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Die Wiedergeburt der Katze

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Tatsächlich war ich der Überzeugung, dass vieles am Schmerzempfinden bei chronischen Schmerzen ein Problem der sich nach und nach verändernden Wahrnehmung war. Und die konnte man auf jeden Fall durch Psychotherapie beeinflussen! Mir schoss es kurz durch den Kopf, dass sich beim Sex ja auch die Wahrnehmung veränderte. Dass ein Schmerz, der im Alltag als unangenehm empfunden wurde, bei Erregung plötzlich pure Lust bereitete. Snoopys geröteter, striemenbedeckter Arsch kam mir dabei in den Sinn und ich spürte den Beginn einer Erektion in meiner weißen Arzthose.

„Jonas?"

Ich schreckte auf.

„Du warst plötzlich ganz weit weg. Sag mal... du kennst dich bei dem Thema ja ziemlich gut aus... glaubst du eigentlich, dass man Schmerzen mit Schmerzen therapieren kann?"

Ich stutzte bei ihrer seltsamen Frage.

„Ähm, ich weiß nicht genau... aber denkbar wäre es natürlich schon, dass über die Zufügung eines anderen Reizes die Wahrnehmung des ursprünglichen Reizes durch negative Rückkopplung über Rückenmarksschaltstationen runterreguliert werden kann."

Sie sah mich nach der sehr technischen Wortwahl unverwandt an und mir fiel auf, dass sie begonnen hatte zu schwitzen, als sie meinen Ausführungen folgte.

„Aber warum interessiert dich das denn überhaupt, Claire?", fragte ich.

„Nur so", wich sie mir schnell aus.

*

Endlich hatte ich meine neue Wohnung bezogen und genoss es, aus der qualvollen Enge des Schwesternwohnheims herauszukommen. Die Mieten auf dem Land waren ein Witz und 120qm bedeuteten mehr Wohnkomfort, als ich jemals im Leben hatte. Ein verlängertes Wochenende hatte ich dazu genutzt, die vollgestopften Umzugskartons aus dem Haus meiner Eltern in Hamburg-Billerbeck mit einem gemieteten Sprinter abzuholen. Auch mein Rennrad und das Hardtail-MTB durften natürlich nicht fehlen, da ich sportlich ganz schön Federn gelassen hatte.

Beim Aufbau des Wohnzimmerregals musste ich schon wieder an Claire denken. Wo sie wohl wohnte? Trotz unserer gewissen Annäherung und beruflichen Wertschätzung hatte sich nichts daran geändert, dass sie auf einen privaten Kontakt anscheinend keinen Wert legte. Sie verließ die Station abends oft grußlos und wir gingen selten gemeinsam zum Mittagessen. Vielleicht tat ich ihr Unrecht, denn genaugenommen wusste ich immer noch nicht, ob sie nicht doch in der Ferne einen Partner hatte und Storchenzell nur eine Durchgangsstation in ihrer Karriere war. Das hinderte mich allerdings nicht daran, sie immer wieder in meine erotischen Tagträume einzubauen und im Geiste mal soft, mal hart durch die Mangel zu nehmen, wenn ich im Job Stress hatte.

*

SONNENKOPF

Ich musste heftig pumpen, als ich mich in der Sommerhitze mit dem MTB zum Gipfel des Sonnenkopfs hochquälte. Der Sonnenkopf war dabei nicht besonders hoch, aus Sicht der Anrainer vielleicht nicht mal ein richtiger Berg. Aus Sicht des norddeutschen Flachlandtirolers jedoch schon! Selbst mit dem Mountainbike, wegen dessen ich in Berlin genug Spott ertragen musste, war die hügelige Gegend für mich eine ungewohnte Herausforderung. Ich schob dies aber eher auf meine mangelhafte Fitness als auf die für die Ebene ausgelegte Übersetzung der Gänge zurück.

Kurz vor dem Gipfel wurde mir fast schwarz vor Augen und ums Haar hätte ich eine einsame Trailrunnerin umgenietet, die sich ebenfalls in der Gluthitze den Weg auf den Berg vorgenommen hatte. Oben angekommen lehnte ich das Mountainbike gegen eine der Sitzbänke auf dem Aussichtsplateau, ließ mich darauf erschöpft niedersinken und schüttete sofort den ganzen Inhalt einer Trinkflasche in mich hinein. Nachdem mein Puls sich beruhigt hatte, genoss ich die Aussicht über den Bodensee.

Die Trailrunnerin hatte unterdessen keuchend den Gipfel erreicht und griff nach dem Schlauch ihres Trinkrucksacks. Sie trug ein Tanktop und war schweißüberströmt. Die blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Aber halt! Das war doch...

„Claire???", rief ich überrascht.

Sie zuckte panisch zusammen und riss eigenartigerweise die Arme vor den Körper, wagte nicht, sich ganz umzudrehen.

„Oh... Jonas... du fährst Mountainbike?", stammelte sie.

Ich war irritiert. Sie schien vor mir zurückzuweichen. Wollte sie etwa vor mir davonlaufen? Eigenartig! Für eine halbe Minute presste sie die Augen zusammen, stand einfach reglos da wie eine Statue. Was war nur los mit ihr? Plötzlich kam Leben in sie, als hätte sie eine spontane Entscheidung mit sich selbst getroffen. Sie kam festen Schrittes direkt auf mich zu und nahm neben mir Platz. Dann drehte sie sich mit der Brust zu mir.

Ärzte sehen Menschen anders. Patienten können mit irgendeinem banalen Husten in der Ambulanz sitzen, bei einem schwärzlich verfärbten Leberfleck auf dem Unterarm wird sich der Blick des Arztes wie ein Habicht über seiner Beute dort festsetzen. Und mein Blick heftete sich jetzt auf den weiten Ausschnitt von Claires Funktionsshirt. Die rötliche, wulstige Brandnarbe, die von der Drosselgrube bis zwischen die Brüste reichte, zumindest so weit das Tanktop diese freigab, war nicht zu übersehen. Das war also der Grund für die ständigen grauen Rollis oder hochgeknöpften Blusen, selbst im Hochsommer!

„O mein Gott, Claire... das konnte ich ja nicht wissen!", druckste ich herum.

Sie sagte eine Weile nichts, krümmte sich dann plötzlich vor meinen Augen zusammen und wurde ganz blass, fast weiß.

„He, Claire! Was ist los mit dir?", schrie ich und fuhr von der Bank hoch. Kollabierte sie jetzt etwa vor meinen Augen?

Sie entspannte sich so schnell, wie der eigenartige Anfall gekommen war und wimmerte leise.

„Dieser Schmerz... der Schmerz..."

Ich sah sie entgeistert an und sie begann leise zu erzählen, den Blick weit in die Ferne gerichtet.

„Weißt du, Jonas, wir hatten an meinem siebten Geburtstag eine Gartenparty. Wir haben im Planschbecken rumgetobt und ich hatte nur eine Badehose an. Ich wollte aus der Küche schnell eine Flasche Limo holen, bin reingerannt, auf dem nassen Boden ausgerutscht und hab dabei eine volle Fritteuse für Pommes vom Herd gerissen. Das kochende Öl ist dann komplett über mich drüber..."

Ein Schauer durchlief sie wieder, als hätte sie einen bitteren Schluck getrunken.

„Ich brauche nur kurz dran zu denken, dann ist der Schmerz wieder da. So, als ob es gestern gewesen wäre! Er ist immer da. Begleitet mich wie ein Schatten und steht in der blödesten Situation plötzlich vor mir."

Ich sagte lange nichts und starrte auch in die Ferne. Hätte sagen können, es tue mir leid. Aber Ärzte sagen so etwas selten, weil Mitleid genau das ist, was ein Patient von einem Arzt nicht braucht. Und eine Kollegin schon dreimal nicht.

„Jetzt verstehe ich, glaube ich, wirklich einiges besser", durchbrach ich die Stille plötzlich.

Wir standen auf, nickten uns zu, und brachen, jeder auf seine Weise, nachdenklich den Heimweg an.

In dieser Nacht träumte ich wieder von Claire, aber diesmal war alles anders. Sie lag nackt auf dem Bett auf dem Rücken. Die Narbe, die von ihrem Hals ausging, wurde immer länger, bedeckte schließlich ihren ganzen Körper, wie bei einem Schwerstbrandverletzten und wucherte dann übers Spannbetttuch. Panisch hatte ich mich von ihrem Bett zurückgezogen. Die Peitsche zitterte ungenutzt in meiner Hand, bis ich sie in die Ecke warf. Es war ein Alptraum! Diese verbrannte, vernarbte Haut!

Als ich schweißbedeckt aus dem Schlaf hochschreckte, musste ich erstmal ein Glas eiskaltes Wasser trinken. Weil ich nicht wieder einschlafen konnte, sah ich mir eine Stunde lang Anal-Gangbang-Videos aus dem Internet an, bis ich hektisch und lustlos abspritzte. Was hatte ich damals nur getan! Mein Geschenk musste sie unglaublich getriggert haben... Waren die wirren Träume etwa eine Strafe durch eine höhere Macht? Würde mich Claires Schicksal bis ans Ende des Lebens verfolgen? Es dauerte lange, bis ich wieder einschlief.

*

EINLADUNG

Von der kurzen Nacht noch hundemüde, hatte ich mich in der Krankenhauskantine an einen ruhigen Tisch in die Ecke gesetzt und grübelte dumpf vor mich hin. Ich wollte eben mein Besteck aufnehmen, als ich Claire sah. Überrascht erkannte ich, dass sie zielstrebig auf meinen Tisch zusteuerte und mich höflich fragte, ob sie Platz nehmen dürfte.

„Natürlich, Claire! Warum denn nicht?"

Ich lud sie mit einer Handbewegung ein, sich gegenüber von mir zu setzen. Dann begannen wir schweigend zu essen, tauschten gelegentlich Informationen über Patienten auf Station aus.

„Wie bist du eigentlich zum Laufen gekommen?", versuchte ich, das Gespräch in eine andere und überdies unverfängliche Richtung zu lenken.

„Weißt du, ich habe irgendwann gemerkt, dass ich etwas tun muss, um meinen Körper anders zu spüren. Als Kind habe ich gerne geturnt. Aber das war nach... du weißt schon... einfach nicht mehr drin. Bestimmte Bewegungen tun halt ziemlich weh. Laufen geht einigermaßen."

Nun hatte sie selbst das Thema aufgegriffen und ich fragte mich insgeheim, welche Ausmaße ihre Verbrennungen wirklich hatten.

„Sieht aber sehr professionell aus, wie du das machst", merkte ich an.

„Naja... für einen Halbmarathon unter zwei Stunden reicht es. Wobei ich lieber in der Natur als in der Stadt laufe."

„Unter zwei Stunden! Wow! Und Natur gibt es hier ja zur Genüge", sagte ich und überlegte, ob sie deshalb hierhergezogen war.

„Weißt du, Jonas, ein Onkel von mir hat hier gelebt. Wir haben die Wohnung übernommen, als er gestorben ist. So hat sich das mit der Klinik hier ergeben", erklärte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Eine Weile aßen wir schweigend weiter.

„Am Samstag ist wieder mein Geburtstag", murmelte sie fast beiläufig.

„Verstehe. Das Problem mit den Jahrestagen und der Erinnerung", warf ich vorsichtig ein.

Sie nickte knapp.

„Mach dir keinen Kopf, Claire. Ich werde dich diesmal ganz sicher nicht behelligen! Versprochen!", sagte ich, hob zwei Finger wie zum Schwur und stocherte verlegen in meiner Gemüselasagne.

„Ach... das ist jetzt aber schade. Ich wollte dich nämlich zu meinem Geburtstagskaffee einladen."

Ich zuckte zusammen.

„Ähm... bist du sicher?"

„Mensch, Jonas. Tu nicht so doof. Du weißt jetzt schon mehr über mich als die meisten anderen hier. Und... ich arbeite gerne mit dir. Ist wirklich so", antwortete sie und starrte auf ihren Teller.

„Nun gut... dann kann ich deine Einladung wohl kaum abschlagen. An welche Uhrzeit dachtest du denn?"

„Um halb Vier am Nachmittag. Bei mir zuhause."

„Ich werde da sein, Claire! Ich freu mich!"

Den Rest des Tages wirkte sie bei der Arbeit fröhlich, für ihre Verhältnisse fast schon überdreht. Und zum ersten Mal verabschiedete sie sich bei mir, bevor sie nach Hause ging.

Bereits mehrfach hatte Claire mir bei der Arbeit von ihrer Leidenschaft für klassische Musik erzählt. Ich fand tatsächlich am Samstagmorgen noch eine schöne Aufnahme der Violinkonzerte von Alessandro Peroni und ein paar Tuben Energy-Gel fürs Laufen im örtlichen Drogeriemarkt, die ich zuhause in ein hübsches Geschenkpapier verpackte.

„Hallo, Jonas!", begrüßte sie mich freundlich und gab mir sofort die Hand, nachdem sie mir geöffnet hatte.

Erfreut nahm sie das Geschenk entgegen und lenkte mich durch den Flur ihrer spärlich eingerichteten Wohnung. Alles ganz hell und clean. Sofort fiel mir die merkwürdige Stille auf. Am Fenster des geräumigen Wohnzimmers stand ein Esstisch mit Kuchenplatte und einer altmodischen Porzellankaffeekanne. Ich zählte zwei Gedecke. Genau zwei!

„Ähm, Claire... und die anderen?"

„Die anderen Gäste? Die... die waren heute alle verhindert", versicherte sie mir hastig.

Wir saßen über Eck und sie goss mir sofort einen Kaffee ein. Ihre Hände zitterten dabei leicht.

„Milch? Zucker?"

„Nur Milch", antwortete ich und fühlte mich plötzlich unwohl.

„Rhabarber- oder Käsekuchen?"

„Ähm... vom Käsekuchen. Danke, Claire."

Eine ganz Weile kauten wir stumm und sahen uns nur gelegentlich an.

„Wir reden heute aber nicht über Patientengeschichten!", versuchte ich ein Gespräch zu beginnen.

„Möchte ich auch nicht, Jonas", pflichtete sie bei.

„Dann... erzähl doch mal, wie es dir so ergangen ist, in Berlin, nach... du weißt schon..."

Ich bemerkte wieder, wie ein Schauer sie durchlief, dann begann sie.

„Also... viel gibt es da gar nicht zu erzählen. Physikum lief gut. Genaugenommen sogar sehr gut. Im klinischen Abschnitt habe ich meine Dissertation über irgendwelche Ionenkanäle in den Zellen der Milz gemacht, die keinen Menschen interessieren. Und im Praktischen Jahr war ich nur in der Charité. In der Zeit ist meine Schwester Anita gestorben. Hatte mehrere Komplikationen durch ihr Down-Syndrom. Danach wollte ich einfach nur noch weg aus der Großstadt."

„Oh, das ist schlimm", sagte ich und erinnerte mich dunkel an das Mädchen im Rollstuhl auf der denkwürdigen Geburtstagsparty in Berlin.

„Für sie war es am Ende eher eine Erlösung, denke ich. Bin aber wie in ein Loch gefallen, weil ich erst dann gemerkt habe, wie sehr der Pflegeaufwand für Anita mein Leben ausgefüllt hat. Und dann gab es da fast zeitgleich noch die Trennung von Uwe."

Ich wollte eben einen Schluck Kaffee nehmen, setzte dann aber die Tasse geräuschvoll wieder ab.

„Uwe?"

„Mein damaliger Freund. Habe ihn ein halbes Jahr vor dem zweiten Staatsexamen kennengelernt. Endlich mal ein Netter, aber Uwe kam einfach mit der Situation nicht klar. Aber er war wenigstens ehrlich im Gegensatz zu den Arschlöchern vorher. Darum kann ich ihm keinen Vorwurf machen. Hat aber sehr weh getan. Und tut es immer noch. Da stehst du am Ziel deiner Wünsche... Promovierte Ärztin mit Summa cum laude... und es geht dir einfach nur beschissen."

In ihren Augen glitzerte es. Solche Kraftworte aus ihrem noblen Mund zu hören, war ungewohnt und mir stellten sich die Nackenhaare auf, weil ich mir nicht sicher war, ob sie mich mit den Arschlöchern mitgemeint hatte.

„Ich hatte noch jahrelang Alpträume, Claire", stieß ich schuldbewusst hervor.

Sie wirkte irritiert.

„Alpträume? Wieso denn?"

„Naja... diese blöde Peitsche als Geschenk. Das war glaube ich das Peinlichste, was mir je im Leben passiert ist. Und jetzt mit dem Wissen um das, was dir passiert ist, tut es mir doppelt leid! Ehrlich!"

„Ach so. Die Neunschwänzige Katze... ach, mach dir darüber keinen Kopf, Jonas!", wiegelte sie hastig ab und senkte den Blick.

„Weißt du, viel schlimmer waren die Kerle, die mich nach dem Physikum erst umgarnt haben, und dann, nachdem sie die Narben gesehen hatten, nur die Freakshow mitnehmen wollten. Und ich bin immer voll drauf reingefallen. Aus purer Sehnsucht. Ich wollte halt auch mal ein bisschen Liebe spüren."

Ihre Hände zitterten jetzt wieder und sie starrte traurig auf ihren Teller. Es wurde mir allmählich unangenehm, dass sie mich so ins Vertrauen zog, und ich fragte mich, womit ich das verdient hatte.

„Weißt du Jonas, mit Uwe war es dann ganz anders. Ich habe ihn auf einem Benefiz-Ball für Inklusion geistig behinderter Menschen kennengelernt. Er war zwar acht Jahre älter, aber das hat mich nicht gestört. Er war einfach lieb. Am Ende zu lieb. Hat geweint, wenn ich Schmerzen hatte. Hat versucht, mir alles recht zu machen. Ich habe mich gefühlt wie ein Hätschelkind. Er hat sich kaum getraut, mich... mich mal richtig anzufassen."

Ihr letzter Satz kam ganz leise, weshalb ich mir ziemlich sicher sein konnte, was sie damit meinte. Mir dämmerte es, dass mit ihren Brandnarben manche intimen Aktivitäten sicher schmerzhaft waren. Ich versuchte, mir von diesen Gedanken nichts anmerken zu lassen und griff rasch zum nächsten Stück Käsekuchen.

„Und... wie ging es dann weiter?", fragte ich schnell.

„Nun, gar nicht! Wir haben uns nach etwa einem Jahr getrennt. Er hat zwar noch mit Edelmut versucht, die Schuld daran auf sich zu nehmen. Aber es wäre so oder so auseinandergegangen. Ich war natürlich trotzdem am Boden zerstört."

„Das ist echt bitter", pflichtete ich betreten bei.

„Weiß du was noch bitterer ist, Jonas? Wenn du merkst, dass es eine Geschichte ohne Ende ist. Dass es wahrscheinlich immer so weitergeht, bis du alt und grau wirst. War mit ein Grund hierherzuziehen. Hier in der Provinz spürt man die Einsamkeit weniger, weil man eh oft allein ist."

Wir saßen eine Weile wortlos da. Hoffentlich fragte sie mich jetzt nicht über Snoopy oder Stefanie aus! Sie nippte an ihrem Tee und starrte aus dem Fenster.

„Und dann treffen gerade wir uns hier im tiefsten Süden, Claire! Das ist schon seltsam", brach ich die Stille.

„Das ist es in der Tat, Jonas. Aber es ist auch schön! Macht Spaß, mit dir zu arbeiten, weißt du? Und ich finde, du hast dich verändert. Oder du bist anders als ich dachte. Das gefällt mir!"

„Könnte ich von dir genauso sagen. Obwohl ich dich ja von früher her kaum kenne. Aber vielleicht hatte ich sowieso immer ein falsches Bild von dir in meinem Kopf."

Sie errötete leicht und knetete ihre Finger. Das sandfarbene, schulterfreie Leinenkleid, das sie trug, ließ genügend von ihrer Narbe sehen. Sie hatte sich offensichtlich keine Mühe gegeben, diese vor mir zu verbergen. Sie vertraute mir.

„Ich bin jedenfalls froh, dass du jetzt da bist!", stieß sie auf einmal fröhlich hervor und bekam rote Flecken am Hals.

„Na dann... gib mir fünf!", rief ich keck und hielt ihr die Handfläche hin, nachdem mein Herz begonnen hatte zu hämmern.

Sie klatschte mich nach kurzem Zögern schließlich ab und in diesem Moment war das Eis zwischen uns wirklich ganz und gar gebrochen.

*

Wir wechselten nach dem Kaffee auf die Couch und unterhielten uns eine ganze Weile angeregt über klassische Musik, Konzerte in der Nähe und ihren Laufsport. Unweigerlich kamen wir dabei wieder auf ihre Narbe zu sprechen und mir fiel auf, wie sich ihr drahtiger Körper dabei anspannte und ihre Züge sich von Zeit zu Zeit verhärteten. Nach einer Weile schien sie ganz unruhig zu werden.

„Du, Jonas, ich sollte heute Abend eigentlich nochmal eine Runde laufen. Total schade, weil ich noch stundenlang hier mit dir sitzen könnte. Aber morgen ist der Bregenzer Marathon. Da bin ich für die Halbmarathon-Distanz gemeldet", ließ sie vorsichtig ins Gespräch einfließen.

Ich stutzte. Dass sie mir letzte Woche bei der Arbeit nicht davon erzählt hatte? Dass sie überhaupt heute zum Geburtstagskaffee einlud, wo doch morgen so ein wichtiges Ereignis anstand?

„Ist kein Problem, Claire! Da will ich dich auf keinen Fall von abhalten. Dann kann ich noch etwas Rad fahren. Wird bei mir demnächst auch mal wieder Zeit für ein Jedermann-Rennen, denke ich."

Wir standen auf und deckten gemeinsam den Tisch ab, bevor wir zur Tür gingen. Sie wirkte auf einmal unruhig.

„Ich fand es wirklich superschön, dass du da warst, Jonas!"

Wir sahen uns lange in die Augen, ihr Blick flackerte wild. Impulsiv umarmten wir uns zum Abschied wie alte Freunde und ich spürte, wie mein Herz begann zu pochen. Manchmal sind es im Leben die ganz kleinen Gesten und Bewegungen, die eine große Wirkung haben. Wie ein Händedruck, der einen Tick zu lange für eine formelle Verabschiedung dauert. Meine rechte Hand strich mechanisch über den Rücken, den ich bisher nur in meinen Träumen unbedeckt gesehen hatte. Überrascht stellte ich dabei fest, dass keine BH-Riemchen zu spüren waren, vielleicht trug sie keinen wegen ihrer Brandnarben. Sie hatte die Augen geschlossen, legte den Kopf leicht an meine Brust. Dann blickte sie zu mir auf und schloss nach einer Weile die Augen. Ihr heißer Atem strich mir über die Wangen. Als ihre Oberlippe meinen Mund berührte, begann mein Puls zu rasen und ich merkte, wie mir der kalte Schweiß ausbrach.

„Ähm... Danke für die nette Einladung, aber ich denke, ich sollte jetzt besser gehen, Claire", zog ich die Reißleine, machte mich unter ihrem erschrockenen Blick rüde von ihr los und stürmte panisch die Treppe hinunter. Auf dem Rad eilte ich kopflos drei Häuserblöcke weit die Straße entlang und wurde beinahe von einem Laster, dem ich die Vorfahrt nahm, über den Haufen gefahren. Was sollte das denn gerade gewesen sein? Schließlich dämmerte es mir. Sie war verliebt! Claire hatte sich in mich verliebt!