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Krieg und Liebe - Tanganjikabahn

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„Eine verdammt gute Frage", antwortete ich zögerlich. „Eigentlich nein, weil das Kaisertum oder Königtum immer zu einem Land gehört. England ist beispielsweise nicht Teil des Deutschen Reiches. Aber Deine Frage ist absolut berechtigt, weil der Deutsche Kaiser auch König von Preußen ist und zugleich ranghöher ist als andere deutsche Könige, zum Beispiel der König von Bayern und der König von Württemberg."

Una schüttelte den Kopf. „Könnt ihr in Europa denn so etwas nicht ordentlich organisieren? Bei uns gibt es einen Häuptling. Mehr nicht. Und andere Stämme haben ihren eigenen Häuptling. Aber so einen Oberhäuptling haben wir eigentlich nicht. Braucht man doch auch nicht. Ein Häuptling reicht doch."

Ich nickte nachdenklich, denn eigentlich hatte Una recht.

Hingegen hatte Una das Prinzip des Parlamentarismus verstanden. „Ist wie bei uns der Rat der Ältesten. Euer Kaiser braucht genauso weise Ratgeber wie unsere Häuptlinge."

Ich stimmte ihr zu, enthielt mich aber weiterer Erläuterungen oder Stellungnahmen. Wenn ich meine eigenen Erinnerungen an den deutschen und preußischen Parlamentarismus und die Zeitungsberichte der letzten Jahre als Maßstab nahm, konnte man die Einschätzung von „weisen" Ratgebern nicht unbedingt teilen.

Das Leben in diesen Frühlings- und Frühsommermonaten in Deutsch-Ostafrika war aus meiner Sicht schön und verhieß für die Zukunft viel Gutes. Diese optimistisch lebensfrohe Einschätzung wurde von meiner Partnerin Una, meinen engsten Geschäftsfreunden und meinen Freunden und Bekannten unter den deutschen Nachbarn uneingeschränkt geteilt. Dann berichtete die Deutsch-Ostafrikanische Zeitung, die durch die Eisenbahn jetzt mit nur wenigen Tagen Verzögerung nach Kigoma kam, vom Attentat auf das österreichische Thronfolger-Ehepaar in Sarajevo und fünf Wochen später vom Kriegsausbruch in Europa. Die beiden Nachbar-Kolonien von Deutsch-Ostafrika, Belgisch-Kongo im Westen und Britisch-Ostafrika im Norden sowie Rhodesien im Süden waren im Krieg mit dem Deutschen Kaiserreich. Die sich ab Juni zuspitzende Krise hatte auch den Besuch des Kaisers zur Deutsch-Ostafrikanischen Landesausstellung in Daressalam und in Kigoma obsolet werden lassen. Das für ihn extra unter großem Zeitdruck errichtete Jagdschloss am Ostufer des Tanganjikasees würde nie kaiserlichen Besuch erleben. Aber das wussten wir im August 1914 trotz unserer Enttäuschung nicht.

Der Kriegsausbruch in Europa hatte unmittelbare Konsequenzen für Anton Rüter und seine Mannschaft, die mit großem Elan die ‚Götzen' zusammennieteten und montierten. Die Slipanlage war nicht mehr rechtzeitig verschifft worden und lag in Hamburg ohne die geringste Chance, zu unserer improvisierten Werft am Tanganjikasee transportiert zu werden. Unter Einschluss des Bauleiters von Philipp Holzmann, Friedrich Hübener, der für die Bahntrassenbau der Mittellandbahn zuständig gewesen war und nun den Bau von Zweigverbindungen nach Norden und Süden plante und vorbereitete, saßen wir mehrere Abende zusammen und philosophierten über eine improvisierte Notlösung, um die ‚Götzen' nach Fertigstellung ins Wasser zu bekommen. Mittlerweile hatte sich auch die kaiserliche Marine eingeschaltet, die bereits das Kommando über die beiden kleinen Schiffe übernommen hatte, um auf dem See gegen britische und belgische Schiffe vorgehen zu können. Kapitänleutnant Zimmer war dazu zum Marinekommandanten auf dem See ernannt worden und im höchsten Maß daran interessiert, die ‚Götzen' zusätzlich zu bewaffnen und als Marineschiff zum Einsatz zu bringen. Hierzu hatte die Marine bereits begonnen, die Bewaffnung des im Rufiji-Delta an der ostafrikanischen Küste festsitzenden Leichten Kreuzers ‚Königsberg' zu demontieren und nach Kigoma zu bringen, damit die ‚Götzen' als auch die beiden kleinen Post- und Handelsdampfer damit ausgerüstet werden konnten.

Um die Geschäftsinteressen der OAEG gegenüber dem Oberkommandierenden der Schutztruppe, Oberstleutnant von Lettow-Vorbeck als auch gegenüber dem Marinekommandanten zu dokumentieren, erhielt ich von der Direktion in Daressalam die Anweisung, ab sofort in Uniform meinem Dienst in den Büros der Gesellschaft nachzugehen. Eigentlich war dies eine rein symbolische Aktion, denn die entlang der Seeufers auf drei Standorte aufgeteilte 6. Kompagnie war komplett in den Norden zum Kampf gegen die Belgier verlegt worden. Lediglich sechs Marinesoldaten standen in Kigoma zur Sicherung des Hafens und Beobachtung des Sees zur Verfügung, alle übrigen Marinesoldaten waren entweder auf die beiden kleinen Schiffe verlegt worden oder leisteten Hilfe bei der Fertigstellung der ‚Götzen', indem sie bereits die zusätzlichen Fundamente für die demontierten Geschütze der ‚Königsberg' vorbereiteten.

Muhammad Ali und sein Bruder Faruk äußerten bei einem gemeinsamen Abendessen Anfang September ihr absolutes Unverständnis über die Kriegsentwicklung zwischen den europäischen Mächten. „Ihr habt doch mit der so genannten Kongo-Akte vor vielen Jahren einen von allen unterschriebenen Vertrag unterzeichnet, der zwischen Euch hier in Afrika für einen dauerhaften Frieden sorgen soll. Seid ihr wirklich so verrückt, nun aufeinander zu schießen und dabei alle Handelsmöglichkeiten zu ruinieren?" bracht mein alter Freund seine Gedanken auf den Punkt.

Faruk war noch schärfer in seinem Urteil. „Das ist Euer Krieg, wir haben damit nichts zu tun. Wir treiben Handel mit Deutschen, Briten, Belgiern, Portugiesen und sonst wem. Wer bezahlt, ist unser Kunde und unser Freund. Und wer uns dabei hindert, ist unser Feind, egal aus welchem Land in Europa er kommt." Dabei wischte er das Argument, dass das Osmanische Reich als Heimat sehr vieler Araber mit dem Deutschen Reich verbündet sei, einfach beiseite. „Das ist ziemlicher Unsinn, Andreas. Die arabische Nation ist viel größer und wichtiger als der Sultan in Konstantinopel, der ohnehin in seinem Reich nicht so viel zu sagen hat. Schau doch nur nach Ägypten! Da herrschen die Briten, obwohl es immer noch offiziell zum Osmanischen Reich gehört."

Ähnliche Sichtweisen hatten im Grundsatz auch alle Afrikaner und Inder der Kolonie. Dieser Krieg, der jetzt auch das östliche Afrika erfasst hatte, war ein Krieg der Europäer, der sie nichts anging. Una brachte ihre Sichtweise eines Abends sehr klar auf den Punkt. „Schau, Andreas, letztlich ist egal, wer uns von Euch Europäern regiert. Regiert werden wir ja doch. Für uns Afrikaner ist entscheidend, unter wessen Regentschaft wir am sichersten und besten leben können, wenn wir schon nicht unter unserer eigenen Herrschaft leben dürfen." Sie stand auf und holte einen Band ihres Brockhaus-Lexikons an den Tisch. „Ich habe in den letzten Tagen viel über die so genannte ‚Französische Revolution' gelesen. Da heißt es ‚Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit' als Grundsatz einer freien Gesellschaft." Sie lächelte mich an. „Und da steht nichts von weißen Europäern oder schwarzen Afrikanern oder braunen Indern und so weiter. Das soll für alle Menschen gelten. Oder?"

„Dies ‚Oder?' war eine sehr schwierige Frage und entsprechend eierte ich bei meiner Antwort herum. In diesem Moment wurde mir eines kristallklar. Bildung für Afrikaner über das einfache Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus führte über kurz oder lang exakt zu dieser Frage. Aber sollte man ihnen deshalb Bildung vorenthalten, weil man nur Ungebildete beherrschen konnte? Meine Zweifel über das von Una aufgeworfene Thema ließen mich in den darauffolgenden Wochen des Nachts öfters wach liegen. Was hieß dies Thema für die Zukunft unserer so harmonischen, eheähnlichen Beziehung, die wir aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen einfach nicht nach außen ausleben konnten. Tagsüber hielt mich der Druck der Tagesereignisse vom Nachdenken ab, aber in den Abend- und Nachtstunden konzentrierten sich die aufgeworfenen Fragen immer mehr auf einen entscheidenden Punkt:

Wie sah die Zukunft für Una und mich aus?

Die einzige Hoffnung, die ich im Moment hatte, lag bei Paul von Lettow-Vorbeck und seinen Askaris sowie unserer hoffentlich rechtzeitig eintretenden Seehoheit durch den Stapellauf unseres umgebauten Hilfskreuzers und seiner Flottille.

Immerhin hatten wir drei Ingenieure eine Lösung für den improvisierten Stapellauf gefunden. Anton Rüter hatte mit einem eigentlich simplen Spruch die Lösung kreiert:

„Wenn das Schiff nicht zum Wasser kommen kann, muss das Wasser zu Schiff kommen. Ähnlich wie bei der Arche Noah", hatte er philosophiert und dabei den entscheidenden Ansatz gefunden.

Die Holzmann-Truppe unter Leitung von Friedrich Hübener grub aus dem Erdreich zwischen See und Montageplatz ein vier Meter tiefes Trockendock aus, dass dann durch Einreißen der seeseitigen Wand mit Seewasser geflutet wurde, bis die ‚Götzen' aufschwamm. Dann wurde diese Öffnung genügend erweitert, dass sie anschließend rückwärts in den See hinausfahren konnte. Natürlich ließ sich dadurch der ursprünglich Zeitplan nicht mehr einhalten, denn für einen manuellen Erdaushub für ein 71,40 Meter langes und 10 Meter breites Schiff musste unter Regenzeitbedingungen ein verdammt großes Loch ausgehoben werden. Der einzige Vorteil war der geringe Tiefgang des Dampfers von weniger als 3 Metern, die Männer mussten nicht zu tief graben. Am 5. Februar 1915 schwamm die ‚Götzen' zum ersten Mal auf afrikanischem Wasser und wurde nach drei weiteren Ausrüstungsmonaten, bei denen auch die 105 mm Kanone der ‚Königsberg' im Bugbereich, eine weitere 88 mm Kanone sowie zwei 35 mm Hotchkiss-Revolverkanonen als Bewaffnung montiert worden waren, in Dienst gestellt. Mit den Probefahrten waren sowohl Kapitänleutnant Zimmer als Marinekommandeur auf dem Tanganjikasee als auch Oberleutnant zu See Seidel als Schiffkommandeur weitgehend unzufrieden und schrieben zunächst einen negativen Bericht. Es half Ihnen nichts, sie mussten jetzt mit der ‚Götzen' leben und nach wenigen Wochen mussten sie einräumen, dass das Dampfschiff trotz seiner Unzulänglichkeiten die deutsche Überlegenheit auf dem 673 Kilometer langen See zementierte. Insbesondere die Möglichkeiten zur schnellen Truppenverlegung von Nord nach Süd und umgekehrt gab der deutschen Schutztruppe einen einmaligen operativen Vorteil.

Die Hoffnungen der ganzen deutschen Kolonie und zumindest ihrer deutschen Bewohner wurden zunächst erfüllt. Die Schutztruppe behauptete sich in den ersten Monaten gegenüber Briten wie Belgiern so gut, dass sie sogar die ersten Gefechte auf deren Hoheitsgebiet austrugen und gewannen. Auch auf dem See war es bis dahin absolut ruhig. Unsere beiden von Postdampfern zu bewaffneten Patrouillenbooten umgerüsteten Kleinschiffe waren abschreckend genug, dass keine feindlichen Angriffe auf das deutsch-ostafrikanische Ostufer zu verzeichnen waren. In Kigoma war es ruhig wie zu Friedenszeiten und auch das Alltagsleben verlief so. Lediglich bestimmte, lieb gewordene Luxuswaren aus dem deutschen Heimatland waren durch die britische Seeblockade nicht mehr zu erhalten, aber die arabischen und indischen Händler waren raffiniert genug, für fast alles Alternativprodukte zu beschaffen.

Ein Jahr später aber begann sich das Blatt zu wenden. Die Schutztruppe kam an Land immer stärker unter Druck und zog sich mehr und mehr Richtung Süden zurück. Auch auf dem See hatten Briten wie Belgier begonnen, erfolgreich aufzurüsten, so dass die Entscheidung getroffen wurde, die Schiffsgeschütze auf der ‚Götzen' zu demontieren, um sie an Land einsetzen zu können. Das erst ein Jahr alte Schiff lag nun in Kigoma und war zwecklos geworden. Anton Rüter und Kapitänleutnant Zimmer bereiteten die ‚Götzen' sorgfältig vor, schmierten Kessel und Maschinen dick mit Fett ein, um sie gegebenenfalls in der Zukunft wieder in Betrieb nehmen zu können und versenkten dann ihr Schiff durch Öffnen des Ventile ufernah in 20 Metern Wassertiefe. Anschließend verschwanden die drei Papenburger mit ein paar Begleitern im Busch, um einer drohenden Gefangenname durch die belgische Kongoarmee zuvorzukommen.

Was mich jedoch viel mehr bewegte, waren die Konsequenzen des Kriegsverlaufs und des Räumungsbefehls von Kigoma für mich und Una. Wir diskutierten nächtelang miteinander, aber es war aufgrund der Kommandostruktur der Schutztruppe unmöglich, Una mit auf einen Rückzug Richtung Süden zu nehmen. Ein Verbleiben meinerseits hätte Befehlsverweigerung und de facto Fahnenflucht bedeutet. Anders als Gräfin Gerhild und ihre formal englische Schwester, die sich entschieden hatten, auf der Plantage zu bleiben und sie als britischen Besitz auszugeben, war es für mich unmöglich, in Kigoma zu bleiben.

Der Lösungsvorschlag kam von meinem alten Freund Muhammad Ali. „Meine Familie übernimmt die Villa Henschel und sorgt für die Sicherheit Unas", bot mir der gewiefte arabische Händler an. „Weder die Briten noch die Belgier bedrohen uns arabische Händler, weil sie wissen, dass sie eine Auseinandersetzung mit uns nicht gewinnen können. Die interessieren sich nur dafür, Euch Deutsche zu bekriegen und sich Euern Besitz im Falle eine gewonnenen Krieges selbst unter den Nagel zu reißen."

Ich konnte ihm nur zustimmen. Es sah in der Tat so aus. „Wenn Du die Möglichkeit hast, nach Kigoma zurückzukehren, bist Du bei uns mehr als herzlich willkommen und bekommst alles, was Dir gehört wohlbehalten zurück." Er lächelte mich an. „Einschließlich Deiner Privatsekretärin."

Der Abschied von Una war genauso schlimm wie der Verlust meiner ersten Ehefrau und meiner todgeborenen Tochter. Es riss uns beiden das Herz aus der Brust. Ich dachte ernsthaft darüber nach, unser Leben zu beenden, aber bei allem Schmerz gab ich mir nicht das Recht, meiner nicht angeheirateten Ehefrau das junge Leben zu nehmen.

Die kommenden zwei Jahre leistete ich nun meinen Dienst als Versorgungsoffizier in der Schutztruppe unter dem Kommando von Oberstleutnant von Lettow-Vorbeck. Ich war ein böser Soldat geworden, gehetzt von dem Druck, den Feind, der mich aus meiner Wahlheimat vertrieben und von der Liebe meines Lebens getrennt hatte, so massiv wie möglich zu schädigen. Nachdem uns mit einiger Verspätung die Nachricht vom Kriegsende in Europa erreicht hatte, legten auch wir unsere Waffen nieder, durften dann aber bereits Anfang 1919 in voller Uniform nach Deutschland ausschiffen. Ich hatte seit unserem Rückzug aus Kigoma über mehr als zweieinhalb Jahre nichts mehr von Una, meinen Freunden und Bekannten gehört.

Bevor ich Kigoma verließ, hatte ich Muhammad Ali als auch Una die Berliner Adresse meines ältesten Bruders als mögliche Kontaktadresse hinterlassen. Trotzdem war ich mehr als überrascht, dass ich nach meiner Rückkehr und meiner Entlassung aus der Truppe Anfang März 1919 dort zwei Briefe mit portugiesischen Briefmarken vorfand. Der eine Brief war von meinem arabischen Freund, der andere von Una; beide Briefe waren erst zwei Monate alt.

Nachdem ich beide Briefe gelesen hatte, brach ich in einem Weinkrampf zusammen; es war emotional zu viel für mich. Una hatte unter dem Schutz der Familie Muhammad Alis den Krieg überlebt, die Prophezeiung des arabischen Händlers, dass die Kolonialtruppen sich nicht an den Arabern vergreifen würden, hatte sich bewahrheitet. Zwar war meine Villa zwischenzeitlich von den durchziehenden Truppen requiriert und im Inneren auch verwüstet worden, aber die Familie hatte die Villa ein Jahr später bereits in ihr (angebliches) Eigentum zurück bekommen, als die Briten endgültig die Oberhoheit über Kigoma übernahmen. Una hatte derweil in Muhammad Alis Haushalt überlebt, für das afrikanische Personal der arabischen Händler interessierte sich von den Kolonialtruppen niemand.

Was meine Emotionen zur Explosion gebracht hatte, stand in Unas Brief. Una hatte Anfang 1917 mit Hilfe der arabischen Frauen ihres Gastgebers und Beschützers einen gesunden Jungen zur Welt gebracht; es war mein erster Sohn, der nun mittlerweile zwei Jahre alt war.

Tagelang wusste ich nicht, was ich mit mir und meinem Leben jetzt anfangen sollte. Ich war jetzt 39 Jahre alt, hatte keine Arbeit, war zurück in meinem Vaterland, das gerade dabei war, im politischen Chaos zu versinken und erfuhr nun, dass ich viele tausend Kilometer entfernt in einer von Großbritannien annektierten Kolonie eine Familie besaß. Ratlos lief ich tagsüber durch die Berliner Innenstadt, um mich selbst und eine realistische Idee für meine Zukunft und die meiner afrikanischen Familie zu finden. Dann stand ich plötzlich vor dem Deutschen Dom am Gendarmenmarkt, ging hinein und saß zwei Stunden lang stumm in einer Bank. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich begann ich zu beten. Etwas was ich seit dem Tod meiner Ehefrau nicht mehr getan hatte. Und ich bat um Hilfe, meine neue Familie an einem Ort zusammenzuführen, an dem wir in Frieden leben konnten. Meine Gebete sollten auf die ungewöhnlichste Weise erhört und erfüllt werden.

Nachwort:

Die drei Papenburger Schiffsbauer gerieten nach der Versenkung der ‚Götzen' bei ihrer Flucht ins Landesinnere in britische Gefangenschaft. Über lange und sehr mühsame Transportwege gelangten sie bis nach Ägypten, von wo aus sie alle drei Ende 1919 in ihre ostfriesische Heimat zurückkehren konnten, fünf Jahre nach ihrer ursprünglich geplanten Rückkehr zum Weihnachtsfest 1914.

Die britische Kolonialverwaltung von Tanganjika, wie die Kolonie jetzt hieß, ließ die Götzen 1924 endgültig heben, nachdem die Belgier einige Jahre zuvor einen nur halb erfolgreichen Versuch unternommen hatten. Anton Rüters Vorsorge vor der Selbstversenkung hatte sich bewährt, Dampfkessel und Maschinenantriebe waren intakt und konnten wieder betriebsbereit gemacht werden. 1927 wurde die ‚Götzen' als ‚Liemba' von der britischen Nachfolgegesellschaft der OAEG wieder in Dienst gestellt. Die ‚Liemba' befährt den Tanganjikasee auch noch im Jahr 2023, 108 Jahre nach dem improvisierten Stapellauf in Kigoma. Genauso wie die unverändert bestehende Mittellandbahn, deren Bahnhöfe und Bahntrasse fast ausnahmslos aus der deutschen Kolonialzeit stammen, ein Beispiel für die Qualität deutscher Ingenieur- und Baukunst.

Gräfin Gerhild von Cleve und ihre Schwester Lady Rose Lochbird überlebten den Krieg in Ostafrika in einer ungeplanten Weise. Über ihr Schicksal würde ich bei einer Fortsetzung gesondert berichten.

Persönliches Nachwort:

Dies ist die erste ‚Krieg und Liebe'-Geschichte, die im Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus spielt, aus heutiger Sicht ein durchaus schwieriges Thema. Ich habe ein sehr attraktives Konzept für die Nachfolgegeschichte zwischen Andreas Henschel, Una und seinem Sohn, das an einem Ort spielt, an dem tatsächlich die gemischt-rassige Familie auch schon in den 1920er Jahren friedlich und öffentlich zusammenleben konnte. Besteht hieran Interesse? Und besteht Interesse meiner Leser und Leserinnen an mehr Geschichten aus dieser Zeit und diesem Kolonialumfeld? Ich bitte um Eure Kommentare und Rückäußerungen.

Zuletzt bitte ich wieder um möglichst zahlreiche Bewertungen meiner Geschichte. Es ist mein bester und einziger Schutz gegen die unverändert tätigen Bewertungstrolle.

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66 Kommentare
LisaW55LisaW55vor 4 Monaten

Ich möchte meinem Vorredner zustimmen, die Verbindung mit der Historie ist ganz prima. Ich denke mal daß das alles so recherchiert und historisch korrekt ist. Mir gefällt es sehr gut. LisaSau

AnonymousAnonymvor 6 Monaten

bin selber Eisenbahnfreund, habe ein 1961er Büchlein über die Eisenbahnen der ehem. deutschen Schutzgebiete, in dem natürlich auch die Mittellandbahn beschrieben ist, incl. einiger Fotos. Habe die Geschichte mit viel Interesse und Genuss gelesen (auch die anderen beiden, die noch zur Trilogie gehören). Mir gefällt die Verbindung von Historie und gelegentlicher Erotik ausgesprochen gut!

Gerne mehr davon!!!

trissmerigoldtrissmerigoldvor 8 Monaten

Großartig geschrieben.

Hoffentlich gibt es eine Fortsetzung.

Vielen Dank !

Dancing_Drone_PilotDancing_Drone_Pilotvor 8 Monaten

TOLL, bitte weiter!!

Liebe Gruesse aus Fort Myers in Florida

Thilo

AnonymousAnonymvor 8 Monaten

Tolle Geschichte, ich freue mich auf die Fortsetzung

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