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Die Macht des Drachens

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Der Ort, an dem sich die Gestalten tummeln, wirkt mystisch zu sein. Er liegt in einer Mulde ganz oben auf einem Hügel. Wunderschöne, knorrige und urig aussehende Korkeichen spenden Schatten, am Boden stehen riesige Felsblöcke herum. Es müssen Findlinge sein, denn sie passen nicht zum Rest der Gegend.

„So in etwa haben doch die Druiden den Hain der Götter beschrieben", staune ich.

„Was sind Druiden?", will Vespera wissen.

„Das waren die Priester und Heiler der Kelten, eines Stammes der vor vielen, vielen Jahren vorwiegend im Norden Europas gelebt hat."

„Könnte sein, dass einer von ihnen einmal diesen Hain der Götter gesehen hat", meint sie trocken.

„Wie weit ist es noch?", nörgle ich.

„Zu Fuß eine halbe Stunde."

„Und nicht zu Fuß?"

„Wenn wir fliegen, sind wir in zwei Minuten da."

„Wir könnten fliegen? Warum sagst du das nicht gleich?"

„Damit du dich etwas beruhigen kannst?", stellt sie schelmisch eine Gegenfrage.

„Damit ich mich beruhigen kann? Ist das dein Ernst?", frage ich aufgebracht. „Mann, regt mich das auf! Ich habe keine Zeit zu verlieren und beruhigen will ich mich auch nicht!"

„Ja, schon gut, wenn das so ist, dann fliegen wir eben", kichert meine Schwester.

Sofort erhebt sie sich in die Luft und schwebt neben mir. Ich schaue sie überrascht an.

„Wie soll ich das machen?"

„Denk einfach daran, du würdest fliegen."

Na, prima einfach denken. Genervt versuche ich es und siehe da, es klappt auf Anhieb. Ich fliege! Lange kann ich mich an meiner neuen Fähigkeit allerdings nicht erfreuen, denn Vespera fliegt einfach los und ich muss schauen, dass ich ihr hinterherkomme.

Mein Flug ist im Gegensatz zur majestätischen Fortbewegung meiner Schwester, etwas wackelig, aber ich schaffe es, mit ihr mitzuhalten. Während sie elegant im Eichenhain aufsetzt, lege ich eine kleine Bruchlandung hin. Peinlich berührt springe ich sofort vom Boden auf und klopfe mir den Dreck aus der Kleidung.

Ein junger Kerl lacht mich ganz offen aus. Der Milchbubi hat den Mut, mich, die Kriegerin Aurora auszulachen. Ich bin fuchsteufelswild.

„Wenn dir an deinem Leben etwas liegt, dann lach nicht so blöd", pampe ich ihn an.

Sofort verschwindet das hämische Grinsen aus seinem Gesicht. Er starrt mich an, als sei ich das achte Weltwunder.

„Wie ist die denn drauf?"

„Ich bin genervt."

„Du bist ja schlimmer als die Göttin der Zwietracht. Dabei bist du, wenn ich mich richtig erinnere, die Göttin des Lebens."

„Die jetzt tot ist und das nicht sein will", fauche ich ihn an.

„Na hör mal, was kann ich dafür. Ich bin der Gott der Liebe"

„Ja, ja, der liebe Amor, der unbekümmert einmal hierhin und einmal dorthin fliegt, einen Pfeil dahin schießt und einen anderen dorthin, dem es aber ganz egal ist, was aus dem Paar wird, das er zusammengebracht hat", schnauze ich zurück.

„Jetzt bist du aber unfair?"

„Hast du je verstanden, wie das Leben funktioniert? Was passiert, wenn du nur einen der beiden triffst und den anderen verfehlst? Aber das ist dir doch egal, ob dann einer der beiden leidet. Scheiß Gott der Liebe!", keife ich.

„Dumme Kuh!", faucht nun auch er.

Aber diesmal wendet er sich einfach ab und verschwindet. Vespera schaut mich mit der rechten Augenbraue hochgezogen an.

„Du machst dich echt beliebt", grinst sie.

„Ich bin nicht hier, um Freunde zu finden, ich will hier wieder weg!"

„Ich will, ich will, ich will. Du benimmst dich, wie ein kleines, trotziges Kind."

Plötzlich kommen zwei Gestalten um einen der großen Findlinge herum, es sind ein Mann und eine Frau. Ich erkenne sie sofort, es sind unsere Eltern.

„Aurora, da bist du ja wieder. Was ist denn passiert?", meint Luna, meine Mutter.

„Ich bin gestorben, das ist passiert", sage ich verärgert.

„Aber du hast Borsin doch ausgeschaltet. Damit hast du deine Aufgabe so gut wie erfüllt."

„Das habe ich ganz und gar nicht, auch nicht so gut wie. Zurück bleibt ein Land im Chaos. Der König ist tot und die älteste Prinzessin wurde von ihrer angeblichen Schwester ermordet, die offenbar sehr viel vom Wesen ihres Vaters geerbt hat. Das nennst du Aufgabe erfüllt? Die Prophezeiung spricht davon, dass die Prinzessin das Land befriedet und das Nachbarland auch. Keine Ahnung, was dieser Teil soll, aber mein Land will ich zum Wohlstand führen."

Inzwischen haben sich die Götter alle versammelt und neugierig um uns geschart. Sie haben offenbar meine Rede mitbekommen und schauen mich leicht betreten an.

„Was sie sagt, klingt logisch", meldet sich ein junges Mädchen.

„Was willst du denn wissen. Du bist nur eine Halbgöttin. Eine Botin" keift sie ein alter Mann an.

„Und was für ein beschissener Gott bist du?", fauche daraufhin ich ihn an. „Die alten Trottel, die uns junge Frauen für dumm halten, kann ich schon gar nicht ab. Seid ihr Götter oder Idioten?"

„Oh, die junge Dame ist heute angriffslustig", meint der Alte.

„Und sie ist eine der wichtigsten Göttinnen", grinst Vespera. Dabei zwinkert sie mir zu.

„So jung und schon so wichtig. Das hätte es früher nicht gegeben", meint der Alte.

„Wir wurden bisher nur unterschätzt", neckt ihn meine Schwester weiter.

„Schluss jetzt mit solchen Kindereien. Ich habe ein viel wichtigeres Problem. Ich will zurück auf die Erde!", fahre ich dazwischen.

Plötzlich ist es still. Alle schauen mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Dass ich wieder zurück auf die Erde will, scheint absurd zu sein, zumindest für Götter.

„Das geht nicht, du bist gestorben", meint Amor. „Ätsch!"

„Ich bin die Göttin des Lebens. Es muss doch einen Weg geben, dass ich mir selbst das Leben schenken kann."

„Wie soll das denn bitte funktionieren?", will Sol, mein Vater wissen.

„Seid ihr Götter oder nicht? Habt ihr etwas zu sagen oder nicht?", brülle ich in die Runde. „Was macht ihr hier, was machen wir alle hier, wenn wir doch nichts tun können? Wozu braucht es uns, die Götter, dann überhaupt?"

Erneut ist es schlagartig still. Nur das Zwitschern der Vögel und andere Geräusche der Natur sind zu hören. Die Götter aber scheinen über meine Worte nachzudenken, einige schauen mich schockiert an. Ich habe sie in Frage gestellt.

„Warum willst du unbedingt zurück auf die Erde?", will Luna wissen.

„Weil ich dort noch gebraucht werde."

„Aber du hast doch Borsin getötet. Die Menschen in Wesaria können neu anfangen."

„Können sie nicht, zumindest nicht ohne Führung."

„Das musst aber nicht du sein."

„Ich führe das zu Ende, was ich begonnen habe. Dies ist mein Charakter und ich werde einen Weg finden, um die Prophezeiung ganz zu erfüllen. Darauf könnt ihr euch verlassen."

Ich schnaube verärgert und will mich schon umdrehen, um wieder davon zu stapfen, obwohl ich keinen blassen Schimmer habe, wohin ich mich wenden soll. Es ist wohl eher eine Trotzreaktion. Doch ein Räuspern in meinem Rücken bremst mich aus. Ich drehe mich um und sehe Mors vor mir, den Gott des Todes. Ausgerechnet ihn!

„Was willst du denn? Bin ich dir noch nicht tot genug?", fahre ich ihn an. Er aber kichert nur.

„Es wird schon sein, dass die Göttin des Lebens und der Gott des Todes gegensätzlicher nicht sein können, aber ich kann dir helfen. Ich kenne einen Weg, damit du wieder auf die Erde zurückkehren kannst."

„Du, ausgerechnet du?", frage ich überrascht.

„Wer, wenn nicht ich, kennt sich mit dem Tod aus und weiß, wie man mir ein Schnippchen schlagen kann?"

„Dann schieß los", fordere ich ihn ungeduldig auf.

„Es gibt eine Möglichkeit. Weil du selbst die Göttin des Lebens bist, brauchst du sie nicht lange fragen."

„Jetzt sag schon endlich und rede nicht lange um den Brei herum!", fordere ich ihn ungeduldig auf.

„Du, die Göttin des Lebens, kannst dir ein zweites Leben schenken, als Mensch. Allerdings würde das bedeuten, dass du auf deinen Status als Göttin verzichtest und auch deine Bindung zu deinem Drachen wirst du verlieren."

„Ich verliere die Bindung zu Horus?", sage ich traurig. „Warum?"

„Weil du als Mensch niemals die Macht hättest, diese Verbindung aufrecht zu erhalten. Es wäre dein sicherer Tod."

„Schon wieder!"

„So sind die Regeln."

„Mach es. Ich spüre, wie wichtig es dir ist, dein Land in Sicherheit und Frieden zu wissen", meldet sich Horus in meinem Kopf.

„Aber du bist mein Drache! Ich liebe dich!"

„Ich dich doch auch und ich werde auch immer dein Drache bleiben. Nur die Verbindung müssen wir lösen."

„Ich habe dich so liebgewonnen!"

„Ich dich auch, mein Mädchen."

„Du willst tatsächlich, dass ich es mache."

„Weil du sonst auf ewig unglücklich wärst."

„Das wäre möglich. Trotzdem!"

„Lieber ein bisschen traurig, als für immer nicht mehr seines Lebens froh werden können. Ich werde bei dir bleiben und auf dich aufpassen. Versprochen!"

„Du bist der Beste!"

„Das weiß ich."

Ein Lachen hallt durch meinen Kopf und ein ungeheuer warmes Gefühl durchströmt meinen Körper. Auf meinen Status als Göttin zu verzichten, kostet mich nicht die kleinste Überlegung. Aber die Verbindung zur Horus zu verlieren, nicht mehr mit ihm durch die Lüfte fliegen zu können, das wiegt schwer auf meiner Seele.

„Du tust es nicht aus Egoismus, du willst für die Menschen in deinem Reich da sein. Das ist unglaublich schön und selbstlos. Du bist ein ganz tolles Mädchen und ich hätte mir keine bessere Seelenverwandte wünschen können. Du bist meine persönliche Heldin!"

„Das sagt der mächtigste Drache, den es je gegeben hat. Ich hab dich sooooo lieb!"

„Und jetzt mach es, bevor ich es mir anders überlege", grinst er.

Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder den Umstehenden zu. Sie schauen mich alle an und scheinen auf etwas zu warten, auf meine Antwort. Jetzt erst fällt mir auf, dass eine Träne meine Wange hinunterrollt. Das Zwiegespräch mit Horus hat mich wohl doch mehr mitgenommen, als ich gedacht hätte.

„Dann machen wir das!", sage ich entschlossen.

„Du willst es wirklich. Und dein Drache?", erkundigt sich Luna.

„Der ist damit einverstanden."

„Das zeigt von Größe, denn er muss unter der Trennung genauso leiden, wie du."

„Er ist sich dessen bewusst. Aber Horus ist ein ganz besonderer Drache, er ist mein Drache", antworte ich schnell.

„Gut, dann musst du deine Zuständigkeit auf jemand anderen übertragen. Du musst aussuchen, wer die künftige Göttin oder der neue Gott des Lebens ist. Danach musst du in diesem Hain feierlich erklären, dass du auf deinen Status als Göttin für immer verzichten willst, im Tausch gegen das Weiterleben als Mensch."

Die Umstehenden sind ganz still geworden. Sie schauen mich verwundert an. Ich vermute, dass wohl kein anderer Gott diesen Schritt machen würde, dass keiner seine göttliche Unsterblichkeit aufgeben würde. Ich bin mal wieder die ganz große Ausnahme!

„Welchen Bereich hast du?", frage ich meine Schwester.

„Ich? Bisher noch keinen. Ich bin noch etwas jung", antwortet sie.

„Dann wird es wohl langsam Zeit, erwachsen zu werden."

„Du willst mir ...?"

„Ja, wenn du es annehmen möchtest, würde ich gerne dich, meine Schwester, zur neuen Göttin des Lebens machen. Ich weiß, dass das Leben bei dir in guten Händen sein wird."

„Sie ist noch zu jung und sprunghaft", wendet Vater ein.

„Ist nicht das Leben selbst auch sprunghaft? Heute wird es geschenkt und kann morgen schon wieder vorbei sein. Heute ist es schön und morgen bringt es nur Kummer und Sorgen. Ich glaube, es passt perfekt zu Vespera."

„Sollten wir da nicht auch ein Wort mitreden", mischt sich nun Mutter ein.

„Nein, das ist eine Sache zwischen mir und meiner Schwester. Ich habe sie von Anfang an gemocht. Sie war mir die liebste aller Göttinnen und ich vertraue ihr am meisten. Ich übergebe dir das Leben. Pass gut darauf auf, es ist das höchste Gut, das eine Gottheit schenken kann und ich weiß, wovon ich rede."

Vespera kommt auf mich zu und umarmt mich. Auch ihr kullert eine Träne über die Wange. Sie drückt mich ganz fest an sich.

„Ich werde dich so vermissen", haucht sie mir ins Ohr.

„Ihr könnt euch noch sehen. Im Saal der Meditation. Als ehemalige Göttin wird es Aurora auch weiterhin erlaubt sein, diesen Raum zu betreten und du, Vespera, darfst ebenfalls dorthin. Dort könnt ihr euch auch in Zukunft sprechen, solange Aurora lebt", meint Mors.

„Das werden wir", versichere ich.

Wir stehen noch immer da und halten uns an den Händen. Plötzlich spüre ich ein Kribbeln, das meine Arme entlang auf Vespera zugleitet und schließlich in den Fingerspitzen verschwindet.

„Hast du das auch gespürt?", will sie wissen.

„Das Leben ist auf dich übergegangen", sage ich. „Hüte es gut."

„Das werde ich."

Erhobenen Hauptes und erleichtert, dass ich das Leben in guten Händen weiß, trete ich in die Mitte des Hains. Ich wende mich zur Talseite hin und blicke noch einmal hinab ins Reich der Götter. Die Menschen nennen es Himmel oder Paradies. Zweiteres trifft es wohl eher.

Ich gehe kurz in mich. Ich spüre, wie sich Horus aus mir zurückzieht und mir dabei noch ein letztes Mal sanft über die Seele streichelt. Es ist dies ein Gefühl, das absolut einzigartig ist und das ich mir für immer im Gedächtnis behalten werde, als Verbindung, die ich auch weiterhin zu meinem Drachen haben werde. Es ist nicht viel, aber eine für mich sehr wichtige Erinnerung. Erneut kullert eine Träne meine Wange hinunter. Alles andere ist einfach für mich, aber meinen Drachen nicht mehr spüren zu können, fühlt sich unglaublich falsch an.

„Wir beide schaffen das", versichert er mir. Dann ist er weg.

Alle schauen gespannt auf mich. Niemand traut sich ein Wort zu sagen, selbst das Atmen versuchen sie so ruhig und still wie möglich zu erledigen. Doch mich stören die Götter nicht. Ich habe meinen Entschluss schon lange getroffen. Ich - will - zurück!

„Ich, Aurora, verzichte hiermit auf meinen Status als Göttin, auf meine Unsterblichkeit und wünsche mir nur, als Mensch weiterleben zu können. Das ist mein freier Wille!"

Kaum habe ich diese Worte ausgesprochen wird mir schwarz vor Augen.

Kapitel 22

Ich komme wieder zu mir. Mein Kopf brummt und ich muss mich erst orientieren. Das bunte Glitzern irritiert mich. Doch dann wird mir sofort klar, dass ich im Saal der Meditation bin. Mein Körper hängt etwas schlaff quer im Thron. Ich gehe davon aus, dass man mich hierher gebracht hat. Das ist der Ort, an dem sich die beiden Welten treffen.

Ich habe Mühe, mich zu erheben. Meine Beine fühlen sich immer noch wie Pudding an. Dafür aber, dass ich bereits tot war, geht es mir überraschend gut. Ich will also nicht klagen. Einen Moment allerdings muss ich innehalten und warten, bis sich mein Kreislauf halbwegs stabilisiert hat.

Ich bin überrascht, wie schnell das geht. Schon wenige Minuten später fühle ich mich stark genug, den Raum zu verlassen. Ich öffne die Tür und trete hinaus in den Gang. Ich gehe diesen entlang und hoffe, bald auf jemand zu treffen.

„Lotta, bist das wirklich du?", höre ich jemand jubeln. Es ist Mirabell, die Prinzessin.

Sie kommt auch schnell auf mich zu und bleibt vor mir stehen. Ungläubig mustert sie mich von oben bis unten.

„Wie ist das möglich. Du warst doch tot?"

„Das war ich. Aber jetzt bin ich wieder zurück."

„Wie geht denn so etwas?"

„Ich erkläre es allen gemeinsam. Bringst du mich zum Saal des Rates?"

„Ich stütze dich. Du bist noch etwas wackelig auf den Beinen."

„Ist das ein Wunder? Ich war tot, mausetot", grinse ich.

„Ja, ja, ich wollte nicht meckern", lächelt sie zurück. „Lotta, wie sie leibt und lebt."

Wir erreichen den Saal und Mirabell macht sich auf den Weg alle zusammenzurufen. Als die Mitglieder des Rats hören, dass ich lebe, füllt sich der Saal in Windeseile.

Schon bald sitzen alle am ovalen Tisch, ich führe den Vorsitz und Mirabell sitzt neben mir. Der Einzige, der recht gelassen wirkt, ist Nefrin, der bisherige Vorsitzende des Rates der Weisen.

„Nun erzähl schon", drängt mich dagegen Mirabell.

„Euch ist hoffentlich klar, dass das, was ich euch jetzt erzähle, diesen Raum nicht verlassen darf. Es ist nicht für die Ohren normaler Menschen bestimmt", sage ich. Alle nicken zustimmend.

„Wie ihr wisst, bin ich eine Kriegerin und stamme aus Wesaria, ich bin am Hof von König Borsin aufgewachsen und dann geflohen. Erst im Saal der Meditation habe ich erfahren, dass ich eigentlich Aurora heiße und die Tochter von Luna und Sol bin, die Göttin für das Leben."

Ein Raunen geht durch die Anwesenden. Mirabell hingegen starrt mich mit großen Augen und offenem Mund an.

„Du bist eine Göttin?"

„Ich war eine Göttin", korrigiere ich sie. „Ich wurde auf die Welt geschickt, um die Prophezeiung zu erfüllen. Deshalb bin ich nach dem Besuch hier in der Grotte der Meditation nach Wesaria zurückgekehrt und habe Borsin getötet.

Da ich dort als die Tochter von Borsin gelte, da die Götter mich als Neugeborenes genau jener Frau anvertraut haben, die ein Verhältnis mit dem König hatte, gelte ich als Prinzessin von Wesaria und wurde damit, nach dem Tod Borsin's, zur Königin ernannt.

Ich habe allerdings eine Schwester, zwar nicht wirklich leibliche, aber die Tochter von Borsin und der Frau, zu der ich gebracht worden war. Dieses Mädchen hielt sich immer noch für die rechtmäßige Erbin. Sie hat bis vor Kurzem nicht gewusst, dass ich ihre Schwester sein soll und da ich die ältere bin, Anspruch auf die Nachfolge habe. Das allerdings wollte sie nicht wahrhaben.

Während mich Borsin zur Kriegerin ausgebildet hat, um mich auf die Herrschaft über mein Volk vorzubereiten, hielt er nicht viel von Jegrina und hat sie nur verwöhnt. Sie war nie als Nachfolgerin vorgesehen. Aus diesem Frust heraus hat sie ein Attentat auf mich unternommen und mir einen Pfeil in die Brust geschossen.

Mit letzter Kraft konnte mich Horus hierherbringen. Ich nehme an, ihr habt mich in die Grotte der Meditation gelegt, wo mich die Götter zu sich geholt haben."

„Aber warum bist du dann wieder hier?", will Mirabell wissen.

„Ich habe Borsin im Kampf getötet, aber der zweite Teil der Prophezeiung, dass ich dem Land Frieden und Wohlstand bringe, ist noch nicht erfüllt und ich mag keine halben Sachen. Deshalb habe ich nach einem Weg gesucht, um noch einmal zurückzukehren."

„Das geht?"

„Der Gott des Todes, Mors, wusste, wie es geht. Ich musste meine Zuständigkeit abgeben und auf meinen Status als Göttin verzichten."

„Das hast du getan?", will Mirabell wissen.

„Das habe ich."

„Das alles nur der Menschen wegen", staunt sie. „Du bist unglaublich!"

„Ich kann sie unmöglich sich selbst überlassen."

„Und was ist mit meinem Bruder?"

„Dem will ich auch noch einmal begegnen", gestehe ich. Ich fühle, wie ein wenig Hitze in meine Wangen steigt.

„Was hast du jetzt vor?", will Nefrin wissen.

„Ich werde nach Noresia zurückkehren und mit der königlichen Familie sprechen. Ich werde sie um Hilfe bitten. Anschließend werde ich in mein Land zurückkehren und meine Arbeit beginnen."

„Ich komme mit dir mit nach Noresia", meint Mirabell.

„Wenn du das so willst. Wir reiten morgen los."

Wir brauchen die Zeit, um unsere Pferde und vor allem unser Gepäck vorzubereiten. Ich verzichte dieses Mal auf das Lasttier, damit wir schneller weiterkommen. Als ich mich dann am nächsten Morgen auf den Rücken meines Rappens schwinge, fühle ich mich wieder stark wie früher.

Den Rückweg legen wir ohne größere Probleme zurück. Zwar begegnen wir einem Mann, der meiner Einschätzung nach ein Räuber sein könnte, aber er verzieht sich sofort, als er mein Schwert sieht und behelligt uns nicht weiter.

Als wir über den Schlosshof von Noresia preschen, schauen uns alle überrascht hinterher. Vor dem Eingang ins Schloss springen wir von den Pferden und übergeben sie einem Stalljungen. Da wir uns beeilt haben, kommen wir gerade noch rechtzeitig zum Abendessen.

Die Königin und der König schließen ihre Tochter sofort in ihre Arme. Sie haben sie nun doch einige Zeit nicht gesehen. Wir erzählen ihnen kurz, was sie wissen dürfen. Dass ich eine Göttin war und gestorben bin, das verschweigen wir lieber. Dafür kann ich mit der guten Nachricht aufwarten, dass ich Borsin im Kampf getötet habe und nun Königin von Wesaria bin.