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Argonauta Kapitel 12-22

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„Tu das", sagte Frank aufmunternd und klopfte ihr auf die Schulter. „Wenn du Hilfe brauchst, wir können uns gern zusammensetzen und deinen Fall gemeinsam durchgehen."

„Das würdest du tun? Du hast doch selbst so viel zu tun", sagte Annie.

„Manchmal muss man sich mit irgendetwas anderem ablenken, wenn man beim eigenen Fall nicht weiter kommt. Außerdem ... ich mag dich. Du hast ein gutes Bauchgefühl, das merkt man."

Annie spürte, wie sie errötete. „Danke, aber ich glaube, dass ich das Angebot nicht annehmen kann."

„Natürlich kannst du", sagte er. Dann drehte er sich zum Gehen um.

Plötzlich hatte Annie eine Eingebung.

„Hey, Frank?", sagte sie.

Goldstein blieb stehen und drehte sich um. „Ja?"

„Du hast doch etwas von Schuhabdrücken gesagt, die ihr an eurem Tatort gefunden habt."

„Ja, stimmt. Wir haben einen gefunden."

„Kannst du mir sagen, was für einer das war?"

„Da müsste ich in meinen Notizen nachschauen, warte kurz."

Er zückte einen kleinen Notizblock. Frank blätterte einige Seiten herum, dann sagte er: „Turnschuhe von Adidas.

„Weißt du auch, welche Größe?", hakte Annie aufgeregt nach.

„Augenblick ... Größe zweiundvierzig."

Kapitel 20: Montana

Renner brüllte wie am Spieß. Nicht so sehr, weil die Wunde in seinem Oberarm heftig pochte und schmerzte, sondern weil er wütend war. Wütend auf das Arschloch, das ihn abgestochen hatte. Wütend auf Jürgens, dem er die ganze Scheiße zu verdanken hatte. Und wütend auf sich selbst, weil er auf diesen billigen Taschenspielertrick hereingefallen war wie ein Amateur. Provisorisch hatte er die Wunde mit einem Stoffstreifen abgebunden. Mehr konnte er im Augenblick ohnehin nicht tun. Singer hatte die Schlüssel, also war er vorerst in seinem Gefängnis eingesperrt, bis Jürgens ihn befreien kommen würde.

Natürlich hatte er sein Smartphone nicht bei sich gehabt, als Singer ihn mit der Glasscherbe abgestochen hatte. Es hätte ihm ohnehin nichts genutzt, denn in diesem Bunker unter der Erde gab es keinen Empfang.

Wutentbrannt schnaubte Renner und während er wartete, schmiedete er finstere Rachepläne. Wenn er Singer in die Finger bekam, würde er ihm die Kehle durchtrennen, ihm die Eier abschneiden und sie dem hässlichen Sack in die Fresse stopfen. Oder er würde ihn mit Benzin übergießen und ihn dann anzünden wie eine Strohpuppe. Oder ... Nein, das würde Jürgens sowieso nicht erlauben. Im Augenblick war Singer unantastbar. Leider brauchten sie den Kunsthistoriker lebend, vorerst zumindest. Wenn sie aber erst hatten, was sie wollten, dann würde Singer eines grausamen Todes sterben.

Renner hatte viel Blut verloren. Die Wunde hatte zum Glück endlich aufgehört zu bluten, nachdem er sie abgebunden hatte. Er fühlte sich trotzdem benebelt. Sein Blick war verschwommen und es kostete ihn Mühe, wach zu bleiben. Immer schwerer wurden seine Augenlider, fielen immer wieder zu. Seine Gedanken drifteten fort in die Vergangenheit. Wann war er zuletzt so rasend vor Wut gewesen, wie in diesem Augenblick?

Plötzlich war er wieder in Montana. Dorthin war er gekommen, kurz nachdem seine Mutter und ihre Freundin den Tod gefunden hatten. Renner war nun eine Vollwaise und noch zur Schule gegangen, hatte für seinen Lebensunterhalt also noch nicht selbst sorgen können. Also hatte das Jugendamt seinen Onkel mütterlicherseits als vorläufigen Vormund für ihn bestimmt. Bis er auf eigenen Beinen stehen konnte, sollte er bei seinem Onkel leben. Onkel Bill hatte eine riesige Pferderanch in Montana. Es war im Grunde genommen ein gigantisches Gestüt, das immer viel Arbeit machte und doch kaum etwas abwarf. Onkel Bill hatte deshalb beinahe immer Geldsorgen. Deshalb kam ihm der verzogene Sohn seiner verstorbenen Schwester gerade recht. Renner war zwar dürr und mager. Trotzdem schonte er ihn nicht und ließ ihn die härteste körperliche Arbeit verrichten. Tagelang musste Thomas unter sengender Gluthitze die morschen Zäune reparieren. Als Vormund hatte sein Onkel auch das Recht erwirkt, über Thomas' Erbe verfügen zu dürfen. Bis heute wusste Renner nicht, wie der Alte es genau angestellt hatte, dass er sich das Vermögen, das eigentlich ihm hätte gehören sollen, hatte unter den Nagel reißen können. Doch anstatt das Geld klug in den Ausbau seiner Ranch zu investieren, hatte er es verzockt. Bill hatte ein notorisches Spielproblem und so verlor er schleichend Renners gesamtes Vermögen an die Spielbanken und an zwielichtige Kredithaie. Was nicht für seine Spielsucht drauf ging, das versoff der Alte im Pub. Onkel Bill war eigentlich immer blau, immer schlecht gelaunt und immer ein Arschloch.

Renners einziger Lichtblick während dieser Zeit war Emily.

Emily war Bills Tochter, seine Cousine, und die schönste Frau auf Erden, fand er. Genau wie er, war sie damals gerade achtzehn gewesen und bildhübsch. Ihr sommersprossiges Gesicht, ihre lockige dunkelhaarige Mähne und ihr etwas burschikoses Auftreten ließen sie auf den ersten Blick als sprödes Mauerblümchen erscheinen. Aber hinter der Fassade verbarg sich eine edle Rose, die immer dann zum Vorschein kam, wenn Emily auf ein Pferd stieg. Emily war eine begnadete Reiterin. Sie verbrachte mehr Zeit auf dem Rücken eines Pferdes als in der Schule und sie war sehr begabt. Egal ob Geländelauf, Hürden oder Dressur - in jeder Disziplin glänzte sie und sie war auf einem guten Weg, eines Tages die beste Vielseitigkeitsreiterin des Bundesstaates Montana zu werden, vielleicht würde sie sogar irgendwann einmal bei den Olympischen Spielen teilnehmen und um Gold kämpfen.

Die Verwandlung Emilys setzte immer ein, wenn sie an einem Turnier teilnahm. Dann bändigte sie ihre widerspenstigen Haare mit einem Glätteisen und in ihrem Kostüm sah sie wie ein Engel aus. Sie hatte dann gar nichts Tomboyartiges mehr an sich, sondern war eine elegante Dame, die jeder Junge im Ort gerne als Freundin gehabt hätte. Obwohl sie seine Cousine war, verliebte Renner sich in sie. Bis heute war sie die einzige Frau, die er wirklich geliebt hatte.

Die Anziehung beruhte auf Gegenseitigkeit. Obwohl Emily jeden im Dorf hätte haben können, hatte sie Gefühle für ihn, Thomas, entwickelt, ihren gleichaltrigen, pickeligen, schmächtigen Cousin. Auch wenn es offiziell nicht verboten war, dass Cousin und Cousin sich lieben durften, blieben sie nur ein heimliches Liebespaar. Sie hatten beide keine Lust darauf, zum Gesprächsthema des Dorffunks zu werden. Also trafen sie sich für ihr zärtliches Liebesspiel immer nur heimlich. Auf dem Heuboden gaben sie sich ihrer Lust öfter hin. Ab und zu auch am Flussufer, wenn sie wieder einmal mit den Pferden ausgeritten waren. Stundenlang liebten sie sich im hohen Gras und trösteten sich so gegenseitig, wenn Onkel Bill wieder einmal total blau und jähzornig war.

Dann eines schönen Sommertages passierte es schließlich. Thomas arbeitete gerade im Pferdestall und war damit beschäftigt, die Boxen zu reinigen, als Emily völlig aufgelöst bei ihm erschien. Ihr Gesicht war tränenverquollen und sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Kleidung in Fetzen. Ihr Blick war völlig weltentrückt und leer, dass es ihm kalt über den Rücken lief.

„Was ist passiert?", fragte Thomas besorgt.

Alles, was Emily hervorbrachte, war ein ängstliches Wimmern. Es dauerte Stunden, bis sie sich ihm endlich öffnete. Was sie ihm erzählte, ließ ihn das Blut in den Adern gefrieren.

Onkel Bill war ein noch größeres Schwein als er gedacht hatte. Vollkommen vom Alkohol umnebelt, hatte der Fettsack sich an seiner eigenen Tochter vergangen. Natürlich traute Emily sich nicht, die Vergewaltigung anzuzeigen.

„Er ist immer noch mein Vater", sagte sie. In den nächsten Tagen versuchte sie, weiter zu machen, als wäre nichts geschehen. Doch Thomas sah, dass es sie innerlich zerriss. Er sah, dass seine geliebte Cousine nur noch eine Hülle war, die funktionierte, aber nicht mehr lebte.

Auch Bill machte weiter wie bisher. Er trank, spielte und brüllte weiter und wurde immer gewalttätiger. Er schlug Emily grün und blau, doch statt dagegen anzukämpfen, fügte sie sich in ihr Schicksal und wurde immer kleiner und kleiner.

Ihre Reitkarriere ging zuerst den Bach hinunter. Bei einem sehr entscheidenden Tournier, bei dem auch finanzkräftige Sponsoren auf der Suche nach neuen Talenten zugegen waren, verlor sie die Nerven. Im entscheidenden Augenblick stürzte sie mit ihrem Pferd. Emily verlor nicht nur das Tournier und einen wichtigen Sponsor, sie stürzte derart unglücklich, dass sie sich gleich zwei Halswirbel brach. Einer Versteifung der Wirbel konnte sie nur dadurch entgehen, dass ein junger, motivierter Assistenzarzt eine neue, riskante Operationsmethode vorschlug, bei der die Wirbelkörper durch ein künstliches Implantat ersetzt wurden. Trotzdem bedeutete der Unfall das abrupte Ende ihrer Karriere, noch bevor sie so richtig begonnen hatte.

Frustriert darüber, dass mit einem Mal all ihre Träume geplatzt waren, ließen ihre schulischen Leistungen nach. Hilflos musste Thomas mit ansehen, wie Emily dabei war, sich ihr Leben zu verpfuschen. Dabei hätte sie im Grunde genommen froh darüber sein müssen, dass sie noch gehen konnte, denn sie hätte sich bei ihrem Sturz auch eine Querschnittslähmung zuziehen können.

Onkel Bill interessierte das Schicksal seiner Tochter in keiner Weise. Im Gegenteil, er trank mehr denn je und gab Emily allein die Schuld an allem, denn nachdem seine Tochter nun nicht mehr das talentierte Aushängeschild war, ging es mit der Ranch noch steiler bergab. Niemand wollte mehr ein Pferd vom einst so hochgelobten Bill kaufen. In den Ställen wurde es leerer und leerer, die Pferdetrainer suchten sich einen sichereren Arbeitsplatz bei der Konkurrenz, die Ranch stand am Ende. Und Bill tat alles dafür, den Ruin seines Lebenswerks noch schneller voranzutreiben. Doch das Schlimmste war, dass er seine Tochter mit in den Abgrund zog.

Schließlich erkannte Thomas, dass Bill nicht besser als dessen Schwester, seine Mutter, war und Emily erst wieder frei sein würde, wenn ihr Vater starb. Onkel Bill hatte in Thomas' Augen jedes Recht auf ein Weiterleben verwirkt und so fasste er einen Plan.

Eines Tages schlich Thomas sich heimlich aus der Schule und machte sich auf den Weg zur Ranch. Zwei Stunden später kehrte er wieder in die Schule zurück. Niemand hatte bemerkt, dass er fort gewesen war. Niemand, außer Emily.

„Wo bist du gewesen?", fragte sie.

„Nirgends", antwortete er ausweichend.

Als er und Emily dann am frühen Abend wieder nach Hause kamen, war der Sheriff schon da gewesen und wartete vor der Tür. Seine Miene war ernst und mitleidig.

Es habe einen Unfall gegeben, sagte er. Bill habe versucht, den Traktor vor der alten Scheune zu reparieren. Dabei müsse sich aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen die Handbremse gelöst haben. Das schwere Gerät habe sich in Bewegung gesetzt und Bill überrollt. Der Tod sei auf der Stelle eingetreten, Bill habe nicht leiden müssen. Eine schreckliche Verkettung höchst unglücklicher Umstände.

Thomas wusste es besser. Er selbst hatte Bill mit dem Traktor überfahren und es dann wie einen Unfall aussehen lassen. Die Polizei schöpfte keinen Verdacht. Für sie war alles ein dummer Zufall, traurig, aber so etwas passierte nun mal. Der Sheriff drückte noch einmal sein Mitgefühl aus und damit war die Sache für ihn erledigt.

Emily ahnte sofort, was wirklich passiert sein musste.

„Wie konntest du nur?", zischte sie wütend und verpasste Thomas eine Ohrfeige.

„Ich musste es tun", antwortete er. „Er hat dein Leben zerstört!"

„Er war mein Vater!", schrie sie.

„Nein, das war er nicht", versuchte Thomas, sich zu rechtfertigen. „Er war dein biologischer Erzeuger, mehr nicht. Er hat sich doch nie um dich gekümmert und dir die schlimmsten Dinge angetan."

„Du hattest trotzdem nicht das Recht, über ihn zu richten!"

„Wer dann? Du wolltest ihn doch nicht anzeigen! Oder meinst du, der liebe Gott hätte über ihn gerichtet? Wach auf, Emily, es gibt keine Gerechtigkeit auf der Welt. Wenn man Gerechtigkeit will, muss man die Dinge selbst in die Hand nehmen."

Von da an änderte sich Emilys Leben. Kaum war Bill unter der Erde, fing sie sich wieder. Ihre schulischen Leistungen wurden besser und sie bestand mit Auszeichnung. Die Ranch war nicht mehr zu retten, trotzdem schaute sie nach vorn. Da sie Alleinerbin war, verkaufte sie die Ranch und finanzierte sich damit ihren neuen Lebenstraum, sie studierte Tiermedizin.

Doch das erfuhr Thomas nicht mehr von ihr, sondern nur durch Hörensagen. Emily konnte ihm nicht verzeihen, dass er ihren Vater getötet hatte. Auch wenn er sie damit gerettet hatte, schlug ihre Liebe zu Thomas in blanken Hass um und sie forderte ihn auf, aus ihrem Leben zu verschwinden und nie wieder zurück zu kommen. Andernfalls würde sie zur Polizei gehen und dem Sheriff mitteilen, dass ihr Vater keineswegs durch einen Unfall gestorben war.

Thomas kehrte Montana den Rücken. Bis heute war er nicht wieder dorthin zurückgekehrt. Emilys Schicksal verfolgte er einige Zeit lang aus der Ferne. Sie schloss ihr Studium erfolgreich ab, eröffnete eine eigene Praxis für Kleintiere und Pferde, heiratete und bekam zwei Kinder. Er hatte immer gehofft, dass es für ihn doch noch ein glückliches Ende geben würde und Emily ihm eines Tages verzeihen würde. Doch schließlich akzeptierte er, dass er sie für immer verloren hatte und beschloss, weiter zu machen mit dem, was er gut konnte, nämlich zu töten. Er hatte drei Menschen ermordet, auf den einen oder anderen mehr kam es dann nicht mehr an.

Das Schlurfen von Schritten auf der anderen Seite riss ihn aus seinen Erinnerungen.

„Aufmachen!", brüllte er.

Kurz darauf öffnete sich die Tür. Jürgens.

„Was, um alles in der Welt, ist passiert?", fragte der Alte erschrocken.

„Das Arschloch hat mich abgestochen!", zischte Renner und als er sich aufrichtete, durchfuhr glühender Schmerz seinen Oberarm.

„Wo ist der Professor?", fragte Jürgens, den die Verletzung an Renners Arm offenbar überhaupt nicht interessierte.

„Abgehauen. Aber keine Angst, der kommt nicht weit. Der entkommt mir nicht. Und dann werde ich ihn ... "

„Gar nichts werden Sie tun", sagte Jürgens ruhig. „Wir brauchen ihn lebend. Wenn wir erst den Schatz haben, können Sie mit ihm machen, was Sie wollen - nicht eher. Verstanden?"

„Ja, Sir."

„Gut. Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie Ihren Fehler wieder gut machen und den Professor wieder einfangen."

Kapitel 21: Leviathan Teil 1

Der Morgen zeigte sich von seiner allerschönsten Seite. Der Himmel leuchtete in den unterschiedlichsten Farbtönen über blassblau, zartrosa, safrangelb und leuchtend rot, als die Sonne allmählich am Horizont aufging. Doch schon kurz nach Morgenaufgang verdunkelten dichte Wolkenvorhänge den Himmel. Der Wind frischte auf und ein Sturm kündigte sich an.

Allmählich machte sich der Muskelkater als stechendes Brennen bemerkbar, welches jedes Mal ihren Körper durchfuhr, wenn sie sich rührte. Der gestrige Tag war anstrengender gewesen als gedacht. Das stundenlange Waten durch den Schlick von einem Nest zum nächsten forderte nun seinen Obolus.

Obgleich gefühlt jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schmerzte, hatte Julia es sich nicht nehmen lassen, den bezaubernden Sonnenaufgang zu genießen. Verträumt hatte sie auf die schier endlose Wasserfläche hinausgeschaut und beobachtet, wie das Spiegelbild der aufgehenden Sonne in den sich brechenden Wellen zu tanzen schien. Nun schoben sich die Wolken vor den glühenden Ball. Der Wind frischte auf und augenblicklich wurde es unangenehm kalt.

In der Hand hielt sie einen Becher dampfenden Kakao, um sich zu wärmen. Eine kräftige Brise zerrte an ihren Haaren und ließ sie frösteln.

Ein Sturm wird kommen.

Obwohl es ihr schwer fiel, ihren Blick von dem dramatischen Schauspiel am Himmel zu lösen, beschloss sie, kurz in ihre Kajüte zurückzukehren und sich ihre Lieblingslederjacke überzuziehen. Ihre vor drei Jahren gestorbene Großmutter hatte sie ihr vor vielen Jahren geschenkt. Das Teil hatte zweifelsfrei schon bessere Tage hinter sich, aber sie brachte es einfach nicht übers Herz, sich davon zu trennen. Allein der Geruch des weichen Leders ließ immer wieder aufs Neue die Erinnerungen an ihre liebevolle Omi aufleben.

Julia trank ihren Becher leer. Sie schritt über das Arbeitsdeck und betrat über den offen stehenden Schott das Labordeck. Noch war es ruhig in den Labors. Sie hatte geglaubt, wenigstens der Professor würde schon arbeiten, aber anscheinend schlief auch er noch. Kein Wunder, das Frühstück würde erst in einer knappen Stunde serviert werden.

Sie ging an den Laboren vorbei und stieg die Treppe ein Deck höher. Ihr Weg führte sie an Florians Kajüte vorbei.

Ob er noch schlief? Oder war er auch schon wach? Für einen winzigen Augenblick war sie versucht, an seiner Tür zu klopfen. Ihr Arm hob sich schon in die Luft, als sie in ihrer Bewegung innehielt.

Was sollte das nur schon wieder? Sie hatten sich einen Abend lang zugegebenermaßen ganz nett unterhalten. Aber hatte sie etwa vergessen, wer er war? Wie bescheuert er sich ihr gegenüber verhalten hatte? Also ließ sie es bleiben und ging in ihre Kajüte.

Melina schlummerte noch tief und fest. Sie war nackt und hatte ihren wunderschönen Körper in ihre Decke eingehüllt. Sie lag auf dem Rücken und schnarchte leise. Julia überlegte, ob sie nicht einfach zu ihrer Freundin unter die Decke schlüpfen sollte und ...

Nein, die Vorstellung war zwar verlockend, aber sie sollte wieder nach draußen. Also schnappte sie sich ihre Jacke und schlich dann so leise wie möglich, damit sie Melina nicht weckte, wieder aus dem Zimmer.

Sie schloss die Tür hinter sich und ging den Flur entlang Richtung Treppe. Sie hüpfte, gleich mehrere Stufen auf einmal nehmend, nach unten und stieß plötzlich mit einem festen Leib zusammen. Der Aufprall war so heftig, dass sie für einige Sekunden Sterne tanzen sah. Sie stolperte nach hinten und konnte gerade so noch einen Sturz verhindern.

„Autsch! Kannst du nicht aufpassen, du dämliche Kuh?", zischte es wütend.

„Pass doch selber auf!", giftete Julia zurück.

Sie war in Eric McKenna gerauscht, den ersten Offizier. Natürlich. Ausgerechnet in den Mann an Bord, der sie wohl am wenigsten ausstehen konnte. Das hatte der Riese mit den weichen Gesichtszügen sie schon am allerersten Tag ihrer Begegnung mehr als deutlich spüren lassen. Bislang waren sie und der erste Offizier sich zum Glück nur flüchtig begegnet. Doch dass das nicht ewig so sein würde, war Julia von Anfang an klar gewesen.

„E ... E ... Entschuldigung", stammelte Julia, um die peinliche Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen. „Es tut mir furchtbar leid. Ich wollte wirklich nicht ... "

„Schon gut, Püppchen", unterbrach McKenna sie barsch, „geh mir einfach aus dem Weg."

Julia trat zur Seite. Der Hüne quetschte sich an ihr vorbei.

„Du hättest mich wenigstens fragen können, ob ich mir etwas getan habe", maulte Julia.

„Wieso? Ist doch nichts passiert", grummelte McKenna wie ein schnaubendes Walross und stapfte davon.

Immer noch ärgerlich über die unfreundliche Begegnung mit dem ersten Offizier, setzte Julia ihren Weg fort. Bei McKenna hatte sie eindeutig keinen Stein im Brett und dieser Zusammenstoß hatte seine schlechte Meinung über sie ganz bestimmt nicht verbessert. Sie beschloss, McKenna einfach so gut es ging zu meiden. Plötzlich schien ihr Florian ein im Vergleich zu diesem Rüpel wahrhaft angenehmer Genosse zu sein, ja geradezu sympathisch.

Augenblick, hielt Julia inne, habe ich Florian gerade wirklich als sympathisch bezeichnet? Der Zusammenprall hatte doch wohl nicht etwa irgendwie bei ihr ein Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst?

Kopfschüttelnd über sich selbst ging sie weiter und war bald schon wieder draußen auf dem Arbeitsdeck. Die Sonne war inzwischen hinter dichten Wolken verschwunden.

Sie ging zur Reling und schaute wieder dem dramatischen Wetterschauspiel zu.

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