumbo-Ohren, dem plüschigen Fell mit einer leichten Halskrause und dem gedrungenen Körper war der Koala die perfekte Verkörperung des Kindchen-Schemas. Der Beutelbär sah wirklich wie ein Teddybär aus der Spielzeugabteilung eines großen Kaufhauses aus. Aber ein Bär ist der Koala in Wirklichkeit nicht. Wie fast alle australischen Säugetiere, abgesehen von ein paar Nagern, Fledertieren und Robben, sind Koalas Beuteltiere und damit mit Känguruhs, Wombats und dem Beutelteufel näher verwandt als mit Bären. Zum Verlieben sah der Koala dennoch aus und am liebsten hätte Julia ihn auf den Arm genommen und ihn möglichst lange geknuddelt. Konnte so ein Erlebnis in puncto Niedlichkeitsfaktor noch überboten werden?

Es konnte. Schon am nächsten Gehege hätte Julia fast quieken wollen vor Entzückung. Ihre Augen bekamen einen glasigen Blick. Ein Koalaweibchen kletterte mit langsamen, beinahe zeitlupenartigen Bewegungen an seinem Stamm hinauf. Auf seinem Rücken trug es eine kleine Überraschung. Zwei kleine Knopfaugen blickten Julia neugierig an und Julia schmolz regelrecht dahin. Ein Baby, vielleicht sechs oder sieben Monate alt, hatte sich mit seinen winzigen Greifhändchen fest im Fell seiner Mutter verankert und beäugte aufgeregt die große, weite Welt, die für den Mini-Koala noch so viel Spannendes zu bieten hatte. Natürlich musste dieser Augenblick mit der Kamera festgehalten werden. Julia zückte ihr Smartphone und drückte auf dem Display den Aufnahme-Knopf, um ein Video zu drehen.

Die Mutter hatte inzwischen mit ihrem Kleinen einen Ast erreicht, den die Tierpfleger mit Eucalyptus-Zweigen bestückt hatten. Julia war erstaunt, wie spielend leicht die Koalas klettern konnten. Ihren Daumen und den zweiten Finger können Koalas den übrigen Fingern ihrer Greifhände gegenüberstellen. Und ihre Fingerkuppen sind, genau wie die Finger der Menschen, mit Papillarleisten überzogen, die stets sicheren Halt garantieren. Rein theoretisch könnte ein Koala, sollte er jemals eines Verbrechens bezichtigt werden, durch Nehmen von Fingerabdrücken erkennungsdienstlich behandelt werden.

Die rothaarige Studentin sah dabei zu, wie die Mutter nach einem Zweig griff, der ihr genehm erschien und ihn ihrem Jungen direkt vor die Nase hielt. Kritisch beschnüffelte der junge Koala die ihm unbekannte Kost. Es biss beherzt hinein und kaute kurz auf den Blättern herum. Dann überlegte das Kleine es sich doch anders und spuckte die Blätter wieder aus.

Wie alle Säugetiere werden junge Koalas in den ersten Lebenswochen von ihrer Mutter mit Milch gesäugt. Erst mit zweiundzwanzig bis dreißig Wochen werden die Jungen langsam von ihrer Mutter entwöhnt und fangen an, sich auf die karge Pflanzenkost umzustellen, werden aber oft noch bis zu einem Alter von fast einem Jahr gesäugt. Aber den kleinen Koalas fehlt zu Beginn noch die Heerschar der unzähligen kleinen einzelligen Helfer, die sie bei der Verdauung unterstützen. Die müssen sie erst in ihren Verdauungstrakt aufnehmen und das tun sie, indem sie den Kot der Mutter fressen. Nicht die gewöhnlichen, zu harten Drops gepressten Kotballen, sondern eine ganz spezielle Mischung, die Zoologen Caecotrophe nennen. Der weiche, fast breiige Blinddarmkot ist reich an Bakterien und wird in Australien umgangssprachlich auch Papp genannt. Durch seine Aufnahme wird der Verdauungstrakt des kleinen Koalas förmlich mit seiner zukünftigen Darmflora beimpft. Und hier wird auch deutlich, warum sich bei Koalas, anders als bei den Känguruhs, der Beutel nach hinten öffnet -- was nicht gerade ungefährlich sein kann, wenn die Mutter die meiste Zeit ihres Lebens mit dem Gesäß nach unten zeigend im Kronendach der Bäume lebt und das Junge leicht aus dem Beutel heraus und in den sicheren Tod stürzen könnte. Auf diese Weise aber kann der kleine Koala ganz einfach sein winziges Köpflein zum Beutel herausstrecken und bequem den Papp vom Anus der Mutter ablecken, ohne dabei seinen schützenden Beutel vollständig verlassen zu müssen. Auch die nächsten Verwandten der aschgrauen Beutelbären, die Wombats, besitzen einen sich nach hinten öffnenden Beutel. Diese Tiere legen sich unterirdische Höhlen und Gänge an und so wird verhindert, dass sie bei ihren Grabtätigkeiten Erde in ihren Beutel schaufeln.

Doch dieses Koala-Junge war aus der Beutel-Zeit schon heraus. Es hatte ihn schon verlassen und würde auch nicht mehr hinein klettern. Stattdessen würde es noch einige Zeit lang von seiner Mutter huckepack durchs Geäst getragen werden, bis es eines Tages alt genug war für ein selbstständiges und meist ziemlich einzelgängerisches Leben. Als erwachsener Koala würde es sich nur noch zur Paarung mit anderen Artgenossen zusammen finden.

Für Julia hatte sich der Besuch jetzt schon gelohnt. Allzu gerne hätte sie die Hände ausgestreckt und das kleine Beutelbärchen gestreichelt und liebkost. Ob es sich genauso weich und plüschig anfühlte, wie es aussah? Und wie es wohl riechen mochte? Vielleicht leicht nach Hustenbonbon, so wie es die Tierpfleger im Fernsehen immer behaupteten?

Die Koala-Mutter startete einen zweiten Versuch und hielt ihrem Jungen einen neuen Zweig hin. Wieder prüfte das Kleine diese komischen Blätter, die so seltsam dufteten und so gar nicht appetitlich aussahen, ganz genau. Vorsichtig nahm es einige Blätter in sein winziges Mäulchen und fing an zu kauen. Und siehe da, diesmal schien die Mutter eine bessere Wahl getroffen zu haben, denn das Bärchen kaute ausgiebig darauf herum, schluckte die Blätter herunter und verleibte sich sogleich einen weiteren Happen ein.

Julia, die die ganze Szene als Video für die Ewigkeit festgehalten hatte, musste schmunzeln. Sie war als kleines Kind eine schlechte Esserin gewesen und ihre Mutter hatte so manche Schwierigkeit gehabt, Julia an neue Speisen zu gewöhnen. Oft hatte es erst nach vielem gutem Zureden geklappt und meist waren die vielen Versuche nur von bescheidenem Erfolg gekrönt worden. Inzwischen hatte sich das aber zum Glück geändert. Zwar hatte Julia wahrlich noch immer kein einziges Gramm zu viel auf den Rippen, aber inzwischen schmeckte ihr so gut wie alles, sah man eventuell von David Fishers recht erfolglosem Versuch ab, Julia das Vegemite schmackhaft zu machen.

„Julia?", ertönte neben ihr plötzlich eine ungläubige Stimme. „Schön, dich wiederzusehen."

Irritiert wirbelte Julia herum und wurde augenblicklich kreidebleich. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Vor ihr stand der Kerl, den sie vorgestern im Laughing Kookaburra kennengelernt und mit dem sie die anschließende Nacht verbracht hatte. Florian.

Scheiße, dachte sie, sagte aber überrascht:"Flo ... Flo ... Florian?" Wie groß mochte wohl die Wahrscheinlichkeit sein, in einer Stadt mit mehr als zwei Millionen Einwohnern ausgerechnet die eine Person wieder zu treffen, die Julia unter keinen Umständen wiedersehen wollte? „Was machst du denn hier?"

„Arbeiten", antwortete Florian und zeigte auf eine ziemlich teuer aussehende Fotokamera, die ihm an einem breiten Gurt um den Hals baumelte.

„Arbeiten?"

„Ja. Ich bin gerade dabei, für einen Verlag, der Reiseführer herausbringt, ein paar Fotos zu schießen. Und was treibt dich hier her?"

Julia wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte so schnell wie möglich hier weg. Die ganze Sache war sowieso schon peinlich genug, aber sie wollte auch nicht unhöflich sein und suchte nach einem eleganten Ausweg. „Na ja", druckste sie herum, „das übliche halt. Sightseeing, das schöne Wetter genießen."

„Jedenfalls freue ich mich", sagte Florian im Plauderton. „Du warst nach unserer ... na ja, du warst danach so schnell verschwunden."

„Hatte zu tun", sagte Julia knapp.

„Ich hatte gehofft, dich im Laughing Kookaburra wieder zu treffen. Der Abend mit dir ... das fand ich richtig schön und ehrlich gesagt hast du mich ziemlich beeindruckt. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, an dich zu denken und hatte gehofft, dich auf ein Date einladen zu können."

Das hatte Julia gerade noch gefehlt. Gefühlschaos war im Moment etwas, was sie wirklich überhaupt nicht gebrauchen konnte.

„Wie gesagt, ich hatte zu tun. War vielbeschäftigt. Es gab noch viel zu erledigen, kurz vor der Abreise", sagte Julia abwehrend und ging einen Schritt zurück, um Distanz zwischen sich und Florian zu bringen.

„Du reist ab?", fragte Florian mit Bedauern in der Stimme.

„Ja. Und zwar schon bald."

„Schade. Ich hatte wirklich gehofft, dich noch ein wenig näher kennenlernen zu dürfen."

Was sollte Julia darauf schon erwidern? Merkte der Typ nicht, dass ihr die ganze Situation mehr als unangenehm war?

„Hör zu", sagte Julia sehr direkt, „das mit uns ... diese Nacht, die wir miteinander verbracht haben ... das war ein riesengroßer Fehler. Wir hätten das nicht tun dürfen. Lass es uns bei dieser einmaligen Sache belassen."

„So hat es sich aber nicht für mich angefühlt. Wir hatten doch ziemlich viel Spaß, oder nicht?"

„Darum geht es nicht!"

„Worum dann?" Florian reagierte eindeutig gereizt. Offenbar hatte Julia ihn gekränkt.

„Das geht dich nichts an", antwortete die rothaarige Biologin barsch.

„Da zu so einer Sache immer zwei gehören, finde ich, dass es mich sehr wohl etwas angeht."

„Verdammt, was willst du eigentlich von mir?"

„Eine Erklärung, weshalb du so plötzlich verschwunden bist", beharrte Florian. „Warum du einfach gegangen bist, ohne dich zu verabschieden."

„Was willst du von mir hören? Habe ich dich in deiner Männlichkeit verletzt, weil ich gegangen bin? Hätte ich bei dir bleiben und dir am Morgen sagen sollen, was für ein toller Stecher du doch bist? Ist es das, was du von mir willst?"

„So meinte ich das doch gar nicht. Ich fand die Nacht mit dir richtig schön. Das war nicht einfach Sex, sondern es hat mir wirklich was bedeutet. Du hast mir etwas bedeutet."

„Wir hatten gerade einmal eine Nacht miteinander! Und die bereue ich schon sehr."

Moment ... du hast einen anderen, stimmt's? Du hast einen Freund und hast ihn mit mir betrogen! Ist doch so, oder? Deshalb hast du dich aus dem Staub gemacht, aus Scham, weil du deinen Freund betrogen hast."

„Sag mal, spinnst du? Wie kommst du darauf, mir so etwas zu unterstellen?"

Florian deutete auf den Ring an Julias linker Hand. „Den hat dir dein Freund geschenkt, nicht wahr? Und mich hast du einfach für einen guten Fick missbraucht. Dein Stecher hat angefangen, dich zu langweilen und da dachtest du, du suchst dir ein bisschen Abwechslung, stimmt's? Was bist du nur für eine billige Schlampe?"

Jedes einzelne Wort Florians fühlte sich für Julia an wie tausende kleiner Nadelstiche, die man ihr siedend heiß in die Haut bohrte. Sie konnte nicht verhindern, dass sie anfing zu weinen. „Du hast doch keine Ahnung!", sagte Julia wütend. Sie drehte sich um zum Gehen. Nicht eine Sekunde wollte sie länger in Gegenwart mit dieser Person verbringen.