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Die Macht des Drachens

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Mich packt der Übermut, was sonst nicht meine Art ist. Ich komme mir vor, wie ein junges unbeschwertes Mädchen und klettere am Hals des Drachen nach oben. Dort setze mich in den Nacken und schaue mich neugierig um. Von hier oben aus kann ich genau zum Eingang schauen, der auch den einzigen Ausgang aus der Kathedrale bildet. Die Lichtstrahlen und Farbreflexe kommen direkt auf mich zu. Mir ist, als würden sie sich, wie die Scheinwerfer auf einer Bühne, nur auf mich konzentrieren, als sei ich der Mittelpunkt des Ganzen.

Fasziniert sitze ich auf dem Stein und erlaube mir das erste Mal in meinem Leben ein wenig zu träumen. Ich weiß, ich sollte schleunigst weiterziehen und den Tag nützen, um voranzukommen. Aber diese Wunderwelt zieht mich in ihren Bann und ich träume davon, auf einem Drachen zu fliegen. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren, ich will es auch nicht. Ich komme mir vor, als sei ich weit oben in den Wolken, ich fühle, als wäre ich unantastbar für alle Menschen und könnte einfach nur den Wind und die Freiheit genießen. Die Magie des Augenblicks, bringt selbst mich in eine Welt aus Fantasie und Wünschen.

Plötzlich hebt sich der Stein, so als würde der Drache den Kopf heben. Einen Moment lang glaube ich, zu träumen. Aber dem ist nicht so. Die Decke der Kathedrale ist nur noch wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt und ich könnte sie spielend leicht berühren, würde ich meine Hand in die Luft recken.

Erschrocken blicke ich nach unten. Bis zum Boden sind es mehrere Meter. Ich bin in der Höhe gefangen. Suchend blicke ich mich um und bemühe mich, einen Weg zu finden, womöglich über den Rücken und den Schwanz nach unten klettern, überlege ich schnell. Es müsste gehen. Aber noch bevor ich aufstehen und mein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, um meinen Abstieg in Angriff zu nehmen, vernehme ich eine Stimme in meinem Kopf.

„Wie heißt du?"

Ich schaue mich irritiert um, wer da gesprochen haben könnte. Aber außer mir ist keiner in der Nähe. Die ganze Sache ist mehr als sonderbar. Deshalb entschließe ich mich, zu antworten.

„Ich bin Nummer 15 und wer bist du?"

„Nummer 15? Das ist aber ein sonderbarer Name."

„Das ist auch kein richtiger Name."

„Du bist Kriegerin und man hat euch nur eine Nummer gegeben?"

„Warum fragst du so dämlich, wenn du es eh schon weißt?"

„Ich habe es nicht gewusst, ich habe es nur vermutet."

„Dann bist du klug. Aber wer bist du?"

„Ich bin Horus, der Drache."

„Bist du denn nicht aus Stein?"

Ein dunkles Lachen macht sich in meinem Kopf breit und wird immer lauter. Ich versuche, mir die Ohren zuzuhalten, aber das hilft nichts. Die Stimme ist in meinem Kopf drinnen.

„Meine Schuppen sind hart wie Stein, das ist wahr."

„Lässt du mich runter, dann können wir reden."

Zu meiner Überraschung senkt der Drache daraufhin tatsächlich den Kopf, legt ihn wieder am Boden ab und lässt mich absteigen. Ich trete vor das Tier hin und dieses hebt den Kopf erneut an, diesmal etwas weniger. Nun kann ich auch die offenen Augen sehen. Sie sind groß und die Pupille ist oval, wie bei einer Schlange. Die Iris ist feuerrot. Obwohl die Situation mehr als beängstigend wirken könnte, macht es mir nichts aus. Ich verspüre keine Furcht und auch nicht den Drang, davonzulaufen. Natürlich verspüre ich ein wenig Respekt vor dem gewaltigen Tier, aber ich fühle mich nicht in Gefahr.

„Du siehst furchteinflößend aus", gestehe ich.

„Ich bin auch gefährlich, sehr sogar. Schließlich bin ich ein Drache. Aber dir werde ich nie im Leben etwas tun, das verspreche ich."

„Warum mir nicht?"

„Weil du meine Seelenverwandte bist. Spürst du nicht das Band, das sich zwischen uns bildet?"

Ich versuche den Sinn seiner Worte zu erfassen. Ich soll was sein, seine Seelenverwandte? Da fällt mir ein, warum gehe ich davon aus, dass es sich um einen männlichen Drachen handelt? Vermutlich wegen des Namens. Horus ist doch ein Männername.

„Du bist ein männlicher Drache?", frage ich schüchtern.

„Na klar, ich heiße Horus", grinst die Stimme in meinem Kopf.

Na klar, denke ich noch, die Stimme ist ja auch eindeutig männlich. Keine Frau hat eine so tiefe und sonore Stimme.

„Eben!", kommentiert er.

„Was eben?"

„Auch meine Stimme klingt männlich."

„Kannst du Gedanken lesen?"

„Yepp!"

„Echt?"

„Ja, das kannst du mir glauben. Das funktioniert aber nur zwischen Seelenverwandten."

Nun fällt mir auch wieder ein, dass er von einem Band gesprochen hat. Ich frage mich, was für eine Art Band das sein soll.

„Eine Verbindung. Horch in dich hinein und du spürst es. Seit wir uns getroffen haben, wird es immer stärker."

Ich schnaube, weil er schon wieder in meinen Gedanken herumgefummelt hat. Trotzdem schiebe ich den Ärger zur Seite, weil mich dieses Band im Augenblick mehr interessiert. Um meine gedankliche Unversehrtheit werde ich mir später den Kopf zerbrechen.

„Versuch es! Das bringt nichts."

„Was bringt nichts?"

„Mich aus deinen Gedanken auszusperren? Das geht einfach nicht. Wir sind Seelenverwandte."

„Jetzt lass mich mal in Ruhe nach meinem Band suchen. Uffa!"

„Sei nicht gleich so zickig! Ich will dir doch nur helfen."

„Klappe, ich muss mich konzentrieren!"

Mit einem unterdrücken Schnaufen, entschließt sich Horus, endlich still zu sein. Ich werde ruhiger, konzentriere mich auf mein Inneres und kann nach kurzer Suche tatsächlich eine Kraft in mir spüren. Es fühlt sich an, wie reine Energie. Ich weiß zwar nicht, wie sich reine Energie anfühlt, weil ich damit noch nie in Berührung gekommen bin, aber trotzdem kann ich es nicht anders benennen.

„Gut, du hast also die Verbindung gefunden. Wie stark ist sie denn?"

Ich nehme die Frage nur nebenbei wahr, so als wäre es ein lästiges Hintergrundgeräusch. Mein Fokus liegt immer noch auf diesem Energiefluss. Ich habe zwar keine Vergleichsmöglichkeit, aber auch so bin ich davon überzeugt, dass er gewaltig sein muss.

„Du, Nummer 15, bist du dir sicher?"

„Was sicher?"

„Dass der Energiefluss so stark ist?"

„Was weiß ich. Es ist der erste Energiefluss, den ich erlebe."

„Übrigens, wir müssen dir einen richtigen Namen geben."

„Wie einen richtigen Namen geben?"

Mann, dieser Drache ändert auch jede Sekunde das Thema. Wie soll man ihm dabei gedanklich folgen? Es ist verwirrend und anstrengend mit ihm.

„Ich gestehe, ich bin etwas aufgeregt. Schließlich warte ich schon Jahrhunderte hier auf dich."

„Jahrhunderte?"

„Glaubst du es verirrt sich jeden Tag ein Mensch in diese Höhle?"

„Aber wie bist du hier hereingekommen?"

„Das ist eine dumme Geschichte. So ein blödes Tier hat meiner Mutter das Ei geklaut und wollte es in Ruhe verspeisen. Dazu ist dieses Vieh in diese Höhle geflüchtet, damit meine Mutter es nicht erwischt. Es hat ja funktioniert, das Entwischen meine ich, aber das Ei aufzubekommen hat das Tier dann doch nicht geschafft. Die Schale von Dracheneiern ist nämlich ganz schön hart. Aber da war das Malheur schon geschehen. Ich bin einige Zeit später geschlüpft und war hier gefangen."

„Dumm gelaufen würde ich sagen."

„Lotta!"

„Was Lotta?"

„Ich nenne dich Lotta."

„Wieso das denn?"

„Weil Nummer 15 richtig dämlich klingt? Stell dir vor du gehst in eine Herberge. Hallo, ich bin Nummer 15, kann ich ein Zimmer kriegen. Ja gerne, Nummer 15. Hat der Wirt nun deinen Namen wiederholt oder dir das Zimmer Nummer 15 gegeben?"

„Ok, du hast ja Recht. Es ist nur so, dass ich es mein Leben lang nicht anders gewohnt bin. Ich war immer Nummer 15. Aber sag mal, wie kommst du auf Lotta?"

„Ich habe einmal Kinder belauscht. Die sind mit ihren Eltern draußen vor der Höhle vorbeigelaufen und haben von einer Pippilotta gesprochen, Langstrumpf oder so. Der Name hat mir ganz gut gefallen, allerdings ist er etwas lang. Deshalb nur Lotta. Du verstehst? Lotta statt Pippilotta."

„Warum nicht Pippi?"

„Na hör mal, das klingt, als müsstest du aufs Klo."

„Blödmann!"

„Gut, wir bleiben bei Lotta", kichert er.

„Von mir aus. Und nun?"

„Jetzt sollten wir uns auf den Weg machen. Wir können nicht ewig in dieser Höhle festsitzen."

„Wir? Wie willst du Riesenvieh durch den dünnen Spalt am Eingang passen? Oder gibt es noch einen anderen Ausgang?"

„Als Seelenverwandte können wir uns in den anderen zurückziehen. In diesem Fall ich in dich."

„Du willst was?"

„Keine Sorge, das tut nicht weh."

Noch bevor ich etwas sagen oder fragen kann, verwandelt sich der Drache in Rauch, er breitet sich um meine Füße herum aus, schießt plötzlich hoch und verschwindet in meiner Nase. Weg ist er. Verschwunden, in meiner Nase! Spinn ich?

Vorsichtig schaue ich mich um. Ich kann den Drachen nirgends mehr sehen. Es war also kein Trick und auch keine Täuschung. Dafür pulsiert die Energie in mir nun deutlich stärker. Er muss in mir drinnen sein, aber ist das überhaupt möglich?

Als ich zufällig auf mein rechtes Handgelenk blicke, bewegt sich dort so etwas wie eine Tätowierung und nach einigem Gewuschel bleibt das Abbild eines Drachen zurück, der sich um meinen Puls windet. Der Kopf zeigt dabei an der Innenseite des Unterarms genau auf meine Hand, der Körper erstreckt sich hinauf bis fast zum Ellbogen, wo der Schwanz endet.

Es ist wunderschön und hätte ich mir jemals eine Tätowierung stechen lassen, wäre das mit Sicherheit eines jener Motive gewesen, das in Frage gekommen wäre. Aber das ist ein echter Drache. Keine Ahnung, wie das funktioniert.

„Du kannst mich jederzeit rufen, dann erscheine ich", grinst er. „Aber erst, wenn du diese Höhle verlassen hast."

„Dabei ist es hier so schön", sage ich zu mir selbst.

„Wart erst auf den Winter, dann ist es hier nicht mehr sooo schön. Ich kann ein Lied davon singen."

„Warum hat du dich nicht schon vorher in Rauch verwandelt und bist aus der Höhle geschwebt?"

„Ich kann das nur mit meinem Seelenverwandten."

„Und wovon hast du dich ernährt?"

„Erinnere mich nicht daran!"

„Nun sag schon."

„Wasser gibt es hier drinnen genügend und ab und zu verirren sich kleine Tiere hier herein. Nur selten Hasen, meist waren es Spinnen, Mäuse und Käfer."

„Davon konntest du leben?"

„Mehr gab es nicht und jetzt lass uns gehen. Ich will hier endlich raus!"

„Na gut. Ich geh ja schon!", antworte ich eilig.

Kapitel 5

Ich reiße mich vom Anblick der bunt strahlenden Kristalle los und mache mich auf den Rückweg zum Höhlenausgang. Ich nehme meinen Rucksack, den ich in der vorderen Höhle zurückgelassen hatte, zwänge mich durch den engen Spalt und schaue mich kurz um. Hilft ja nichts, denke ich mir, und mache mich auf den Weg, weiter hinauf zum Gipfel.

„Willst du nicht erscheinen?", frage ich Horus.

„Mir gefällt es so ganz gut."

„Du bist nur faul", motze ich.

„Hast du eine Ahnung, wie schwer es für einen Drachen ist, bei diesem Gelände zu laufen?"

„Kannst du nicht fliegen?"

„Am helllichten Tag soll ich hier herumfliegen. Auffälliger geht es wirklich nicht?"

„Schon gut. Entschuldige! Was habe ich mir nur mit dir eingefangen?"

„Ich bin doch kein Virus?"

„Aber eine Plage", grinse ich.

Die Sonne steht inzwischen bereits hoch am Himmel. Offenbar habe ich in der Höhle ganz schön viel Zeit vertan. Dafür ist es aber nicht mehr so kühl und ich komme sogar leicht ins Schwitzen. Der Aufstieg ist erneut anstrengender als ich gedacht hätte.

Ich lege nur eine kurze Rast zu Mittag ein und komme trotz des schlechten Weges halbwegs gut voran. Als ich mich am späten Nachmittag, als die Dämmerung bereits einsetzt, auf einem Stein niederlasse und ausruhe, kommt mir Rauch aus der Nase und sofort erscheint der Drache.

„Ich denke, du brauchst etwas zu essen. Du bist ganz ausgezehrt."

„Hier zwischen den Steinen gibt es leider nicht viel Essbares."

„Warte, ich besorg dir etwas."

Ich schaue Horus verwundert an, aber bevor ich mich fangen und etwas sagen kann, schwingt sich das riesige Tier schon in den Himmel. Ich bleibe allein und ein wenig überrumpelt zurück. Den ganzen Tag über hat er sich still verhalten und ich habe mich gefühlt, als sei alles wie vorher, als sei ich noch immer allein unterwegs. Doch jetzt, jetzt da er weg ist, habe ich das Gefühl, als würde ein Teil von mir fehlen.

Ich hoffe, dass er wiederkommt. Doch, hätte er abhauen wollen, dann hätte er es doch schon viel früher tun können, sage ich mir zur Beruhigung. Dennoch bin ich ein wenig unsicher und nervös. Also versuche ich mich zu beschäftigen und suche mir eine geschützte Stelle mit einem halbwegs ebenen und nicht mit Steinen übersäten Fleck. Ich finde sehr schnell eine passende Stelle, die zwischen den Felsen versteckt ist und der Boden aus einem flachen Stein besteht. Es ist hier ausreichend Platz für mich und Horus, sodass wir die Nacht über zusammenbleiben können. Außer er will sich wieder in mir verkriechen, das werden wir noch sehen.

Es dauert nicht lange, da taucht er auch schon wieder am Himmel auf und hat ein junges Reh in den Klauen. Damit landet er genau neben mir und reicht mir das Tier. Zunächst verstehe ich nicht, was er damit will.

„Brate es und lass es dir schmecken. Du hast Hunger. Sonst fällst du mir noch vom Fleisch."

„Wie soll ich hier zwischen den Steinen Feuer machen? Ich finde doch nie im Leben genügend Holz."

Horus schaut sich kurz um und entdeckt einen verkrüppelten Baum. Mit zwei Schritten ist er dort und reißt ihn ohne viel Mühe aus. Ich kann bei so viel Kraft nur staunen.

„Hier!", meint er und hält mir den Baum hin.

„Was soll ich jetzt damit, das ist grünes Holz, das brennt doch nie im Leben."

„Ach was!", schnaubt er.

Mit einem überheblichen Grinsen im Gesicht, so zumindest kommt es mir vor, wirft er den Baum in eine Ecke zwischen zwei große Felsbrocken. Dann deutet er mir, mich ein Stück zu entfernen und hinter einem anderen Stein in Deckung zu gehen. Ich komme seiner Aufforderung mit etwas Verwunderung nach. Vorsichtig und neugierig luge ich jedoch trotzdem hinter meiner Deckung hervor.

Ich zucke zusammen, als Horus Luft holt, ein gewaltiger Feuerstrahl sein Maul verlässt und auf den Baum zuschießt. Ich muss die Augen für einen kurzen Augenblick schließen, denn gleißendes Licht kommt mir entgegen. Es muss auch gewaltig heiß sein, dort wo der Baum liegt, denn ich spüre selbst hinter meinem Stein noch die Wärme. Das Holz geht sofort in Flammen auf und zerfällt innerhalb von wenigen Minuten zu einem Haufen Kohle, die hell glimmt. Mit einem süffisanten Lächeln reicht er mir einen Ast, den er zuvor noch abgebrochen haben muss.

„Der Spieß für das Fleisch", grinst Horus.

Ich bin echt sprachlos. So etwas habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gesehen. Ein Drache ist also doch recht hilfreich, denke ich und muss unweigerlich kichern.

„Ich bin dein Seelenverwandter und kein Haustier", schnaubt Horus.

„Ach, sei mir nicht böse. Ich bin eine Einzelgängerin."

„Nicht mehr", kichert er. „Mich wirst du nämlich nie mehr los."

Ich nehme den Stock, den er mir immer noch hinhält, nehme das Reh aus, häute es, spieße es auf und baue mir eine provisorische Vorrichtung, um das Fleisch über der Glut zu drehen. Schon wenig später steigt mir der Duft von gebratenem Fleisch in die Nase, mein Magen beginnt zu knurren und das Wasser läuft mir im Mund zusammen.

„Könnten wir das Fleisch nicht auch auf deinem Feuerstrahl braten?"

„Da besteht die Gefahr, dass es zu Kohle zerfällt."

„Kannst du das Feuer nicht kontrollieren?"

„Doch, aber ein Reh ist sehr schnell verbrannt. Außerdem sind wir noch kein eingespieltes Team."

Da eine gewaltige Menge Glut in der Felsenecke liegt und große Hitze von sich gibt, ist das Fleisch bereits eine halbe Stunde später fertig zum Verzehr. Ich nehme es ab und mache mich mit Heißhunger darüber her.

Inzwischen hat sich die Dunkelheit ganz auf uns herabgesenkt. Die Glut taucht unsere Felsenecke in ein warmes Licht. Zum ersten Mal seit langem, fühle ich mich richtig wohl. Ich habe ein üppiges Essen, es ist angenehm warm und sicher fühle ich mich auch. Wer soll auch schon hier oben in den Bergen unterwegs sein. Wachen sind nur noch oben am Pass, den Reisende und Wanderer passieren müssen, wenn sie ins Königreich Noresia wollen.

Schon seit Tagen überlege ich, wie ich es am besten anstellen könnte, die Grenze unbemerkt zu passieren. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Entweder ich finde eine schwierige und deshalb unbewachte Route durch die Felsen über die Berge, was allerdings gefährlich ist, weil ich nicht die geübteste Bergsteigerin bin und zudem keine passende Ausrüstung besitze. Die zweite Möglichkeit ist, ich kämpfe mich auf die andere Seite durch und metzle dabei den Grenzposten nieder. Das würde gehen, aber ich hinterlasse eine Spur. Die dritte und letzte Chance besteht darin, dass ich mein Glück versuche und einfach nur hoffe, dass sie mich nicht erkennen. Alle drei Möglichkeiten bergen Risiken in sich.

Der sicherste Weg ist wohl doch das Gemetzel. Bis der Grenzposten Verstärkung aus dem Tal rufen kann, bin ich schon längst über alle Berge, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich muss mich aber darauf einstellen, mindestens sechs ausgebildete Wachen zu töten. Nicht, dass ich mir das nicht zutrauen würde. Die Männer können aber nichts dafür, dass ich über den Pass muss, und die meisten von ihnen haben Frau und Kinder. Diesen den Mann und den Vater zu nehmen, widerstrebt mir dann doch irgendwie.

„Du hast eine vierte Option."

„Die da wäre."

„Wir fliegen."

„Wir tun was?"

„Wir fliegen."

„Aha, guter Witz. Ich bin ja ein Vogel."

„So wie ich mich in dich zurückziehen kann, kannst du es bei mir."

„Und du fliegst dann los, einfach so."

„Einfach so."

„Erstens weiß ich nicht, wie ich mich in Rauch auflösen kann und sollte es dir entgangen sein, es ist Nacht, wie sollen wir da fliegen. Wir können nicht einmal die Hand vor den Augen sehen."

„Du nicht, ich schon."

„Was? Du kannst nachts sehen?"

„Wie ein Drache."

„Ok, das wäre also geklärt. Und wie kann ich mich in dich zurückziehen."

„Iss fertig, dann zeige ich es dir."

Den Hunger habe ich inzwischen vergessen. Ich schlinge nur schnell ein paar weitere Bissen hinunter, um mir den Bauch vollzuschlagen. Schließlich kriegt man nicht immer so ein zartes Stück Fleisch zwischen die Zähne.

Ich habe eine ganze hintere Keule verschlungen und damit bin ich mehr als satt. Horus, der offenbar sofort versteht, dass ich nicht mehr weiteressen kann, holt sich geschickt mit der Zunge das restliche Fleisch und schlingt es in einem Happen hinunter. Die Knochen zermalmt er kurz zwischen den riesigen Zähnen.

„Wenn du etwas gesagt hättest, hätte ich dir mehr vom Fleisch übriggelassen."

„Keine Sorge, ich habe auf der Jagd bereits einen Hirsch verspeist. Das war nur noch die Nachspeise."

Der Drache grinst breit und stellt sich vor mir auf. Im Licht der glühenden Holzkohle leuchten seine Schuppen anthrazitfarben. Er ist wunderschön.

„Ich bin ein Schattendrache, einer der mächtigsten Drachen, die es auf dieser Erde gibt."

„Es gibt nicht nur dich?"

„Wo denkst du hin? Es gibt auf der Welt sechs Menschen, die einen Drachen als Seelenverwandten haben."

„Und wo leben die?"

„Auf jedem Kontinent einer."

„Upps, dann hast du es ja noch halbwegs gut erwischt."

„Warum?"

„In der Antarktis muss es ganz schön kühl sein."

„Da lebt auch Lydia, ein Frostdrache", grinst er. „Die Dame ist tatsächlich etwas unterkühlt."

„Das glaube ich dir aufs Wort."

Wir lachen beide. Ich mag meinen Seelenverwandten. Er ist nicht nur groß und stark, weil das vermutlich alle Drachen sind. Er ist auch noch witzig und unterhaltsam.

„Nun sollten wir aber los. Die Nacht ist nicht mehr ganz jung."

„Willst du noch zu einer Tanzveranstaltung?"

„Nein, wir sollten schauen, dass wir auf die andere Seite des Gebirges kommen, bevor der Tag graut."

„Schon gut. Was muss ich tun?"

„Pack deine Sachen zusammen, verstau sie im Rucksack und nimm ihn auf den Rücken."

Ich suche hastig meine wenigen Habseligkeiten zusammen, verwische unsere Spuren, so gut es geht und stelle mich dann, mit dem Rucksack auf dem Rücken, vor Horus auf. Er beobachtet mich genau.