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Der Kassandra-Komplex

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Selbstverständlich half ich ihr bei ihrem Umzug. Schon am nächsten Tag. Ritterlichkeit ist nicht nur eine Tugend, sondern ein Wesenszug des preußischen Offiziers, hatte mein Generalleutnant immer gesagt.

Kein archaisch-deplatzierter Spruch von ihm, er lebte das und verstand sich zurecht so. Eine Ahnenreihe im Offiziersgeschlecht, die hundertsechzig Jahre zurückreichte. Einen Großvater, der seine Haltung und Integrität als Mitwirkender am Attentat an Hitler mit dem Leben bezahlte.

Ihr untreuer Gatte war nicht zugegen. Mitwirkender in einem Drama wurde ich entgegen schlimmer Befürchtungen meinerseits bei der Abholung ihrer "paar Sachen" also nicht. Obwohl wir dreimal fahren mussten. Sie hatte nicht übertrieben, wer Bücherkisten professionell bewegte wie ich, wusste auch ohne Augenschein, was sich in vielen ihrer Umzugskisten befand.

Im Verlauf des Tages hatte ich versucht, mich mit dem gerade Geschehenen auseinanderzusetzen. Der Situation das Beste abzugewinnen. Gut, es war kein weiser alter Mann, der mir Denkanstöße und Anekdoten aus dem Fundus seines langen Lebens geben würde. Aber ich hätte nun Gelegenheit, das mir unbekannte Wesen aus nächster Nähe zu studieren, was mir bis dato versagt geblieben war.

Hatte zudem die Möglichkeit, mit jemandem den Alltag zu bestreiten und zu teilen. Wenn ich ehrlich war, fehlte mir das bereits ungemein. Die gemeinsamen Mahlzeiten mit meiner Mutter, die Berichte von unseren kleinen Erfolgen und Niederlagen, oder skurrilen Ereignissen, die an Frequenz und Absurdität immer mehr zuzunehmen schienen.

Die Welt dreht durch, hatte meine Mutter immer wieder gesagt. Kein Wunder, dass uns dabei schwindelig wird. Unsere Weltbilder waren nie deckungsgleich gewesen, aber die gleichen Folgerungen schienen wir trotzdem zu ziehen. Ihr scharfer Verstand fehlte mir. Mein Vater hatte viel gedacht, aber nur wenig davon preisgegeben. Das war bei ihr anders gewesen.

Anpacken konnte sie, das musste man Claudia lassen. Ihre Hilflosigkeit erstreckte sich nur auf ihren prekären emotionalen Zustand. Wie ich ihr hier unter die Arme greifen konnte, wollte mir allerdings nicht aufscheinen. Mein psychologisches Halbwissen konnte da sicher nur mehr Schaden als Nutzen bringen. Es war auch sicher nicht Teil des Untermietvertrags, den ich noch am späten Abend formuliert hatte.

Der ein Entgegenkommen an beide war. Keine Kaution, nur ein Monat Kündigungsfrist. Eine temporäre Vereinbarung, mit der wir beide gut leben konnten. Hatte sie sich beruhigt und ihr Leben ebenso, würde sie weiterziehen und ich konnte diese, wie viele andere Erfahrungen zuvor, unter "erlebt, besser nicht wiederholen" abheften. Eine gewisse Neugier und vielleicht sogar Vorfreude auf sie und die Zeit mit ihr bemerkte ich allerdings an mir auch.

Sie half mir, den breiten und schweren Lieblingssessel meiner Mutter in den Keller zu tragen. Ich hatte ohnehin Sperrmüll beantragen wollen, nicht nur auf dem Balkon hatte sich einiges angesammelt.

"So, das haben wir. Du möchtest doch sicher mit dem Einräumen beginnen?", schloss ich von mir auf ihre Vorhaben.

"Nein, das hat Zeit, ich habe mir bis Ende der Woche freigenommen. Ich finde, wir sollten ein Glas Wein trinken und uns näher kennenlernen", entgegnete sie zu meiner Überraschung.

Hm, eine Gelegenheit, sie mit den Regeln und Abläufen vertraut zu machen? War das Gerücht wahr, dass Frauen endlos viel Zeit im Bad verbrachten? Meine Mutter hatte dies nicht getan, mal abgesehen von den letzten Jahren aufgrund der Krankheit. Ja, es gab meinerseits erhebliche Informationsdefizite. Auf eine Situation, die man nicht kennt, kann man sich nur schwerlich einstellen.

"Gerne. Wie du möchtest. Ich habe eine Auswahl an trockenem Bordeaux oder einigen Chablis, wenn dir der Sinn mehr nach Weißwein steht."

Sie ließ sich die Auswahl zeigen und wählte zielsicher die beste und schwerste rote Variante. Gut, eine erste Gemeinsamkeit. Notfalls konnten wir uns gemeinsam den Kopf zudröhnen, wenn alles andere versagte. Hatte mit meinen Kameraden oft genug funktioniert. Wenn auch auf weit weniger zivilisiertem Niveau.

Nur das Geräusch einer in nächster Nähe explodierenden improvisierten Bombe, oder IED, kriegt man so nicht aus dem Bewusstsein. Die Schreie der Verletzten, die sich über den Tinnitus hinwegheben, aus dem satten dumpfen Schock mitten hineingeraten und mehr oder minder unverletzt die Sache überstanden zu haben, der gleich der Nachwirkung der Explosion, alle anderen Geräusche wie in Watte dämpfte.

"Was machst du beruflich?", versuchte ich das Gespräch in Gang zu bringen, weil ihre stumme Musterung meiner Person mich langsam nervös machte.

"Ich bin Physiotherapeutin an der Universitätsklinik. Allerdings arbeite ich nur zwanzig Stunden die Woche, ich teile mir den Arbeitsplatz sozusagen mit einer Kollegin."

Aha, dann machte ihr finanzieller Engpass mehr Sinn. Sie sah mich prüfend an.

"Hast du irgendwelche Schmerzen, bei denen ich dir vielleicht helfen kann?"

"Nein, wie kommst du darauf?", gab ich verblüfft zurück.

"Du sitzt kerzengerade, als ob du eine Rückenverletzung hast und so versuchst zu kompensieren. Ich wollte dich eigentlich schon fragen, als wir die Sachen geschleppt haben, nicht, dass du dir einen Hexenschuss holst."

"Ehm... nein", erwiderte ich lächelnd. "Ich praktiziere nur den aus der Mode geratenen aufrechten Gang."

"Verstehe. Nun, das versuche ich zwar auch, aber bei dir wirkt das etwas unnatürlich. Ich beschäftige mich mit Yoga und Bioenergetik, vielleicht wäre das auch was für dich, um etwas lockerer zu werden. Du bist schließlich nicht mehr beim Militär, also brauchst du keinen Panzer, oder?"

Oje. Zum einen war mir nicht hundertprozentig klar, was sie mit Panzer meinte, vermutete aber schon, dass sie damit auf meinen Körper anspielte. Zum anderen erhärtete ihre Yoga-Referenz meinen Verdacht, dass ich bald in den zweifelhaften Genuss des Duftes diverser Räucherstäbchen kommen könnte.

"Ehm... nein, ich halte mich einfach gerade, das mag unnatürlich wirken, aber ich empfinde es als eine ganz natürliche Körperhaltung."

"So, so. Nun... jetzt wirkst du aber gerade auf mich, als ob du total angespannt bist... bleib locker, ich tue dir schon nichts."

Haha. Irgendwie von diesem Thema ablenken.

"Ich habe diesbezüglich keinerlei Befürchtungen und zudem eine Nahkampfausbildung genossen. Etwas ungewohnt ist die Situation sicher, weil ich bislang vornehmlich mit Männern zusammengelebt habe, von meiner Mutter einmal abgesehen...", versuchte ich die Kurve zu kriegen. Aber mit denen hatte ich wie gesagt nicht immer Glück.

"Den Eindruck hatte ich allerdings. Du hast noch nie in einer deiner Beziehungen mit einer Frau zusammengelebt?", wollte sie wissen.

"Ehm... nein, weil ich eine solche bislang noch nicht hatte. Ich bin eher ein Einzelkämpfer", versuchte ich einen zugegebenermaßen lahmen Scherz.

Sie sah mich verblüfft und dann fast besorgt an.

"Alles klar, verstehe. Du kommst mit deiner Homosexualität nicht zurecht?", kam die Rückfrage.

Ich räusperte mich, bevor ich mit einem verunglückten Lächeln antwortete.

"Damit käme ich wunderbar zurecht, allerdings ist dies keineswegs meine Orientierung. Ich bin nicht homosexuell", klärte ich ihren Fehlschluss auf.

Da das Gespräch wieder in Regionen abgeglitten war, die mir unangenehm waren, versuchte ich einen erneuten Themenwechsel.

"Wir haben noch nicht über Abläufe und Ähnliches gesprochen", setzte ich an.

"Abläufe?"

"Nun, Badezimmerroutinen, Mahlzeiten, also ob wir diese gemeinsam oder getrennt kochen und einnehmen, Abwasch, Putzen, so etwas halt."

"Was meinst du mit Badezimmerroutinen?"

"Ehm... ich stehe beispielsweise um 6:15 Uhr auf, rasiere und dusche mich bis circa 6:35 Uhr, frühstücke dann um 6:45 Uhr...", begann ich, bis mich ihr Lachen stoppte.

"Du bist gedanklich immer noch beim Bund, was? Ich denke, das bekommen wir hin. Wenn das Bad besetzt ist, ist es eben besetzt. Ich bin flexibel. Ich stehe etwas früher auf, mache dann aber erst einmal eine halbe bis eine Stunde Yoga. Ich hoffe, es ist dir recht, wenn ich das im Wohnzimmer mache? Ich werde das Zimmer ja noch umräumen, so wie die Sachen im Moment stehen, fehlt es dafür etwas an Platz."

Oh Jammer, sie hatte flexibel gesagt. Also würde sie das von mir auch erwarten.

"Nun gut... ehm... ja, sicher geht das hier im Wohnzimmer..."

"Wunderbar. Was gemeinsame Mahlzeiten anbelangt... klar, gerne, das macht Sinn. Ich kann nebenbei gut kochen, wir können gerne abends zusammen essen, gern auch zusammen kochen. Morgens könnte das ein Problem werden, wenn ich erst um 6:48 Uhr fertig werde...", spöttelte sie gnadenlos weiter.

"Komm, das findet sich alles", schloss sie an, als sie meinen säuerlichen Gesichtsausdruck bemerkte. "Etwas anderes: Kannst du mir morgen früh noch die Waschmaschine erklären, bevor du gehst? Ich war in den letzten Tagen zu sehr mit Heulen beschäftigt, um mich um Wäsche und so etwas zu kümmern. Ich hab fast keine saubere Unterwäsche mehr..."

"Selbstverständlich. Ich zeige dir dann den Trockenraum im Keller."

"Prima, aber du hast doch bestimmt einen Wäscheständer, wenn du im Sommer sonst auf dem Balkon aufhängst? Wegen solcher Kleinteile bräuchte ich da sicher nicht runterzulaufen, manches muss ich auch mit der Hand waschen..."

"Ja, in dem Flurschrank", entgegnete ich, von der Idee in meinem Bad, oder sonst irgendwo mit ihrer Unterkleidung konfrontiert zu werden, unangenehm berührt.

"Super. Müssen wir noch etwas klären? Wann ist der Zapfenstreich?"

Sie hielt sich offenbar für witzig.

"Zwischen 23:03 Uhr und 23:07 Uhr, ich bin da auch ganz flexibel", gab ich im gleichen Tenor zurück. "Vielleicht Abwasch, Putzen..."

"Wie wir Zeit haben, würde ich sagen. So sauber wie bei dir, war es bei uns allerdings nie. Keine Bange, ich passe mich schon an deine Routinen und Wünschen an. Immerhin bin ich es, die so unvermittelt in dein Leben einbricht."

Ah, ein Zugeständnis, auf dem ich sie bei passender Gelegenheit vielleicht einmal festnageln konnte. Sie lächelte sanft und spielte mit einer Strähne ihrer Haare. Was für ein Unterschied zum gestrigen Tag, wo sie blass und fertig ausgesehen hatte. Sie wirkte nun gelöst und befreit, hatte wieder Farbe im Gesicht. Die vorherige Wohnsituation musste ein ungeheurer Druck auf ihr gewesen sein.

"Manni passt nicht zu dir", meinte sie plötzlich. "Immanuel ist doch ein wunderbarer Name. Er passt zu dir, also werde ich dich so nennen. Allein schon wegen deiner Kantigkeit."

Nun musste ich doch grinsen. Gut, eventuell sie hielt sich nicht nur für witzig. Nur meine Mutter und mein Vater hatten mich Immanuel genannt. Warum nicht auch sie. Und bildungsmäßig war sie offenbar ebenfalls nicht unbedingt im Nachteil. Beruhigend.

"Einverstanden. Möchtest du noch ein Glas Wein?"

"Gerne, obwohl der ganz schön in den Kopf geht. Du versuchst doch wohl hoffentlich nicht, mich besoffen zu machen und dann gleich in der ersten Nacht ins Bett zu ziehen?"

Fast hätte ich als Folge den Wein neben ihr Glas geschüttet. Erschrocken sah ich sie an.

"Das würde ich niemals... auf keinen Fall...", stammelte ich verwirrt.

"Immanuel, Immanuel... ich sehe schon, nicht nur dein Körper könnte einiges an Lockerungen gebrauchen. Das war selbstverständlich nicht ernst gemeint. Und wäre auch gar nicht so einfach, ich habe den Ruf, einiges zu vertragen. Bis ich wieder wirklich an Sex mit Männern denken kann, vergeht sicher noch einige Zeit, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Apropos, da sind wir vorhin vom Thema abgekommen, was meintest du damit, dass du noch nie eine Beziehung gehabt hast?"

In dem Abbild meines Gesichts auf dem Kristallweinglas konnte ich erkennen, dass ich von ihrem "Scherz" richtig rot geworden war. Eine gewisse Peinlichkeit hatte nun gleichfalls das Thema, zu dem sie jetzt zurückkehren wollte.

"Es ist so, wie ich es gesagt hatte. Ich habe bislang keinerlei Liebesbeziehungen geführt. Mein Interesse an Frauen ist eher akademisch", fügte ich noch hinzu, im selben Augenblick erkennend, wie quer das für eine Außenstehende klingen musste.

"Du bist ja niedlich... eher akademisch. Ich sehe schon, wir werden eine Menge Spaß miteinander haben", entgegnete sie mit feinem Lächeln.

Niedlich war ich meinem Leben allerdings noch nicht genannt worden. Und wurde den Eindruck nicht los, dass dieser "Spaß" vornehmlich auf meine Kosten gehen würde.

"Und warum?", riss sie mich aus meinen Gedanken.

"Warum?"

"Keine Liebesbeziehung, wie du das so schön genannt hast. Die Richtige noch nicht gefunden?"

"Weder gesucht, noch gefunden. Ich war wie gesagt zwanzig Jahre lang Soldat", versuchte ich eine abgeschwächte Erklärung, mit der sie sich hoffentlich zufriedengeben würde.

"Jungfrau?"

Oooch, jetzt wurde es langsam unangenehm.

"Nein, das nicht", presste ich hervor und trank den Rest meines Weins in einem Zug leer. Verdammt.

"Ich meine vom Sternzeichen. Du kommst mir wie eine Jungfrau vor", erklärte sich leichthin.

"Oh...", quittierte ich die überraschende Wendung. Die allerdings nicht weniger unangenehm war, denn ich konnte diesen Astrologie-Quatsch nicht ausstehen. "Da liegst du erstaunlicherweise richtig."

"Echt? Witziger Zufall, ich hatte tatsächlich gemeint, ob du noch nie mit einer Frau geschlafen hast. Keine Ahnung wie Jungfrauen sind, ich habe mich noch nie damit beschäftigt, ist doch totaler Schwachsinn."

Die zweite Gemeinsamkeit. Immerhin.

"Da stimme ich dir nur zu gerne zu."

"Meine Fragen sind dir unangenehm, nicht wahr? Nimm es mir nicht übel, ich möchte halt gerne wissen, mit wem ich da zusammenlebe. Du bist... so anders als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe. Das macht mich neugierig."

"Ehm... kann ich verstehen. Und so zurückgeben."

Ja. Wie Mutti war sie nicht. Mit meinen Kameradinnen hatte außerhalb des Dienstes auch selten persönliche Worte gewechselt. Also kein Kunststück in ihrem Fall. Neugierig wurde ich tatsächlich aber doch. Und wenn ich ganz ehrlich war, waren mir ihre Fragen auch, aber nicht nur unangenehm. Warum?

"Ja, du weißt noch wenig von mir, das wird sich in den nächsten Tagen und Wochen sicher ändern. Vielleicht kurz als Steckbrief, ich bin sechsunddreißig Jahre alt, hatte ein Medizinstudium begonnen, nach dem dritten Semester abgebrochen und bin dann auf die Physiotherapie ausgewichen. Ich hatte mehrere längere Beziehungen vor meiner Ehe, von denen zwei richtig übel endeten. Mit Männern hatte ich also bislang nicht wirklich Glück. Bei Jonas hatte ich das Gefühl, er ist der Richtige für mich. Dass er mich so nach Strich und Faden verarscht... und vor allem mit wem, hätte ich ihm nicht mal zugetraut. Also könnte man als mögliche Charaktereigenschaft eine gewisse Blauäugigkeit annehmen... egal, ansonsten bin ich sicher ein sehr umgänglicher Mensch, ich lache gern und genieße gern das Leben in vollen Zügen. Ich bin auch ein sehr taktiler Mensch", schloss sie, legte den Arm um meine Schulter und küsste mich auf die Wange. "Und dir schrecklich dankbar, dass du mich aus dieser unmöglichen Wohnsituation gerettet hast."

Wenn sie vorher mit ihrer Einschätzung deutlich danebengelegen hatte, nun war ich durch ihre Nähe tatsächlich stocksteif gefroren. Sie löste ihren Arm unerträglich langsam.

"Ehm... das war... selbstverständlich. Und ja, wir werden uns sicher bald besser kennenlernen und verstehen", brachte ich mühsam hervor.

Sie schien auf ähnliche Statements meinerseits zu warten, aber ich war unfähig in meiner Verwirrung irgendetwas zu formulieren. Das schien sie zumindest zu erahnen, denn sie setzte nicht nach.

"Gut, es war ein langer, anstrengender Tag", meinte sie nach einem kurzen Blick auf ihr Handy. "Es ist zwar noch vor 23:07 Uhr, aber ich werde mich dann langsam zurückziehen, ein paar Sachen muss ich schon noch auspacken..."

"Natürlich, selbstverständlich", brabbelte ich, erleichtert über das vorläufige Ende der Inquisition.

Die Frau als solche

Obwohl ich einige Zeit zum Einschlafen gebraucht hatte, wachte ich sogar noch vor sechs auf. Es war still in der Wohnung, also konnten es nicht Geräusche gewesen sein, die sie gemacht hatte. Die Wohnung war insgesamt ziemlich hellhörig, was während der Pflege meiner Mutter sehr hilfreich gewesen war, nun aber vielleicht ein Problem werden konnte.

An Lärminstrumenten war mir während ihres Umzugs allerdings außer einer dieser Mikro-Anlagen nichts aufgefallen, insofern war ich schon etwas beruhigt. Das war ich insgesamt. Gut, an ihren etwas merkwürdigen Sinn für Humor und vieles andere, wie beispielsweise ihre "taktile" Ausrichtung, würde ich mich sicher gewöhnen müssen. Aber können.

Ihre Aussage, ein umgänglicher Mensch zu sein, konnte ich fast schon zu diesem Zeitpunkt unterschreiben. Gut, sie war kein Mann, aber sie machte den Eindruck, dass man sich mit ihr arrangieren konnte. Sogar kommunizieren. Immerhin redete sie nicht ausschließlich in Sinnsprüchen.

Intelligent war sie zweifellos, ihre Achillesferse war vermutlich ihre Emotionalität. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ihr abgebrochenes Studium ebenfalls mit ihren schlechten Erfahrungen mit Männern zu tun gehabt hatte.

Um 6:13 Uhr stand ich auf und zog meinen Bademantel an, erstmals in dieser Wohnung, den hatte mir meine Mutter damals für das Krankenhaus besorgt, nachdem mein Versuch, eine Hauswand als Durchfahrt zu nutzen, kläglich gescheitert war. Mich trieb auch etwas Neugier, war sie tatsächlich schon auf und machte Yoga?

Um sie nicht abzulenken und zudem auf meine Neugier aufmerksam zu machen, schlich ich mich vor dem Gang ins Bad auf leisen Sohlen ins Wohnzimmer. Tatsächlich, sie hatte eine dieser Übungsmatten auf der großen freien Fläche zwischen Sitzgarnitur und Fernsehtisch ausgebreitet und absolvierte eine Übung.

Vom Yoga wusste ich nicht sehr viel, aber was sie dort tat, sah wie eine ganze Reihe aneinandergehängter Übungen aus, eine langsame Bewegung wie aus einem Guss, manchen Dehnungsübungen, die ich aus der Leichtathletik kannte, nicht unähnlich. Faszinierend, auch in seiner Ästhetik.

Und nicht nur die Vorführung. Sie war erstaunlich beweglich, wie eine Turnerin. Hatte allerdings einen deutlich fraulicheren Körper als diese, zumindest die, die man bei Olympia und so sah. Einen ausgesprochen perfekt proportionierten Körper. Einen ausgesprochen aufregenden...

Ich stoppte mich bei diesem Gedanken und floh ins Bad, verwirrt und erschüttert über diese Gedanken und mein ganzes Verhalten. Jetzt hatte ich keine zwölf Stunden eine weibliche Hausgenossin, und spannte sie an? Das ging nun gar nicht. Ich schnitt mich beim Rasieren gleich zweimal, was mir seit Jahren nicht mehr passiert war.

Ruhig Blut, Brauner. Zugegeben, ihr wunderbarer Hintern und auch ein gewisser Abdruck ihres Geschlechts in den engen blauen Hosen, die sie dort getragen hatte, hatten mich aus dem Konzept gebracht. Die Information, die mich wirklich interessiert hatte, hatte ich erhalten. Sie stand um diese Zeit diszipliniert auf und huldigte ihrem... was war das eigentlich, ein Sport?

Während ich mich auszog, sah ich alles andere als kritisch auf meinen eigenen Körper. Ich ging einmal wöchentlich ins Fitness-Studio und lief zumindest im Sommer auch mal ein paar Runden. Panzer? Mein Oberkörper sah vielleicht ein wenig wie eine römische Rüstung aus, denn er war fein artikuliert. Eine Folge des Trainings, nicht dessen Ziel.

Ich zählte bis fünfundzwanzig und begab mich dann unter den Wasserstrahl. So lange brauchte es nämlich exakt nach dem Entkleiden, vor dem ich die Dusche anmachte, bis man sich darunter wagen konnte und warmes Wasser vorfinden würde. Musste ich ihr das mitteilen? Oder sollte sie es lieber selbst auf die harte Tour herausfinden?

An diesem Morgen wäre eine kalte Dusche vielleicht gar nicht mal schlecht gewesen. Also gut. Daran musste ich mich gewöhnen. Ich lebte nicht nur mit einer Frau zusammen, sondern einer ausgesprochen attraktiven Frau.