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Die Macht des Drachens

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Sie grinst von einem Ohr zum anderen. Ihr scheint zu gefallen, dass er etwas für mich empfindet.

„Du würdest es also begrüßen, wenn aus uns zwei ein Paar würde", flüstere ich zurück.

„Du bist die Frau, die ihm Paroli bieten kann. Er braucht eine starke Hand und du hast diese."

Kapitel 19

Ich habe mich in der Luft von Jeson verabschiedet und lande in der Nähe des Schlosses von Wesaria. Ich kann den anderen Drachen noch am Himmel sehen und schaue ihm verträumt hinterher. Ich muss an Melissas Worte denken. Ich mag ihn wirklich, sehr sogar. Ich hätte ihn auch gerne bei mir und fühle mich, jetzt wo er davonfliegt, schon wieder etwas einsam. Mir fehlt etwas, ein Gefühl, das ich bisher nur bei Horus gespürt habe. Ich weiß aber auch, dass es so das Beste ist. Er soll nicht unnötig in Gefahr gebracht werden. Ich muss mich auf mich und auf Borsin konzentrieren.

Ich bin hinter dem Wald gelandet, den ich bei meiner Flucht durchquert habe. Alte Erinnerungen kommen in mir hoch, als ich unter den Bäumen hindurch gehe. Der einzige Unterschied liegt darin, dass ich dieses Mal den Weg zurück zum Schloss gehe und nicht mehr davonlaufe. Es hat sich vieles verändert, nun ist die Zeit der Abrechnung gekommen.

Für diese Mission habe ich meinen alten Kampfanzug wieder angezogen. Xilia, meine Zofe, hat mich zwar überreden wollen, einen der neuen zu tragen, weil dieser etwas abgetragen und nicht mehr so schön aussieht, aber ich habe mich doch anders entschieden. Ich weiß, dass ich diesen Anzug gewöhnt bin und problemlos alle Waffen einsetzen kann. Xilia hat mich verwundert angeschaut und große Augen gemacht, als ich mich von ihr mit einer Umarmung und einem „bis bald" verabschiedet habe.

Da der Weg durch den Buchenwald ganz schön lang dauert, lege ich mich unter einen großen Baum. Drei Stunden lang döse ich vor mich hin und ruhe mich aus. Wirklich schlafen kann und will ich nicht. Trotzdem bin ich etwas ausgeruhter, als ich mich wieder auf den Weg mache. Mit entschlossenen Schritten marschiere ich schließlich auf die Zugbrücke und das Schlosstor zu. Meine Hand ruht auf dem Schwert. Sollte es notwendig sein, könnte ich es sofort ziehen.

„Ach schau, wer uns da besuchen kommt. Der König wird sich aber freuen", spöttelt eine der Wachen.

„Lass mich durch!", befehle ich ihm.

„Wir sollten sie ergreifen und in den Thronsaal schleifen, dann werden wir belohnt."

„Du schleifst niemanden. Wenn du leben möchtest, dann stell dich mir besser nicht in den Weg", fauche ich ihn an.

„Schlechte Laune heute?", will er wissen.

Ich sehe es dem Mann an, dass er kurz mit sich hadert. Er möchte sich zwar das Lob abholen, ist sich aber auch der Gefahr bewusst, die von mir ausgeht. Dann aber tritt er doch zur Seite und lässt mich durch. Es hat wohl die Vernunft gesiegt. Der zweite Mann war da deutlich klüger. Der hat sich von Anfang an zur Seite gemacht.

Die Wache am Tor hinter mir lassend, setze ich meinen Weg fort. Ich gehe direkt auf den Thronsaal zu. Zwar stehen noch weitere Wachen entlang meiner Strecke, aber keiner behelligt mich. Teilweise liegt es daran, dass sie Angst vor mir haben, andererseits aber auch am Umstand, dass ich, einmal ins Schloss gelassen, mich bewegen darf, wie ich will. Das ist eine alte Regel in Wesaria. Eigentlich hätte die Wache am Tor reagieren müssen. Klüger für alle, war es so.

Vor den großen Türflügeln, die mich noch vom Thronsaal trennen, bleibe ich einen Moment stehen und hole tief Luft. Die Wachen beäugen mich auch hier misstrauisch. Ich bin mir sicher, dass das, was sich gleich hinter diesen Türen abspielen wird, mir einiges an Anstrengung abverlangen wird. Aber mir ist auch klar, dass es kein Zurück mehr gibt.

Ich reiße mit einem Ruck den rechten Flügel des Portals auf und trete entschlossen ein, ohne um Erlaubnis zu fragen, wie dies sein müsste. Den Thronsaal einfach so zu betreten, mag Borsin ganz und gar nicht.

Wohl auch deshalb wird es im Saal plötzlich mucksmäuschenstill. Keiner sagt auch nur ein Wort, kein Ton ist mehr zu hören. Natürlich wissen alle, wer ich bin und warten nun gespannt darauf, was gleich passieren wird.

Ich blicke mich in aller Ruhe im Raum um. Es ist eigentlich alles, wie immer. Die Adeligen stehen gebückt da oder sitzen auf alten abgewetzten Stühlen. Sie warten darauf, ihrem König Bericht erstatten zu dürfen und Befehle in Empfang zu nehmen. Meist geht es darum, dass sie zu wenig Steuern eintreiben konnten und dies dem König ganz und gar nicht schmeckt.

Aber auch Borsin selbst scheint von meinem Erscheinen überrascht zu sein. Früher hatte er immer sofort ein böses Wort zur Hand. Doch heute scheint mein Eintreten sogar ihm die Sprache verschlagen zu haben.

„Na sieh mal da"", höre ich.

Die Einzige, die ihre Sprache offenbar nicht verloren hat, ist Jegrina, die Dirne des Königs, wie sie hinter vorgehaltener Hand von allen genannt wird. Es ist aber auch den Leuten nicht zu verübeln, dass sie zu diesem Schluss kommen. Sie ist immer in seiner Nähe und er verhätschelt sie, wie eine Geliebte.

„Ja, du Schlampe", fauche ich zurück. „Ich hab keine Angst vor dem großen und gefürchteten König Borsin. Nicht mehr!"

Ich habe sie bewusst als Schlampe bezeichnet, auch wenn ich nicht glaube, dass die beiden auf diese Weise zusammen sind. Ich will sie lediglich ärgern und ihr vor Augen führen, wofür sie alle am Hof halten. Ich bin nicht gekommen, um mir Freunde zu machen.

„Und was willst du hier?", will nun Borsin wissen. Er hat offenbar seine Sprache wiedergefunden.

„Dich zum Kampf herausfordern!"

„Wachen, ergreift die Verräterin und werft sie in den Kerker. Sie wird morgen bei Tagesanbruch hängen."

Als sich keine der Wachen bewegt, schaut er irritiert durch den Saal. Auch Jegrina scheint sich zu ärgern.

„Wachen! Worauf wartet ihr? Habt ihr euren König nicht gehört? Das war ein Befehl!", schreit sie eine Spur zu schrill.

„Meine liebe Jegrina, du kennst offenbar den Ehrenkodex nicht. Wenn ein Krieger einen anderen zum Kampf herausfordert, dann kann dieser nicht kneifen, ohne das Gesicht zu verlieren. Deshalb warten die Wachen ab."

„Der König ist kein Krieger", faucht sie.

„Er ist sogar der oberste Krieger und unterliegt als solcher, genau wie alle Wachen und ich auch, dem Ehrenkodex."

„Warum tust du das?"

„Ich will das Land von diesem Tyrannen befreien. Er hat schon zu viel Leid und Elend über die Menschen gebracht. Das muss endlich ein Ende haben."

„Du hast doch keine Ahnung vom Regieren", höhnt sie.

„Sicher mehr als du!"

Nun lacht sie überheblich auf. Ich verstehe zwar nicht, warum sie so belustigt ist, aber dieses Biest kennend, wird sie es mir gleich unter die Nase reiben. Borsin hingegen ist blass um die Nase geworden und schaut mich entgeistert an.

„Nur dumm, dass ich Königin werde, sollte es dir wider Erwarten doch gelingen, meinen Vater zu besiegen. Ich bin Prinzessin Jegrina, die rechtmäßige Nachfolgerin auf dem Thron von Wesaria."

Nun bin ich überrascht. Diese Hexe will eine Prinzessin sein? Ich bin ein wenig irritiert. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.

„Stimmt das?", fahre ich Borsin an.

„Jegrina ist meine Tochter, deine kleine Schwester."

Wenn es vor diesen Worten bereits still im Saal war, dann herrscht danach absolutes Schweigen. Noch nie habe ich so viele Menschen nichts sagen hören. Man könnte selbst eine Stecknadel fallen hören.

„Sie hat die gleiche Mutter?", frage ich. Meine Augen sind nur noch zu Schlitzen zusammengezogen.

„Dieselbe Mutter", bestätigt er.

„Was? Du bist meine Schwester?", faucht Jegrina.

„So scheint es zumindest, die ältere Schwester sogar", antworte ich hämisch. „Wer hat also Anspruch auf den Thron?"

„Ich erkenne das nicht an!", bellt sie.

„Es wird dir nichts anderes übrigbleiben", sage ich, um sie zu ärgern. Dann aber wende ich mich an Borsin. „Warum hast du uns unserer Mutter einfach weggenommen?"

„Damit genau das aus euch wird, was aus euch werden soll und geworden ist."

„Das wäre?"

„Aus dir sollte eine mutige Kriegerin werden, die ihr Land verteidigen wird, die in der Lage ist, den Fortbestand dieses Reiches zu sichern."

„Und dieses Schoßhündchen? Welchen Sinn hat das denn bitte?", frage ich verächtlich. Dabei deute ich auf meine angebliche Schwester.

„Ich wollte sie um mich haben. Das war wohl eher Egoismus."

„Du hast mich doch ausbilden lassen, damit ich eine würdige Königin werde", meint Jegrina verbissen.

„Dich ausbilden lassen? Wozu? Aus dir wird nie eine Königin, dazu hast du ganz bestimmt nicht das Format", meint Borsin. „Ganz im Gegensatz zu deiner aufmüpfigen Schwester."

Das sitzt. Jegrina schnaubt empört, wird blass im Gesicht und rennt beleidigt zur Tür, um den Saal zu verlassen. Die Adeligen schauen ihr hinterher und lachen sie lauthals aus. Das bringt die eitle junge Frau nur noch mehr auf die Palme. Die Tür zum Thronsaal knallt zu. Dann herrscht erneut Stille.

„Da läuft dein eingebildetes Schoßhündchen", spotte ich.

„Wo warst du?", bellt er mich an. Meine Neckerei ignoriert er völlig.

„Das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass ich Zeit hatte, nachzudenken und zum Schluss gekommen bin, dass sich in diesem Land etwas ändern muss. Deine Schreckensherrschaft muss ein Ende haben."

Die Adeligen schauen mich überrascht an. Ich kann Angst aber auch Zustimmung in ihren Augen lesen. Ich habe den Eindruck, sie würden sich nichts sehnlicher wünschen als eine Veränderung. Allerdings sehe ich auch ihre Zweifel in mich. Sie trauen mir nicht zu, dass ich die Änderung herbeiführen kann.

„Deshalb willst du mich zum Kampf herausfordern?"

„Das ist der einzige Weg, den die alten Bücher kennen, um einen König fair und offen vom Thron zu stoßen. Ich bin nicht der Mensch, der einen Meuchelmord begeht, um seine Ziele zu erreichen. Ich bin eine Kriegerin und kämpfe offen."

„Das wird dir nichts nützen", grinst er.

Langsam erhebt er sich vom Thron. Sein Blick ist eisern auf mich gerichtet. Mir ist klar, dass er den Kampf lieber verweigern würde, aber die Wachen gehorchen ihm nicht, solange er meine Herausforderung nicht angenommen hat. Wir wissen beide, dass er in der Klemme sitzt. Schließlich war er es, der immer auf Ehre und Traditionen gepocht hat. Immer wieder hat er betont, wie wichtig die Ehre sei. Genau deshalb habe ich ihn zum Kampf herausgefordert. Das ist die einzige Möglichkeit, den König vom Thron zu stoßen, ohne selbst die Ehre zu verlieren.

Langsam geht er Schritt für Schritt die drei Stufen vom Podest herab, auf dem der Thron steht. Ein siegreiches Lächeln spielt um seine Lippen. Mit seinen 50 Jahren ist er noch nicht so alt und immer noch einer der besten Kämpfer im Land. Er trainiert jeden Tag hart. Er glaubt, dass Macht etwas mit Kampfkraft und -geschick zu tun hat. Genau nach diesem Kredo regiert er aber auch, mit Härte und Gewalt.

„Du willst gegen mich antreten? Das wirst du bitter bereuen. Bilde dir nicht ein, dass ich dich schonen werde, nur weil du meine Tochter bist", sagt er.

Bei diesen Worten schwingt ganz viel Hass in seiner Stimme mit. Ich nehme an, es ist die Enttäuschung, dass ich ihn herausfordere, dass ich nicht das mache, was er will, dass ich meinen eigenen Kopf habe und dass ich ihn und seinen Herrschaftsstil kritisiert habe. Ihn als Tyrannen zu bezeichnen ist Hochverrat. Mir ist klar, dass ich bei ihm jede Achtung verloren habe. Doch dies beruht auf Gegenseitigkeit.

„Du brauchst mich nicht zu schonen", antworte ich gelassen. „Wozu auch? Es kann nur einer gewinnen."

Borsin will mich offenbar überraschen, zieht ganz plötzlich das Schwert und geht in Kampfposition. Da ich allerdings eine solche Reaktion bereits erwartet habe, schließlich kenne ich den König schon lang genug, habe auch ich sofort meine Waffe in der Hand und bin bereit. Die Adeligen werden jedoch von der überraschenden Entwicklung überrumpelt, sie springen von ihren Sitzen auf und drängen sich angsterfüllt an die Wand, um in der Mitte genug Platz zu lassen. Sie wollen sich aus der Gefahrenzone bringen. Auch sie kennen Borsin. Er würde keine Rücksicht nehmen, stünde ihm jemand im Weg.

„Du hättest Königin sein können, aber das hast du jetzt wohl versaut."

„Was für eine Königin? Ich will nicht, dass mein Volk mich fürchtet. Ich will für die Menschen da sein."

„Ach was, das Volk hat nur die Aufgabe, für den König da zu sein, Steuern zu zahlen und Soldaten zu stellen."

„Genau da liegt der Unterschied, leben und leben lassen."

„Dass ich nicht lache", macht er sich lustig.

Wir tänzeln um einander herum. Wir sind wie zwei lauernde Raubkatzen. Ich will nicht den ersten Angriff starten, aber auch Borsin ist vorsichtig. Gespannt beobachten die Adeligen und die Wachen das Geschehen.

„Na, alter Mann, traust du dich nicht anzugreifen?", ärgere ich ihn.

„Du kannst ja selbst angreifen", faucht er zurück.

Ich kenne die Stärken und die Schwächen dieses Mannes. Oft genug habe ich ihn beim Training beobachtet. Aber auch er kennt meinen Kampfstil. Er weiß, dass ich, wenn es darauf ankommt, kompromisslos bin. Wohl auch aus diesem Grund, ist er vorsichtig und will nicht unüberlegt handeln.

Entgegen meiner ursprünglichen Absicht, einfach nur abzuwarten, täusche ich schließlich doch einen Angriff vor und als mir auffällt, wie er mit Panik in den Augen zurückweicht, setze ich ihm nach. Ich brülle laut und versetze ihn damit erneut in Angst und Schrecken. Er übersieht die Treppe zum Podest, auf dem der Thron steht, stößt dagegen und kommt ins Straucheln. Etwas unbeholfen fällt er hin.

Es wäre für mich ein Leichtes, seine Hilflosigkeit auszunützen, und ihn zu verletzen oder gar zu töten. Aber ich lasse von ihm ab. Ich will ihn leiden lassen, ich will mit ihm spielen.

„Hast du Angst, alter Mann", necke ich ihn erneut.

„Warts ab, du mieses Stück Dreck!", schimpft er. „Ohne mich wärst du nichts, ein jämmerliches Weib eines Bauerntölpels."

Als er sich erhebt, fällt mir nicht nur auf, dass er sich offenbar am Knöchel verletzt haben muss und deshalb leicht humpelt, mir fällt auch auf, dass seine Bewegungen tatsächlich langsamer und unbeholfener geworden sind. Borsin wird allmählich alt.

Kaum, dass er wieder auf den Beinen ist, greift er an. Er sucht das Glück ganz offensichtlich im Angriff. Doch ich lasse ihn damit ins Leere laufen. Diesmal allerdings versetze ich ihm einen Hieb auf den Rücken, sodass er einen Schnitt quer über die Schulterblätter davonträgt. Er schreit auf und sein Wams färbt sich langsam rot.

„Ergib dich! Du hast keine Chance!", fordere ich ihn auf. „Es hat keinen Sinn. Du kannst mich nicht besiegen."

„Keine Chance, gegen ein kleines Mädchen, dass ich nicht lache", knurrt er zurück.

Ich höre den Drachen in mir fauchen. Horus scheint sich mächtig zu ärgern. Deshalb versuche ich ihn mit meinen Gedanken zu beruhigen. Ich möchte vermeiden, dass der Drache aus mir herausbricht und die Sache übernimmt. Das wäre nicht ideal, dann wüsste jeder, wer ich bin.

Ich schaffe es, Horus zu besänftigen. Zwar spuken immer wieder verschiedene Schimpfwörter durch meinen Kopf, aber ich spüre, wie er sich allmählich wieder beruhigt, als ich ihn damit besänftige, dass der alte Mann gegen mich wirklich nicht den Hauch einer Chance hat.

„Warum bist du geflohen, wenn du jetzt wieder zurückkommst?", will er wissen.

Er tänzelt nicht mehr, er stellt sich nur fest auf den Boden und schaut mich lauernd an. Da er schneller atmet, gehe ich davon aus, dass er bereits anfängt müde zu werden. Ich hingegen habe noch gar nicht richtig angefangen. Deshalb ändere ich Taktik und nun tänzle ich noch schneller um ihn herum. Damit irritiere ich ihn sehr. Er muss sich ständig drehen und wenden, um mich im Blick zu behalten. Das verunsichert ihn sichtlich. Immer wieder versetze ich ihm dabei auch kleine Hiebe mit dem Schwert. Manchmal schafft er es, den Schlag zu parieren, manchmal weicht er gerade noch rechtzeitig aus und die anderen Male trägt er eine kleine Wunde davon

Es sind immer nur kleine Nadelstiche und keine ernsthaften Verletzungen, die ich ihm versetze. Doch mit der Zeit färbt sich seine Kleidung immer mehr rot. Er sieht fürchterlich aus und auch sein Blick wird zunehmend verbissener.

„Gib auf, alter Mann!", fordere ich ihn erneut auf.

„Du wirst mich töten müssen. Ich werde mich ganz sicher nicht ergeben."

„Das wäre wohl zu viel Schmach für dich, gegen ein kleines Mädchen zu verlieren", mutmaße ich.

„Gegen eine Verräterin wie dich kann ich gar nicht verlieren."

Noch bevor die letzten Worte verklungen sind, greift er an, läuft auf mich zu und schlägt wahllos mit seiner Waffe durch die Luft. Ich hebe deshalb mein Schwert, um die Hiebe abzuwehren. Der Angriff scheint eine Verzweiflungstat zu sein.

Plötzlich aber stolpert er, versucht sich mit zwei Schritten nach vorne noch abzufangen, was ihm aber nicht gelingt. Er stürzt zu Boden und dabei genau in seine eigene Klinge. Diese bohrt sich in den Hals, trifft die Schlagader und Blut spritzt heraus. Im Rhythmus der Herzschläge kommt immer wieder eine Fontäne und ergießt sich auf dem Boden. Borsin röchelt nur noch, seine Augen sind vor Schreck geweitet.

Ich gehe neben ihm auf die Knie, nehme ihm das Schwert aus der Hand und lege es zur Seite. Er schaut mich flehend an und gibt mir zu verstehen, dass er mir noch etwas sagen will. Deshalb beuge ich mich tief zu ihm herab.

„Mein Gott, du bist ...", keucht er.

„... die Prinzessin, die du gejagt hast. Ja, die bin ich", vollende ich seinen Satz.

„Wie konnte ich nur einen solchen Fehler machen?"

„Du warst fixiert", antworte ich. „Möge Mors dir gnädig sein."

„Mors? Wer ist das?"

„Der Gott des Todes."

„Ach die Götter, die gibt es ja doch nicht", lacht er heiser auf und spuckt dabei Blut.

Dann fällt sein Kopf zur Seite und die Augen schauen mich nur noch starr und leer an. Er ist tot.

„Die Götter gibt es doch", sage ich ganz leise. „Und die Göttin des Lebens war dir näher als du glaubst. Doch du hast den Tod gewählt."

Ich schließe seine Augen und erhebe mich. Die Adeligen rücken von der Wand ab und schauen mich erwartungsvoll an. Die Wachen wissen nicht, was sie tun sollen. Es herrscht kollektive Unsicherheit. Deshalb übernehme ich die Führung.

„Ihr habt es gehört, ich bin die älteste Tochter des Königs und übernehme damit die Macht. Die Wachen sichern das Schloss und alle wichtigen Punkte im Land. Ich möchte eine Liste aller Gefangenen und bei jedem auch wissen, warum er im Kerker sitzt.

Ihr Adeligen geht hinaus und verkündet, dass vorerst die Steuern ausgesetzt sind. Wir treffen uns morgen um 10 Uhr wieder in diesem Raum. Macht euch Gedanken, was wir sofort und was wir mit der Zeit ändern sollen. Ich will vieles neu machen, es soll sich alles zum Guten wenden."

Zunächst sagt niemand etwas, dann aber brandet Applaus auf und ich höre Rufe wie, „Hoch lebe die Königin". Plötzlich tritt ein junger Adeliger vor.

„Darf ich etwas fragen, Eure Majestät?"

„Nur zu?"

„Wie ist Euer Name?"

„Aurora, ich wurde nach der Morgendämmerung benannt", antworte ich. „Sie soll den Neuanfang symbolisieren."

„Es lebe Königin Aurora!", ruft daraufhin der junge Mann. Die anderen stimmen in den Chor ein. Selbst die Wachen jubeln mir zu.

„Wir sollten nicht zu viel jubeln. Immerhin ist gerade ein Mensch gestorben und wir haben viel Arbeit vor uns, um aus Wesaria ein blühendes Land zu machen, in dem sich alle wohlfühlen. Wir sollten demütig sein."

Plötzlich fliegt die Tür auf und Jegrina betritt den Thronsaal. Zunächst bleibt sie in der Tür stehen, dann kommt sie entschlossen auf mich zugelaufen. Sie schiebt mich verächtlich zur Seite und kniet sich neben Borsin auf den Boden.

„Vater, was ist mit dir?", heult sie. „Vater, steh doch auf!"

Sie rüttelt an der Leiche und versucht ihn aufzurichten. Alle Anwesenden schauen mitleidig auf sie herab. Dann erhebt sie sich und schaut mich aus hasserfüllten Augen an.

„Du Mörderin! Du hast meinen Vater ermordet. Dafür wirst du büßen!"

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