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Thao 27

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„Sie hat mich vorher die ganze Zeit angeschissen und provoziert ... naja ... und dann habe ich ihr eine gelangt und ..."

Amelie starrte sie voller Entsetzen an.

„Du hast was getan???"

Erst jetzt begriff die Punkerin, was sie soeben von sich gegeben hatte.

„Sie ist mir volle Kanne in die Hacken gefahren. Was hätte ich denn tun sollen? Die Göre hat es voll drauf angelegt."

Die Gedanken ihrer Freundin rasten. Zorn stieg in ihr auf, wenn Thao etwas auch erreicht hatte, was niemandem vor ihr gelungen war.

„Weißt du, was du da getan hast?"

Thao guckte Amelie zornig an.

„Ja! Ziemlich genau sogar! Und es hat mir keinen Spaß gemacht, das kannst mir glauben."

Amelie setzte zu einer Entgegnung an, doch Thao ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Anna will nicht ständig die Behinderte spielen! Weißt du das eigentlich? Ich habe ihr vielleicht wehgetan, aber in dem Moment wusste sie, dass ich sie genauso wie jeden anderen behandelt habe, der scheiße zu mir ist. Nichts mit „Gutschi, Gutschi! Du arme Kleine!"

Günters Schwester starrte sie an, schien über Thaos Erklärung nachzudenken.

„Sie hat vorher so gut wie mit keinem geredet, Thao, weder mit Ines, noch mit den anderen Pflegerinnen. Mini hat sie wenigstens so weit geöffnet, dass sie sich widerstandslos versorgen ließ. Vielleicht machst du jetzt wieder alles kaputt, wenn du ihr diese Hoffnung nimmst."

Thao stöhnte entnervt auf. Das konnte einfach nicht wahr sein.

„Mensch, jetzt hab dich doch nicht so! Du wolltest dieses Jahr ohnehin noch nicht studieren, oder? Schnupper doch mal rein, ein paar Wochen oder so. Siehst du es denn nicht? Du bist echt gut darin, nicht nur im ..."

Zwar ließ Amelie ihre restlichen Gedanken unausgesprochen, doch Thao verstand sie dennoch. Ihre Augen wanderten durch den Raum, suchten das Mädchen. Noch einmal zögerte die Punkerin, dann stand sie auf und ging zu einem der Nachbartische.

Amelies Blicke folgten der Punkerin, die sich einen Stuhl krallte und zu Anna an den Tisch setzte. Zunächst schien sich Anna von ihr entfernen zu wollen, dann aber umarmte sie das Punkermädchen stürmisch.

Thao konnte dagegen ankämpfen, wie sie wollte, doch das Gute in ihr bahnte sich immer wieder seinen Weg nach draußen.

71. Abreise

„Du hast es versprochen."

Anna sah Thao noch einmal eindringlich an. Ines stand hinter dem Mädchen und schmunzelte. Das war schon ein seltsames Pärchen, das sich hier gefunden hatte.

„Und du hast mir versprochen, in der Zwischenzeit hier mitzuziehen."

Anna sah Thao traurig an, nickte aber.

„Zwei, drei Wochen wird's dauern. Also bau keinen Mist, Anna, auch wenn du ein Talent dafür hast."

Das Punkermädchen grinste und umarmte die Kleine noch einmal.

„Telefonnummer hast?"

Anna lächelte und hob ihren rechten Daumen.

„Bringst mich noch zum Auto?"

Die Rollstuhlfahrerin grinste.

„Magst mich hinschieben?"

Thao beugte sich mit angedeutet würgenden Händen über sie.

„Duuuuu!"

Die beiden Mädchen begannen ausgelassen zu lachen. Anna versuchte, tapfer zu sein, Thao konnte deutlich spüren, wie sich das behinderte Mädchen dabei zusammenriss. Sie drehte sich zum Parkplatz um, Amelie und Günter warteten bereits am Auto auf sie.

Die Punkerin beugte sich noch einmal zu Minimaus hinunter, drückte deren großen Schädel an ihren Kopf, was der Hund mit einem herzlichen Schwanzklopfen quittierte. Schließlich nickte sie nochmals Anna zu.

„Wir telefonieren, okay?"

Die Kleine versuchte zu lächeln, formte ihre linke Hand zu einem Telefonhörer und hielt sie sich ans Ohr.

Thao wandte sich an Günter, der neben dem Auto stand und nicht gerade glücklich dreinblickte. Sie umarmte ihn zur Begrüßung, spürte dabei seine Unruhe. Fragend richtete sie ihren Blick auf Amelie.

„Was ist Euch denn über die Leber gelaufen?"

Amelie schüttelte ihren Kopf und deutete Thao an, ins Auto zu steigen. Die kniff die Augen zusammen und musterte ihre Freunde skeptisch.

„Ist was mit Karl?"

Günter schüttelte den Kopf und öffnete ihr die Tür zur Rücksitzbank.

„Lass uns losfahren, ich erzähle es dir während der Fahrt."

Die Punkerin stieg, von einer inneren Unruhe getrieben, in den Wagen. Noch einmal winkte sie Anna und den anderen zu, dann bog das Auto auch schon auf den unbefestigten Weg in Richtung Hauptstraße ab. Thao blickte zu Günter nach vorn.

„Jetzt erzählt schon! Ist wieder Scheiße passiert, oder?"

Der Junge nickte.

„Xena zieht weg. Sie will mit mir keinen Kontakt mehr ..."

Günter zögerte.

„... und mit euch auch nicht. Ich weiß aber nicht, warum."

Thao wurde blass. Sie ahnte den Hintergrund.

„Bist du deshalb so plötzlich weggefahren?"

Der junge Mann nickte.

„Ich habe vorgestern mit ihr geredet, Thao. Sie scheint ziemlich verzweifelt zu sein. Ich verstehe nur nicht, warum sie auch euch ihre Freundschaft entzieht. Sie wollte es mir nicht sagen."

Für die Punkerin gab es nun kein Zweifeln mehr. Xena wusste Bescheid und das war jetzt ihre Reaktion. Thao senkte den Kopf, ein bleischweres Gefühl erfasste ihren Körper.

„Ich habe ihr etwas verschwiegen, Günter. Das wird sie jetzt herausbekommen haben."

Amelie drehte sich erstaunt zu ihr um.

„Was meinst du?"

„Ich habe es dir doch erzählt, Amelie. Xena wusste von meinem Job im Palais nichts."

Günter sah erstaunt in den Rückspiegel.

„Das heißt jetzt nicht ..."

Thao nickte.

„Doch. Ja. Ich auch, Günter."

Amelies Bruder schüttelte seinen Kopf. Er wollte es nicht glauben.

„Ihr habt ja alle so eine Meise."

Thao sah nachdenklich nach vorn. Amelies Bruder hatte im Grunde ja recht.

Langsam fuhr der Wagen den holprigen Weg entlang. Niemand verlor mehr ein Wort. Günter blickte düster drein, Amelie hing ihren eigenen Gedanken nach.

Erst nachdem sie die Landstraße erreicht hatten, wandte sich Günters Schwester um und legte Thao ihre rechte Hand aufs linke Knie.

„Denkst du jetzt an Xena oder an Karl?"

Thao sah nachdenklich drein.

„An beide. Xena tut mir leid. Ich glaube, bei ihr habe ich so richtig verschissen."

Amelie glaubte zu verstehen.

„Konzentriere dich auf Karl! Du wirst bestimmt schon Nachricht von ihm haben! Anders kann das gar nicht sein."

„Du glaubst das wirklich, oder?"

Amelie lächelte.

„Ich bin davon überzeugt, Thao! Er würde dich niemals so einfach aufgeben."

Thao kramte ihr Handy auf der Lederjacke. Sie hatte es in den letzten Tagen immer wieder einzuschalten versucht, doch der Akku war schon bei ihrer Ankunft im Behinderteninternat beinahe leer gewesen.

72. Sophies Bitte

„Ich bin wieder da, Karl."

Die junge Frau betrat die Wohnung, legte die Schlüssel auf einen kleinen Abstelltisch im Flur und brachte dann ihre beiden Tüten in die Küche.

„Karl? Bist du da?"

„VERDAMMTE SCHEISSE!", fluchte der Junge entnervt.

Sophie eilte zum Schlafzimmer. Karl saß in einem halb fertigen Schrank und versuchte, dessen rechte Seitenwand mit dem Oberteil zu verbinden.

„Warum hast du nicht auf mich gewartet? Ich hätte dir doch geholfen! Warte, ich packe mit an!"

Karl sah entnervt drein. Überall standen noch Sachen. Er benötigte den Schrank dringend, um endlich weiter auspacken zu können.

„Ich will endlich fertig werden. Außerdem habe ich dann etwas zu tun."

Er deutete auf das Oberteil des Schrankes.

„Lass es ganz langsam runter!"

Sophie folgte seinen Anweisungen und schließlich griffen die Zapfen der beiden Schrankteile ineinander. Karl brauchte nur noch die Schrauben zu arretieren, dann war es geschafft.

„Du denkst immer noch an sie?"

Karl hob die Rückwand vom Boden auf. Er beantwortete ihre Frage nicht.

„Kannst du mir mit der Rückwand helfen? Die muss ich festnageln."

Sie hielt die schmale Platte an die Rückseite des Schrankes, während der Junge damit begann, selbige mit kleinen Metallstiften zu fixieren.

„Tu dir nicht weh."

Karl rang sich ein Lächeln ab.

„Ich versuche es, okay?"

„Ich habe uns was zu Mittag mitgebracht. Riech mal!"

Karl hob seine Nase.

„Hähnchen? Geil!"

Endlich war es geschafft. Gemeinsam schoben sie den Schrank vorsichtig an die Wand, die Laune des Jungen hatte sich spürbar gebessert.

„Was für ein Scheißding."

Er lachte und legte das Werkzeug beiseite.

„Wo warst du?"

Sophie ging in die Küche, um das Essen auszupacken.

„Ich habe mir die Stadt angesehen und war auf dem Arbeitsamt."

Karl sah sie erstaunt an.

„Wieso auf dem Arbeitsamt?"

„Ich möchte mir hier was suchen. Die Stadt gefällt mir und bei mir zu Hause werde ich noch genauso verrückt, wie Simon."

Sie holte zwei Teller aus einem der Schränke und belegte diese mit den Hähnchenhälften. Karl stellte sich an ihre Seite.

„Du wirst eine Wohnung brauchen. Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?"

Sophie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. Wieder zeigte ihr der Junge, wie wenig ihm ihre Gegenwart bedeutete.

„Ich will mir eine suchen, nur müsste ich dann noch ein paar Tage hier bleiben. Wenn das okay für dich ist, vorausgesetzt."

Karl kämpfte mit seiner Beherrschung. Er glaubte ihr nicht.

„Wie lange denn?"

„Gib mir ein paar Tage Zeit, Karl. Ich weiß es doch selbst nicht, wie lange es dauert."

Sie kramte aus ihren Tüten einige Zeitungen hervor.

„Schau mal! Es sind genügend ausgeschrieben. Solange wirst du mich nicht mehr aushalten müssen."

Er sah sie nachdenklich an.

„Sophie, ich bin dir dankbar für die Hilfe, aber lass dir bitte nicht zu viel Zeit beim Suchen. Ich möchte einfach zur Ruhe kommen. Ich halte es kaum noch aus, verstehst du? Wieso meldet sie sich nicht? Einfach nur, damit ich weiß, dass es ihr gut geht?"

Sophie wollte sich ihm nähern, er aber hielt sie auf Abstand.

„Lass mich! Ich möchte das nicht."

Sie nickte ihm zu.

„Es ist besser, ich fahre nach Hause. Ich hätte dich nicht darum bitten sollen."

Karl starrte Simons Schwester wütend an.

„Du wolltest hier wohnen, oder? Mehr nicht! Mach dein Ding Sophie, bloß erwarte halt nicht allzu viel von mir!"

„Ein paar Tage nur, Karl. Vielleicht kannst du mir ja dann beim Umzug helfen."

Er nickte und reichte ihr dann einen Teller.

„Komm! Lass uns was essen."

73. Wieder zu Hause

„Hallo Frau Passow!"

Die Alte nickte dem Mädchen freundlich zu, dann schloss sich ihre Tür auch schon wieder.

Thao steckte den Schlüssel ins Türschloss. Warum war es so schwer? Hatte sie solche Angst vor dem, was sie in der Wohnung erwarten könnte?

Sie gab sich einen Ruck, schloss auf und stellte ihre Tasche in den Flur. Ein Zettel lag auf der Ablage, ihre Mutter hatte ihr eine Nachricht hinterlassen. Sie griff danach und faltete ihn auseinander. Anne war also nicht zu Hause.

Mein Schatz,

ich bin froh, dass du endlich wieder zu Hause bist. Nicht nur ich habe mir große Sorgen um dich gemacht, sondern vor allem auch Karl. Er hat bisher jeden Abend angerufen. Heute ist sogar ein Brief von ihm gekommen, ich habe ihn auf deinen Schreibtisch gelegt.

Heute Abend komme ich wieder heim. Rüdigers Nummer hast du ja, falls du anrufen möchtest.

Ich habe dich über alles lieb, mein Schatz!

Deine Mama

Thaos Blicke rasten über die Zeilen, dann stürzte sie auch schon in ihr Zimmer. Voller Ungeduld nahm sie den Umschlag von ihrem Schreibtisch und riss ihn auf. Ihre Augen füllten sich augenblicklich mit Tränen, als sie die ersten Zeilen überflog.

Liebe Thao,

es erscheint mir total bescheuert, dich bei deinem Vornamen nennen zu müssen, aber ich bin ja selber schuld. Kannst du dich noch erinnern, wie du mich ausgelacht hast, als ich dich gefragt habe, ob ich dich Süße nennen darf? Es sind Momente wie dieser, die ich in meinem ganzen Leben niemals wieder vergessen werde. Allein schon deshalb, weil du der eine, besondere Mensch darin bist, der sie mir geschenkt hat.

Den wahren Wert dessen, was man einmal hatte, erkennt man erst nach dem Verlust, lautet eine ziemlich abgedroschene Redensart. Du warst für mich immer das Wichtigste. Dass du jetzt irgendwo ohne mich bist und vielleicht versuchst, mich zu vergessen ... das ist die Hölle für mich. An dieser Vorstellung könnte ich kaputtgehen. Ich kann einfach nur hoffen und beten, dass es dir nicht gelingt, dass auch du noch an mich glauben kannst und mich festhältst. Thao, ich liebe dich! Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich! Ich würde das tausendmal schreiben, wenn es helfen würde, diesen schrecklichen Moment der Trennung zwischen uns ungeschehen machen zu können.

Thao, sag mir bitte wann und ich mache mich auf den Weg zu dir. Wir können uns aussprechen, einen Kompromiss suchen, der für uns beide vorstellbar ist. Ich habe vieles verstanden, was mir vorher nicht klar gewesen war, und akzeptiert, was ich lange Zeit immer von mir gewiesen habe.

Lass uns reden! Bitte!!!

Ich liebe dich über alles!!!!!!!!

Dein Karl

PS: Den Reisegutschein von meinen Eltern findest du anbei, erinnerst du dich an ihn? Ich würde ihn gern mit dir zusammen einlösen. Vielleicht finden wir ja, so wie meine Eltern, einen Ort, an dem wir all das, was zwischen uns liegt, vergessen können.

Thao starrte auf das Papier, ihr Herz krampfte sich zusammen, die ganze Zeit des Lesens hatten ihre Tränen nicht aufgehört zu fließen, ihr Mund öffnete sich zu einem heiseren Lachen. Alles in ihrem Kopf wirbelte durcheinander. Es hatte zwischen ihnen nichts geendet, es würde erst richtig beginnen. Sie hob noch einmal den Brief an ihr Gesicht, roch daran, versuchte ihren Jungen auf irgendeine Weise zu spüren oder zu fühlen.

Sie drehte sich um und blickte auf die Uhr über ihrem Bett. Es war kurz nach Mittag, sollte sie jetzt noch ...?

Kurz entschlossen griff sie nach dem Hörer des Telefons und wählte die Nummer ihrer Mutter. Wenn sie schon wieder wegwollte, sollte sie dieses Mal wenigstens erfahren, wo sie war.

„Mama? Ich bin es!"

Ihre Mutter stöhnte erleichtert auf. Sie hatte sich wirklich große Sorgen gemacht.

„Ja, den Brief habe ich gelesen. ... Super schön! Ich möchte zu ihm fahren."

Sie hörte die aufgeregte Stimme ihrer Mutter. Nach Hamburg würde sie mit dem Zug eine ziemlich lange Fahrtzeit auf sich nehmen müssen. Spät am Abend, nachts in einer fremden Stadt ... Thao grinste, es war ihr so egal.

Jemand anderes drängte sich ins Gespräch. Sie hörte eine tiefe Stimme, kurz wurden bei Thao alte Gefühle wach.

„Ja ... bestell ihm auch Grüße. ... Was? Du, das ist mir ... Nein, Mutter, jetzt ..."

Das Punkermädchen seufzte.

„Du, das brauchst wirklich nicht. Das kann ich nicht annehmen. Rüdiger, bitte."

Sie machte ein wehleidiges Gesicht.

„Ja gut, okay. Ich nehme aber meine Sachen mit!"

Rüdigers Lachen drang aus der Ohrmuschel. Er schien zu wissen, was das Mädchen meinte.

Thaos Gedanken rasten. Dass der Freund ihrer Mutter sie unbedingt fahren wollte, war ihr unangenehm. Doch es war die schnellste Möglichkeit, zu Karl zu kommen, der schnellste Weg, ihn wiederzusehen, zu spüren und lieb haben zu dürfen.

Sie riss den Kleiderschrank auf und kramte wahllos Klamotten daraus hervor. Die meisten davon waren ihre zweite Wahl, da ihre bevorzugte Kluft noch in Karls Elternhaus herumlag.

„Scheiße! Mein Handy!"

Thao suchte das Ladegerät.

„Mann! Fuck! Auch das ist noch bei Karls Eltern.", machte das aufgeregte Mädchen ihrem Ärger Luft.

Sie kannte Amelies Nummer nicht auswendig. Nicht einmal die von Karl.

74. Autofahrt mit Rüdiger

„Soll ich das Radio anmachen?"

Das Punkermädchen sah den Freund ihrer Mutter an, schüttelte dann aber ihren Kopf. Der schwere Audi schien über die Autobahn zu fliegen, die Tachonadel zeigte 250 km/h.

„Du weißt, was du tust, oder?"

Rüdiger bemerkte ihren prüfenden Blick auf die Tempoanzeige und lächelte.

„Ich fahre immer etwas schneller. Und seitdem ich meinen Führerschein habe, ist mir noch nichts Aufregendes passiert. Ein einziger Blechschaden beim Einparken war bisher alles."

Thao lehnte ihren Kopf gegen die Seitenscheibe und sah zu den Autos auf der rechten Fahrspur, die von ihnen überholt wurden. Sie hatte ein komisches Gefühl im Magen, beinahe so, als ob sie sich neu verliebt hätte.

„Kann ich dich was fragen, Thao?"

Die Punkerin löste sich mühsam aus ihren Gedanken und blickte zu dem glatzköpfigen Männlein hinüber. Für sie sah er immer noch aus wie ein Gestapomann.

„Das ist das Mindeste, oder?", erwiderte das Mädchen.

Rüdiger lachte.

„Es gibt da etwas, das will ich dich schon einige Zeit fragen. Normalerweise macht man das ja bei den Eltern, aber ..."

Thao verschlug es beinahe die Sprache, mit weit aufgerissenen Augen glotzte sie den Freund ihrer Mutter an.

„Du verarschst mich jetzt, oder? Nee. Das glaub ich jetzt nicht."

Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu, richtete seinen Blick aber sofort wieder auf die Straße.

„Ich würde deine Mutter gerne ehelichen, Thao. Das ist mein voller Ernst."

Die Punkerin starrte ihn an, als ob er den Verstand verloren hat.

„Fährst du mich deshalb nach Hamburg? Damit du dir meine Alte klarmachen kannst?"

Rüdiger schüttelte den Kopf.

„Nein. Weil ich dich verstehen kann, Thao. Mehr, als du es mir wahrscheinliche zugestehen möchtest. Auch ich liebe einen Menschen über alles, nicht nur du."

Thaos Stimmung schlug in Aggressivität um. Sie wollte ihre Beziehung nicht mit der ihrer Mutter auf eine Stufe gestellt sehen.

„Nur, dass du meiner Mutter den Körper blutig schlägst."

Rüdiger wurde bleich. Er schien nicht gern an diesen Moment erinnert zu werden.

„Wir haben damals, nach der Session, in die du reingeplatzt bist, eine Grenze festgelegt, Thao. Die habe ich seitdem nicht ein einziges Mal überschritten. Ich gebe dir mein Ehrenwort darauf. Frag deine Mutter, wenn du mir nicht glaubst."

Das Punkermädchen blickte ihn nach wie vor an. Sie konnte sich Rüdiger als Stiefvater einfach nicht vorstellen, wollte es auch gar nicht. Schweigend drehte sie ihren Kopf und starrte wieder aus dem Beifahrerfenster.

Minuten verstrichen, dann hörte sie wieder seine Stimme.

„Und?"

Thao warf ihm einen geringschätzigen Blick zu.

„Gibst du uns deinen Segen?"

„Im Grunde kann es dir doch scheißegal sein."

Rüdiger blieb ruhig und geduldig. Er wusste, dass er keine andere Chance hatte, das Mädchen umzustimmen.

„Deiner Mama ist es aber nicht egal."

Thao schüttelte den Kopf. Rüdiger verstand die Geste falsch und nahm den Fuß vom Gas.

„Lass uns anhalten und darüber reden. Bitte, Thao. Es ist wirklich wichtig für mich. Sonst sagt sie nicht ja."

„Ach macht doch, was ihr wollt."

Rüdiger wusste nicht, wie er diese Worte deuten sollte.

„Also gibst du mir dein Einverständnis?"

Thao öffnete ihren Mund und tat so, als ob sie kotzen müsste.

„Ja, verdammt! Du hast es! Lässt mich jetzt in Ruhe?"

Er sah auf das Mädchen neben sich, das den Kopf wieder gegen die Seitenscheibe gelehnt hatte. Das Verhältnis zwischen ihnen war nicht mehr so schlimm, wie früher. Er würde einfach Geduld haben müssen bei ihr.

75. Anders als man glaubt

„Thao! Wir sind gleich da."

Das Punkermädchen hatte während der restlichen Fahrt kaum mit ihm gesprochen. Sie schien in ihren Gedanken schon bei Karl zu sein und sich auf das Gespräch mit ihm vorzubereiten.

„Wow! Wie spät ist es denn?"

Rüdiger deutete auf das Navigationssystem in der Mittelkonsole.

„Zehn Minuten haben wir noch."

Er zeigte auf das Handschuhfach.

„Dort drin ist eine Bürste."

Das Punkermädchen kapierte nicht. Erst, als er die Sonnenblende auf der Beifahrerseite herunterklappte und sie auf dessen Innenseite den Spiegel entdeckte, ging ihr ein Licht auf. Ihre Haare hatten sich komplett verlegt.

„Was machst du mit einer Haarbürste?"

Rüdiger lachte schallend auf.

„Ich doch nicht. Deine Mutter."

Thao grinste. Es kam ihr auf einmal so logisch vor.

„Was ist denn das?"

Sie zog eine schwarze Karte aus dem Visitenkartenhalter hervor.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?"

Der Mann neben ihr sah sie fragend an.

„Wieso nicht? Ist doch ein Geschäft wie jedes andere. Und ich lebe gut davon."

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