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Thao 27

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Der Junge ging verwirrt zum Bett zurück, suchte sich frische Kleidung und begann, seine Unterhose und das T-Shirt auszuziehen. Plötzlich riss Sophie die Badtür auf und erblickte den mittlerweile gänzlich entkleideten Jungen.

„Ähhhhh ..."

Ihr Blick wanderte zwischen seine Beine, während Karl rot anlief.

„Könntest du bitte wieder ins Bad gehen?"

Sie nickte, ging ziemlich beherrscht mit dieser Situation um. Karl hatte also nicht nur einen kräftigen Körper, sondern ... Sie grinste, schloss die Tür hinter sich und ließ ihre rechte Hand in ihr Höschen gleiten.

„Das riecht aber gut. Hast die Pfanne gefunden?"

Karl nickte ihr zu.

„Nicht nur die, sondern auch den Toaster."

Sie blickte an ihm vorbei in die Pfanne, wo Eier und Schinken vor sich hin brutzelten.

„Ich werde mal sehen, ob ich die Teller finde und das Besteck."

Karl deutete auf einen großen Karton.

„Schau mal in dem dort nach, dort müsstest du alles finden. Kennst meine Mutter nicht, die hat sogar einen regelrechten Katalog über alles erstellt."

Sophie lachte. Sie sah sehr nett aus in ihrer engen Jeans und dem tief ausgeschnittenen Garfield-Shirt.

„Tut mir leid wegen vorhin. Das war nicht mit Absicht."

Karl nickte und griff nach den Salz- und Pfefferstreuern.

„Mir war es trotzdem peinlich. Wäre schön, wenn wir das morgen Früh besser hinkriegen."

Sie blickte ihn von der Seite an.

„Was ist dir denn peinlich? Du hast eine richtig gute Figur bekommen und alles andere ..."

Er drehte sich erstaunt zu ihr um. Sophie wich seinem Blick nicht aus.

„... gefällt mir auch. Brauchst dich wirklich nicht zu schämen. Auch wir Frauen haben dafür ein Auge."

Karl drehte sich langsam zum Herd um.

„Können wir offen miteinander sein?"

Sophie stellte die Teller auf den Tisch.

„Na klar."

„Was willst du von mir?"

Erneut hatte er sich zu ihr umgedreht. Sein Blick schien sie regelrecht zu durchbohren. Vor ihr stand nicht mehr der schmalbrüstige Freund ihres Bruders mit der großen Brille und den langen Haaren. Sondern ein Mann, der genau wusste, wo er stand und was er wollte.

„Karl, ich ..."

Sophie suchte nach den passenden Worten.

„... mag dich einfach."

„Mögen?"

Karls Stimme klang gereizt.

„Nein, nicht nur mögen."

Auch Sophie hatte ihre Stimme erhoben. Sie fand es nicht okay von ihm, dass er sie derart nötigte. Karl schüttelte seinen Kopf.

„Schon länger?"

Sophie bejahte, während sie seinem Blick trotzte.

„Thao hatte also recht."

„Hör zu, Karl, ich wollte euch nicht dazwischenfunken. Wirklich nicht! Aber du fängst hier nun ein neues Leben an und ich gebe zu, ich wäre gern ein Teil davon."

Die Miene des Jungen blieb ausdruckslos.

„Sag nichts, Karl. Lass uns die nächsten Tage hier werkeln, ich helfe dir, wo ich kann, und du brauchst gar nichts von meiner Seite zu befürchten. Nur weise mich bitte nicht ab! Wenn ich dir schon nicht so nahekommen darf wie ..."

Sie verkniff sich die Formulierung „die Punkerin".

„... Thao, will ich dir wenigstens eine gute Freundin sein."

Sophie streckte ihre rechte Hand in seine Richtung.

„Deal?"

Karls Blick wanderte zunächst zum Fenster, von dort zurück auf ihr Gesicht, dann hinunter auf ihre dargebotene Hand. Er griff danach und nickte ihr zu.

„Mehr ist von meiner Seite aber nicht drin, Sophie."

Simons Schwester nickte traurig.

„Ich komme damit zurecht. Versprochen."

68. Freunde

Tiefe Dunkelheit hatte die ländliche Einöde überzogen, nur in der Wohnbaracke des Behindertenheims brannte noch Licht. Ines hatte zugestimmt, als Anna sie gebeten hatte, noch ein wenig bei Thao in deren Zimmer bleiben zu dürfen. Die Leiterin des Institutes hoffte, dass das bedauernswerte Mädchen endlich auftauen würde.

„Warum bist du eigentlich hier?"

Thao blickte das Mädchen einen kurzen Moment lang nachdenklich an, grinste und widmete sich dann wieder ihrem Zeichenblock.

„Na ich bin auch querschnittsgelähmt, siehst du das nicht? Mein Rollstuhl ist nur noch nicht gekommen, deshalb werde ich bis dahin wohl noch laufen müssen."

Anna konnte sich das Lachen nur schwer verkneifen.

„Darüber macht man keine Witze."

Thao sah kurz zu ihr auf und lächelte.

„Hast ja recht. War ein blöder Scherz."

Anna legte ihre Hand auf den Block.

„Und? Warum bist du jetzt wirklich hier?"

Thaos braune Augen verfielen binnen Sekunden in tiefe Traurigkeit.

„Es gibt jemanden, den ich sehr lieb habe, Anna. Der will aber nicht mehr mit mir zusammen sein."

„Dein Freund?"

Thao seufzte.

„Siehst du, jetzt bin ich diejenige, die gleich heulen muss."

Anna hielt der Punkerin ihre kleine offene Hand hin. Die griff danach und lächelte.

„Der ist blöd, du solltest dir einen anderen suchen."

Thao schüttelte den Kopf.

„Wenn du jemanden richtig doll lieb hast, dann geht das nicht so einfach."

„Du hast doch jetzt mich, dann brauchst du ihn nicht mehr."

Trotz ihrer traurigen Stimmung zauberten Annas Worte ein Lächeln auf Thaos Lippen.

„Du bist ja süß."

Anna hatte es ernst gemeint und war nun beleidigt. Erst als die Punkerin sich zu ihr beugte und sie an sich drückte, schien sie versöhnt zu sein.

„Warum ist er denn weggegangen?"

„Ich habe ständig an etwas anderes denken müssen, das hat ihn sehr gestört."

Annas Neugier war geweckt.

„Und an was?"

Thao wurde verlegen.

„Das hat etwas mit dem Erwachsensein zu tun. Ist schwer zu beschreiben."

Anna grinste.

„Sex, stimmt´s?"

Thaos Augen weiteten sich erschrocken.

„NEIN!", entfuhr es der Punkerin.

Schnell besann sie sich wieder und setze in angemessener Tonlage fort.

„Ich meine ... nein. Wie kommst du darauf?"

Anna fand es ungemein witzig, dass Thao derart unsicher reagiert hatte, und antwortete lachend.

„Na wenn er dein Freund ist, dann werdet ihr doch miteinander Sex gemacht haben ... oder?"

Thao starrte das Mädchen an.

„Sag mal ... Sex kennst du, aber Intimsphäre, davon hast noch nichts gehört, oder? Außerdem sind es die Jungs, die ständig an Sex denken und weniger die Mädchen."

Sie dachte an ihr eigenes Verlangen, welches sie allerdings Lügen strafte.

„Na gut, meistens zumindest.", relativierte die Punkerin ihre Aussage.

Anna lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

„Wie fühlt sich das an?"

Thao hatte nun endgültig genug.

„Können wir über ein anderes Thema quatschen?"

Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

„Erst werde ich von dir gemobbt und jetzt bringst mich ständig in Verlegenheit. Du hast es wirklich drauf, die Leute zu stressen, Kindchen. Da könnte man ja direkt neidisch werden."

Sie lachte und knuffte der Kleinen auf deren linken Oberarm.

„Gibst du Kurse an der Volkshochschule? Ich würde mich da glatt einschreiben."

Anna verstand die Witze der Punkerin nicht. Geduldig wartete sie darauf, dass Thao sich wieder einfing.

„Ich habe auch einen Jungen, der mir gefällt. Bei mir zu Hause, meine ich."

Thao blickte der Kleinen erstaunt ins Gesicht.

„Und?"

Annas Augen begannen regelrecht zu funkeln.

„Wir haben uns geküsst!"

Die Punkerin lachte.

„Echt? So richtig? Auf den Mund?"

Das Mädchen nickte.

„Hat es dir gefallen?"

„Ja, es war nett."

„Willst du wegen ihm unbedingt nach Hause?"

Anna schüttelte den Kopf.

„Wir sind keine Freunde mehr, seitdem ich ..."

Sie blickte verbittert auf ihren Rollstuhl.

„Dann lass ihn ziehen!"

Die Kleine sah Thao wütend an.

„So wie du Deinen?"

„Das ist was anderes. Du warst mit deinem Freund ja nicht richtig zusammen."

Thao ärgerte sich, dass sie sich Anna erklären musste.

„Ab wann ist man denn mit jemandem richtig zusammen?"

Die Punkerin legte den Block zur Seite, sie konnte sich ohnehin nicht mehr darauf konzentrieren. Sie seufzte lautstark und begann, mit ihrem Stuhl zu wippen.

„Mensch, Anna! Gib Ruh, okay? Du musst doch ins Bett jetzt."

Die Kleine gab nicht nach.

„Bitte erkläre es mir!"

Thao rollte mit den Augen.

„Naja ... man muss schon viel zusammen unternommen haben, sich regelmäßig küssen, streicheln. Man wünscht sich einfach nichts anderes mehr, als mit seinem Partner zusammenzusein."

„Kann ich ein Foto von ihm sehen?"

„Von wem meinst du?"

„Na von deinem Freund."

Thao sträubte sich, doch das Mädchen bettelte so lange, bis sie schließlich nachgab.

„Foto hab ich jetzt gerade keins, aber gezeichnet hab ich ihn mal."

Die Punkerin nahm ihre Zeichenmappe zur Hand und blätterte in den darin abgelegten Zeichnungen.

„Hier! Das ist er."

Anna wirkte irgendwie enttäuscht.

„Hey? Gefällt er dir nicht?"

Das Mädchen guckte Thao verwundert an.

„Er ist nicht hübsch."

Thao grinste.

„Doch! Ist er. Der Allerhübscheste."

Sie starrte auf das Bild. Dieses Mal war sie es, der die Tränen in die Augen stiegen.

„Weißt du, Anna, wenn man einen Menschen richtig liebt, ist es einem egal, wie er aussieht."

Die Kleine zweifelte.

„Meinst du, er hätte dich auch genommen, wenn du hässlich gewesen wärst."

Thao wischte sich mit dem Knöchel ihres rechten Zeigefingers die Tränen aus den Augen und lachte.

„Das hat er getan, Anna. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie hässlich ich damals gewesen bin."

Beinahe zwei Stunden saßen sie einander gegenüber, tauschten sich aus und erfuhren vieles aus dem Leben der jeweils anderen. Anna erzählte von ihrem Zuhause, ihrer Katze, ihren Eltern und ihrer Cousine Sahra, die sie ohne Ende vermisste. Thao hörte aufmerksam aber schweigend zu, erfuhr so auch von dem Tag, an dem die Kleine mit ihrem Fahrrad eine Kreuzung überqueren wollte, dabei angefahren und schwer verletzt worden war. Den Fahrer des Kleinbusses hatte keine Schuld getroffen, Anna hatte den Vorrang missachtet. Der linke Vorderreifen des Fahrzeuges war ihr über das Becken gerollt und hatte die Knochen des zierlichen Mädchens schlichtweg zerquetscht.

Das Punkermädchen bewunderte Annas Selbstbeherrschung. Vielleicht lag dies auch einfach nur daran, dass sie diese Geschichte schon viele Male erzählt hatte.

„Bringst du mich auf mein Zimmer?"

Thao schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich bin übermorgen weg, Anna. Lass uns da nicht zu eng werden."

Die Kleine sah sie traurig an.

„Und morgen?"

Die Punkerin grinste.

„Was soll morgen schon sein? Ich bin auf meiner Bank und sitz mir den Arsch breit. Wenn du willst, kannst mir dabei zusehen."

Anna löste die Bremsen und rollte langsam zur Tür, geduldig wartend, bis Minimaus ihr den Weg freigab. Thao öffnete ihr die Tür und strich sanft über den Hinterkopf des Mädchens.

„Ich hoffe, du pennst gut. Sonst hast ja gar nicht genug Energie, um den Leuten morgen wieder auf die Nerven zu gehen."

Anna lachte kurz, wurde dann jedoch ungewöhnlich schnell wieder ernst.

„Kommst du mal wieder?"

Thao wusste nicht, was sie dem Mädchen antworten sollte.

„Du, ich möchte das erst einmal mit meinem Freund wieder hinbiegen, okay? Aber ich lasse dir gern meine Handynummer da. Und wenn du dann Lust hast, telefonieren wir."

Annas Miene verfinsterte sich.

„Du willst nicht kommen, stimmt´s?"

Thao sah auf ihre Füße hinunter.

„Ich kann es dir halt nicht versprechen."

Anna wurde wütend.

„Dann verpiss dich doch schon jetzt! Gott, bist du scheiße, Punkerkuh! Mach´s genau wie meine Eltern! Aus den Augen, aus dem Sinn!"

69. Xena geht

„Günter, für mich gibt es da keinen anderen Weg. Es tut mir leid."

Amelies Bruder sah die Domina enttäuscht an.

„Aber du magst mich doch, oder? Wie konnte sich das so schnell ändern?"

Xenas Blicke spiegelten ihre Gereiztheit überdeutlich wider.

„Weißt du, was Sadomaso ist?"

Der junge Mann nickte erstaunt.

„Ich bin eine Sadomasochistin, Günter, schon einige Jahre lang."

Sie sah, wie das Blut aus seinem Gesicht entwich.

„Ich verdiene sogar mein Geld damit."

Günters Augen wanderten nervös umher, er schien diese Offenbarung erst einmal verarbeiten zu müssen.

„Ich glaube nicht, dass du mit einer Domina zusammenleben möchtest. Geschweige denn, dass es irgendein anderer Mann wollen würde."

Ihre blauen Augen blickten ihn ausdruckslos an, sie wirkten nachdenklich und abwesend.

„Kurz hatte ich geglaubt, dass es da für mich doch noch Hoffnung geben könnte, sich jemand finden würde, der mich versteht und bereit ist, mich in dieser Hinsicht zu ertragen. ... Aber es war eine Illusion."

Günter faltete nervös seine Hände, sah auf den Boden des Wohnzimmers und schwieg.

„Lass mich jetzt allein! Damit es uns nicht noch dreckiger damit geht. Okay?"

Günters Blicke bezeugten seine Traurigkeit.

„Du müsstest mich quälen, um glücklich zu sein?"

Xena hob ihre Schultern.

„Ich müsste es tun, um deine Nähe ertragen zu können."

Sie sah ihn mitleidig an.

„Versuche nicht, nach einem Ausweg zu suchen! Das habe ich schon getan, viele Tage und ebenso viele Nächte, glaub mir das. Es gibt da leider keinen. Such dir eine normale Frau, Günter. Eine, die dich glücklich machen kann, so wie du es verdienst."

Beinahe zehn Minuten lang saßen sie sich schweigend gegenüber. Dann endlich zeigte Günter eine Reaktion. Zu ihrer Überraschung nickte er.

„Ich liebe dich trotzdem, Xena. Aber du hast recht. Ich könnte das nicht. Auch nicht für dich."

Xenas Herz zog sich zusammen. Trotzdem stand sie auf, setzte sich zu ihm und schloss ihn in die Arme.

„Weißt du was? Dass du ehrlich zu mir bist, das rettet so viel für mich. Ich werde dich nie vergessen, Amelie, Thao und Karl auch nicht."

„Aber warum willst du denn weg? Du kannst doch bei uns bleiben! Ich mag dich, Xena, und wenn es dir nicht gut geht, bin ich für dich da."

Die Domina seufzte, schüttelte aber ihren Kopf.

„Ich will woanders neu anfangen und mein Leben so gestalten, wie es zu mir passt, und mich nicht länger Illusionen hingeben. Ich bin eben, was ich bin, und muss versuchen, das Beste daraus zu machen. Lass mich gehen, Günter. Ohne Vorwürfe, ohne Streit. Ich will dich einfach so in Erinnerung behalten, wie du bist. Ich habe dich nämlich sehr gern."

Xena biss sich auf die Lippen. Günter stand auf und nickte ihr zu.

„Okay. Wir sehen uns nicht wieder?"

Die Domina schüttelte den Kopf.

„Nein! Tun wir nicht."

Amelies Bruder ging zur Wohnungstür. Er konnte nicht wissen, dass einige Tage zuvor auch Karl durch diese hindurch aus Xenas Leben verschwunden war. Er öffnete sie und drehte sich ein letztes Mal um. Xena stand an dem großen Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Er würde diese Frau niemals vergessen können.

Die Domina hörte das Klacken der Tür, dann war sie mit sich und ihrer Welt wieder allein. Sie kannte dieses Gefühl nur zu gut, dennoch versetzte es sie jedes Mal aufs Neue in Angst. Einsamkeit breitete sich in ihr aus, der Reichtum der letzten Monate schien verflogen zu sein. Sie hatte Freunde um sich gehabt, beinahe eine Liebe zugelassen, Freude an Dingen gewonnen, die ihr auf ewig verloren schienen ... und dennoch hatte sich all dies wie eine Fata Morgana verflüchtigt. Hatte sie falsch reagiert? Nein! Die Menschen würden sich an der Domina, die sie nun einmal war, immer wieder stoßen.

70. Thaos letzter Tag

Die Nacht im Behinderteninstitut erwies sich für das Punkermädchen auf doppelte Weise grausam. Nicht nur, dass sie unentwegt an Karl denken musste, auch die Kleine kam ihr immer wieder in den Sinn. Anna suchte einen Halt an diesem Ort, etwas, woran sie sich festklammern konnte, damit ihr der Aufenthalt erträglicher werden würde.

Das Punkermädchen selbst war hin und hergerissen. Keine Frage, es war schön hier, doch fortwährende Untätigkeit steht jemandem, der über zwei gesunde Beine verfügt, nicht wirklich gut zu Gesicht.

Sie fühlte sich übermüdet und gerädert an diesem Morgen, wäre beim Aufstehen beinahe auf Minimaus getrampelt, die immer noch schlafend vor ihrem Bett lag.

Der Punkerin blieb noch eine halbe Stunde in ihrem Zimmer, dann würde das Frühstück beginnen. Würde sie Anna dort wiedersehen? Thao bereitete dieser Gedanke tiefes Unbehagen, denn noch immer plagte sie ihr schlechtes Gewissen.

„Du schaust ja schlimm aus."

Amelie schob einen Jungen an den Tisch und stellte dessen Tablett so auf die Ablage des Rollstuhls, dass er das darauf befindliche Frühstück problemlos erreichen konnte. Thao ignorierte die Frage, beobachtete ihre Freundin und sah sie fragend an.

„Kann ich dir helfen?"

Die Angesprochene lächelte, deutete auf ein kleines Kind neben sich und Thao wiederholte, was Amelie kurz zuvor bei dem Jungen vorgezeigt hatte. Es handelte sich um ein kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren, die Punkerin musste mit sich kämpfen, um ihre Fassung zu bewahren.

„Na, Süße? Hast du was geträumt?"

Die Kleine lächelte fröhlich und nickte eifrig, während Thao ihr das Lätzchen umlegte.

„Und was?"

Die Kleine überlegte mit angestrengtem Gesichtsausdruck. Sie schien sich an nichts erinnern zu können.

„Weiß ich nicht mehr."

„Wenn es dir einfällt, erzählst du es mir dann?"

Das Mädchen schenkte der Punkerin ein Lächeln und griff nach einem der bereits mit Haselnusscreme beschmierten Brötchen.

„Das ist schön, dass du uns hilfst.", bedankte sich Amelie bei ihrer Freundin.

Thao winkte ab, versorgte noch ein weiteres Mädchen und bediente sich dann selbst am Frühstücksbuffet. Sie zögerte, als sie Anna entdeckte, die sich gerade selbst Brötchen, Marmelade und einen Apfel auf ihr Tablett lud.

„Du, Anna, es tut mir leid wegen gestern."

Das Mädchen ignorierte die Punkerin, wollte scheinbar nichts mehr von Thao wissen.

„Oh Mädel, jetzt komm schon!"

Anna steuerte ihren Rollstuhl von Thao weg, die ihr aber folgte und auf die Bremse trat.

„So! Jetzt musst du mit mir reden."

Sie ging um den Rollstuhl herum, kniete sich vor Anna hin, die ihren Kopf prompt zur Seite wandte, um Thaos Blick auszuweichen.

„Hätte ich dich lieber anlügen sollen? Dir versprechen, dass ich komme und dann wartest du umsonst?"

Das Mädchen starrte weiterhin trotzig an Thao vorbei. Eine der Pflegerinnen blickte die beiden fragend an, gesellte sich dann aber zu ihren Kindern.

Anna weinte, wandte sich Thao langsam zu und sah verbittert zu ihr hinunter. Die Kleine schien eine ähnliche Nacht wie sie selbst hinter sich zu haben, der Anblick schockte die Punkerin sehr.

„Ich möchte nicht, dass du so einfach gehst. Komm wieder, bitte. Nur für ein paar Tage. Es war so schön gestern. Wegen dir habe ich endlich wieder mal lachen können."

Thao kämpfte mit sich.

„Klar, du brauchst jemanden, den du wieder verarschen kannst, was?"

Die nach wie vor kniende Punkerin lachte bei diesen Worten, doch Anna ging auf diesen Scherz nicht ein. Nachdenklich blickte Thao das behinderte Mädchen an, dachte an Karl und Hamburg. So nebenbei mal hierherzukommen, schien ihr nicht so einfach zu sein. Und was sollte sie hier auch tun?

„Anna, ich kann und will dir das nicht versprechen."

Das Mädchen neigte ihren Kopf und blickte zu Boden, Tränen rollten ihre Wangen hinab. Thao wusste nicht, was sie miteinander verbinden könnte. Irgendetwas schien Anna in ihr zu sehen.

„Machst du die Bremse wieder los?"

Die Stimme der Kleinen klang brüchig. Das Punkermädchen nickte, stand auf und trat hinter den Rollstuhl. Anna fuhr sofort an ihren Platz, nachdem die Punkerin die Feststellbremse gelöst hatte. Thao blickte ihr nach, dann ging auch sie an ihren Tisch zurück.

„Was ist mit Anna? Sie schaut nicht gut aus, Thao, ... und du auch nicht."

Die Punkerin zeigte ein mürrisches Gesicht und wollte nicht antworten.

„Jetzt komm schon! Ich kann es nicht leiden, wenn die Kinder scheiße drauf sind."

Thao sah erstaunt zur Seite, Amelies Stimme hatte es nicht an aggressivem Unterton gemangelt.

„Sie will unbedingt, dass ich sie hier wieder besuchen komme. Wir haben gestern viel Spaß miteinander gehabt. Vielleicht war es ein Fehler, dass ich ihrem Drängen nachgegeben habe."

Amelie verstand nicht.

„Drängen? Hat sie etwa Kontakt zu dir gesucht?"

Thao wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und nickte.

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