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Thao 27

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Die Punkerin lachte auf, bekam sich gar nicht mehr ein.

„Aber doch nicht, wenn man aussieht, wie du. Sorry, Rüdiger, aber das geht gar nicht."

Rüdiger war peinlich berührt, sah sich kurz um und wechselte dann den Fahrstreifen.

„Ich habe den Laden von meinem Vater geerbt und er von seinem. Das ist Tradition bei uns, da komme ich nicht mehr raus."

„Aber Bestattungen Freudenreich? Sorry, das ist doch bescheuert."

Rüdiger grinste breit.

„Da wird schon über siebzig Jahre lang drüber gelacht. Das ändert man dann nicht mehr."

Er bog nach links in eine Seitenstraße ein, dann kündigte das Bordnavigationssystem präzise das nahende Eintreffen am Zielort an.

„In zweihundertfünfzig Metern haben sie Ihr Ziel erreicht. Das Ziel befindet sich auf der rechten Straßenseite."

Thao wurde sichtlich nervös. Sie schien sich regelrecht wiederfinden zu müssen. Rüdiger spürte, welchen Sorgen das Mädchen neben ihm ausgesetzt war.

„So, Thao! Jetzt sieh mich mal kurz an."

Dieses Mal ließ sie ihren Spott und Zynismus außen vor, blickte dem hässlichen Mann in dessen knochiges Gesicht und hörte ihm zu, in der Hoffnung, dass er ihr helfen konnte.

„Nimm eine meiner Karten, da ist meine Handynummer drauf. Wenn irgendetwas passiert, ruf mich an. Ich nehme mir für heute ein Hotel in der Stadt."

Thao unterbrach ihn.

„Mein Handy ist alle, Rüdi. Das klappt so nicht."

Der Freund und zukünftige Ehemann ihrer Mutter sah sie nachdenklich an. Er holte ein großes Smartphone aus seiner Jacke und reichte es ihr.

„Anne66 ist das Passwort. Ich steige im Planet-City-Hotel ab und bleibe auf meinem Zimmer. Sollte sich etwas ändern, melde ich mich bei dir."

Thao starrte ihn an, schien irgendwie mit sich zu ringen. Schließlich breitete sie ihre Arme aus und näherte sich ihm.

„Du musst das nicht, wenn du es nicht wirklich möchtest."

Thao ärgerte sich über sich selbst, gab sich einen Ruck und drückte ihren Körper an ihn.

„Danke, Rüdi!"

„Viel Glück, Thao! Gib mir Bescheid, wie es gelaufen ist. Ich brauch auch spätestens morgen mein Handy wieder."

Das Punkermädchen nickte und stieg aus der schwarzen Limousine. Rüdiger wartete darauf, dass sich die Tür schloss, stattdessen tauchte aber noch einmal Thaos Kopf auf.

„Könntest du ne Viertelstunde warten? Nur falls es komplett schiefläuft."

Rüdiger nickte verständnisvoll.

„Mach ich."

Sie wollte die Tür schon schließen, als nochmals Rüdigers Stimme aus dem Wageninnern drang.

„Wird es aber nicht, Thao."

Die Punkerin sah Rüdigers Wagen langsam ein Stück die Straße hinunterrollen, bis er sich schließlich auf den Parkstreifen stellte. Scheiße, sie war wirklich dankbar, dass er für sie da war. Er wirkte jetzt gar nicht mehr so hässlich und abstoßend auf sie, wie bei ihrer ersten Begegnung. Eine Parallele kam ihr in den Sinn, augenblicklich begann sie sich zu schämen.

Thao blickte auf die Fassade des Hauses, durch das Balkonfenster ihrer Wohnung drang Licht nach draußen. Langsam ging sie zur Tür, das beklemmende Gefühl in ihrem Magen wurde immer unerträglicher. Sie drückte den Lichtschalter und überflog die Namensschilder. Sie blieb an dem ihrer Vermieterin hängen, urplötzlich kam ihr ein Gedanke. Kurz entschlossen drückte sie den Klingelknopf. Hundegebell wurde laut, Licht ging im Hausflur an, dann hörte sie ein Knacken im Lautsprecher.

„Könntest du mich reinlassen? Ich bin es, Thao."

Anelise schien eine Weile zu brauchen, den gehörten Namen einordnen zu können.

„Ach klar, Karls Freundin. Tut mir leid. Ich habe dich schon beim Umzug vermisst. Katja hat mir erzählt, du würdest nachkommen."

Der Türöffner surrte, dann war Thao auch schon im Flur.

„Warum hast nicht bei Karl geklingelt?"

Anelise schien die Antwort auf ihre Frage selbst gefunden zu haben.

„Scheiße, klar. Du willst ihn überraschen stimmt´s?"

Die Punkerin nickte.

„Ihr seid ja süß!"

Der Spitz der jungen Sri-Lankanerin schnüffelte an Thaos Jeans, dann wurde er auch schon von seiner Besitzerin hochgehoben.

„Ich wäre da so gerne Mäuschen."

Das Punkermädchen war immer noch erstaunt, wie seltsam dieses fehlerfreie Deutsch zu Anelises fremdländischem Aussehen passte.

„Viel Spaß euch beiden!"

Sie zwinkerte Thao noch einmal zu und schloss dann die Wohnungstür hinter sich.

Die Punkerin stand vor dem Treppenabsatz, holte noch einmal tief Luft und nahm dann jede Stufe einzeln. Sie nahm sich vor, die Gedanken aus ihrem Kopf zu drängen und einfach den begonnenen Weg weiterzugehen.

„Scheiße!"

Thao blickte auf den Klingelknopf. Auf dem Schild darüber war noch kein Name zu lesen. War sie der Grund dafür? Wieder ermahnte sie sich, ruhig zu bleiben, hob ihre Hand und drückte mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf den Schalter.

Eine Nullachtfünfzehn-Klingelmelodie durchdrang die Stille. Thao schloss ihre Augen, als sie Schritte hörte, die sich rasch näherten. Karl fragte nicht erst, wer da zu so später Stunde noch vor der Tür stand. So hörte sie den elektrischen Öffner der Haustür, sah die Wohnungstür sich öffnen und blickte in das erstaunte Gesicht des Menschen, welchen sie so sehr liebte und dessen Augen sie in diesem Moment anstarrten, als würde sie ein Trugbild narren.

Ihre Blicke trafen sich, beide waren in diesem Moment unfähig, sich zu bewegen oder auch nur ein einziges Wort über die Lippen zu bringen. So sahen sie sich einen schier endlosen Moment lang stillschweigend an. Nicht nur ihre Augen waren feucht geworden, auch die seinen.

Schließlich löste sich der Junge aus seiner Starre und ging diesen einen Schritt, der sie noch trennte, auf sie zu und drückte das Mädchen, das er über alles liebte, an sich. Im ersten Moment spürte er nur ihren Körper an dem seinen, nahm ihren Geruch in sich auf, fühlte ihr Haar an seiner Wange.

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Thao sich endlich von ihm löste, zu ihm aufsah und sein Gesicht zwischen ihre leicht zitternden Hände nahm. Sie zog seinen Kopf sanft zu sich herab, berührte mit ihren Lippen die seinen, schmeckte die Liebe, die sie miteinander verband. Es schien ihr wie ein wahr gewordener Traum. Sie würde nicht aufwachen müssen, sie waren wirklich wieder zusammen.

Karl streichelte ihr Gesicht, drückte seine Stirn gegen die ihre. Zwischen ihnen durfte es keine Konventionen oder Normen mehr geben. Nur zusammen waren sie ein Ganzes.

„Ich liebe dich!"

Der Junge lachte auf. Wie sehr hatte er sich genau diese drei Worte von ihr gewünscht.

„Ich liebe dich auch!"

Thao lächelte, langsam aber verzog sich ihr Mund zu einem Grinsen. Wie sehr Karl das doch vermisst hatte.

„Na lass es schon raus."

Das Punkermädchen grinste breit.

„Meinst du, das reicht für Bollywood, oder legen wir noch ein Schippchen drauf?"

Karl lachte und drückte sie nochmals an sich.

„Kann ich reinkommen?"

Er grinste.

„Ist ja auch deine Wohnung, oder?"

Sie sah zu ihm auf, er meinte es tatsächlich so, wie er es gesagt hatte. Er ging ihr voraus in die Wohnung, nahm ihr die Sachen ab und hängte sie an der Garderobe auf, die genauso aussah, wie jene im Haus seiner Eltern. Eigentlich fehlte nur noch ihr Skateboard, das darunter an der Wand lehnte.

Der Junge schien ihre Gedanken zu erraten und erklärte es ihr.

„Sie kaufen sich eine neue."

Thao grinste.

„Komm! Gehen wir ins Wohnzimmer."

Er zog sie hinter sich her, führte sie zur Couch, auf der sie sich nebeneinander hinfläzten.

„Wow! Du hast schon ganz schön viel geschafft."

Karl nickte.

„Ich hatte Hilfe. Ist nicht allein mein Verdienst."

Thao dachte an Katja und Harald. Sie würden für ihren Sohn alles tun, ohne Einschränkung.

„Thao?"

Sie sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich möchte dich das eigentlich nicht fragen, weil ich Angst habe, zwischen uns wieder etwas kaputtzumachen ..."

Thaos Gesichtszüge verhärteten sich augenblicklich. Genau auf so einem Moment hatte sie sich die ganze Zeit vorzubereiten versucht.

„... Wo bist du gewesen?"

Sie war erleichtert, hatte eine Frage erwartet, die den Grund ihrer Trennung betraf. Sie dachte an seinen Brief, die Anrufe bei ihrer Mutter. Karl hatte alles versucht, was ihm möglich war, um sie zu erreichen.

„Amelie hat mich zu ihrer Tante mitgenommen, die eine Behinderteneinrichtung mitten in der Pampa leitet. Sie und Günter haben mir da gar keine Wahl gelassen und mich regelrecht genötigt."

Karl lächelte.

„Du lässt dich nötigen? Ich dachte, Amelie war in Bayern?"

Thao legte ihren Kopf schief. Fragte er aus Interesse oder weil er ihr keinen Glauben schenken wollte?

„Amelie kam aus Bayern zurück. Ich habe sie abgeholt und dachte eigentlich, Günter würde uns zu ihnen nach Hause fahren."

„Warum hast du dich nicht gemeldet, Thao? Ich habe mir solche Sorgen gemacht."

Sie hob ihre Hand, legte sie ihm auf seine Wange. Er nahm die Geste an, schien aber immer noch auf ihre Erklärung zu warten.

„Ich hatte dort keine Möglichkeit, Karl. Sie haben gemeint, ich könnte dort zur Ruhe kommen und irgendwo hatten sie auch recht damit. Es ist so, wie du es in deinem Brief geschrieben hast. Wir müssen einen Weg finden, nur nicht heute, nur nicht jetzt. Okay?"

Karl verstand sie, auch er wollte ihr Wiedersehen nicht gestört wissen.

„Ich gehe mal kurz aufs Klo. Bin gleich wieder da."

Der Junge schreckte zusammen. Sophie! Er hatte sie völlig vergessen.

„Du, Thao! Sophie ist da drin. Sie hat mir beim Umzug und Aufbauen geholfen."

Das Punkermädchen war schon beinahe an der Badezimmertür und blieb ruckartig stehen. Langsam drehte sie sich zu ihm um.

„Du bist vor vier Tagen hierher gezogen."

Sie schien es eher zu sich selbst gesagt zu haben, als zu ihm. Sie ging zum Schlafzimmer und schaltete dort das Licht ein. Das Bett war gemacht ... für zwei Personen.

Karl ging auf sein Mädchen zu, wollte sich ihr erklären. Sie aber hob ihre Hand, sah ihn an, als ob er nicht mehr zu ihrer Wirklichkeit gehören würde. Es passte alles so gut zusammen.

„Ich weiß, was du denkst. Aber du tust uns unrecht."

Die Badezimmertür öffnete sich langsam, Sophie trat heraus. Sie hatte ein langes Handtuch um ihren Körper geschlungen, blickte Thao verstört, dann Karl ratlos an, der sie in diesem Moment am liebsten zum Mond geschossen hätte.

„Hallo Sophie! Ich bin dir ja so dankbar, dass du Karl so sehr zur Seite gestanden bist, während ich nicht da war. Nett! Wirklich."

„Wir haben nichts miteinander gehabt, Thao. Glaub es mir, bitte! Sie wollte sich die Stadt ansehen, mehr nicht."

Das Punkermädchen war kurz davor, Simons Schwester niederzuschlagen.

„Was würdest du an meiner Stelle denken, Karl? Wenn ich mit einem Typen zusammen in einer Wohnung hausen würde, ein paar Tage, nachdem wir uns getrennt haben? Auf dessen Stirn augenscheinlich „Ficken" steht?"

Sie warf Sophie einen mörderischen Blick zu, ging auf sie zu und riss ihr brutal das Handtuch vom Körper. Ein Kreischen durchdrang den Raum, während das nackte Mädchen panisch ihre Blöße zu bedecken versuchte. Thao aber starrte zu Karl hinüber, der fassungslos die Szene verfolgt hatte.

„Hast du ihre rasierte Muschi gesehen, Karl? Nichts für ungut, du Schlampe."

Er wollte sie aufhalten, doch sie stieß ihn brutal von sich weg.

„Verpiss dich aus meinen Leben, du Arschloch."

„Thao, du tust mir unrecht."

Sie drehte sich im Flur noch einmal um.

„Tue ich das? Glaubst du, ich hätte an deiner Stelle, in dieser Situation, einen Jungen aufgenommen, von dem ich weiß, dass er auf mich steht?"

Karl ballte die Fäuste, sah wütend zu Sophie hinüber, die sich gerade bückte, um das Handtuch vom Boden aufzuheben.

„Boah, mir wird Angst und Bange, wenn ich es mir nur vorstelle. Schade, Karl. Es hat sich für mich gerade ziemlich gut angefühlt."

Thaos Stimme brach sich, Tränen stiegen in ihre Augen. Karl wollte sie nun mit Gewalt zurückhalten, doch sie schrie ihn an.

„LASS MICH! FASS MICH NICHT AN!"

Die Tür flog mit lautem Knall in den Rahmen und Karl blieb allein mit Sophie in der Wohnung zurück. Der Junge wollte nicht aufgeben, riss die Wohnungstür wieder auf, während der Spitz von Anelise wie wahnsinnig bellte, rief ihr hinterher, dass sie doch warten möge, doch schon hörte er, wie unten die Haustür vom Schließer wieder zugezogen wurde.

„Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße!"

Er griff nach seinen Turnschuhen und zog diese voller Hast über seine Füße. Dann war er auch schon im Treppenhaus, stürzte an Anelise vorbei, riss die Haustür auf und rannte auf die Straße. Er blickte nach links, dann nach rechts. Von Thao war nichts mehr zu sehen.

76. Alles noch mal neu

Langsam bog ein silberner Mercedes auf den Hof des Behinderteninternats ein. Neugierige Blicke richteten sich auf ihn, nach dem Nummernschild zu urteilen, musste er aus der Stadt gekommen sein.

Besuchten Eltern ihr Kind? Holten sie es vielleicht sogar ab?

Ein langer, hagerer Herr stieg aus dem Wagen, hielt auf eines der Rollstuhl fahrenden Kinder zu und bat es um Auskunft. Das Kind zeigte auf einen Baum, der, etwas abseits gelegen, einer Bank Schatten spendete, die urig an einem Flüsschen stand. Eine junge Frau hockte dort, die sich um ein kleines Kind kümmerte, das gebannt auf ihre Hände sah.

Er näherte sich langsam, dann bemerkte sie ihn. Staunen war in ihrem Gesicht zu erkennen, dann Unsicherheit. Sie ließ ihn näher herankommen, antwortete aber nicht auf seinen Gruß, stattdessen schien sie nur noch Augen für den Kleinen zu haben.

„Thao? Kann ich bitte mit dir reden?"

Das Punkermädchen sah zu ihm auf, schüttelte aber den Kopf. Er setzte sich zu ihr, aufmerksam von dem kleinen Jungen im Rollstuhl beobachtet.

„Na mein Kleiner? Wie heißt du denn?"

Der Junge lächelte.

„Valentin! Und du?"

„Harald. Aber nicht Harry sagen, gut?"

Der Kleine nickte.

„Weißt du was, Valentin? Die Thao hier, die redet nicht mehr mit mir."

Die Miene des Jungen verfinsterte sich.

„Und warum? Warst du böse zu ihr?"

Harald schüttelte seinen Kopf.

„Nein. Aber mein Sohn hat einen Fehler gemacht. Und jetzt ist Thao sauer auf mich, weil ich mit ihr darüber sprechen möchte."

Der Kleine blickte Thao fragend an, die regungslos blieb und vor sich hinstarrte.

„Aber dafür kannst du doch nichts?"

Harald nickte.

„Das stimmt."

Er beugte sich zu dem Jungen hinunter.

„Mädchen spinnen manchmal."

Valentin grinste.

„Wie die Jungs auch, aber anders."

Der Punkerin wurde es zu viel.

„Was willst du, Harald?"

„Ich will etwas kitten, was zusammengehört."

Thaos Gesicht blieb regungslos.

„Es ist vorbei. Wir haben uns da etwas vorgemacht."

Der hagere Arzt schüttelte erneut seinen Kopf.

„Nein. Genau das habt ihr nie, Thao. Sonst wärt Ihr nie so hart miteinander ins Gericht gegangen."

Thao dachte an den Abend in Hamburg zurück, an Karl und Sophie.

„Sophie hat dir doch einen Brief geschrieben und dir alles erklärt, oder nicht?"

Die Punkerin nickte.

„Valentin, fahr schon mal hoch zu den anderen, ich komm dann gleich nach."

Zögerlich griff der Junge in die Speichen seines Rollstuhls, wendete diesen geschickt und setzte ihn dann Richtung Parkplatz in Bewegung, auf dem schon einige Kinder miteinander spielten. Thao blickte ihm nach und wandte sich dann Karls Vater erstmals zu.

„Hast du Angst vor Schmerzen?"

Der hagere Mann nickte entschlossen.

„Natürlich! Wie jeder andere Mensch. Es sind Warnsignale, die ihre Bedeutung haben."

„Genau davor habe ich Angst bekommen, Harald. Karl und ich ... wir können uns so unglaublich wehtun. Ich halte das einfach nicht noch einmal aus, verstehst du?"

Karls Vater nickte.

„Das habe ich bei Katja auch immer gedacht. Und nun sieh dir das Ergebnis an. Wir lieben uns und werden es immer tun. Es gibt einfach keine Alternative. Vielleicht ist das so, wenn es gleich beim ersten Mal klappt."

Thao starrte vor sich hin, antwortete ihm nicht.

„Weißt du, was mich stört? Dass keiner von euch jemals den anderen hintergangen hat und Ihr beide es einander nicht glauben wollt. Das ist so unsagbar dämlich."

Das hübsche Gesicht der Punkerin färbte sich augenblicklich rot, bestürzt starrte sie den Mann neben sich an.

„Nein! Das hat er dir nicht erzählt, so weit würde er nicht gehen! Harald, das kann nicht wahr sein!"

Karls Vater nickte. Er dachte an den Tag zurück, an dem sein Sohn sich ihm anvertraut hatte.

„Doch, Thao. Er musste mit jemandem darüber reden und ich bin mir sicher, dass auch du es getan hast."

Das Punkermädchen starrte ihn weiterhin an.

„Weiß Katja ..."

Harald nickte abermals.

„Es ist eure Sache, Thao. Das geht niemanden etwas an, auch nicht meine Frau oder mich. Wir wünschen uns nur, dass Ihr beide glücklich miteinander seid, allein schon deshalb, weil es unserer Ansicht nach für Euch keine bessere Alternative gibt."

Thao schüttelte den Kopf.

„Ich habe sie aber gefunden, Harald."

„Du hast etwas gefunden, das es für dich erträglich macht. Aber denken musst du ständig an ihn, richtig?"

Sie sah ihm in die Augen und nickte.

„Darf er sich zu dir setzen?"

Thao zögerte, biss sich auf ihre Unterlippe.

„Und wenn es wieder nicht klappt? Es tut so weh, Harald."

Karls Vater legte seinen Arm um das Mädchen.

„Denk doch mal an all das Schöne zwischen euch, Thao. Ihr habt so viel in so kurzer Zeit miteinander erlebt und durchgemacht. Und ein paar blöde Momente können all das zerstören? Lass das nicht zu, Mädchen! Ich bitte dich darum! Nicht nur wegen Karl, sondern genauso wegen dir. Und ein klein wenig auch wegen Katja und mir. Wir alle vermissen dich einfach."

Thao wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und lachte schließlich gequält vor sich hin.

„Du kannst einen echt bescheuert machen. Weißt du das?"

Harald strich ihr über den Rücken.

„Kann ich ihn holen?"

Das Punkermädchen nickte, sah ihn aufstehen und zu den Baracken zurückgehen.

Ihr wurde regelrecht schlecht, als sie den Jungen an der Seite seines Vaters näherkommen sah. Auf den letzten Metern blieb Harald stehen, sprach kurz mit seinem Sohn und ging dann zu dem kleinen Flusslauf hinunter.

„Thao?"

Sie sah zu ihm hoch, rang mit ihren Gefühlen.

„Ich setze mich zu dir, ja?"

Die Punkerin schwieg und starrte weiterhin vor sich auf den Boden. Sie konnte mit dieser Situation nicht umgehen, fand keinen Anfang, der ihr akzeptabel schien.

Der Junge blickte sie an, kein Wort kam über seine Lippen. Stattdessen legte er seine linke Hand, nach oben hin offen, auf die Bank, sie musste nur danach greifen.

Minuten verstrichen, Karls Verzweiflung wuchs. Er wartete noch eine Weile, schloss dann seine Hand, zog sie zurück und drehte sich Hilfe suchend zu seinem Vater um.

Nach einer Viertelstunde gab er schließlich auf, erhob sich, um zu gehen. Noch einmal blickte er sich zu ihr um, sie aber starrte nur weiter vor sich hin. Der Junge war verzweifelt, doch was sollte er tun, wenn sie es war, die ihnen beiden keine Chance mehr geben wollte?

„Papa!?"

Harald sah zu seinem Sohn hinüber, der aber schüttelte seinen Kopf. Sie trafen sich auf dem Rasen und gingen gemeinsam zum Wagen zurück. Karl wollte bereits einsteigen, als sich ihm ein Mädchen in einem elektrischen Rollstuhl näherte und ihn fragend anblickte.

„Du bist der Karl, oder?"

Der Junge nickte.

„Will sie dich nicht mehr?"

Er sah das Mädchen erstaunt an.

„Anscheinend nicht."

Die Kleine grinste frech.

„Die lässt dich nur schmoren. Sie ist total verknallt in dich."

Harald lauschte dem Gespräch und lächelte zu den beiden hinüber.

„Wie heißt du denn, Kleine?"

„Ich bin die Anna. Thaos beste Freundin."

Die kecke Art des Mädchens belustigte den Jungen und entlockte ihm ein Lächeln.

„Und wie soll ich sie mir wiederholen?"

Das Mädchen lachte.

„Na küssen musst du sie, du Depp!"

Laut lachend setzte sie den Rollstuhl in Bewegung und fuhr davon. Karl starrte ihr nach, dann blickte er seinen Vater ratlos an.

„Mach, was sie gesagt hat. Schaden kann es nicht."

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