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Der Kotzbrocken

Geschichte Info
Wenn aus Hass Liebe wird.
26.7k Wörter
4.72
44k
28
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Meine neuste Geschichte schließt sich von der Art her thematisch eng an Patrick Episode_05 an. Es geht um zwischenmenschliche Beziehungen, eine beginnende Liebe, Konfliktbewältigungen und das Auf und Ab, welches das Leben für einen so bereit hält. Gefühle und Emotionen sind momentan sehr wichtig für mich, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, welche Situationen auf die Akteure zukommen können. Aber wie üblich gibt es ein Happy End.

Ich hoffe, dass ihr trotzdem viel Spaß beim Lesen habt und es nicht langweilig wird.

Wenn es Kritik, Ablehnung oder Zustimmung gibt, dann lasst es mich bitte als Kommentar wissen und nicht dumm sterben. Denn sonst kann ich nicht auf Fehler reagieren, die ich gemacht habe, um es das nächste Mal dann vielleicht besser zu machen.

Liebe Grüße

Arne

*

Hans-Werner Harting war ein gefürchteter Mann. Nicht weil er so groß und stark war, er maß immerhin 1,98 m, war kräftig gebaut und muskulös, sondern weil er eine gewisse Macht hatte und diese auch rücksichtslos und erbarmungslos ausübte. Zudem war er jähzornig, rechthaberisch und lies keine Meinung außer seiner eigenen gelten. Er war Prokurist und Vorstandsmitglied bei der Firma SOL (Sanox Oil and Lubricants), einem mittelständigen Unternehmen mit weltweit 2600 Mitarbeitern und Angestellten. Die Firma stellte Produkte aus Erdöl her, darunter hochwertige Hydrauliköle für die Luft- und Raumfahrt, für Lokomotiven und schwere Baumaschinen, sowie Pflegemittel für den Pkw und Lkw-Bereich und vertrieb diese weltweit mit großem Erfolg.

Als Abteilungsleiter für Management, Marketing und die innere Organisation und als Prokurist hatte er einen weitgespannten Aufgabenbereich und stellte das Wohlergehen der Firma über alles. Unter diese Tätigkeiten fielen auch die firmeneigenen Wohnungen, für deren Vergabe und Kündigungen er zuständig war. Und gerade auf diesem Gebiet hatte er sich aufgrund seiner Hartherzigkeit und Unnachgiebigkeit viele Feinde gemacht.

Und Freunde hatte er wahrhaft keine, nicht einen einzigen. Er war verhasst bei seinen Untergebenen und sogar seine Vorstandskollegen ließen kein gutes Haar an ihm. Nur weil er der Sohn des alten Harting war und wegen seinem überragenden Gespür für gute Geschäfte und erfolgreiche Verhandlungen wurde ihm ein gewisser Respekt zugestanden.

Aber das war nicht immer so gewesen. Schauen wir einmal zurück.

*

Hans-Werner wuchs auf der Sonnenseite des Lebens auf. Sein Vater war Wirtschaftsanwalt und Vorstandsmitglied bei der SOL und seine Mutter war als Rechtsanwältin Teilhaberin einer großen Anwaltskanzlei. Seine kleine Schwester Andrea war sein Augenstern, für die er der große Bruder war, der auf sie aufpasste und beschützte.

Er hatte alles, was sich ein Junge wünschen konnte, im Überfluß.

Er besuchte das Gymnasium, machte als Klassenbester das Abitur und studierte Jura und Wirtschaftswissenschaften. Dann arbeitete er einige Jahre bei einem großen Erdölkonzern, lernte das Geschäft von Grund auf und machte ziemlich rasant Karriere. Er war klug, manchmal auch gerissen und hatte eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Bei Verhandlungen konnte er taktieren und strategisch denken.

Nebenbei verdiente er sich mit Aktienspekulationen ein kleines Vermögen und war mit Ende Zwanzig schon so richtig reich.

Er verliebte sich in die Tochter eines Vorstandes seiner Firma, die beiden fanden, dass sie das ideale Paar waren, sich liebten und gut zusammen passten. Sie zogen zusammen und heirateten.

Hans-Werner wurde aufgrund seiner Erfolge als Gewinn für jede Firma angesehen und von der Sanox AG abgeworben. Er wurde als Prokurist und Abteilungsleiter bei der SOL engagiert, hatte einen großen Aufgabenbereich und verdiente sehr gut. Eine Berufung in den Aufsichtsrat als Nachfolger seines Vaters war scheinbar nur noch eine Frage der Zeit.

Alles war wunderbar und das das Glück schien auf seiner Seite zu sein.

Seine Frau wurde schwanger und die Geburt des ersten Kindes stand bevor.

*

Dann kam der Tag des Unheils.

Seine Tochter kam tot zur Welt und seine Frau starb durch massiven Blutverlust und den hypovolämischen Schock bei der Geburt, als mehrere Adern platzten, die Blutungen nicht gestoppt werden konnten, bis dann schließlich ihr Herz versagte.

Für Hans-Werner brach die Welt zusammen. All das, für das es sich zu leben lohnte, war nun weg. Für kurze Zeit geriet er in Versuchung, dem ein Ende zu bereiten, aber dann setzte sich sein Lebenswille durch.

Er stürzte sich in seine Arbeit, kannte nichts mehr anderes. Keine Zeit mehr für soziale Kontakte, sogar von seinen Eltern und Schwiegereltern zog er sich zurück. Seiner Schwester Andrea, die Ärztin geworden war, ging er aus dem Weg und mied jeglichen Kontakt mit ihr. Er konnte ihr familiäres Glück und den Anblick seiner beiden Enkel emotional nicht verkraften.

Er wurde zum Eigenbrötler, fast schon Einsiedler in dem großen Haus am Stadtrand, dass er ursprünglich für seine Familie gekauft hatte. Er verschloß die Zimmer seiner Frau und das geplante Kinderzimmer, überdeckte den Pool und legte die Sauna still. Er brauchte all diese Dinge nicht mehr.

Er verließ das Haus nur wenn es unbedingt notwendig war. Zum Einkaufen, um in die Arbeit zu kommen und am Samstag, wenn zu dem Waldgrab seiner Frau und Tochter ging.

Abends saß er auf einem Stuhl und starrte unbewegt über die Terrasse in den jetzt ungepflegten Garten hinaus. Es war dunkel und still im Haus. Keine Musik war von der großen Stereoanlage zu hören, denn das hätte er nicht ertragen.

Und so wurde er zu dem Menschen, den die anderen kannten und fürchteten.

*

Felicitas Wagner saß ängstlich und nervös im großen Sessel im Vorzimmer des Prokuristen. Sie war eine zierliche Frau von 26 Jahren, eine ruhige Schönheit mit langem dunkelbraunen Haar, einer fast knabenhaften Figur und einem einnehmenden und freundlichen Wesen.

Jetzt aber zitterte sie vor Angst, denn sie wußte, was auf sie zukam. Sie hatte die Vorladung zu einem Gespräch erhalten, weil sie schon im dritten Monat mit der Miete im Rückstand war. Nach der Scheidung hatte ihr Ex-Mann sie und ihre beiden Töchter verlassen, war mit allem verschwunden, was von Wert war und war den Zahlungsaufforderungen des Gerichtes für sie und die Kinder nicht nachgekommen.

Felicitas war bereits in eine kleinere Wohnung umgezogen, die sie von einem Mitarbeiter von Herrn Harting ohne dessen Wissen zugewiesen bekommen hatte, aber da sie eine ungelernte Arbeiterin war und nicht in Vollzeit arbeiten konnte, war sogar diese kleine Wohnung für ihr geringes Gehalt ohne die Zahlungen ihres Mannes unerschwinglich. Der Mitarbeiter in der Wohnungsabteilung hatte deswegen erheblichen Ärger mit seinem Chef bekommen. So kam es wie es kommen musste.

Sie bekam die Panik, als sie sich vorstellte, was ihr der Beauftragte der Betriebswohnungen alles an den Kopf werfen würde, denn seine Gnadenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit hatte sie schon bei anderen erlebt.

*

Ein Summton erklang und die Sekretärin deutete auf die große gepolsterte Tür. Felicitas stand auf, atmete tief durch und betrat das Büro von Herrn Harting.

Der saß mit zusammen gekniffenen Augen und gerunzelten Augenbrauen hinter seinem Schreibtisch und deutete wortlos auf einen Stuhl.

Felicitas Wagner nahm Platz.

"Sie wissen warum sie hier sind?", fragte Harting rund heraus.

Keine Begrüßung, kein persönliches Wort.

Felicitas begann zu zittern, fasste sich aber dann.

"Ja, Herr Harting, das weiß ich . . . ."

"Und was haben sie als Entschuldigung vorzubringen?", kam es donnernd von ihrem Gegenüber, der sich vorbeugte und die Unterarme auf den Schreibtisch legte.

"Ich will ja zahlen, Herr Harting", kam es leise von ihr. "Aber mein Mann kommt seinen Verpflichtungen nicht nach den Unterhalt für meine Kinder zu zahlen und mein Lohn reicht so gerade, dass ich und die Kinder über die Runden kommen."

"Ach, hören Sie doch mit diesen Ausreden auf. Sie hätten sich schon längst an das Gericht wenden können, um die Zahlungen zu erzwingen."

"Das habe ich doch alles versucht. Aber mein Mann ist spurlos verschwunden und niemand weiß wo er sich aufhält. Seine Eltern wissen es nicht und seine Geschwister sind auch ahnungslos. Ich war sogar schon bei der Polizei, aber sogar die konnten mir nicht helfen."

"Und was soll ich jetzt mit ihnen machen?" brummte Harting. "Der Firma gehen jeden Monat 450.- Euro an Mieteinnahmen verloren und das können wir uns einfach nicht leisten. Ich werde ihnen zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Wohnung kündigen und dann müssen Sie halt weiter sehen."

Felicitas saß wie erstarrt auf dem Stuhl. Dann sprang sie erregt auf.

"Das können Sie doch nicht machen, Herr Harting. Um Gottes Willen, ich habe doch zwei kleine Kinder und weiß nicht wohin."

Tränen liefen ihr über das Gesicht.

"Lassen Sie den lieben Gott aus dem Spiel, Frau Wagner. Der kann Ihnen auch nicht weiterhelfen. Sie haben ganz einfach ihr Leben nicht im Griff, das ist alles. Gehen sie zu ihren Eltern, vielleicht können die ihnen unter die Arme greifen."

Felicitas ballte vor Wut ihre Fäuste.

"Also stimmt es doch, Herr Harting, was die anderen über Sie sagen. Sie sind ganz einfach ein elender Kotzbrocken!"

Hans-Werner Harting sprang mit wutverzerrtem Gesicht auf.

"Machen Sie dass Sie rauskommen, Sie unverschämte Person, sonst lasse ich Sie vom Werksschutz hinaus führen."

Felicitas rannte weinend aus dem Büro, aber nicht ohne die schwere Tür mit voller Wucht zuzuwerfen.

Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte, ging sie an ihren Arbeitsplatz zurück, aber ihre Gedanken waren nicht bei der Sache. Wie sollte sie ihren Mädchen begreiflich machen, was auf sie zukommen würde. Sie waren doch noch so klein und würden das nicht verstehen.

*

Hans-Werner brauchte einige Zeit, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er wußte um seinen Ruf, aber dass ihn dieses unverschämte Weibsbild einen "Kotzbrocken" genannt hatte, das ging ihm gehörig gegen den Strich. Was bildete sich diese Person eigentlich ein. Er rief an seinem Computer die Daten dieser Person auf und studierte sie gründlich.

Dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und dachte nach. Ein nachdenklicher Gesichtsausdruck machte sich breit. Konnte er dieser Frau kündigen, eine Kündigung in die Wege leiten oder irgendwie vorantreiben?

Je länger er nachdachte, desto weniger sicher war er sich. Eigentlich hatte er ja außer der Mietrückstände nichts gegen Frau Wagner in der Hand, schon gar keine Zeugen wegen ihrer Äußerung. Und wenn er trotzdem weiter in diese Richtung intervenierte, dann würde er garantiert Ärger mit der Gewerkschaft bekommen, bei der auch Frau Wagner Mitglied war. Er gab es schließlich auf, weiter über dieses Problem zu sinnieren. Es war alles nur eine Frage der Zeit, bis es sich in Wohlgefallen auflöste.

Die Werkssirene erinnerte ihn an etwas.

Es war Feierabend.

Er überlegte schon, ob er länger bleiben sollte, denn was zog ihn schon nach Hause?

Nichts. Gar nichts, rien, niente, nada, nothing.

Shit, shit, shit.

*

Er nahm seine Tasche und verließ das Büro, um zu seinem Auto auf dem Parkplatz zu gehen. Als er an der werkseigenen Bushaltestelle vorbei kam, an der die Mitarbeiter in dichten Scharen auf ihre Busse warteten, sah er plötzlich Frau Wagner einige Meter vor sich. Auch sie hatte ihn erblickt und Panik machte sich in ihrem Gesicht breit. Sie blickte sich gehetzt um, und als er immer näher kam, sprang Felicitas einen Schritt zurück.

Sie kam auf der Bordsteinkante auf, ihr linker Fuß knickte um. Sie rutschte ab und fiel nach hinten. In diesem Moment kam der Bus mit ungefähr 20 km/h in die Parkbucht gefahren.

Obwohl der Fahrer sofort auf die Bremse stieg, war es zu spät. Das Fahrzeug prallte mit der rechten Vorderseite gegen die linke Körperhälfte von Felicitas Wagner. Sie wurde fast drei Meter nach vorne geschleudert, prallte mit dem Kopf auf den Bordstein und blieb verdreht am Boden liegen. Sie blutete aus mehreren Wunden, ihr linkes Bein und der linke Arm standen in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Blut lief ihr aus einer Kopfwunde in einem dünnen Rinnsal über den Gehsteig.

"Mami, Mami, Mami!" Zwei keine Mädchen stürzten zu der Reglosen hin, griffen ihre rechte Hand und versuchten eine Reaktion zu erzeugen. Tränen liefen über die kleinen Gesichter und lautes Weinen war zu hören.

*

"Neeeeeeiiiiiiiinnnnnnn!!! "

Dieser wilde Aufschrei lies die Umstehenden zusammenfahren.

Hans-Werner hatte ihn ausgestoßen. Irgendetwas war in ihm zerbrochen, als er sah wie Felicitas Wagner angefahren wurde. Böse Erinnerungen kamen in ihm auf, aber er verdrängte sie augenblicklich.

Die umher stehenden Passanten erkannten ihn und wichen erschrocken zurück.

Hans-Werner eilte auf die am Boden Liegende zu und kniete sich neben sie hin. Er zog sein Telefon aus der Tasche und wählte den Werksarzt.

"Harting hier. Kommen Sie bitte sofort zur Bushaltestelle. Krankenwagen und Sanitäter auch. Es hat einen Unfall gegeben. Eine Schwerverletzte. Ein bisschen dalli, wenn es geht. Eher noch sofort!"

Der Arzt bestätigte und schüttelte den Kopf. So war er halt, der Chef. Freundlich und höflich wie ein angriffslustiger und hungriger Grizzly.

Hans-Werner zog die beiden kleinen Mädchen an sich und flüsterte ihnen beruhigende Worte zu. Dann nahm er sein Taschentuch und versuchte die Blutung der Kopfwunde zu stillen und von Schmutz zu reinigen. Die beiden Mädchen weinten immer noch leise vor sich hin.

Das Martinshorn kam näher und Blaulicht blitzte auf.

Der Arzt und die Sanitäter eilten zu der Verletzten und Hans-Werner erstattete einen kurzen Bericht. Dann nahm er die beiden Kleinen wieder in seine Arme und schaute bei den ersten Hilfeleistungen zu. Die Mädchen schmiegten sich an ihn, als wüssten sie, dass sie bei ihm Schutz finden würden.

Die Umstehenden und Neugierigen sahen es eher mit Unglauben. Der ˋKotzbrocken´ hatte menschliche Züge? Das war ja etwas ganz Neues.

Einige Mitarbeiter des Werksschutzes sicherten den Unfallort und trieben die Schaulustigen einige Meter zurück, damit Arzt und Sanitäter genug Platz für ihre Erste Hilfe Maßnahmen hatten.

Sie legten Frau Wagner auf eine Trage und schoben sie in den Krankenwagen.

"Sieht gar nicht gut aus", flüsterte der Doktor nach einer ersten Untersuchung Hans-Werner so leise zu, dass es die beiden Kinder nicht hören konnten. "Sie muss sofort ins Krankenhaus."

"Ich komme gleich nach", meinte Hans-Werner. "Wohin?"

"Städtische Klinik."

"Okay, bis gleich. Ich lade die Mädchen ins Auto ein und komme dann nach."

Der Arzt sah ihn an, dann nickte er und stieg in den Sanka.

"Kommt mit, Kinder", sagte Hans-Werner zu den beiden Kleinen. "Wir fahren ins Krankenhaus und schauen, wie es eurer Mami geht."

Er nahm die etwa 3jährige auf den Arm und ergriff ihre ältere Schwester bei der Hand. Dann eilte er mit den Kindern durch die erstaunte Menge in Richtung Parkplatz zu seinem Auto. Ungläubiges Gemurmel war zu vernehmen.

Das war der ˋKotzbrocken´? Kaum zu glauben, so menschlich hatte ihn noch keiner erlebt. Die Diskussion über das Geschehene ging noch eine ganze Weile hin und her, bis sich alle auf den Heimweg gemacht hatten.

*

Hans-Werner setzte die beiden Mädchen auf die Rückbank seines Wagens und schnallte sie so gut es ging mit dem Sicherheitsgurt fest. Er hatte natürlich keine Kindersitze in seinem Bentley Continental und ermahnte die beiden schön vorsichtig zu sein und still sitzen zu bleiben. Die Ältere nickte ernsthaft und fasste ihre kleine Schwester an der Hand.

Hans-Werner ging in die Knie.

"Ich glaube, wir sollten uns erst einmal bekannt machen," sagte er. "Ich weiß ja noch nicht einmal wie ihr heißt. Mein Name ist Hans-Werner Harting, oder kurz, wenn es euch besser gefällt, Hans. Und wie heißt ihr?"

"Ich bin Fabienne", erwiderte die Große, "und meine Schwester heißt Laura."

"Mama sagt aber immer Kotzbrocken zu dir", meinte die Kleine ganz unschuldig.

"Pssstt! So was sagt man nicht", flüsterte ihr Fabienne zu und schaute ängstlich zu Hans-Werner.

"Da hat deine Mami nicht ganz unrecht," gab er zu. "Vielleicht war ich nicht immer so nett, wie ich es hätte sein müssen. Aber ich hoffe, ich habe mich geändert, oder ich bin gerade dabei, es zu tun. Seid mir bitte nicht allzu böse. Ich will nicht mehr der ˋKotzbrocken´ sein. Jetzt fahren wir drei in Krankenhaus uns schauen, wie es eurer Mutti geht und danach sehen wir weiter."

"Wo sollen wir denn hin?", weinte Laura. "Bei uns daheim ist keiner mehr."

"Wenn Mama in der Klinik bleiben muss, dann sind wir ganz alleine, Oma und Opa wohnen doch so weit weg", fügte Fabienne hinzu.

"Das seid ihr nicht", meinte Hans-Werner. "Ich werde auf euch aufpassen und ihr könnt bei mir wohnen, bis eure Mutter wieder nach Hause darf. Ich habe ein Haus und da ist genug Platz für alle."

"Auch für Mami?", fragte Fabienne.

Hans-Werner schluckte.

"Warten wir es ab", sagte er zögernd, "wenn sie es will und wenn sie Hilfe braucht, warum nicht. Nun aber los. Haltet euch gut fest."

Er stieg ein, startete den Motor und fuhr ins Spital.

*

Im Krankenhaus angekommen fragte sich Hans-Werner durch. An der Information wurde ihm mitgeteilt, dass Frau Wagner noch im OP sei, aber die Schwester konnte ihm sonst keine weiteren Auskünfte geben.

Also suchte er sich einen Platz in der Nähe der Orthopädie und den Operationssälen. Laura wurde langsam müde und so nahm er sie auf seinen Schoß und schloß seine Arme um sie, damit sie nicht herunter fallen konnte. Sie legte ihr Köpfchen an seine Brust und war sofort eingeschlafen. Dann gab er Fabienne einen aufmunternden Wink und wies auf seine rechte Seite. Fabi kletterte auf das lederne Sofa, kuschelte sich an Hans-Werner, blieb aber noch wach. Die Sorge um ihre Mutter ließ sie so schnell keinen Schlaf finden.

Hans-Werner sprach in leisem Ton zu ihr, tröstete sie und sagte, dass schon alles wieder in Ordnung kommen würde. Er würde sich um sie und ihre Schwester kümmern, bis ihre Mutter wieder ganz gesund wäre.

Innerlich focht er einen schweren Kampf mit sich aus. Er versuchte den Mädchen Trost und Halt zu geben, aber er war doch an der ganzen Misere schuld. Er machte sich bittere Vorwürfe. Wenn es bei Frau Wagner bleibende Schäden geben würde, was wäre dann? War sie in der Lage, danach ihre Kinder zu versorgen?

Er würde dafür sorgen, das sie einen besser bezahlten Arbeitsplatz bekommen würde, die Wohnung behalten könnte und. . . und. . . und. . .

Seine Gedanken verloren sich in einem Wirrwarr und plötzlich stiegen ihm Tränen in die Augen und liefen seine Wangen hinab. Die Schuldgefühle drohten ihn zu überwältigen.

"Du mußt nicht weinen, Onkel Hans", flüsterte Fabienne und drückte sich an ihn. "Mami wird ganz bestimmt wieder gesund. Das weiß ich genau."

"Ganz bestimmt", sagte er zu ihr. "Und wenn sie wieder ganz gesund ist, dann wird es uns allen viel besser gehen."

*

Ein Ärztin kam aus Richtung der Operationssäle und stutzte, als sie die Drei auf dem Besuchersofa sitzen sah. Als sie Hans-Werner erkannte, rang sie um Fassung. Er und Kinder? Das war bis jetzt ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Hans-Werner erschrak, als er seine Schwester Andrea erkannte. Jahrelang war er ihr aus dem Weg gegangen, nachdem seine Frau und seine Tochter gestorben waren. In seinem ersten Zorn hatte der auch den Ärzten eine Schuld am Tod seiner Lieben gegeben.

Er schaute Schuld bewußt zu ihr auf und deutete auf den Platz links neben sich. Andrea ließ sich vorsichtig nieder um Laura nicht zu wecken. Fabienne schaute neugierig zu ihr auf.

Andrea nahm Fabis Hand und streichelte sie sanft.

"Wird schon werden, meine Kleine, keine Angst. Wir tun unser Bestes, damit deine Mami wieder ganz gesund wird. Es wird ihr bald wieder richtig gut gehen."

Sie nickte Fabienne aufmunternd zu.

Dann stand sie auf und bedeutete Hans-Werner zu ihr zu kommen. Er legte Laura ganz vorsichtig zu Fabienne und bat sie einen kurzen Moment auf ihre kleine Schwester aufzupassen, da mit der Doktorin noch etwas reden musste.

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