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Die Macht des Drachens

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„Er hat sich selbst ins Jenseits befördert", sage ich ruhig. „Außerdem habe ich ihn mehrfach aufgefordert, sich zu ergeben."

„Er war mein Vater!"

„Er war auch ein Tyrann, er hat das Volk geknechtet und jedem hier seinen Willen aufgezwungen. Schau dir doch an, was er aus dir gemacht hat."

„Ich durfte sein, wie ich war", heult sie.

„Weil er für dich keine Pläne hatte", entgegne ich kalt.

Plötzlich strafft sie die Schultern. Dann schaut sie hochmütig in die Runde. Ich kann sehen, wie Stolz in ihren Augen aufflammt.

„Ich bin die neue Königin", sagt sie entschlossen. „Ich werde das Land in deinem Sinne weiterregieren, Vater. Das verspreche ich!"

„Meine Liebe, wie wir schon vorhin festgestellt haben, bin ich die Ältere von uns beiden und habe die Macht bereits übernommen", stelle ich klar.

„Es lebe Königin Aurora", ruft der junge Mann von vorhin.

„Es lebe Königin Aurora", rufen alle anderen im Chor.

„Wer ist Aurora?"

„Ich bin Aurora, das ist der Name, den ich als Kind bekommen habe."

„Aurora? Dein Ernst? Du bist Nummer 15 und keine Königin."

„Es lebe Königin Aurora!", rufen alle erneut im Chor. Sie wollen Jegrina wohl klar machen, dass ich ihre Unterstützung habe und die neue Königin bin.

„Das wirst du mir büßen!", faucht sie.

Damit steht sie auf und verschwindet zum zweiten Mal aus dem Raum. Die Anwesenden lachen ihr hinterher. Ich dagegen blicke ihr mitleidig nach. Das arme Mädchen war ihr Leben lang nur ein Spielball des Königs und hat es noch immer nicht verstanden.

Kapitel 20

Es wird allmählich Abend. Der Tag war ausgefüllt mit Arbeit, um einen einigermaßen geregelten Übergang zu gewährleisten. Ich begebe mich in die Küche, weil ich den ganzen Tag noch keine Zeit gefunden habe, auch nur einen kleinen Happen zu mir zu nehmen. Ich habe einen Bärenhunger und mein Magen knurrt immer lauter.

„Raus da, wir bereiten das Essen vor", brüllt mich die Küchenchefin an.

„Ich möchte doch nur ein Stück Brot."

„Da könnte jeder kommen. Wo kämen wir hin, wenn sich niemand mehr an die Essenzeiten hält?"

„Ich hatte viel zu tun."

„Das haben wir auch."

Inzwischen sind auch die anderen auf uns aufmerksam geworden. Doch die stämmige Frau schiebt eine Küchenmagd zur Seite und kommt direkt auf mich zu. Sie baut sich vor mir auf.

„Wer bildest du dir ein zu sein, dass du hier so einen Aufstand veranstaltest?", bellt sie mich an.

„Ich bin Aurora."

„Welche Aurora?", erkundigt sie sich irritiert.

„Die neue Königin."

„Die was?", will die Köchin wissen. Dabei springen ihr fast die Augäpfel aus den Höhlen.

„Ich bin Königin Aurora und hätte gerne ein Stück Brot, weil ich den ganzen Tag noch nichts zu essen hatte."

„Verzeiht, Eure Majestät. Das ist mir aber peinlich. Kommt, setzt Euch an den Tisch da", bietet mir die Küchenmagd an. Offenbar hat sie sich als erste gefangen.

Ich folge ihr zu einem kleinen Tisch, an dem wohl das Küchenpersonal isst und setze mich hin. Die Magd huscht herum und wenig später habe ich einen Krug Wasser, einen Korb mit Brot und eine kleine Auswahl an verschiedenen Bratenstücken vor mir.

„Wünscht Ihr Wein?", erkundigt sie sich.

„Nein, danke. Das ist lieb von dir, aber ich trinke lieber keinen Wein. Ich sollte noch einen klaren Kopf bewahren."

Das restliche Küchenpersonal, inklusive der rundlichen Köchin, löst sich langsam aus der Schockstarre. Alle schauen sie in unsere Richtung.

„Serena, was machst du da? Was fällt dir ein?"

„Ich habe der Königin etwas zu essen gegeben."

„Ohne vorher zu fragen? Wie kommst du dazu. Komm sofort her, du wirst zur Strafe zwei Wochen Kartoffeln schälen", braust die Köchin auf.

„Stopp!", rufe ich nun entschlossen.

Erneut sind alle Augen auf mich gerichtet. Doch diesmal erholt sich die Köchin schneller und kommt eilig auf mich zu, um sich neben mir aufzubauen.

„Entschuldigt, Eure Majestät."

„Ich entschuldige gar nicht. Mir ist es egal, wenn ich nicht erkannt werde, ich bin auch nur ein Mensch. Aber, wenn eine fleißige, junge Frau bestraft werden soll, weil sie als einzige reagiert und mir etwas zu essen bringt, dann ist das ungerecht und so etwas kann und will ich nicht dulden."

„Aber es ist nicht ihre Aufgabe ..."

„Ganz recht, es wäre deine Aufgabe gewesen. Doch anstatt mir etwas zu essen zu bringen, bist du nur dumm in der Gegend herumgestanden. Sei froh, dass mindestens eine aus deiner Küche so geistesgegenwärtig war und reagiert hat", sage ich entschlossen. „Serena, komm setz dich zu mir."

Dabei deute ich auf den Stuhl neben mir. Serena, nun eingeschüchtert vom Wirbel, der um sie und ihr Handeln entstanden ist, schaut sich unsicher um. Dann kommt sie doch meiner Aufforderung nach und setzt sich vorsichtig. Es sieht aber so aus, als sei sie jederzeit bereit, wieder aufzuspringen.

„Wie lange arbeitest du schon in der Küche?", will ich wissen.

„Seit fünf Jahren."

„Nach fünf Jahren bist du immer noch Magd?", frage ich. Dabei ziehe ich die rechte Augenbraue nach oben.

Serena schaut mich hilfesuchend an, blickt dann zur Köchin und dann wieder zu mir. Ich verstehe sofort, dass zwischen den beiden etwas nicht stimmt. Deshalb beuge ich mich zu ihr hinüber und flüstere ihr ins Ohr.

„Du kannst es mir auch leise ins Ohr sagen, damit es niemand sonst hören kann."

Als ich mich wieder aufrichte, sehe ich das erstaunte Gesicht. Mir ist klar, sie hadert noch mit sich, ob sie es mir sagen soll oder nicht. Dann aber beugt sie sich doch zu mir herüber.

„Sie ist neidisch, weil ich besser kochen kann als sie."

„Wie kommt das?", flüstere ich.

„Ich war zehn Jahre in einem Gasthof in Noresia und habe dort das Kochen von der Pieke auf gelernt. Aber die Köchin will keine Ratschläge annehmen."

Da wir beide uns immer wieder zum anderen gelehnt und diesem dann ins Ohr geflüstert haben, hat keiner von den Umstehenden etwas von unserem Gespräch mitbekommen. Allerdings sehe ich es dem Gesicht der Köchin an, dass diese sich schon denken kann, worüber wir sprechen.

„Jetzt reicht's, ich lasse mich nicht von einer Göre verleumden!", bellt die Köchin. „Was nimmt die sich heraus, sich zur Königin zu setzen und sich bei ihr einzuschleimen."

Sie packt Serena grob am Arm und versucht sie hochzuziehen. Ihr verbissener Gesichtsausdruck spricht Bände. Noch bevor Serena etwas sagen kann, springe ich auf und stelle mich ganz nahe vor die Köchin. Ich überrage sie um einen ganzen Kopf und muss auf sie herabblicken.

„Verschwinde! Verlass diese Küche und setze nie mehr einen Fuß in dieses Schloss. Solltest du es trotzdem wagen, lasse ich dich von den Wachen direkt in den Kerker werfen. Ich habe Serena gebeten sich zu mir zu setzen. Sie jetzt wegzuziehen ist ein Affront gegen mich. Ich habe Serena etwas gefragt und sie hat mir geantwortet. Zu behaupten, sie hätte dich verleumdet, obwohl du kein Wort verstanden hast, ist ebenfalls ein Affront gegen mich."

„Das ist meine Küche. Ich lasse mich daraus nicht vertreiben. König Borsin persönlich hat mich eingestellt", faucht sie mich an. „Habt ihr überhaupt in diesem Schloss etwas zu sagen? Ihr seid doch die Verräterin."

„Wachen!", brülle ich. „Werft diese Frau aus dem Schloss und sollte sie sich wehren, geht es mit ihr direkt ab in den Kerker."

Die Frau schaut mich hasserfüllt an und schnaubt verächtlich. Sie will zwar noch etwas antworten, traut sich dann aber doch nicht, da sie die Wachen bereits gepackt haben und dabei sind, sie aus der Küche zu begleiten. Alle schauen der Alten hinterher, bis die Tür hinter den Wachen ins Schloss fällt.

„Gott sei Dank, ist die alte Hexe weg", sagt ein junges Mädchen in die Stille hinein.

Ich würde sie auf 16 Jahre schätzen. Bei ihren Worten muss ich schmunzeln. Es zeigt mir, dass nicht nur Serena unter der alten Schreckschraube zu leiden hatte. Ich bin ihr nur einmal begegnet und kann mich noch dunkel daran erinnern. Ich war ein Mädchen von etwa acht Jahren und hatte schrecklichen Hunger. Deshalb hatte ich es gewagt, in die Küche zu kommen und um etwas Brot zu bitten.

Ich habe von der Alten eine kräftige Ohrfeige kassiert und sie ist auch direkt mit mir zu Borsin gewackelt, wo ich noch einmal mit einer Strafe bedacht wurde. Die fiel dann allerdings deutlich härter aus.

„Da bin ich deiner Meinung, dass wir Gott danken können, dass wir die Hexe los sind. Aber wer soll ab jetzt die Küche leiten?", frage ich das Mädchen schmunzelnd.

Diese schaut mich geschockt und mit weit aufgerissenen Augen an. Offenbar ist ihr erst jetzt aufgefallen, dass sie laut gesprochen hat.

„Oh, verzeiht, Eure Majestät", meint sie und macht einen tiefen Knicks.

„Kommt, setzt euch alle um den Tisch und nennt mich Aurora."

Ich mache dabei eine einladende Handbewegung und schaue alle der Reihe nach an. Die Frauen und Mädchen zögern, völlig irritiert von meinem Verhalten.

„Setzt euch, habe ich gesagt. Auch eine Königin ist ein Mensch, auch mir knurrt der Magen, auch ich habe Hunger und ich bin euch dankbar, wenn ich etwas zu essen bekomme, das schmeckt und gesund ist."

„Aber Ihr seid die Königin."

„Sagen wir mal so. Auch ich möchte manchmal nur ein Mensch unter anderen Menschen sein, ein Mädchen unter anderen Mädchen. Wollt ihr dieser Ort der Erholung und Entspannung für mich sein?"

„Wenn Ihr das wünscht", meint die Kleine kess.

„Wenn du es wünschst", korrigiere ich sie.

„Ich, warum ich?"

„Du sollst du zu mir sagen, verstanden!?", lache ich.

„Mann, du bist mir eine echt komische Königin", grinst sie.

Serena ist die erste, die sich wieder auf ihrem Stuhl niederlässt, die Kleine dagegen huscht auf meine andere Seite und setzt sich dort hin. Die übrigen verteilen sich langsam, langsam um den Tisch.

„Wie heißt du?", frage ich das Mädchen.

„Ich bin Lea, Eure... äh ... Aurora."

„Gut, Lea und nun sag mir, wem würdest du es zutrauen, die Küche zu leiten."

„Sie soll aber nicht so ein Biest werden wie die Alte?"

„An wen hast du gedacht und glaubst du, sie könnte ein Biest werden.

„Das glaube ich nicht", grinst sie.

„Dann sag schon!"

„Serena, sie ist verdammt gut und hat mir viel weitergeholfen. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte mich die Hexe jeden Tag zehnmal windelweich geprügelt."

„Geschlagen?", frage ich schockiert.

„Ja, das stand bei ihr an der Tagesordnung."

„Geschlagen wird hier ganz sicher nicht. Wenn ich das mitkriege, dann gibt es Radau!"

„Du bist eine Königin ganz nach meinem Geschmack", grinst Lea.

„Was sagen die anderen zu Serena?", frage ich in die Runde.

Einige nicken, andere sprechen ihre Zustimmung aus und einige erzählen, wie Lea zuvor, dass Serena auch ihnen weitergeholfen hat. Damit steht mein Entschluss fest.

„Also machen wir alle zusammen Serena zur neuen Chefin der Küche. Jetzt will ich etwas essen und mit euch plaudern."

Ich mache mich über das Brot und die Bratenstücke her. Zunächst erzählt Lea, dass sie froh ist in der Küche zu arbeiten, weil sie so ihre Eltern unterstützen kann. Im Land sieht es, das erfahre ich dann auch noch von anderen, gar nicht gut aus. Mir wird klar, dass ich einiges an Arbeit vor mir habe und dass ich die Hilfe von Noresia brauche.

Nach einem angenehmen Plausch verlasse ich satt und zufrieden die Küche und gehe ein wenig in den Garten. Ich muss den Kopf frei kriegen und mir Gedanken machen, wo ich zuerst ansetzen muss.

Ich schlendere über steinige Wege und dabei fällt mir auf, wie unterschiedlich dieser Garten zu jenem von Noresia ist. Dort blüht es, überall sind bunte Beete und es duftet herrlich. Hier sind vorwiegend Büsche mit Dornen und Stacheln, kaum eine Blume ist zu sehen und von einem angenehmen Duft weit und breit keine Spur.

Ich überlege kurz, ob ich dieser Herausforderung gewachsen bin, ob ich es schaffen kann, dieses Land aus seiner dornigen Vergangenheit in eine blühende Zukunft zu führen. Zum ersten Mal seit langem zweifle ich an mir und meinen Fähigkeiten. Es ist wohl auch kein Wunder. Bisher musste ich nur kämpfen und das hatte ich gelernt.

Doch nun stehe ich vor einer ganz anderen und sehr schwierigen Herausforderung. Jetzt soll ich Menschen führen und Geldmittel verwalten, dafür sorgen, dass alle Arbeit und ein Auskommen haben, dass es den Kindern, den Erwachsenen und den Alten gutgeht. Das macht mir ein wenig Angst. Aber dennoch gibt es wohl keine Alternative und ich kann dabei auf Noresia's Hilfe hoffen.

„Stoppt sie. Sie zielt auf die Königin!", höre ich in der Ferne jemand rufen.

Überrascht drehe ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Da es schon zu dämmern beginnt, ist das Erste, was mir auffällt, ein hell erleuchtetes Fenster des Schlosses. Dort steht Jegrina mit einem Bogen, ein hämisches Grinsen umspielt ihren Mund.

„Ergreift sie. Sperrt sie in den Kerker!", ruft die Stimme von vorhin.

Ich erkenne sie, sie gehört einem Hauptmann der Garde. Er stürmt auf meine angebliche Schwester zu und reißt sie zu Boden. Doch weiter kann ich nicht auf die beiden achten, etwas trifft mich hart in die Brust, etwas bohrt sich in meinem Körper und ich fühle einen fürchterlichen Schmerz.

Als ich hinabblicke, steckt ein Pfeil mitten in meiner Brust, genau in der Nähe meines Herzens. Blut sickert aus der Wunde und färbt meinen Kampfanzug hellrot. Den Schmerz blende ich aus und versuche zu verstehen, was soeben passiert ist. Unter dem Eindruck der Geschehnisse, brauche ich ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass Jegrina versucht hat mich zu töten und so wie es aussieht, ganze Arbeit geleistet hat.

Ohne mein Zutun, kommt Horus plötzlich hervor, nimmt mich auf eine seiner Vorderpfoten und erhebt sich mit mir in den Himmel. Ich wage einen letzten Blick hinauf zum Fenster, von dem aus Jegrina auf mich geschossen hat. Der Hauptmann hält sie fest, beide starren in meine Richtung und haben die Augen weit aufgerissen. Ich gehe davon aus, dass der Drache sie derart zum Staunen bringt.

Lange kann ich aber die beiden nicht beobachten. Horus hat deutlich an Höhe gewonnen. Ich spüre, er fliegt, so schnell er kann, er fliegt um sein Leben, oder besser gesagt, um mein Leben. Ich kann fühlen, wie schnell sein Herz schlägt, wie Panik in ihm aufsteigt. Dann aber verliere ich das Bewusstsein.

Offenbar muss ich noch einen letzten hellen Moment haben. Ich bekomme noch mit, wie Horus landet, mich ablegt und Menschen auf uns zukommen. Ich habe die Augen geschlossen. Sie zu öffnen ist zu anstrengend. Dann höre ich eine Stimme.

„Sie wird sterben. Die Verletzung ist tödlich. Es ist ein Wunder, dass sie es bis hierher geschafft hat."

Dann verliere ich nicht nur das Bewusstsein, ich tauche ab in die Tiefen des Todes. Mir ist klar, mein Leben ist zu Ende. Jetzt ist alles aus!

Kapitel 21

„Hey Schlafmütze, aufwachen", flüstert mir jemand ins Ohr.

Eine Person rüttelt an meiner Schulter. Zuerst ist es noch recht sanft, mit der Zeit aber zunehmend entschlossener. Zuerst ist es beinahe angenehm, doch mit der Zeit nervt es.

Ich versuche meine Augen zu öffnen. Es geht nicht auf Anhieb, aber im dritten Anlauf schaffe ich es dann doch. Ich blicke blinzelnd direkt in die blauen Augen meiner leiblichen Schwester. Vespera grinst mich breit an.

Ich versuche mich umzublicken. Ich liege im Saal der Meditation am Boden, gleich hinter der Tür. Es sieht so aus, als hätte mich jemand durch die Tür geschoben, ohne den Raum selbst betreten zu haben. Vermutlich ist das auch genau so abgelaufen. Den Raum betreten darf nur ich, wenn ich das damals richtig verstanden habe.

„Da bist du ja endlich!"

„Ich lebe?"

„Bedaure, dich enttäuschen zu müssen, du bist tot."

„Das darf nicht sein!", sage ich geschockt. „Das darf ganz und gar nicht sein!"

Ruckartig richte ich mich dabei auf. Ein stechender Schmerz fährt mir durch die Brust. Meine Schwester reagiert geistesgegenwärtig und zieht rasch ihren Kopf zurück. Hätte sie ihren Oberkörper nicht aufgerichtet und sich damit aus der Gefahrenzone gebracht, wären wir wohl mit den Köpfen zusammengestoßen.

„Wow, Wow, nicht so stürmisch!", wehrt sie auch mit den Händen ab.

„Nicht so stürmisch? Du hast leicht reden, du bist nicht tot", motze ich.

„Ich bin unsterblich, wie du übrigens auch."

„Warum bin ich dann tot, wenn ich unsterblich bin?"

„Hast du einen Schlag auf den Kopf bekommen? Du bist eine Göttin und als solche unsterblich."

„Ich kann zurück auf die Erde?"

„Na ja, das dann auch wieder nicht."

„Verdammt, rede doch endlich. Was soll das heißen, ich bin unsterblich und dann kann ich doch nicht zurück. Was soll die Verwirrung?"

„Du bist eine Göttin. Dass du als Mensch auf die Erde durftest, war eine absolute Ausnahme. Aber wenn du dort stirbst, was dir passiert ist, dann ist dort Schluss. Du lebst allerdings in der Welt der Götter ganz normal weiter, weil du eben als Göttin unsterblich bist."

„Ich will aber nicht in der Welt der Götter unsterblich sein. Ich habe eine Aufgabe in der Welt der Menschen. Ich kann mein Land doch nicht in dieser unsicheren Zeit, sich selbst überlassen. Sie hoffen auf mich, sie vertrauen mir!"

Meine Schwester schaut mich fast mitleidig an. Ich verstehe nicht, warum sie so ruhig bleiben kann.

„Mein Gott, du meinst das ernst", platzt sie schließlich heraus.

„Natürlich meine ich das ernst, was denkst du denn? Hast du eine Ahnung, was in Wesaria im Augenblick los ist? Wenn ich jetzt nicht zurückkomme, dann war alles umsonst."

„Aber Borsin ist doch tot."

„Der schon, aber damit ist es noch lange nicht getan. Das Land braucht eine neue Führung, eine starke Führung."

„Warum nimmst du dir das denn alles so zu Herzen?"

„Weil ich ein Pflichtbewusstsein habe. Ich bin keine verwöhnte Göttin, ich habe mir alles hart erarbeitet. Jetzt kann ich nicht einfach loslassen."

„Du willst tatsächlich wieder zurück zu den Menschen", stellt sie fest. „Wir sollten den Rat der Götter einberufen. Ich wüsste wirklich nicht, wie man das Problem lösen könnte."

„Dann gehen wir, wohin auch immer, aber schnell", treibe ich sie an.

„Ja, ja, nicht hetzen, komm!", meint sie.

Sie bietet sie mir eine Hand an, damit sie mir beim Aufstehen helfen kann. Ich aber fühle mich schon wieder stark genug. Ich springe auf und warte darauf, dass sie endlich losgeht.

„Dir geht es gut", grinst sie.

„Als Göttin schon, nicht aber als Mensch", brumme ich.

Vespera geht schmunzelnd auf die Wand zu und erneut tut sich die Tür auf, durch die ich schon das letzte Mal gegangen bin. Wir kommen wenig später in den zweiten, größeren Raum. Diesmal allerdings ist er leer.

„Da ist ja keiner", entfährt es mir.

„Wir müssen weiter, in die Welt der Götter."

„Und was ist das hier?"

„Der Übergang", meint sie.

Dass sie dabei mit den Augen rollt, zeigt mir, dass ich sie mit meiner Ungeduld wohl ein wenig nerve. Aber sie sagt nichts. Sie geht auf eine weitere Tür zu und tritt hinaus auf eine grüne Wiese im strahlenden Sonnenschein. Ich bleibe einen Moment überwältigt von diesem Anblick stehen, schaue hinauf zum Himmel und lasse mich von der Sonne anstrahlen. Es fühlt sich herrlich an!

„Ist das der Himmel?"

„Ja, ist es nicht himmlisch hier?"

Ich muss über ihr übermütiges Wortspiel trotz allem kurz grinsen. Es stimmt, es ist alles viel intensiver. Natürlich gibt es auch auf der Welt eine grüne Wiese und Sonne, die einem ins Gesicht scheint. Doch hier ist alles viel schöner, bunter, mit viel mehr Leben erfüllt, viel mehr Blumen, Sträucher und der Wind streicht angenehm über die Haut. Es ist perfekt.

„So stelle ich mir das pure Leben vor", sage ich ganz spontan.

„Sagt die Göttin des Lebens", grinst Vespera breit.

„Mach keine Witze. Ich bin so schon sauer genug. Warum darf die Göttin des Lebens nicht auch leben?"

„Ist das eine philosophische Frage?"

„Nein, ich meine das verdammt ernst."

„Nur die Ruhe. Wir versuchen das zu klären."

Wir laufen über die Wiese und nach einer Weile, die mir etwa wie eine halbe Stunde vorkommt, aber eigentlich derselbe Moment ist, sehe ich in der Ferne einen Ort, an dem sich Gestalten tummeln. Zeit scheint in dieser Welt keine Rolle zu spielen.

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