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Thao 27

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„Guten Tag, Frau Passow!"

Die Rentnerin schüttelte kurz den Kopf und schloss dann die Tür. Karl konnte sich nicht erklären, was diese Geste bedeuten sollte, und klingelte an der Wohnungstür mit dem Namensschild „Familie Nguyen".

„Karl?"

Beinahe hätte der Junge die zierliche Asiatin aus dem Weg gedrängt, es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben.

„Ich möchte zu Thao."

Deren Mutter ließ ihn eintreten und schloss die Tür hinter ihm.

„Sie ist nicht da, Karl. Sie ist bei einer Freundin, die ich nicht kenne. Sie wollte nicht hier bleiben, wo sie alles an dich erinnert."

„Ich habe versucht, sie anzurufen, aber sie geht nicht an ihr Handy."

Anne nickte.

„Karl, es tut mir leid, ich selbst habe ihr geraten, es auszuschalten, weil sie sonst versucht wäre, dich noch einmal anzurufen."

Der Junge sah Thaos Mutter bestürzt an.

„Aber warum denn?"

„So, wie sie es mir erzählt hat, habe ich keine Chance für sie gesehen. Und Thao auch nicht. Sie hat das bei mir und meinem Exmann mit angesehen, Karl. Wir konnten uns beide nicht vorstellen, dass du euch noch eine Chance geben möchtest."

Sie sah ihn bestürzt an.

„Ihr geht es sehr schlecht, Junge. Ich habe dich zwar verstanden, aber meine Tochter genauso. Ich kann dir nur eines sagen ... Sie liebt dich über alles."

Karl rang mit seiner Fassung, im Flur stehend sah er auf die kleine Frau vor sich hinunter. Er schien ratlos, wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.

„Und du weißt nicht, wie ihre Freundin heißt, oder zumindest, wo sie wohnt?"

Anne schüttelte den Kopf.

„Es tut mir leid, Karl, ich würde dir so gerne helfen."

„Kann ich bitte in ihr Zimmer gehen? Vielleicht finde ich ja etwas."

Anne zögerte einen kurzen Moment, dann aber nickte sie.

„Geh ruhig hinein, Karl. Unter diesen Umständen hat Thao sicher kein Problem damit."

Karl sah sich um. Das Zimmer war nicht wiederzuerkennen. Überall lag Wäsche herum, das Bettzeug war aufgeschlagen, der Schreibtisch bedeckt mit Tellern und Gläsern. Von ihrem sonstigen Ordnungssinn war nichts übrig geblieben.

Er suchte nach irgendeinem Hinweis, wo sie sein könnte. Doch er fand nichts, was ihm weiterhalf. Ein Block lag auf dem Tisch, doch war dieser nicht beschrieben.

Der Junge bückte sich, blickte unter den Schreibtisch und entdeckte den Papierkorb. Etwa zwei Dutzend zusammengeknüllte Blätter lagen darin. Anne hatte sie zum Glück noch nicht weggeworfen.

Lieber Karl!

Mensch, Scheiße, ich habe dich so lieb, komm wieder ...

Lieber Karl!

Es ist jetzt die erste Nacht vergangen, in der du nicht ...

Karl! Ich will dich nicht verlieren, verdammte Scheiße!!!!!!!!

Tränen schossen den Jungen in die Augen. Es war beinahe so, als ob er ihren Schmerz selbst fühlen konnte. Immer wieder hatte sie begonnen, einen Brief an ihn zu schreiben, doch jeden hatte sie nach der ersten Zeile wieder abgebrochen. Sie hatte scheinbar nicht die richtigen Worte gefunden, von denen sie annahm, dass sie ihn ihr wieder zurückbringen könnten.

Er glättete die Blätter, faltete sie sorgsam zusammen und steckte sie in eine seiner Jackentaschen. Dann befreite er den Stuhl von ihren Klamotten und setzte sich an ihren Tisch.

Wo konnte sie nur sein? Bei Amelie nicht, die war ja noch in Bayern und würde, soweit er wusste, auch noch für längere Zeit dort bleiben. Bei Xena vielleicht? Ihm fielen keine weiteren Freundinnen von Thao mehr ein.

56. Ines

„Grüß dich, Thao! Schön, dass du dich dazu entschlossen hast, doch noch auszusteigen. Kannst nicht Auto fahren, oder?"

Die Punkerin warf Günter und Amelie mörderische Blicke zu.

„Dafür müsstet ihr in den Knast, dass wisst ihr hoffentlich, oder?"

Günter zeigte ein verlegenes Gesicht, während Amelie einen vergnügten Quietscher hören ließ, das typische Lachen von „Fetti", das aus einem mittlerweile zarten Körper drang. Sie beugte sich zu den Kindern hinunter, plauderte mit ihnen und drückte sie nacheinander an sich. Ines beobachtete die Szene, dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Punkermädchen.

„Amelie hat mir schon erzählt, dass du ziemlich schwierig sein kannst, also spar dir deine Show, Thao. Du bist meiner Nichte eine gute Freundin, daher kannst du kein schlechter Mensch sein, da reicht mir Amelie als Garantin vollkommen. Komm jetzt! Ich zeige dir dein Zimmer. Es liegt abseits, sodass du nicht allzu viel Trubel von uns mitbekommen wirst, es sei denn, du möchtest das."

Sie gab der Punkerin ein Zeichen, ihr zu folgen. Die warf Amelie und Günter einen hilflosen Blick zu, woraufhin ihr aber die Freunde nur ermutigend zunickten.

„Aber ich habe weder Klamotten noch sonst irgendwas dabei. Ich kann doch so nicht hierbleiben."

Ines drehte sich zwar zu ihr um, setzte ihren Weg aber dennoch fort. Amelies Tante hatte ein Durchschnittsgesicht, schien auf Schminke zu verzichten, zwischen vierzig und fünfzig Jahren alt zu sein und ein ziemlich energisches und kraftvolles Wesen zu besitzen. Ihre Figur entsprach Thaos Bild einer Frau vom Lande, einfach, kräftig, weder schlank noch dick.

„Günter und Amelie fahren dich morgen in den nächst größeren Ort. Ums Geld brauchst du dir keine Gedanken zu machen, das ist mit Amelie geklärt."

Thao Gesicht zeigte deutlichen Widerwillen.

„Mädchen, dir geht es schlecht, also lass dir helfen! Das nächste Mal ist jemand anderes dran und du dann gefragt."

„Sagst du mir wenigstens, wie lange ich hierbleiben soll?"

Ines hielt ihr die Barackentür auf.

„Amelie und Günter fahren übermorgen, du kannst selbst entscheiden, ob du dann mitfahren oder bleiben möchtest."

Sie gingen einen langen Gang entlang und blieben vor dem letzten Zimmer stehen.

„Du bist übrigens die Einzige in dieser Baracke. Die meisten Kinder sind noch bei ihren Eltern zu Hause."

Sie öffnete die Tür, vor Thao breitete sich ein kleines Zimmer aus. Abgesehen von einem zweitürigen Schrank und einem kleinen Tisch mit Stuhl, stand nur noch ein Bett darin, das mit frischer Bettwäsche bezogen war.

„Es gibt bei uns weder Fernseher noch Radio, Thao. Aber du kannst im Hauptgebäude mal nachsehen, ob du etwas zum Lesen findest. Wir haben eine richtige kleine Bibliothek."

„Ines?"

Amelies Tante sah das Mädchen fragend an.

„Ja, Thao?"

„Was soll ich hier machen?"

Ines erkannte, dass das Mädchen sich nicht wohlfühlte, gehetzt und müde wirkte.

„Ausruhen und zu dir finden, Mädchen. Du brauchst nur zum Essen zu kommen. Wir frühstücken um acht Uhr, die anderen Mahlzeiten finden um zwölf, sechszehn und neunzehn Uhr statt, Thao. Wenn du mithelfen willst, frag mich einfach. Wir wären dir zwar dankbar, aber empfinde es bitte nicht als Pflicht. Das Einzige, was wir von dir erwarten, ist, dass es dir bald wieder besser geht. Gut?"

Die Punkerin nickte, setzte sich auf das Bett und prüfte die Matratze.

„Brauchst Gesellschaft?"

Thao blickte Ines verständnislos an.

„Wie meinst du das?"

Ines pfiff auf zwei Fingern, ein schriller Ton durchschnitt die Stille. Dumpfes Tapsen näherte sich dem Zimmer, bis ein riesiger Bernhardiner durch die Tür in den Raum schaute.

„Das ist Minimaus. Sie ist lieb und schläft normalerweise draußen im Zwinger. Wenn du sie aber bei dir haben willst, freut sie sich. Sie passt auf dich auf und wenn du sie ab und an mal streichelst, wird sie dich schnell in ihr Herz schließen."

Thao bückte sich, woraufhin Minimaus sich vorsichtig näherte, an ihrer Hand roch und sich dann dem Mädchen zu Füßen legte.

„Darf ich dich was fragen?"

„Natürlich."

„Warum tust du das? Wir kennen uns doch gar nicht."

Ines wirkte überrascht.

„Weil mich Amelie darum gebeten hat, Thao."

Ines drehte sich um und wandte sich zum Gehen.

„Und weil ich selbst einmal verlassen worden bin."

Sie nickte dem Mädchen zu.

„Günter und Amelie werden gleich bei dir vorbeischauen. Sie können dir dann alles andere zeigen. Sei stark, Mädchen! Ich hoffe für dich, dass es dir bald besser geht."

Ihr Blick fiel noch einmal auf den großen Hund.

„Pass gut auf Thao auf, Mini!"

Die Hündin klopfte mit ihrem Schwanz auf den Holzboden und bellte einmal, als ob sie die Leiterin der Einrichtung verstanden hätte.

57. Keine Freunde mehr

Karl drückte den Klingelkopf. Je mehr er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien es ihm, dass Thao bei Xena Unterschlupf gesucht hatte. Abgesehen von Amelie, blieb nur noch die Hardcoredomina als Freundin übrig, die ihr die Situation möglicherweise erleichtern und helfen konnte. Sie hatte ja schon dort geschlafen, der Junge konnte sich noch gut an jenen Morgen erinnern, als die große Blondine Thao mit ihrem Motorrad zur Schule gebracht hatte.

„Karl?"

Xenas überrascht klingende Stimme verunsicherte den Jungen.

„Warte! Ich mache dir auf."

Als der Schließer surrte, warf der Junge sich gegen die schwere Haustür. Eiligen Schrittes nahm er die Treppen nach oben, bis er, etwas außer Atem, vor der Domina stand, welche, wie immer schwarz gekleidet, ihn schon mit fragendem Blick erwartete.

„Ist was passiert?"

Karl sah an ihr vorbei ins Innere der Wohnung.

„Ist Thao bei dir?"

Sie folgte instinktiv seinem Blick, wandte sich ihm dann wieder zu und schüttelte den Kopf.

„Nein, tut mir leid. Was ist los mit ihr?"

Der Junge war blass geworden und schien Mühe zu haben, die richtigen Worte zu finden.

„Kann ich reinkommen?"

Xena umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Na klar! Ich freue mich doch, wenn ihr bei mir seid."

Sie führte Karl ins Wohnzimmer.

„Magst was trinken?"

Er schüttelte den Kopf.

„Dann nimm Platz und erzähl."

Der Junge setzte sich und wartete, bis Xena ihm gegenüber Platz genommen hatte. Angestrengt suchte er nach den richtigen Worten, schien sie aber nicht wirklich finden zu können.

„Xena, es gibt da etwas, von dem du nichts weißt. Wenn ich dir das jetzt erzähle, fühlst du dich vielleicht von Thao hintergangen."

Die Miene der Domina verfinsterte sich zusehends.

„Du arbeitest doch im Palais ... richtig?"

Die große Blondine nickte langsam.

„Was hat das mit Thao zu tun?"

Sie konnte den Zusammenhang noch nicht erkennen. Karl fiel das Folgende unsagbar schwer. Der Konflikt zwischen Thao und ihm gewann dadurch neue Kraft.

„Sie hat das auch getan, mehr als ein halbes Jahr lang."

Xenas Gesicht offenbarte ehrliche Verblüffung. Sie starrte den auf der Couch sitzenden Jungen an und schien nicht glauben zu wollen, was er ihr soeben berichtet hatte.

„Als Domina? Für die Gräfin?"

Karl nickte.

„Beatrice ist ihre Partnerin gewesen."

Xena schüttelte den Kopf, ballte ihre Fäuste und schien gegen den in ihr aufsteigenden Zorn ankämpfen zu müssen. Karl hatte die Wahrheit gesagt, sie selbst hatte auch von einer jungen Domina gehört, die, mit Beatrice zusammen, zu einem Highlight für die Kunden des Palais geworden war. Doch das dies ihre einzige Freundin gewesen sein sollte...

„Warum hat sie das getan? Ich habe sie doch eindringlich davor gewarnt."

Karl erkannte, wie sehr Xena dieses Geständnis zusetzte. Diese Erkenntnis bedrückte ihn ungemein.

„Thao wollte lernen, eine richtige Domina zu sein. Sie war regelrecht besessen von dieser Idee und unsere dahingehenden Versuche haben ihr nicht ausgereicht. Die Bedingung, unter der ich ihr das damals zugestanden habe, war, Ende der Sommerferien wieder damit aufzuhören."

Die stahlblauen Augen der Domina blieben an dem Jungen haften. Im Moment konnte er kein Gefühl hinter ihrem Blick erkennen.

„Warum habt ihr mir das nicht erzählt?"

„Thao hat geglaubt, dass du ausflippen würdest, wenn sie dir das beichtet."

Xena schloss die Augen, schien in ihre Gedanken zu versinken, dann richtete sie ihre nächste Frage an den Jungen.

„Warum bist du hier?"

Karls Unsicherheit nahm zu. Xenas Stimmung schien sich immer mehr zu verdunkeln.

„Ich habe gehofft, dass sie bei dir ist."

„Habt Ihr Euch gestritten?"

Karl sah auf seine Füße hinunter und nickte schließlich.

„Nicht nur das. Ich habe mich auch von ihr getrennt."

Xenas Körperhaltung signalisierte ihre innere Anspannung, mit kühlem Blick und messerscharfem Tonfall setzte sie fort.

„Aus welchem Grund, Karl? Weil sie eine Domina war?"

„Ja. Ich konnte den Gedanken nicht verkraften, dass sie sich anderen Männern zuwendet. Du weißt, was ich meine, oder?"

Die Domina schüttelte den Kopf.

„Nein! Ich kann es bestenfalls vermuten. Also sag es mir, damit ich mir sicher sein kann, deine Beweggründe auch wirklich zu verstehen und jeglicher Irrtum ausgeschlossen ist."

Karl hatte eigentlich nicht vorgehabt, ins Detail zu gehen. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihm zutiefst zuwider war.

„Ich habe mir immer vorstellen müssen ... du weißt schon... wie sie andere Männer an deren Genitalien anfasst oder, noch schlimmer, ihnen einen runterholt. Das hat mich regelrecht fertiggemacht und ich konnte das einfach nicht aus meinem Kopf bekommen, auch wenn mir Thao immer wieder versichert hat, dass das nur eine kleine Facette ihrer Arbeit ist und für sie nichts weiter zu bedeuten hat. Aber sie war irgendwie regelrecht süchtig danach ..."

Er spürte selbst, dass seine Worte nicht geschickt gewählt waren, und verbesserte sich.

„Ich meine ... eine Domina zu sein."

Xena schwieg, starrte vor sich hin und zupfte mit der linken Hand an ihrer engen, schwarzen Stoffhose.

„Sie hat sich so schwer getan, sich daraus wieder zu lösen, verstehst du? Mir hat das so zugesetzt, dass sie ein Leben mit mir in Hamburg nicht als wirkliche Alternative für sich sehen konnte und ich ihr nicht genug zu sein schien."

„Du hast gesagt, sie hat dort gearbeitet?"

Karl bestätigte es ihr.

„Sie hat vor einigen Tagen gekündigt. Ich bin ausgerastet, weil es ihr so scheiße damit ging."

Xena sah ihn mit einem Furcht einflößenden, kalten Blick an.

„Bevor du und Thao aus meinem Leben verschwindet, Karl, möchte ich dir noch etwas sagen. Ihr habt beide meine Hoffnung auf eine Chance, mit jemandem glücklich zu werden, zerstört. Nicht eine Spur davon ist jetzt übrig geblieben. Sie mag mich hintergangen haben, was mir allein schon als Grund ausreicht, sie künftig zu meiden, aber du, Karl, hast mir so richtig einen Schlag ins Gesicht versetzt."

Der Junge wurde bleich, wollte sich rechtfertigen, sie aber unterband ihn schon im Ansatz mit einer wirschen Geste.

„Jetzt halt deine Fresse und höre mir gut zu! Ich habe mir so jemanden wie dich gewünscht, einen Mann, welcher auf der einen Seite die Welt des Sadomaso mit mir teilen kann, mir andererseits aber auch Stück für Stück seine Welt zeigt und nahebringt. Ich habe ganz fest daran geglaubt, dass ich, wenn ich suche, jemanden finden kann, der so ist wie du, einen Mann, der nicht gleich verurteilt und verdammt, sondern die Hintergründe sieht und mich versteht. Dass aber gerade du das nicht kannst, ..."

Xena unterbrach ihren Ausbruch für einen langen, tiefen Atemzug.

„... macht mir das alles kaputt."

Sie starrte Karl wütend an.

„Was hast du denn in mir gesehen? Ich meine, seitdem wir uns kennengelernt haben. Die durchgeknallte Sadistenschlampe aus dem SM-Puff, die ganz nett sein kann? Weißt du noch, wie du es dir von mir hast zeigen lassen? Was war ich denn da für dich? Eine geistig Behinderte, die ab und an ganz nützlich sein konnte und sich mit ein paar eurer Streicheleinheiten zufriedengab?"

Xena war kurz vorm Explodieren.

„Geh!"

Der Junge starrte sie an, zögerte, wollte das Wort ergreifen, doch sie sprang auf und schrie ihn regelrecht an.

„Geh, Karl! Und solltest du die Punkerin sehen, bestelle ihr bitte, dass sie in meinem Leben nichts mehr zu suchen hat. Und ihre Freunde auch nicht mehr."

Der Junge verließ eilig die Wohnung, schreckte zusammen, als die Tür hinter ihm ins Schloss geworfen wurde. Nie hätte er auch nur im Entferntesten angenommen, dass Xena so reagieren könnte. Er floh regelrecht aus dem Haus, nicht nur Xenas Hoffnung war zusammengebrochen, auch seine eigene.

58. Angekommen

Thao hatte gestern noch kurz mit Amelie und Günter das Gelände erkundet und sich alles zeigen lassen. Nicht nur ihre Freundin schien begeistert gewesen zu sein, sondern auch deren Bruder, der alle Kinder mit Namen gekannt und jedem einzelnen seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wenngleich seine Zeit an diesem Abend denkbar knapp bemessen gewesen war.

Bernhardinerhündin Minimaus hatte die drei begleitet und war Thao nicht von der Seite gewichen, die das Tier immer wieder liebevoll gestreichelt und an sich gedrückt hatte. Sie glaubte, dass der Hund etwas Besonderes in ihr sah und Amelie zog es vor, die Punkerin in diesem Glauben zu belassen.

Abends war Thao dann müde ins Bett gefallen und auch wenn Karl immer noch ihre Gedanken beherrschte, war der Schmerz doch ein wenig erträglicher für sie geworden. Minimaus war vorsichtig hinterher gekrabbelt und, da die Punkerin es zugelassen hatte, an deren Seite eingeschlafen. Sicher, Minimaus war nicht Karl, aber sie hatte nicht allein schlafen müssen und schon diese Tatsache hatte dem Mädchen sehr geholfen. Als das Tier jedoch laut und ohne Reue seine Darmluft entweichen hatte lassen, war Thao davon wachgeworden, während der Hund vor seinem eigenen Geruch die Flucht ergriffen und sich auf den einfachen Läufer vor das Bett gelegt hatte.

„Morgen!"

Thao stapfte mit ihrem Tablett auf Amelie und Günter zu, die bereits mit vier Kindern an einem großen Tisch saßen. Es waren auch noch einige andere Kinder im Saal, die jedoch bei den Erzieherinnen an den anderen beiden Tischen beim Frühstück saßen.

„Morgen, Thao! Setz dich zu uns."

Die beiden Geschwister schoben ihre Stühle auseinander, um Platz für die Punkerin zu schaffen. Diese nickte den Kindern zu, die mit neugierigen Blicken zu ihr herübersahen.

„Max, Hassan, Ferdinand und Thomas.", stellte Amelie ihrer Freundin die am Tisch frühstückenden Kinder der Reihe nach vor.

„Kinder! Das ist Thao!", vollendete Günters Schwester die Begrüßung.

Die Kinder in den bunt bemalten Rollstühlen lachten und flüsterten sich gegenseitig die Ohren voll.

„Die machen sich über mich lustig, kann das sein?"

Die Punkerin sah zunächst unsicher auf die Kinder, dann zu Amelie, die links neben ihr saß. Die lachte, und legte der Freundin ihre rechte Hand auf deren linken Arm.

„Die finden deine Frisur und Deinen Namen lustig."

Thao zeigte eine gespielt böse Miene und legte die Stirn in Falten. Dann stand sie auf, beugte sich zur anderen Tischseite hinüber und spielte das Monster, welches die Kinder fressen wollte. Die quietschten und lachten, während die Punkerin grunzende und knurrende Geräusche von sich gab. Ihr wie immer düster und unnahbar geschminktes Gesicht war zu einer Fratze verzogen, doch die Kleinen ließen sich nicht im Geringsten erschrecken. Von den anderen Tischen aus wurde die Punkerin neugierig und neidisch beäugt, die sich nun aber wieder auf ihr Frühstück besann und sich ihren Brötchen widmete.

„Sitzen hier alle im Rollstuhl, Amelie?"

Ihre Freundin nickte.

„Alles Kinder mit Querschnittslähmung. Die werden leider nie mehr aus ihren Rollstühlen herauskommen, ist schon sehr hart für sie. Viele von ihnen sind durch Unfälle zu Schaden gekommen und wurden hierher gebracht, ihr Schicksal akzeptieren zu lernen und unter anderen Kindern zu sein, denen ein ähnliches Unglück widerfahren ist. Einige kamen sogar aus Österreich und der Schweiz zu uns."

Minimaus schob ihren Kopf zwischen Amelie und Thao, um ihnen zu zeigen, dass auch sie anwesend war. Die Punkerin lachte.

„Damit du nachladen kannst, um mir dann in der Nacht wieder das Zimmer voll zu furzen, was?"

Die Kinder lachten aufs Neue. Günter musste Max festhalten, da dieser sich zu weit über seine Armlehne gebeugt hatte und, trotz Gurt, Gefahr lief, aus dem Stuhl herauszufallen.

„Möchtest du gleich beim Waschen und Umziehen helfen, Thao?"

Günter sah sie erwartungsvoll an. Die Punkerin aber zögerte.

„Du, ich würde mich hier gerne noch etwas eingewöhnen, wenn ich darf."

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