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Die Köningin der Drachen

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„Die jüngere Schwester, das habe ich bereits erwähnt, war schüchtern. Sie war nicht darauf vorbereitet worden, Königin zu werden und sie hatte auch nicht das Machtdenken es trotzdem werden zu wollen. Sie hat die Zügel schleifen lassen und bei den Menschen haben Leute die Macht übernommen, die nur auf den eigenen Vorteil geschaut haben.

In fast allen Gegenden gab es solche Menschen und die Königinnen verloren im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an Einfluss. Schlussendlich gab es irgendwann eine Königin, die keine Nachkommen mehr hatte. Das hat aber keinen interessiert, das Land wurde sich selbst und den örtlichen Machtmenschen überlassen."

Wir haben inzwischen den Erker erreicht. Sapulus ist nicht mehr so gut zu Fuß und deshalb haben wir eine ganze Weile gebraucht. Es hat mir aber nichts ausgemacht. Ich mag den alten Mann, der seine Weisheit und sein Wissen gut zu verstecken weiß. Man unterschätzt ihn leicht.

„Wie kommt es jedoch, dass es solche Unterschiede zwischen Solana und Gunderin gibt?"

„Es ist das alte Spiel zwischen Gut und Böse. Die junge Königin von Solana hat sich für das Gute entschieden und bemüht, das Land so gut wie möglich zu führen. Sie war zufrieden, ihr kleineres Reich zu verwalten und strebte nicht nach der Macht über alles. Das Reich war zwar kleiner, sie wollte es aber trotzdem so gut, wie irgendwie machbar, führen und zu seiner Blüte führen. Sie hat diese Einstellung an ihre Kinder weitergegeben, die es ihrerseits ihren Nachkommen vermittelt haben und so ist es geblieben.

Der König von Gunderin war von Anfang an, ein Intrigant. Mit der Teilung des Reiches hatte er seinen Willen nicht ganz durchsetzen können, musste sich damit aber zufrieden geben. Mehr war für ihn nicht drinnen. Doch diese Unzufriedenheit hat bis zum Schluss sein Leben geprägt und sie wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Immer wieder hat einer der Könige von Gunderin den Versuch unternommen, die Macht auch über die anderen Länder an sich zu reißen. Sie sind alle kläglich gescheitert."

„Die Drachen haben sich neutral verhalten?"

„Sie haben sich in die Eiswüsten zurückgezogen. Du hast sicher bemerkt, dass einem Drachen die Kälte wenig anhaben kann. Deshalb waren sie zufrieden und wollten von den anderen Ländern nichts wissen."

„Warum dann die Mauer und das Schloss?"

„Die Könige von Gunderin haben dem Frieden mit den Drachen nicht getraut und zur Vorsicht die Mauer und das Schloss errichtet. Ich vermute, sie haben geglaubt, alle seien intrigant, nur weil sie es selbst waren und es wohl auch nicht anders kannten."

„Das Schloss und die Mauern sind für einen Drachen doch kein Problem."

„Die Könige von Gunderin sind nicht die klügsten. Sie hatten auch keine Vorstellung von der Macht und der Kraft eines Drachens."

„Ach so, verstehe."

„Hast du noch Fragen?"

„Ich verstehe aber immer noch nicht, wie es so weit hat kommen können."

„Damals?"

„Damals wie heute."

„Serena, du hast ein großes Herz, das Herz eines Drachens. Da ist kein Platz für Neid und Missgunst. Deshalb kannst du dir auch nicht vorstellen, dass jemand so sein kann."

„Soll ich nun die Reiche wieder vereinen?"

„Es gibt eine alte Prophezeiung. Sie ist auch an der Tür zur Bibliothek abgebildet."

„Das Mädchen?"

„Du hast es gesehen?"

„Ja, wie ich vorhin zu dir wollte."

Der alte Mann lächelt. Es ist ein magisches Lächeln, so voller Zufriedenheit. Mir kommt es so vor, als ob er froh wäre, endlich am Ziel zu sein, so als ob ihm bewusstwürde, dass eine alte Prophezeiung dabei ist, sich zu erfüllen.

„Was ist mit dem Mädchen?", frage ich.

„Nur die Auserwählte kann das Mädchen sehen, nur das Mädchen mit der reinen Seele."

„Ich habe doch keine reine Seele."

„Offenbar doch, sonst würdest du nicht die Prophezeiung erfüllen."

„Welche Prophezeiung?"

„Die Menschen in allen drei Reichen waren traurig über die Teilung. Familien wurden dadurch auseinandergerissen, Verwandte konnten sich nicht mehr besuchen, sie konnten plötzlich Freunde nicht mehr besuchen."

„Das kann ich verstehen."

„In dieser Zeit tauchte eine uralte Schrift auf. Darin hieß es, dass es eines Tages eine Königin geben wird, welche die Länder wieder einen und den ursprünglichen Wohlstand und Frieden in allen Teilen des alten Reiches wieder herstellen würde. Sie würde vom einfachen Mädchen zur Königin aufsteigen und allein sie würde in der Lage sein, die Schnitzereien an der Tür der Bibliothek zu deuten, nur sie würde das Mädchen in der Abbildung erkennen können."

„Dann glaubst du, ich bin diese Königin?"

„Die Drachen haben es bewiesen."

„Die Drachen?", frage ich überrascht. Dabei ziehe ich die Augenbrauen zusammen.

„Die Drachen haben seinerzeit geschworen, sie würden keine Königin mehr anerkennen. Erst, wenn die eine mit der reinen Seele die Macht übernimmt und das Land mit Liebe und Hingabe regiert, dann würden sie diese wieder anerkennen. Jeder Drache soll in der Lage sein, diese Königin zu erkennen, ohne zu wissen, dass sie es ist."

„Oridin!", fällt mir ein.

„Was ist mit ihm?"

„Er hat mich seine Königin genannt, obwohl er aus einem Ei geschlüpft und bis dahin ganz allein gelebt hat. Ihm konnte niemand sagen, dass ich die Königin bin."

„Siehst du!", grinst der alte Mann. „Er hat es gespürt, vermutlich die reine Seele."

„Und jetzt?"

„Was, und jetzt?"

Sapulus schaut mich etwas irritiert an. Offenbar versteht er meine Frage nicht.

„Wie geht es weiter? Was soll ich tun? Bin ich der Aufgabe gewachsen?"

„Sei einfach, wie du bist. Das hat bisher funktioniert und wird es auch weiterhin."

„Was bringt die Zukunft?"

„Mach die keine Sorgen, sei wie du bist."

„Das sagt sich so leicht."

„Du hast das Herz eines Drachens, eines sehr mächtigen Drachens. Du begegnest den Menschen mit Respekt, du kümmerst dich um sie und du bist freundlich. Ich kann mich noch genau erinnern, wie du zum ersten Mal diese Bibliothek betreten hast.

Du hast dich darüber geärgert, dass mich Sirius nicht gegrüßt hat. Er war unfreundlich zu mir und ein wenig überheblich."

„Woher weißt du, dass ich ihm nachrufen wollte, es sei doch nicht schwer, jemanden zu grüßen", grinse ich.

„Ich habe es in deinen Augen gesehen. Der Blick, mit dem du ihm nachgeschaut hast, hat Bände gesprochen."

„Ist doch wahr, der alte Esel könnte freundlicher sein."

„Könnte er", lächelt Sapulus. „Aber das braucht Größe. Das braucht auch die Klugheit, bescheiden zu sein. Glaube mir, den Menschen steigen Erfolg und Reichtum sehr schnell zu Kopf. Sie glauben dann, sie seien etwas Besseres und schauen auf die anderen herab. Sie sind dumm.

Du hingegen hast mit deiner Freundlichkeit mein Herz und das des gesamten Volkes im Sturm erobert. Alle würden für dich durchs Feuer gehen, weil du ihnen zeigst, dass sie dir wichtig sind und du es auch für sie tun würdest. Das würden sie für Sirius niemals machen. Auch, wenn er vermutlich glaubt, die anderen nicht zu brauchen, irgendwann ist jeder auf einen anderen Menschen angewiesen."

„Ich würde gerne dich zum Berater der Königin ernennen, an Stelle von Sirius. Du gehörst in diese Position."

„Nein Serena, bitte nicht", meint der alte Mann. Dabei legt er seine Hand auf meinen Arm. „Lass es weiterhin Sirius sein. Er spielt gerne den klugen Mann."

„Und du?"

„Mir ist es wichtig, dass ich einen kleinen Beitrag leisten kann."

„Für mich hast du nicht nur einen kleinen Beitrag geleistet. Du hast mir immer geholfen und mich gut beraten."

„Das werde ich auch weiterhin. Meine Tür wird dir immer offenstehen", sagt er ernst. „Ich fühle mich hier zwischen den Büchern wohl. Ich muss noch einige lesen, ich bin noch nicht ganz durch."

„Ich werde dich immer besuchen und, wenn ich dich um Rat fragen darf, werde ich es immer tun. Danke!"

„Es ist deine Bibliothek, in der ich der Wächter sein darf, der Wächter des Wissens."

„Und so soll es auch bleiben."

Ich nehme den alten Mann in die Arme. Ich ziehe ihn in eine enge Umarmung und drücke mich an ihn. Das Wissen, ihn an meiner Seite zu haben, gibt mir Zuversicht, meine Aufgabe meistern zu können, wie es sein sollte.

„Wie kann ich sicherstellen, dass es auch nach mir, so weitergeht, dass alle gut miteinander auskommen?"

„Sei deinen Kindern stets ein gutes Beispiel. Zeig ihnen, dass am Ende immer das Gute siegt und erzähl ihnen von den dunklen Jahren."

„Das werde ich."

Kapitel 38

Es sind inzwischen einige Tage ins Land gezogen. Ich wechsle mich mit Stella zu den Audienzen ab, ich genieße das Essen von Pippa und ich erfreue mich jeden Tag daran, wie Reseri und Oridin mehr und mehr zu einer kleinen Familie zusammenwachsen.

Wenn der Kleine mit seinen Freundinnen spielt, dann hat die Drachendame ein waches Auge auf ihn und die anderen oder sie nützt die Zeit, um auf die Jagd zu gehen. Wenn sie aber allein sind, dann kuschelt sich Oridin an seine Mutter und genießt ihre Nähe. Das ist nicht zu übersehen.

Pippa und Erina sind schon fast wie Mutter und Tochter. Nervin hat die Macht in Gunderin übernommen. Er hat mich gebeten, ein kleines Haus in der Hauptstadt beziehen zu dürfen, um von dort aus die Verwaltungsgeschäfte leiten zu können. Seine Frau und Erina's Geschwister habe ich nach Gunderin gebracht, wo sie nun eine glückliche Familie bilden. Wenn ich sehe, wie die Kleinen im Garten spielen, geht mir das Herz auf. Sie sind ausgelassen, wie sie es nie zuvor waren, erzählt mir Nervin.

Nur Erina ist in Solana geblieben. Ihre Mutter hat zwar versucht, sie zu überreden, mit ihr zu kommen, aber die Tochter wollte dies um keinen Preis. Auch das Argument, dass sie nun auch in Gunderin eine reelle Chance haben würde, eine schöne Stelle zu finden, war nicht ausreichend. Sie will bei Pippa bleiben. Kein Wunder. Die beiden sind ein Herz und eine Seele, sie ticken exakt gleich.

Stella ist noch in der Audienz und ich habe eine Sitzung des Rates für innere und äußere Sicherheit geleitet. Inzwischen umfasst diese das gesamte Reich und nicht nur Solana. Da wir früher fertig sind als Stella, begebe ich mich noch kurz in den Garten. Am Fischteich lasse ich mich auf der Bank nieder und warte auf meine Partnerin, die ich über Gedanken verständigt habe, wo sie mich findet.

„Darf ich stören", höre ich eine Stimme.

Als ich mich umdrehe ist es mein Vater. Er steht etwas unsicher neben mir.

„Natürlich, du doch immer! Setz dich bitte", biete ich an.

Er nimmt neben mir Platz. Ich sehe sofort, dass ihm etwas auf der Seele brennt. Allerdings scheint er noch mit sich zu ringen, ob er es aussprechen soll oder nicht.

„Na Vater, was drückt dich?"

„Ich habe den König von Gunderin nie gesehen. Ich habe den Mann, der mich zwei Jahre lang festgehalten hat, der Schuld daran ist, dass ich meine Frau nie mehr sehen konnte, noch nie in meinem Leben gesehen."

„Du würdest ihn gerne besuchen?", frage ich überrascht.

„Er hat mir zwei Jahre meines Lebens geraubt und ich möchte wissen, was das für ein Mensch ist, der so etwas tut."

„Du möchtest zu ihm fliegen?"

„Würdest du mich dabei begleiten?"

„Das wäre machbar."

„Macht dir das Erlebte nichts aus? Kannst du ihm problemlos gegenübertreten?"

„Ich habe kein Problem damit, ich verschwende keinen Gedanken mehr an diesen Mann."

„Obwohl er dir nach dem Leben getrachtet hat, dir deine Macht streitig machen wollte, dich erpresst hat?"

„Was kümmert's die Eiche, wenn sich die Wildschweine daran reiben", antworte ich schelmisch lachend. „Ich habe am Ende gesiegt und nur das ist entscheidend. Ich habe nun auch die Möglichkeit, den Menschen in Gunderin zu helfen, ihnen zu ermöglichen ein gutes Leben zu führen. Ich konzentriere mich darauf und nicht auf das, was gewesen ist."

„Ich wünschte, ich könnte das alles so schnell hinter mir lassen, wie du."

„Ich will nach vorne blicken. Ich will mich dem widmen, das ich verbessern kann, was ich ändern kann und wo ich einen Einfluss habe. Die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern."

„Aber man muss damit abschließen können."

„Wenn dir dabei hilft, den König von Gunderin zu treffen, dann machen wir das."

„Was macht ihr?", erkundigt sich eine Stimme hinter mir. Es ist Stella. Sie ist inzwischen auch fertig und nachgekommen.

„Mein Vater möchte Ludinus sehen und verstehen, warum er das alles getan hat. Er möchte, dass ich ihn dabei begleite."

„Und, machst du es?"

„Ja, natürlich. Wenn ich meinem Vater damit helfen kann."

„Würdest du mich auch mitnehmen. Ich habe diesen Ludinus ja auch noch nie gesehen. Er ist zwar in meiner Nähe aufgewachsen, aber dann als König habe ich ihn nie mehr zu Gesicht bekommen."

„Wenn du mitkommen willst, dann gerne", antworte ich. „Fliegen wir heute Abend?"

„Wir könnten auch morgen früh fliegen", meint Vater.

„In der Nacht sind wir weniger leicht sichtbar."

„Gut, dann fliegen wir bei Einbruch der Dunkelheit."

Als es dämmert, begebe ich mich zusammen mit Stella auf die Wiese hinter dem Schloss. Mein Vater ist schon da und auch Freja hat darauf bestanden, uns zu begleiten. Mit ihr fliegt auch Felises, er lässt seine Liebste in letzter Zeit kaum noch allein. Die beiden verbringen jede freie Minute zusammen.

Während Stella bei mir mitfliegt und Felises bei meiner Jugendfreundin, fliegt Vater selbst. Er ist inzwischen wieder voll bei Kräften. Wir heben ab und nehmen Kurs auf das einsame Schloss im Tal, das in die Eiswüsten führt. Wir landen in der Nähe und gehen zu Fuß auf das Tor zu, von dem aus man ins Schloss gelangt.

Kaum, dass die Wachen erkennen, dass ihre Königin vor ihnen steht, nehmen sie Haltung an und verständigen Durinel. Dieser kommt uns wenig später eilig entgegen. Als er uns erreicht, verbeugt er sich tief.

„Hallo Durinel, du bist hier?", frage ich.

„Alle drei Monate trifft es mich, wir sind drei Teams. Ich wechsle mich mit Merimo und einem weiteren Mann im Kommando ab. Zusammen mit unseren Männern leisten wir hier einen Monat lang Dienst. Die neue Mannschaft bringt die Lebensmittel und das mit, was wir sonst noch brauchen, und wechseln die anderen ab"

„Das klingt gut. Wer ist aber Merimo? Sollte ich ihn kennen?"

„Das ist der Mann, der nicht mit den Dirnen schlafen wollte, weil er frisch verliebt war. Wie du es vorausgesagt hast, haben wir ihn und weitere drei Wachen hier angetroffen. Er hat sich bereiterklärt, auch weiterhin hier Wache zu halten, weil es nicht mehr ein durchgehender Dienst ist und er das Geld gut gebrauchen kann."

„Hat er inzwischen geheiratet? Wie hieß denn noch seine Freundin? Ach ja, Sofia, wenn mich nicht alles täuscht."

„Als wir hier eingetroffen sind, hat er sich gleich auf den Weg gemacht. Er will ihr einen Antrag machen und sie heiraten. Ich hoffe, sie sagt ja."

„Warum sollte sie das nicht?"

„Er war nun doch etwas lange von ihr getrennt."

„Wenn sie ihn wirklich liebt, dann hat sie auf ihn gewartet. Er hat schließlich auch den Dienst der Dirnen ausgeschlagen, um seiner Sofia treu zu bleiben."

Zusammen gehen wir hinauf ins Schloss. Durinel scheint etwas nervös zu sein. Ich nehme an, er ist ein wenig unsicher, weil er sich nicht erklären kann, warum die Königin persönlich in dieser von Gott verlassenen Gegend nach dem Rechten schaut.

„Ich bin nur hier, weil mein Vater den früheren König von Gunderin sehen will. Er war selbst zwei Jahre lang hier eingesperrt."

„Ah, deshalb", meint er. Ich kann deutlich sehen, wie ihm ein Stein vom Herzen fällt.

„Er ist oben im Turm", meint er.

„Davon bin ich ausgegangen", lache ich.

Wir betreten den Aufenthaltsraum. Er ist nun deutlich aufgeräumter und schön sauber. Allerdings kann ich noch den einen und den anderen Blutfleck im Holzboden erkennen. Das erinnert mich an das, was in diesem Raum geschehen ist. Auch, wenn ich den Tod dieser Männer bedaure, so bin ich mir auch dessen bewusst, dass wir keine andere Chance hatten. Sie nur zu überwältigen, wäre ein zu großes Risiko gewesen. Wäre die Aktion schief gegangen, dann wäre Gunderin noch immer in der Hand seines früheren Königs.

„Wir gehen nach oben", sage ich zu Durinel. „Der Schlüssel ist immer noch dort, wo er früher war?"

„Er ist noch immer dort", bestätigt er.

Ich gehe auf die Treppe zu, mein Vater folgt mir ein wenig zögerlich. Mir ist seit unserem Eintreffen aufgefallen, dass er zunehmend ruhiger geworden ist. Seit wir das Schloss betreten haben, hat er kein einziges Wort mehr gesagt.

„Ist mit dir alles in Ordnung?", frage ich deshalb.

„Es kommen wieder alle alten Erinnerungen hoch", meint er zaghaft.

Ich bleibe am Ansatz der Treppe stehen und schaue ihn an. Er ist unsicher, so kenne ich ihn überhaupt nicht.

„Willst du da wirklich hoch?"

„Ja, das muss sein."

„Es fällt dir nicht leicht, das sehe ich."

„Es erinnert mich daran, wie ich damals diese Treppe hinauf in diesen Kerker geführt wurde. Mir war sofort klar, dass ich meine geliebte Ceria nie wiedersehen werde. Ich hatte zumindest eine Vorahnung. Ludinus wollte meine Frau erpressen und ich wusste, dass es für sie unmöglich sein würde, nachzugeben. Das hatten wir abgemacht und das war auch die einzige vernünftige Lösung. Auf seine Forderungen einzugehen hätte bedeutet, die Menschen in allen drei Reichen ins Unglück zu stürzen. Das konnten wir nicht. Als ich damals diese Treppe hinaufgeführt wurde, habe ich tief in mir drinnen mit dem Leben abgeschlossen. Nur du hast mich gerettet."

„Dieser Mann hat dir Schlimmes angetan. Willst du ihn wirklich sehen?"

„Ja, ich will verstehen, was einen Mann wie ihn dazu treibt, so zu sein, wie er ist."

„Du willst nicht Rache oder ihn nur leiden sehen?"

„Ich will einfach nur verstehen!"

Das leuchtet mir ein und deshalb setze ich den Weg fort. Wir steigen in den Turm hinauf. Mein Vater folgt mir zwar zögerlich, aber er schafft es bis ganz nach oben. Dort angekommen, hole ich den Schlüssel hervor und öffne die hölzerne Tür. Was ich dahinter sehe, erschüttert mich dann sehr.

Im Raum, hinter dem Eisengitter, befindet sich ein völlig gebrochener Mann. Ludinus kauert in einer Ecke. Seine Haare sind zerzaust, seine Augen eingefallen und von dicken, dunklen Rändern umgeben. Sein Blick ist leer. Er ist auch körperlich in einem schlechten Zustand. Das Gesicht ist eingefallen und gleicht mehr einem Totenschädel mit Haut als einem menschlichen Antlitz. Seine Beine sind schwach, die Arme dünn, sein Rücken gebeugt.

Ich kann in dieser Gestalt nichts mehr von dem überheblichen und selbstverliebten Mann erkennen, der er einmal war. Es ist nichts Königliches mehr an ihm, er strahlt auch keine Macht mehr aus. Mein Eindruck ist vielmehr, er hat alle Selbstachtung verloren.

„Ludinus, Besuch ist da", rufe ich ihm zu.

Müde hebt er langsam seinen Kopf und schaut mich an. Sein Blick allerdings geht durch mich hindurch ins Leere.

„Serena, du hier?", meint er.

Seine Stimme ist dünn und brüchig. Ich habe noch nie einen Mann in einer solchen Verfassung gesehen.

„Das ist der frühere König von Gunderin?", will mein Vater ungläubig wissen. „Das ist doch unmöglich."

„Er ist es, er hat sich aber sehr verändert, das muss ich zugeben."

„Was ist mit ihm geschehen?"

„Ich fürchte, der Grund liegt im Einfluss, den das frühere Schloss von Gunderin auf den Regenten ausgeübt hat."

„Wie meinst du das."

„Beim Bau des Schlosses sind viele Untertanen ums Leben gekommen. Es war nicht einfach, diesen massiven Bau auf dem Felsvorsprung zu errichten. Ich habe nur zwei Erklärungen für diesen negativen Einfluss auf die Bewohner des Schlosses, den es offenbar geben soll. Entweder es sind die Seelen der Toten, die sich rächen oder es ist die dunkle Bauart, die auf das Gemüt schlägt. Vermutlich ist es etwas von beidem, eine fatale Mischung."

„Was habe ich nur getan!?", heult Ludinus. „Ich bin ein Ungeheuer, ein Monster, ein fürchterlicher Mensch."

Ich sehe ihm an, dass er es ernst meint. Offenbar wird er sich nun, da er sich außerhalb der Mauern seines Schlosses aufhält, seiner Taten bewusst.