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Nachhilfe

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Kleine Hilfen und große Gefühle.
41.6k Wörter
23.9k
17
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Der Spätdienst neigte sich dem Ende zu. Das Wichtigste war vollbracht, alle Bewohner im Bett, und nun konnten wir endlich im Treppenhaus eine rauchen. An diesem Abend waren wir nur zu zweit, weil unsere Auszubildende sich krankgemeldet hatte. Entsprechend erschossen waren wir daher auch. Wir, das waren meine kasachische Kollegin Elmira und ich.

Schon fünfzig, aber immer noch absolut hervorragend in Schuss. Schlank wie eine Gerte, wofür sie hart arbeitete. Sie hatte mir erzählt, dass sie in Plastikoveralls und mit Gewichten lief, um damit möglichst viel zu schwitzen und so ihr Gewicht zu halten. Nicht, dass unsere Arbeit da nicht auch schon ein Scherflein zu beitrug.

Gerade an Abenden wie diesen. Sie war Anfang an diejenige gewesen, mit der ich mich von allen am besten verstanden hatte. In ihrer Heimat in St. Petersburg war sie Psychologin gewesen, die Intelligenz-Tests auswertete. Jetzt hier eine examinierte Altenpflegerin. Ein ganz schöner Abstieg, den sie aber willig in Kauf genommen hatte.

Sie war jüdischer Abstammung, wenn auch nicht gläubig. Und, was ich von ihr erstmals erfuhr, gab es selbst in der kommunistischen Sowjetunion Unterdrückung und Diskriminierung der Juden. Was letztlich auch der Grund gewesen war, warum sie in Deutschland problemlos aufgenommen und die Staatsbürgerschaft erhalten hatte, als das möglich wurde.

Auch wenn ich fast zwanzig Jahre jünger war, faszinierte sie mich nicht nur als Mensch, sondern ebenso als Frau. Machte ihr das eine oder andere Kompliment, und kleinere Flirtversuche, die sie mit amüsierten Lächeln hinnahm, manchmal sogar richtig drauf einstieg. Sie hatte mir erzählt, dass sie geschieden war, und ihre zwei Söhne alleine aufzog. Ließ sich von mir manchmal die Schultern massieren, in eben solchen Rauchpausen.

Als ich dann aber ihrem jüngsten Sohn Englisch-Nachhilfeunterricht in ihrer Wohnung gab, bekam ich neben meinem Obulus und einer zusätzlichen Belohnung, in Form eines hervorragenden Essens, dann auch so nebenher die Info, dass sie sehr wohl einen Geliebten hatte, halt nur nicht mit ihm zusammenwohnte. Er kam an diesem Abend zum Essen.

Schade eigentlich. Ich hatte geglaubt, schon so etwas wie Knistern wahrzunehmen. Sie spielte trotzdem gern mit mir. Immer noch.

"Na, lief doch okay. Sogar Elli hat heute keinen Zerch gemacht."

"Ja, ich muss gleich noch die Medikamente stellen. Dann musst du alleine los, wenn jemand klingelt."

"Kein Thema."

"Ich muss dich noch was fragen", meinte sie und sah mich mit einem merkwürdigen Grinsen an.

"Schieß los."

"Du gibst Andrej doch jetzt schon ein halbes Jahr Nachhilfe. Sehr erfolgreich sogar. Er hat sich um eine ganze Note verbessert."

"Wir kommen gut klar. Er ist motiviert. Ich habe ihm versprochen, "Braveheart" mit ihm im Original zu gucken, wenn das Sinn macht. Das wirkt offenbar. Können wir auch bald machen, auf meiner DVD sind Untertitel, dann funktioniert das in jedem Fall. Die Belohnung hat er sich eigentlich schon verdient."

"Ich habe meiner besten Freundin davon erzählt. Wenn du das zeitlich noch hinbekommst, und Lust hättest, würde sie dich ebenfalls gerne engagieren, für ihre Tochter. Sie wäre dir sicher dankbar."

"Welche Klasse?"

"Elfte. Also schon etwas anspruchsvoller, als mit Andrej. Vor allem, weil sie wohl ein eher schwieriges Kind ist."

"Elfte, dann ist sie sechzehn oder siebzehn?"

"Siebzehn, sie hat eine Klasse wiederholt. Eben auch wegen Englisch."

"Na, dann ist sie doch sicher kein Kind mehr. Und klar, das ist ein schwieriges Alter. Da hat man andere Sachen im Kopf. Das ging mir nicht anders in dem Alter."

"Ja, sie scheint nur eins im Kopf zu haben. Man gut, dass das für dich kein Problem ist. Wo du doch offenbar auf ältere Frauen stehst."

Aber hallo. Geht's wieder los?

"Wenn sie noch so voll im Saft stehen wie du... Deine beste Freundin, sagst du? Auch so eine Vollblut-Kasachin?"

"Nein, sie ist Deutsche. Heißt Ramona. Hat drei Kinder, Svenja ist die älteste, das ist die Tochter, der du Nachhilfe geben sollst. Sie hat noch zwei Söhne, einer ist elf, der andere acht. Geschieden, wie ich. Temperament hat sie auch. Natürlich nicht wie eine Kasachin. Aber..."

Jemand klingelte.

"Das ist Frau Schranz. Ich gehe schon, rauch du auf, du wolltest doch sowieso die Pillen stellen. Und... okay, wenn sie mit den Einschränkungen durch unsere Schichterei keine Probleme hat, gib ihr meine Nummer."

"Hab ich schon. Ich sag ihr nur, dass sie dich anrufen soll. Sie wohnt bei mir um die Ecke."

"Alles klar. Ich muss jetzt zu Frau Schranz, die klingelt Sturm."

~~~

Okay. Die Wohnung war leicht zu finden, da ich den eher verwirrenden Weg dorthin durch die Nähe zu Elmiras mittlerweile intus hatte. Oh, schön, Geschrei und Geschimpfe, genau das richtige Ambiente für eine effektive Nachhilfestunde. Drei Kinder alleine groß zu ziehen, ist eine bewundernswerte Leistung.

"Räum dein Scheiß... hallo. Komm rein, sorry, ich kriege hier gerade wieder die Krise. Svenja! Thomas ist hier."

"Was"n für'n Thomas?", tönte es aus einem der Zimmer. "Kenn ich nich."

Die gestresste Mutter rollte mit den Augen und brüllte zurück:

"Dein Scheiß-Nachhilfelehrer, verdammt. Sorry, ist heute nicht mein Tag", entschuldigte sie sich sofort erneut.

Okay. Temperament hatte sie. Und reichlich Stress offenbar. Sonst bekam ich in diesen ersten Minuten keine Gelegenheit, sie weiter zu betrachten, denn ich wurde sogleich in das Zimmer der Tochter geschleust. Dem Sorgenkind.

Ja, fuck. Minirock, ein Top, aus dem halb die Titten raussprangen, viel zu viel Schminke und Schmuck. Sah ein bisschen wie eine zu junge Straßenschwalbe aus. Schaute mich von oben bis unten an, wie man einen Nachhilfelehrer eigentlich nicht unbedingt anschauen sollte.

"Aha, du bist Thomas."

"Genau der. Kannst mich auch Tom nennen, wenn du willst. Bin das aus England gewohnt, wo ich einige Jahre gelebt habe."

Im Flur ging wieder Gezeter los.

"Cool. Wo da?"

"In London. Also, du bist in der elften. Und Englisch ist ein Prüfungsfach?"

"Leistungskurs."

"Ehm... ich dachte, du hättest so große Schwierigkeiten?"

"Genau."

"Ah, verstehe, nicht die beste Wahl getroffen."

"Scheißegal. Ich hab eh keinen Bock."

Das war ja ein Herzchen. Ganz ruhig.

"Das äußert sich in welcher Punktzahl?"

"Drei."

Oh Shit. Das konnte ja was werden.

"Okay. Besser als einer. Darauf können wir aufbauen. Wo hapert's denn am meisten?"

"Weiß nicht. Vokabeln. Grammatik. Ich bin eine faule Sau."

Aber offenbar herzerfrischend ehrlich.

"Das war ich in deinem Alter auch. Der Trick ist, sich trotzdem irgendwie durchzumogeln. Dann kleine, erreichbare Ziele zu setzen. Das kriegen wir schon hin."

"Optimist."

"Bin ich. Alles nur eine Frage der Motivation. Wo hast du größere Schwierigkeiten, Sachen zu verstehen, oder selbst zu formulieren?"

"Verstehen geht so. Formulieren gar nicht. Du siehst ganz süß aus für so'n alten Knacker. Wie alt biste, dreißig?"

"Einunddreißig, und danke. Das ist nur für unsere gemeinsame Arbeit nicht unbedingt relevant. Hast du irgendeine Klausur oder Hausaufgaben da, dass ich mal kurz draufschauen kann, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wo wir ansetzen müssen?"

"Du willst das echt durchziehen? Alter..."

"Na, zum Spaß bin ich nicht hergekommen. Und ich erzähle dir mal was im Vertrauen. Ich bin in der siebten auch backen geblieben, hatte in der neunten selbst Englisch-Nachhilfe, weil ich irgendwie zu faul und luschig war, und den Anschluss verpasst hatte. Mein Nachhilfe-Lehrer hat mich fit genug bekommen, dass ich tatsächlich in der Sek II ebenfalls Englisch als Leistungskurs gewählt habe. Und damit mein Abi gepackt habe. Also es geht, mach dir keine Gedanken, ich krieg dich schon geschmeidig."

"London. Dann kennst du doch bestimmt richtig geile Schimpfwörter und so. Musst du mir alle mal beibringen."

"Mädel, eins nach dem anderen, die werden dir in Klausuren sicher nicht helfen, im Mündlichen wahrscheinlich genauso wenig. Kommst du denn mit deinem Lehrer klar, können wir vielleicht da was rausreißen, von wegen mündlicher Note und so?"

"Lehrerin. Und eine alte Fotze noch dazu. Was heißt Fotze auf Englisch?"

"Okay, machen wir das so: Du kriegst von mir eines der Wörter, auf die du so heiß bist, und den Rest der Stunde bemühst du dich um die, die brauchen wirst."

"Von mir aus. Also?"

"Cunt."

"Kant", schrieb sie auf einen Zettel. Nicht ganz.

"Nee, wird C U N T geschrieben, nicht mit'm A und K. Cunt."

"She"s a cunt."

"Wunderbar. Du lernst schnell. Jetzt musst du mir nur noch versprechen, ihr das möglichst nicht ins Gesicht zu sagen."

"Spielverderber. Hier ist die Scheiß-Klausur. Be a guest."

"Be my guest. Aber das ist gut, übers Sprechen lernt man schneller, als über stumpfes Vokabel-Pauken. Wir kriegen das schon hin."

Ich allerdings erstmal die Krise, als ich das Armutszeugnis ihrer bisherigen Arbeit da durchsah. Oje, das sah nicht gut aus. Da mussten wir mit elementarsten Dingen beginnen, Zeiten, Satzbau, sogar mit Personalpronomen schien sie Probleme zu haben.

"Gut. Da liegt einiges vor uns. Kein Thema, wir packen das. Wenn du Bock hast, und bereit bist, zumindest das Notwendigste zu tun. Zaubern kann ich nicht."

"Versuchen können wir's, wenn's sein muss. Hast du ne Freundin?"

"Ehm... nein. Frag mich nochmal auf Englisch."

"Have you a girlfriend you fuck?"

Tief durchatmen. Das wird lustig werden.

"Do you have a girlfriend you're fucking? Wäre das. Und meine Antwort: No, not currently. And I am not shopping in the junior department."

"Du gehst nicht einkaufen..."

"Genau, in der Kinderabteilung. Ein geflügeltes Wort. Eine Phrase. Und eine Tatsache. Aber hast du die richtige Übersetzung deiner Frage verstanden? Wenn du nach 'haben' fragen willst, machst du das mit 'to do' am Anfang, also 'Do you have'. Verstanden? Prima. Und da es um etwas geht, was einen Anfang hat, aber noch läuft, nimmst du die Verlaufsform, also nicht fuck, sondern fucking. Klar soweit?"

"Jo. Was heißt curenly?"

"Currently. Zurzeit, momentan. Schreib dir das ruhig auf. Mit Doppel-R. Das ist ein Wort, was du gebrauchen kannst und wirst."

"Okay. Sagt man das wirklich so im Englischen?"

"In England eher verkürzt: K. Aber das ist nicht so wichtig. Weil mit Umgangssprache kommst du in der Schule eh noch nicht richtig in Kontakt. Das war ein ziemliches Problem, als ich da hingekommen bin. Ich konnte über Shakespeare oder Hemingway diskutieren, aber wusste ums Verrecken nicht, was Steckdose heißt, und solche Sachen."

"Klar. Finde ich geil, sowas zu bringen, in ein anderes Land und so. Vor allem London, stelle ich mir geil vor. Ordentlich Party und so."

"Stimmt. Erzähle ich dir mal nach und nach. Na, zumindest die jugendfreien Sachen."

"Du bist ganz gut drauf, Alter."

"Du auch. Und süß noch dazu. Also, wollen wir jetzt mal gezielt anfangen?"

Oh Wunder. Es funktionierte. Sie machte mit, schrieb ihren Zettel voll, gab sich Mühe. Wahnsinn. Wegen des Schichtdiensts hatten wir gleich zwei Stunden angesetzt. Die verflogen im Nu. Selbst das Gekreische und Gezeter, das immer mal wieder zu hören war, lenkte uns nicht ab.

"So, das war's für heute", informierte ich die in der Küche stehende Mutter.

"Echt? Sie hat die ganzen zwei Stunden durchgehalten? Tatsächlich. Kaum zu glauben."

"Ja, sie hat gut mitgemacht. Wegen nächster Woche müssten wir telefonieren, ist noch nicht ganz klar, ob es dann klappt, oder erst übernächste. Besser wäre allerdings schon die nächste, sie hat einiges an Nachholbedarf."

"Und... ihr kommt zurecht? Sie kann ganz schön frech sein."

"Sie ist... hm, etwas direkt. Das stört mich nicht. Ich glaube, es hat uns beiden Spaß gemacht."

"Bleibst du zum Essen? Elmira hat erzählt, dass sie dich immer zum Essen dabehält."

"Das ist nicht nötig, ich will dir da keine Umstände machen."

"Quatsch, ich koche doch sowieso für die ganze Rasselbande. Sie hat ernsthaft mitgemacht? Das kann ich gar nicht glauben."

"Was kannst du gar nicht glauben?", tönte es hinter mir.

"Dass du so gut mitgearbeitet hast. Aber das hast du. Und ich glaube, du hast heute einiges gelernt."

"War lustig. Bleibst du zum Essen?", fragte sie mich grinsend.

"Okay, wenn ich hier so gefragt bin... gerne."

Nun lernte ich auch die beiden Söhne kennen. Der elfjährige ein Blondschopf mit gelangweiltem Gesicht und seinem Handy, von dem er sich auch am Abendbrottisch erst von der Drohung, dass es konfisziert werden würde, widerstrebend trennte. Und der dunkelhaarige Peter, der nur als Peterle angesprochen wurde. Der allerdings tieftraurig aussah, als hätte er noch kurz davor geweint.

"Was hast du denn?", erkundigte ich mich mitleidsvoll, obwohl mich beide zunächst keines Blickes gewürdigt hatten.

"Sein Scheiß-Auto. Sein ferngesteuertes Auto. Wir haben vorhin alle Batterien ausgetauscht, aber es funktioniert nicht mehr", erklärte Ramona sofort, weil sie sich wohl dachte, dass er von sich aus nichts sagen würde.

"Er hat's kaputtgekriegt, weil er es immer über den Boden schiebt, wenn die Batterien alle sind", mischte sich jetzt Nils ein.

"Hab ich nicht", kam der verzweifelte Protest des Kleinen.

"Hast du doch."

Oje, der Kleine war nicht nur wütend, sondern ihm wohl auch klar, dass dies gar nicht so unwahrscheinlich war. Und er war kurz vorm Heulen.

"Wenn du willst, schaue ich mir das gerne nach dem Essen mal an, okay?", mischte ich mich ein.

Und stellte dann fest, dass nun plötzlich die Augen aller Familienmitglieder auf mir ruhten. Der Kleine mit vager Hoffnung, sein Bruder mit einem eher finsteren Blick, Svenja, wie im gesamten Verlauf des Essens, mal lasziv, mal irgendwie fasziniert, und Ramona sah ich zum ersten Mal dankbar und entspannt lächeln.

Vorher hatte Peterle nur mit der Gabel in den Nudeln mit einer sehr leckeren Fleischbällchen-Soße gestochert, nun schien er es richtig eilig zu haben. Wartete ungeduldig, dass auch ich mit dem Essen fertig wurde. Kaum hatte ich meine Gabel nach dem letzten Bissen abgelegt, sprang er auf und rannte in sein Zimmer, das er sich mit seinem großen Bruder teilte.

Begleitet von Ramonas Protesten, die er aber wahrscheinlich nicht mal mehr hörte. Sie begann gerade sich für ihn zu entschuldigen, als er schon wieder auftauchte, mit einem Auto aus der Disney "Cars" Serie und Fernsteuerung.

"Lightning McQueen", identifizierte ich den Hauptdarsteller dieser Filme, die ich auch ganz lustig fand.

Er nickte, und drückte mir Auto und Fernsteuerung mit verzweifelter Hoffnung in die Hände. Oje, hoffentlich war es etwas, wo ich wirklich helfen konnte. Hm.

"Habt ihr die Batterien in der Fernsteuerung ebenfalls gewechselt?"

"Natürlich. Wir sind doch nicht blöd", tönte es von Nils, der noch einmal von seinem Handy aufsah, auf dem er irgendein Spiel spielte, und dann wieder gehässig in Richtung seines Bruders: "Kaputt gemacht."

"Nils, lass ihn in Ruhe, verdammt", fuhr Ramona ihn an.

"Deine Theorie war nicht schlecht, aber dann würde man den Motor zumindest hören, wenn die Zahnräder abgenudelt wären oder so. Nein, das muss was anderes sein. Ah... okay. Hier, probiere es jetzt mal", gab ich dem Kleinen siegessicher mit der Rückgabe seines Spielzeugs zur Aufgabe.

Die er unverzüglich ausführte, und siehe da, das Auto raste sofort los, bis es von einem Tischbein gebremst wurde. Das eben noch so traurige Kind strahlte wie eine Wunderkerze. Jetzt sah sogar sein Bruder auf.

"Was hast du denn gemacht?", wollte er wissen.

"Bringst du ihn mal, dann zeige ich es euch", forderte ich Peterle auf. Der zunächst keine Lust darauf zu haben schien, es sich dann aber doch überlegte.

"Seht ihr, hier? Sowohl auf der Steuerungseinheit, als auch unter dem Wagen ist dieser kleine Schalter, wo A und B draufsteht. Damit schaltet man den Sendekanal um. So könnten zwei das exakt gleiche Ding fahren, oder ein anderes Modell, was die gleichen Kanäle benutzt, ohne die Steuerimpulse durcheinanderzubringen. Ich habe jetzt beide auf A geschaltet, vorher war's unterm Auto auf B."

"Dann war das ja ganz leicht", kam die Antwort von Nils, der sie so betonte, dass klar wurde, dass er unbeeindruckt war, oder wirken wollte. Peterle war das alles völlig schnurz, der wollte nur sein Auto zurückhaben und endlich damit fahren können. Ich legte es ihm grinsend in die ausgestreckten Hände.

"Was sagt man?", mischte sich jetzt Ramona kurz ein.

"Danke", hörte ich schwach, weil der Kleine seinem losbrausenden Wagen hinterherlief und aus der Küche verschwand.

Das tat nun gleichfalls Nils, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, und Svenja stand ebenfalls auf.

"K, Alter, bis nächste Woche dann", verabschiedete sie sich, offenbar im Versuch einer drohenden Rekrutierung zur Hilfe bei der Hausarbeit zu entgehen.

"Das war richtig lecker", gab ich Ramona bekannt, die gerädert, aber erleichtert wirkte.

Jetzt sah ich sie mir zum ersten Mal richtig an. Anfang, vielleicht Mitte vierzig, dunkelblondes Haar, schon ein paar Fältchen an den Augen, die Gesichtszüge etwas hart und angespannt. Sie wirkte müde, erschöpft. Kein Wunder, die drei hielten sie sicher ordentlich auf Trab.

Doch durchaus eine hübsche Frau. Wie ihre beste Freundin recht schlank, ihr Becken war etwas ausladender, die Oberschenkel in ihrer Jeans sichtbar umfangreicher als bei dieser, aber schmale Hüften und eine ansprechende Oberweite hatte sie auf jeden Fall.

"Kann ich dir beim Abwaschen helfen?", bot ich ihr meine Hilfe an.

"Nein, bleib schön sitzen, wir haben außerdem einen Geschirrspüler. Du hast heute mehr als genug getan, du bist ein echter Lebensretter. Ich hab schon befürchtet, ich müsste Peter das Ding nochmal kaufen, und heimlich austauschen. Das war scheiße teuer, so außer der Reihe ist das gar nicht drin. So dicke haben wir es nicht."

Das konnte ich mir gut vorstellen. Etwas verwirrt sah ich sie die Küchentür schließen, dann öffnete sie das Fenster. Mir wurde erst klar, was sie vorhatte, als sie einen Aschenbecher von der Spüle auf den Tisch stellte und sich seufzend setzte. Ah, die Verdauungszigarette. Meine waren im Rucksack, den ich im Flur gelassen hatte, aber sie hielt mir gleich ihre Schachtel hin.

"Wegen der Kurzen", erklärte sie noch. "Gehe immer hier rauchen, oder auf den Balkon. Endlich Ruhe... Mann."

"Du bist ganz schön im Stress, ist klar. Arbeitest du?"

"Ja, dreißig Stunden im Büro. Vollzeit geht nicht, wegen Peterle und Nils, ich will die nicht so lange im Hort lassen. Svenja hat keinen Bock, auf sie aufzupassen. Das will ich ihr auch nicht antun. Sie hat eigentlich mehr als genug mit der Schule und dem Erwachsenwerden zu tun. Ich hab nicht mal die Zeit, ihr zu helfen... mit Englisch könnte ich das auch gar nicht, da war ich selber eher schwach. Was mich darauf bringt... Moment, zehn Euro die Stunde? Warte..."

Sie holte ein kleines Portemonnaie aus einer Einkaufstasche, die auf der Arbeitsfläche ihrer Küchenzeile gestanden hatte.

"Scheiße... ich hätte mit EC-Karte zahlen sollen... jetzt habe ich nur einen Zehner..."

"Komm, das ist genug. Immerhin hast du mich zum Essen eingeladen. Überhaupt, wenn du so knapp bist, mir geht es gar nicht ums Geld. Svenja braucht Hilfe, und sie scheint willens, die anzunehmen. Ich helfe gern aus, wo ich kann. Würde ich auch umsonst machen."

"Kommt nicht in Frage, du kriegst den Rest beim nächsten Mal."

"Nein, pass auf, dann wir machen das so: Solange sie zwei Stunden braucht, zahlst du mir zehn, wenn es nur noch eine ist, dann eben auch. So hab ich einen Anreiz, sie so schnell wie möglich in Schwung zu bringen, und du brauchst deine knappe Kasse nicht so schwer belasten. Okay? Und vor allem esse ich gern nochmal mit. Das war köstlich, die Soße, und der Salat."

Sie seufzte, legt den Schein vor mir auf den Tisch und nickte dann.

"Elmira hat mir schon gesagt, dass du irgendwie anders bist. Etwas Besonderes. Es ist nicht leicht, sie zu beeindrucken. Langsam verstehe ich, warum sie das ist. Das ist kein Spruch, du bist wirklich so, nicht wahr?"