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Fluchtverhalten

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Er verspürte den Drang nach einem Kaffee.

Aber er wollte sich nicht der Gefahr aussetzen, blonde Haare wehen zu sehen.

***

Etwas später hielt er es nicht mehr aus. Seine Räume schienen enger um ihn zu werden und ihn zu erdrücken. Er stürmte nach unten und packte sein Rennrad. Beim Losfahren schaffte er es, nur einen einzigen kurzen Kontrollblick zum Balkon gegenüber zu werfen. Leer.

Als er zurückkam, dunkelte es bereits. Er war acht Stunden am Stück gefahren, fast ohne Pause, und hatte sich völlig verausgabt. Der Wirbel seiner Gedanken war zu einem beständigen Druck auf den Schläfen abgeflaut.

Auf dem Parkplatz vor dem Nachbarhaus stand eine riesige, schwarze Limousine. Ein Maybach oder ein Bentley-Spezialumbau. Sascha warf nur einen flüchtigen Blick darauf, dann verstaute er sein Rad, stampfte mit schmerzend schweren Beinen die Treppe hinauf, und ließ sich vor seinen Fernseher fallen.

Bis nach Mitternacht schob er eine DVD nach der anderen in den Schlitz des Players, ohne dass er danach hätte sagen können, welchen Film er sich gerade angeschaut hatte. Doch die grellen Szenen auf dem Bildschirm lenkten gnädig ab von den Bilderfolgen, die sein Kopf produzierte. Der Schlaf später war traumlos, brachte aber kaum Erfrischung.

Beim ersten Kaffee am Morgen warf er aus reiner Gewohnheit einen Blick hinüber.

Hm.

Irgendetwas war anders.

Er sah nochmals hin, aufmerksamer.

Die Vorhänge! Sie waren zurückgezogen und gaben den Blick frei durch die gesamte Wohnung. Die Möbel standen darin, wie er sie gesehen hatte, und doch wirkte alles eigentümlich neutral.

Unbewohnt.

Ein seltsames Kitzeln breitete sich in seinem Bauch aus. Er ging zu seinem Schreibtisch, mechanisch wie eine Aufziehpuppe, und suchte die Nummer der Hausverwaltung in seiner Adressdatei. Beide Wohneinheiten wurden von derselben Verwaltung betreut, so viel wusste er.

„Flexo Hausverwaltung, Viola Meyer am Apparat, guten Morgen? Ah, Herr Wagner! Gibt es ein Problem, oder was kann ich für sie -- Das Penthouse gegenüber? Also, das ist ja komisch, dass sie das erwähnen! Ich habe heute früh einen mehr als sonderbaren Anruf erhalten, und seitdem bin ich nur am Rotieren, das kann ich ihnen sagen! Die Firma, die die Wohnung gemietet hat, ist ausgezogen, lässt die Kaution verfallen, und wir sollen uns auch um die Einrichtung kümmern! Stellen Sie sich das vor! Wir sind doch kein Möbelhaus! Und gerade habe ich versucht herauszufinden, wo die Firma überhaupt sitzt, jetzt ist der Registereintrag nicht aufzufinden. Ich kann absolut niemand erreichen! So ein Durcheinander hatte ich nicht, seit -- "

Sascha ließ den Hörer auf die Basisstation sinken und widerstand dem Drang, in ein irres Kichern auszubrechen. Dann kam Leben in ihn. Er stürzte an seinen Schreibtisch und tippte wie wild, bis er den Wikipedia-Eintrag wieder auf dem Bildschirm hatte.

„Rohmann ist der Familienname folgender Personen:

Anette Rohmann (* 1972), deutsche Psychologin

Dirk Rohmann (* 1975), deutscher Althistoriker

Eva Rohmann (1944--2020), deutsche Politikerin (DFD, SED), Abgeordnete der Volkskammer

Gregor Rohmann (* 1970), deutscher Historiker

Heinrich Rohmann (1853--1942), deutscher Politiker (SPD)

Klaus Rohmann (* 1939), deutscher alt-katholischer Theologe

Nicolas Rohmann (*1965), deutscher Unternehmer [GELÖSCHT]

Serge Rohmann (* 1970), luxemburgischer Fußballspieler

Teresa Rohmann (* 1987), deutsche Schwimmerin"

Mit einigen Klicks fand er auch wieder den Untereintrag, ebenfalls mit einem großen „GELÖSCHT" markiert. Im Register „Diskussion" stand nur ein Eintrag:

„GELÖSCHT -- anscheinend ein Fake [Bearbeiten]

Was soll denn dieser Mist hier? Von vorne bis hinten erfunden! Von diesem Nicolas Rohmann hat noch nie jemand etwas gehört! BaryoMano 04.06.2019, 08:15 (CEST)"

Sascha sprang auf, riss die Tür auf und raste das Treppenhaus hinunter.

„Ach, guten Morgen Herr Wagner, Sie sind... Herr Wagner?" Die neugierige Frau Breckvöller starrte ihm verblüfft nach, wie er grußlos an ihr vorbeistürmte.

Als er die drei Stufen zur Eingangstür des Nachbarhauses nahm, öffnete sich gerade die Tür und ein junger Typ in Anzug und Krawatte kam heraus. Sascha nickte ihm zu und war schon drin. Die Treppe hinauf.

Die Tür des Penthouses war nur angelehnt. Innen Stille. Alle Möbel waren noch da, wo sie auch vor zwei Nächten gestanden hatten. Sonst war alles weg. Kleider, Telefon, Bücher, Zeitschriften. Die Wohnung wirkte wie der Präsentationsstand eines Premium-Anbieters in einem Einrichtungshaus. Gemütlich und geschmackvoll, aber völlig bar jeden Lebens.

Sascha suchte eine Stunde lang nach irgendwelchen Hinweisen, die bei dem unplanmäßigen und vielleicht überstürzten Auszug übersehen wurden. Ohne Erfolg. Schließlich musste er sich eingestehen, dass hier Profis am Werk gewesen waren. Ächzend, wegen des starken Muskelkaters in den Beinen, ließ er sich auf die Couch sinken. Dieselbe Couch, auf der Sophie und er...

Dann denk einfach nicht mehr an sie!, raunte ihm eine Stimme zu. Egal wer oder was sie möglicherweise war oder auch nicht war. Ist doch besser so: klarer Strich, Thema durch! Geh endlich an die Arbeit und kümmere Dich um die Zahlen von Mölking & Weiß. Vergiss die verrückte Nudel! Du siehst doch, dass sie nur Probleme macht. Lieber der gewohnte Trott, ist doch viel gemütlicher! An die Nacht kannst du dich als kleine Flucht aus der Realität erinnern, die war ja richtig gut.

Klang vernünftig, fand Sascha. Dennoch fühlte er sich doppelt so alt und völlig ausgebrannt, als er langsam wieder die Treppe hinunterschlich. Der Gedanke, dass dieses herrlich bunte, wahnwitzige Fenster in eine andere Form der Existenz so plötzlich zugeknallt sein sollte, war fast mehr, als er ertragen konnte.

Mit gesenkten Augen watete er hinaus, in den Hof zwischen den Häusern. Warf nochmals einen Blick hinauf. Auf einmal wusste er, dass er sich bald eine andere Wohnung suchen würde. Dass er die ständige Aussicht auf ihren Balkon nicht aushalten würde.

Da fiel ihm eine bekannte, olivgrüne Form neben den Pflastersteinen ins Auge. Unvermittelt kamen alle seine Gedanken zum Stillstand, so wie ein Spielzeugauto nach dem Aufprall an einer Wand. Lange starrte er nur auf die runde Kerze nieder, die jemand achtlos in den Kies geworfen hatte.

Endlich nahm er sie auf. Das Wachs wies nun auf zwei Seiten Schrammen auf. Das Papier wurde diesmal von einigen gesplitterten und tief in die Kerze gebohrten Streichhölzern gehalten.

„Mein Liebster! Mein Vater hat alles herausgefunden, ich weiß nicht wie! Er bringt mich weg in einen anderen Unterschlupf. Ich habe gelauscht, es muss in einem Industriegebiet in Meerbusch bei Düsseldorf sein. Bitte komm und hol mich raus! Ich liebe dich!!! S."

Sascha starrte auf das Papier. Was sollte er glauben? Für welche Realität entscheiden? Für die, in der Sophie eine Verrückte war und er ein trauriger Fall von Einsamkeit? Oder für die andere, in der dringend ein Held gebraucht wurde, weil ein aalglatter Verbrecherkönig seine wunderhübsche Tochter gefangen hielt?

Er spürte, wie sich seine Lippen zu einem idiotisch breiten Grinsen verzogen und von selbst zu pfeifen begannen.

Der Tank seines Volvos war noch halb voll. Das müsste bis Düsseldorf reichen...

ENDE

(c) 2022 Dingo666

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23 Kommentare
competitioncgecompetitioncgevor 17 Tagen

wow, von Schock zu Spannung, wieder zu Schock.

genial geschrieben wie immer

doch leider liest sich die Geschichte am Ende eher wie das Rücken Cover von einem Roman, der einem vermittelt, dass das Buch lesenswert ist.

du kaufst oder bestellst es, freust dich und blätterst es auf und die Seiten sind leer..

so empfinde ich gerade aus dem Bauch heraus.

motivierende Grüße, competitioncge

Ludwig_v_ObbLudwig_v_Obbvor fast 2 Jahren

PS: Auch wenn wir Dingo666 wünschen, daß die "Veränderungen in [s]einem Leben"

(1) zum Positiven sind, und

(2) ihm irgendwann auch wieder das Schreiben ermöglichen

so wird er doch gut beraten sein, dieser Geschichte keine Fortsetzung dranzuhängen.

Ludwig_v_ObbLudwig_v_Obbvor fast 2 Jahren

- Dunkelblau, wie das Meer an einer sehr tiefen Stelle -

Gleich der erste Satz "Da war sie wieder!" zieht den Leser in den Bann, weckt Interesse und deutet den Spannungsbogen an, der sich allmählich, denn mehr und mehr aufbaut.

Genaue Beobachtung, feine Beschreibung, Andeutungen - Saschas normales und langweiliges Alltagsleben bildet die Basis für den vom "Starkwind aufgewühlt[en]" späteren Seegang, ein Abenteuer, bei dem die 'Pick-up line' im Stil von Daniel Craig („Sie haben ihre Kerze verloren!") perfekt platziert ist.

Selbstverständlich weist die Geschichte Überraschungen und Wendungen auf - mehr als eine.

Für Dingo666 selbstverständlich haben außer Spannung auch Erotik und Sex ihren Platz, hinreichend explizit, nicht derb oder zotig.

Auch diese Geschichte zeichnet sich durch die Stärken des Autors aus: er erzählt überzeugend, und sein Umgang mit Sprache ist gekonnt

Spannend, großartig!

Ludwig

Baerchen_1967Baerchen_1967vor fast 2 Jahren

Richtig gut geschrieben. Mehr als 5🌟&❤️& Kommentar kann ich nicht verteilen. OK, gutes dauert.

Der Volvo war halb voll, reichte leider nicht um anzukommen.

Börse vergessen, zu Fuß nach Hause, Schlüssel abgebrochen. Verdammt selbst wenn er sich zusätzlich noch ein Bein bricht, wäre es jetzt verheilt.

Bitte höflichst um Teil 2.

LG

Andy

jowa38_0815jowa38_0815vor etwa 2 Jahren

Ich hoffe auch auf eine Fortsetzung :-) Wirklich klasse Idee und prima umgesetzt.

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