Eva 01 - Der Sesshafte

Jetzt blieb Peter eine ganze Weile stumm, dann küsste er mich und sagte: «Dich kann man ja als Reiseleiterin im Niagara Parks Power Station Museum brauchen.» Er meinte das zwar als Scherz, aber ich habe mich dann tatsächlich dort beworben und auch dort gearbeitet, einfach um die Zeit zu vertreiben. Allerdings musste ich noch eine ganze Menge hinzulernen, z.B. dass das ursprüngliche Kraftwerk mit 25 Hz lief, dass der Fels nicht mehr stabil ist usw. Wenn Du herkommst, gebe ich Dir eine virtuelle Führung. Eine richtige Führung geht nicht, weil wir ja eben wieder umgezogen und nun in Raleigh sind.

Apropos herkommen: Hast Du jetzt mit Deiner Frau gesprochen, ob Ihr uns besuchen kommt? Lass mich wissen, ob ich die freie Mietcontainergruppe gleich neben uns buchen soll. Ich kann den Verwalter nicht beliebig lange hinhalten. Als 'exotische Blondine' -- meine ursprünglich braunen Haare waren unterdessen etwas ergraut und dann goldblond geworden -- kann ich ihn zwar durchaus bestechen, aber seine Bücher werden von einem Mann in der Stadt kontrolliert, und der sei scharf auf Auslastung. Bei dem könne eine Frau sowieso nichts erreichen, er sei schwul.

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Die Entscheidung -- Bericht von Paul

Ich erzählte Marianne, wir hätten eine Einladung. Sie war sofort dafür. Vielleicht müsste man die Jahreszeit etwas sorgfältiger aussuchen, denn Raleigh habe doch ein etwas anderes Klima als München.

Mir war bekannt, dass man die meiste Zeit lieber nicht in 'Business-Uniform' herumlaufen möchte, sondern eher gekleidet wie in den Badeferien. Muss man sich geschäfts-konform kleiden, geht man vom klimatisierten Hotel zum klimatisierten Auto zum klimatisierten Büro usw. und ist froh, wenn man die Klima-Anlage des Autos von ferne starten kann. Das ist das Leistungsmerkmal, für das Mercedes und BMW so lauthals Reklame machten, mir aber völlig überflüssig schien -- aus der Sicht des Mitteleuropäers eben.

Also schrieb ich eine Mail mit einer Frage und Eva gab erschöpfend Auskunft: Man könne in den Containern die Klima-Anlage verwenden, aber das sei kaum relevant, da man praktisch immer draussen sei, aber eben in Badehosen. Peter finde bereits Shorts über Unterhosen, wie er es von Boulder City gewohnt war, sei hier nicht bequem. Zu feucht, klebrig, lieber Shorts ohne Unterhosen. Das sei sowieso 'more sexy'.

Als Marianne das las, schaute sie mich fragend an: «Ja, ich weiss was Du meinst, und es gibt noch mehr solche Hinweise. Schau mal hier und hier.»

Ich zeigte ihr alle 'verdächtigen' Stellen in der gesamten Korrespondenz, auch die Stellen, wo von der Sauna die Rede war. Da wollte sie dann etwas mehr Auskunft, obschon das ja eigentlich vor ihrer Zeit war. Ich klärte sie vollständig auf und machte mich auf alles gefasst. Dann wurde ich überrascht:

«Also, machen wir mal Auslegeordnung. Nein, können wir eigentlich nicht. Dazu fehlen uns zu viele Angaben. Wir können aber aus den Bruchstücken ein hypothetisches Ganzes zusammenfügen und meine Hypothese lautet: Eva, Peter und möglicherweise das gesamte Containerdorf leben in einer polyamorösen Gemeinschaft. Ich werde mal ein bisschen recherchieren.»

Ich war ja beruhigt, dass ich keine Schelte oder schlimmeres abbekommen hatte und ging schlafen, während Marianne das Internet zum Glühen brachte. Am anderen Morgen empfing sie mich ganz nüchtern mit den Worten: «Es passt alles. Zunächst mal die Episode 'in der Sauna bumst der Bayer am besten'. Viele Frauen hätten sich danach an Dich geklammert, zumindest die Hucke voll gejammert, wie schwer es sei, die Trennung von Dir zu ertragen und solcher Quatsch. Von Eva hast Du nichts derartiges berichtet. Sie kann zwischen Sex und Sex unterscheiden, weiss was wie gemeint und einzuordnen ist. Nach allem was meine Recherchen ergaben, kann eine solche Frau problemlos in einer polyamorösen Beziehung leben, was die meisten anderen Typen nicht können.»

«Hast Du etwas bezüglich Kindern herausbekommen?» -- «Ja, eine polyamoröse Gemeinschaft mit Kindern ist durchaus möglich, aber sehr anspruchsvoll. Meist klappe das nur, wenn die Gemeinschaft einen starken 'Guru' habe, auf den die anderen hören. Bei den historisch wohl am besten erforschten frühen solchen Gemeinschaften, den Hopi-Indianern, war das zwar keine Einzelperson, sondern der Ältestenrat. Das Beispiel hinkt aber, weil bei den Indianern ein Krieger immer mehr galt als eine Frau. Wir sprechen hier hingegen von modernen polyamorösen Gemeinschaften, wo die Frau völlig gleichberechtigt ist. Dennoch ist die Keine-Kinder-Beobachtung ein starkes Indiz dafür, dass die Riverport-Road-Gemeinschaft eine polyamoröse ist, wo potentiell jeder mit jeder Verkehr hat, und zwar nicht im geheimen, sondern ganz offen. Ich kann zwar kein Indiz vorweisen, aber ich würde mich nicht wundern, wenn es mehr oder weniger jede Nacht ein Rudelbumsen gäbe.»

«Und Du meinst, dass wir da hingehen sollten?» -- «Ja, ich möchte diese Frau kennenlernen, und Peter, und vielleicht noch ein paar mehr. Aber jetzt möchte ich Dich.»

Ich wurde ohne jede weitere Diskussion abgeschleppt. Marianne schien entschlossen, mich jetzt zu vernaschen, dann mit mir nach Raleigh zu fahren und einen neuen Lifestyle auszuprobieren.