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Die Wikingerfibel Teil 01

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Als ich den großen Saal erreiche und die Tür aufstoße, um einzutreten, verstummen alle Gespräche, sämtliche Augen sind auf mich gerichtet. Es ist ein ungewohntes Gefühl. Ich bin es als Architektin gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, wenn ich ein Projekt erkläre oder präsentiere, aber das hier ist etwas völlig anderes.

Ich bin bis auf drei Mädchen, die herumeilen und Krüge verteilen, die einzige Frau im Raum. Das allein wäre allerdings nicht ganz so ungewohnt. Im Baugewerbe bin ich schon öfter die einzige Frau. Aber der Saal sieht aus, wie man sich einen Rittersaal vorstellt. Kühl, alles aus Stein und in der Mitte ein langer und grob zusammengezimmerter Tisch.

Was ebenfalls auffällt, ist die Kleidung der Männer. Sie tragen grobe Leinenhemden, Hosen aus Leder, die mit rudimentären Nähten zusammengehalten werden, klobige Schuhe und sie halten einen Mantel aus dickem Fell in der Hand oder er liegt griffbereit in ihrer Nähe. Ich komme mir in meiner modernen Kleidung und den Sneakers komplett fehl am Platz vor.

„Da bist du ja endlich", meint der Mann, der mir vorhin von der Mauer aus zugerufen hat. „Was trägst du denn heute für sonderbare Kleidung?"

„Dein Häschen sieht ganz schön heiß aus", ruft einer der Männer dazwischen.

„Auf dem Schiff wird ihr mit dem dünnen Leder ganz schnell kalt, das kann ich garantieren", antwortet ein anderer.

„Jarl, du hast dein Weib nicht im Griff", höhnt ein weiterer.

Dieser allerdings scheint mächtig zu sein. Er steht an der Kopfseite der langen Tafel. Hinter ihm befindet sich ein besonders großer und mit zahlreichen Schnitzereien verzierter Stuhl. Man könnte ihn fast schon als Thron bezeichnen. Allerdings weiß ich nicht, ob es so etwas bei den Wikingern gegeben hat.

Vor ihm auf dem Tisch steht ein großer Krug, aus dem er bei meinem Eintreten einen kräftigen Schluck genommen hat. Ich bin ja schon mal beruhigt, dass es nicht ein Totenschädel ist, aus dem er seinen Met genießt. Aber das entspringt wohl eher nur der Fantasie einiger Comiczeichner der Neuzeit.

Was ich nun aber weiß, ist, dass der Mann, der mich gerufen hat, Jarl heißt. Das erkenne ich daran, dass er dem Mann, der diesen Namen gerufen hat, eine patzige Antwort gibt. Jarl ist, wie alle übrigen hier auch, auffallend groß. Alle Männer schätze ich auf 1,90 bis 2,00 Meter, einige sogar noch darüber.

„Sie ist nicht mein Weib, Hakon. Sie ist eine Kriegerin, eigensinnig, aber verdammt gut. Sie kämpft besser als jeder deiner Männer. Warum glaubst du, hat man ihr den Beinamen Odins Tochter gegeben?"

Lachen kommt im Raum auf. Ich weiß nicht, warum ich mich darüber maßlos ärgere. Ich habe doch noch nie gekämpft, außer höchstens in der Schule bei der einen oder anderen Rangelei im Pausenhof. Aber als Kriegerin hätte ich mich nun wirklich nicht bezeichnet.

Was macht überhaupt eine Kriegerin aus? Diese Frage kommt mir spontan in den Sinn. Reichen da meine unzähligen Trainingsstunden in verschiedenen Kampfsportarten? Muss ich in Schlachten gekämpft oder schon mehrere Männer getötet haben? Ich weiß es nicht.

„Wer will es mit mir aufnehmen?", frage ich, ohne lange nachzudenken. Selbstsicher stehe ich da und lasse meinen Blick in der Runde schweifen. Ich komme mir vor, wie ferngesteuert. „Ihr dürft euch gerne melden, wenn ihr des Lebens müde seid."

Das Lachen im Raum verstummt auf der Stelle. Offenbar haben sie Angst vor mir, oder zumindest Respekt. Nur ein noch recht junger Mann, ich würde ihn auf 17 oder 18 Jahre schätzen, tritt einen Schritt vor.

„Spinnst du, Leifr? Alva schlägt dich ungespitzt in den Boden", lacht Jarl laut auf. „Spring lieber von der Klippe."

„Warum soll ich von der Klippe springen?", erkundigt sich der junge Mann irritiert.

„Selbstmord ist es so oder so. Von der Klippe springen tut aber weniger weh", lachte Hakon, der Anführer.

Damit übergehen die Anwesenden den jungen Mann, der von allen nur belächelt wird. Er gibt sich zu meiner Überraschung geschlagen und tritt von allein zurück in die Menge. Dies ist eher ungewöhnlich, vor allem für einen Wikinger. Schließlich gibt er sich damit eine Blöße und das auch noch einer Frau gegenüber.

„Setzt euch, wir haben wichtige Dinge zu besprechen."

Es ist Hakon, der seine Stimme erhebt und alle folgen ihm. Die Männer suchen sich einen Platz am großen Tisch und setzen sich auf die bereitstehenden Hocker. Ich dagegen bleibe stehen, da ich unschlüssig bin, auf welchen Platz ich mich setzen soll. Immerhin kenne ich meine Stellung und meinen Platz in dieser Gesellschaft nicht, noch nicht.

„Setz dich zu mir", fordert mich Hakon auf. Er deutet dabei auf den Platz zu seiner Linken. Damit ist geklärt, wohin ich gehöre. Welche Stellung ich in dieser Runde einnehme, ist allerdings noch nicht so sicher. Da ich neben dem Anführer sitzen darf, bin ich vermutlich nicht unbedeutend.

Nun bin ich zu Hakon's Linken und Jarl, offenbar mein Begleiter, hat zu dessen Rechten seinen Platz gefunden. Der Anführer blickt ernst in die Runde und erhebt sich schließlich.

„Männer aus Haugesund, die Zeiten sind hart, die gesamte Welt leidet unter einer Reihe von Missernten und alle Rinder sind einer mysteriösen Krankheit zum Opfer gefallen und hat auch auf andere Tiere übergegriffen. Das geht inzwischen seit mehreren Jahren so. Die Lage wird zunehmend bedrohlicher. Wohin sollen wir uns mit unseren Raubzügen noch wenden? Wir brauchen dringend Lebensmittel für unsere Frauen und Kinder. Die Vorräte gehen bald zur Neige, sie reichen nur noch für wenige Monate."

„Warum sind Jarl und dieses Weib da?", will einer ganz unten am Tisch wissen.

„Dieses Weib hat einen Namen, sie heißt Alva. Die beiden kommen aus Bergen und wollen mit uns segeln."

„Zwei Mäuler mehr zu stopfen", motzt der Mann von vorher.

„Es sind zwei mutige Krieger mehr. Du kennst Alvas Ruf", korrigiert ihn Hakon tadelnd.

„Was helfen sie uns, wenn wir nicht wissen, wo wir Beute schlagen können. Es gibt für uns nichts mehr zu holen, nirgendwo!"

Da fällt mir eine Karte ins Auge, die etwas abseits an der Wand hängt. Sie ist rudimentär auf ein größeres, flaches Stück Holz gezeichnet und bildet lediglich Norwegen und Schweden ab. Ich bin verwundert, denn die Skandinavische Halbinsel ist dabei so dargestellt, dass der Teil, der an das Festland anschließt, einfach im Nichts verläuft. Von Dänemark, Großbritannien oder gar dem europäischen Festland ist keine Spur zu finden. Gerade diese Länder würden sich doch für Raubzüge bestens eignen.

„Gibt es noch andere Karten?", frage ich. Dabei stehe ich auf.

„Wie, andere Karten?", erkundigt sich Hakon. Er ist verwirrt, außerdem habe ich ihn mitten in seiner Rede unterbrochen.

„Habt ihr nur diese eine?", erkundige ich mich. Dabei deute ich auf die Karte an der Wand, vor der ich nun stehe.

„Ja, natürlich. Was denkst du denn? Wir sind schon froh, dass wir diese eine besitzen."

„Wer hat sie gezeichnet?"

„Was weiß ich! Sicher einer unserer Männer vor ganz vielen Jahren. Man sagt, er sei ein Leben lang zur See gefahren und habe immer wieder Zeichnungen von den Küsten angefertigt, an denen er und seine Leute vorbeigesegelt sind.

„Wie sieht es in Dänemark oder England mit der Ernte aus?"

„In wo?"

„Ihr wollt mir nicht sagen, dass ihr nur Skandinavien kennt."

„Skandinavien? Was ist das?"

„Diese Halbinsel da, ist das alles, was euch bekannt ist?"

„Halbinsel? Bist du verrückt? Das ist die Welt."

„Die ganze?", frage ich. Dabei ziehe ich die Augenbrauen weit nach oben.

„Was willst du uns damit sagen? Weiter ist noch kein Mensch gekommen."

Ich stehe vor der Karte und studiere diese etwas genauer. Die Fjorde sind sehr detailliert eingezeichnet. Das muss ich zugeben. Der Mann, der das gezeichnet hat, war unglaublich genau. Aber offenbar hat er sich nie weit von der Küste entfernt.

Ich überlege fieberhaft und fasse zusammen, was ich soeben erfahren habe. Diese Wikinger kennen offenbar nur einen ganz kleinen Teil der Welt. Für sie gibt es nichts anderes. Ich deute mit der Hand auf die Fläche unter dem eingezeichneten Land.

„Hier befindet sich weiteres Land, man nennt es Dänemark und hier, etwas westlich, liegt England. Aber auch das ist nur eine Insel. Dänemark dagegen hängt am europäischen Festland."

„An was?"

„Am europäischen Festland."

„Du sprichst in Rätseln. Dänemark, England, europäisches Festland, so etwas gibt es?", will Hakon wissen. „Dort könnten wir Beute schlagen?"

„Hängt davon ab, was ihr sucht", erkläre ich. „Habt ihr es auf Lebensmittel abgesehen, dann dürften Dänemark und Europa interessant sein, weil dort das Klima wärmer ist und alles besser wächst. Wenn ihr hingegen Schätze rauben wollt, dann würde ich England vorschlagen. Außerdem gibt es dort sicher auch Schafe, Schweine und Rinder, um den Fleischbedarf zu decken."

„Du lügst!", ruft einer aus der Menge. Er wirkt aufgebracht. „Ihr wollt doch nicht einem Weib glauben, das offenbar im Fieberwahn spricht."

„Woher willst du das alles wissen?", erkundigt sich nun auch Hakon.

Ich höre seiner Stimme deutlich an, dass auch er an meinen Aussagen zweifelt. Langsam wird mir klar, dass diese Männer eine sehr begrenzte Sicht auf die Welt haben. Norwegen ist ihre Welt. Von dem, was es sonst noch gibt, haben sie keinen blassen Schimmer. Sie sind immer in der Nähe der Küste gesegelt, auf Sicht sozusagen. Deshalb haben sie noch keine neuen Gebiete entdeckt, nicht viel von der Welt gesehen und die Gebiete, von denen ich erzählt habe, kennen sie nicht.

Wie aber soll ich diesen Männern erklären, dass ich ein ganz anderes Weltbild besitze, dass ich in der Schule gelernt habe, dass es sechs Kontinente gibt und ich auch schon auf vieren davon war, entweder, um dort Urlaub zu machen oder aus beruflichen Gründen. Wie soll ich diesen Gesellen erklären, dass es viel mehr gibt, als sie sich jemals vorstellen können. Denen werde ich nie im Leben eine logische Erklärung auf die Frage bieten können, woher ich weiß, dass es Dänemark und England gibt.

Warum habe ich nur diese dämliche Fibel gefunden. Natürlich ist es auch interessant, zu sehen, wie die Wikinger gelebt haben. Ich fürchte allerdings, die werden mich für verrückt halten, wenn sie es nicht schon längst tun. Ob ich es bei diesen Naturburschen schaffe, lang am Leben zu bleiben, weiß ich wirklich nicht.

„Ich habe das in einer Vision gesehen", antworte ich.

Die Männer haben mich derart erwartungsvoll angeschaut, dass ich ihnen eine Antwort geben muss, und auf die Schnelle ist mir nichts Besseres eingefallen. Visionen waren in früheren Zeiten doch schon öfters eine gute Erklärung.

„Du hast Visionen?", will Hakon wissen.

„Ja, ich habe ab und zu Visionen."

„Und du hast gesehen, dass es außer unserer Welt noch etwas anderes gibt?"

„Ich bin mir sicher."

„Ihr wollt euch doch nicht auf die Halluzinationen eines verrückten Weibes verlassen", ruft einer der Männer aufgebracht vom anderen Ende des Tisches dazwischen.

„Seid nicht ihr es, die herumjammern, dass ihr keine Beute mehr macht und nicht wisst, wohin ihr euch wenden sollt. Ich will mich ganz bestimmt nicht aufdrängen", halte ich erbost dagegen. „Macht doch, was ihr wollt."

„Beruhige dich, hör nicht auf Einzelne", meint Hakon beschwichtigend.

Dabei legt er mir eine Hand auf den Oberschenkel. Keiner der Männer sieht es, das Ganze passiert unterm Tisch verborgen. Erkennen könnten sie es höchstens an meinem Gesicht, das sich ruckartig Hakon zuwendet. Mein Gesichtsausdruck zeigt deutlich meine Verärgerung.

„Was soll das?", frage ich ihn gefährlich ruhig.

Mein Blick wandert zu seiner Hand auf meinem Schenkel. Die Männer um uns herum schauen mich fragend an. Hakon hingegen grinst nur selbstsicher. Er ist wohl ein Macho, wie er im Buche steht! Es ist ein herausforderndes Grinsen, so als wollte er sagen, ich hätte eh nichts zu bestimmen.

„Willst du von der Klippe springen?", frage ich.

Diesmal verengen sich seine Augen zu Schlitzen und er schaut mich leicht verwundert an. Offenbar ist er es nicht gewohnt, dass sich ihm eine Frau widersetzt. Auch die anderen verfolgen unseren kleinen Disput irritiert, aber auch aufmerksam.

„Warum sollte ich von der Klippe springen?", erkundigt er sich und lächelt noch immer süffisant.

„Selbstmord ist es so oder so. Es tut aber weniger weh", antworte ich immer noch gelassen. Ich verwende bewusst die Worte, die er vorhin dem jungen Burschen gesagt hat, als dieser mich herausfordern wollte.

Leicht verunsichert zieht er tatsächlich seine Hand zurück. Inzwischen ist es ganz still im Raum geworden. Alle schauen abwartend zu uns. Selbst Jarl hat nicht verstanden, worum es genau geht. Aber alle haben mitbekommen, dass es Spannungen zwischen uns gibt.

„Wir reden danach weiter", raunt mir Hakon zu.

„Da gibt es nichts zu reden", antworte ich schnippisch. Mir geht der Mann auf die Nerven.

Hakon aber steht auf und schaut in die Runde. Ihn blicken nur verwirrte Gesichter an. Die Anwesenden haben zwar unseren Schlagabtausch mitbekommen, wissen aber immer noch nicht, worum es in Wirklichkeit geht. Außerdem steht noch immer die Frage im Raum, was es mit meinen Visionen auf sich hat.

„Ich werde mit Alva über die Route reden. Wir treffen uns am Nachmittag wieder hier."

Diesmal schaue ich ihn überrascht an. Was soll das jetzt? Er will mich zwingen, mit ihm zu reden. Dafür unterbricht er sogar die Versammlung. Der Mann sollte tatsächlich seine Prioritäten überdenken.

Ich will ihn aber vor seinen eigenen Leuten nicht voll und ganz brüskieren. Deshalb bleibe ich gelassen sitzen, während die anderen den Saal verlassen. Jarl schaut mich fragend an, verlässt den Saal aber ebenfalls, als ich ihm mit einem leichten Kopfnicken zu verstehen gebe, dass er mich allein lassen kann.

Ich rücke mit meinem Stuhl von Hakon ab und bringe damit etwas mehr Abstand zwischen uns. Ansonsten bewege ich mich nicht. Auch Hakon bleibt sitzen, bis alle draußen sind.

„Gehen wir irgendwo anders hin, wo wir besser reden können?"

„Besser?"

„Ungestört."

„Von mir aus. Müssen nicht alle mitkriegen, was ich dir zu sagen habe."

Er erhebt sich und macht sich auf den Weg. Dabei schaut er sich gar nicht um und vergewissert sich auch nicht, ob ich ihm tatsächlich folge. Ich tue es trotzdem, auch wenn ich sein Verhalten nicht gerade als höflich bezeichnen würde. Wikinger sind wohl etwas ungehobelt und ich werde mich mit Sicherheit noch an so einiges gewöhnen müssen.

Hakon führt mich in eine Art Innenhof. Er ist etwas abgelegen und wir sind ganz unter uns. Als ich mich umschaue fällt mir auf, dass es sich um einen etwas primitiven Garten handeln dürfte. Ich erkenne jedoch mehrere Rosenstöcke, die jetzt im Frühsommer in voller Blüte stehen. Auch einige andere Pflanzen kann ich ausmachen, die die Vermutung nahelegen, dass sie bewusst gepflanzt worden sind.

Natürlich ist der Garten nicht mit einem in meiner Heimat zu vergleichen. Aber das Klima zu Hause ist auch deutlich wärmer. Des Weiteren muss man auch bedenken, dass ich mich in einer völlig anderen Zeit befinde. Keine Ahnung, wie weit zurück mich diese sonderbare Reise katapultiert hat. Fakt ist, dass es einige Jahrhunderte sind.

Wir spazieren in den Garten hinein. Hakon schweigt. Auch ich sage nichts. Er wollte das Gespräch. Erst als wir in der Mitte der relativ kleinen Fläche ankommen und er immer noch nichts sagt, werde ich langsam ungeduldig.

„Was willst du besprechen?", frage ich

„Ich will dich und du wirst ab heute das Nachtlager mit mir teilen", sagt er schroff.

„Träum weiter!", antworte ich aber nur. Ich lache sarkastisch auf.

„Du bist ein Weib und ich will dich! So einfach ist das", kontert er entschlossen. "Oder gibt es einen anderen Mann, der Anspruch auf dich erheben könnte?"

„Ich bin eine Frau und kein Weib. Da, wo ich herkomme, begegnen Männer den Frauen mit Respekt. Ob man ein Paar wird, entscheidet nicht der Mann allein, da hat die Frau ein Wörtchen mitzureden."

„Wir sind aber nicht dort, wo du herkommst", antwortet er hämisch.

„Aber du brauchst mich, weil ich weiß, wo ihr reiche Beute machen könnt."

„Du willst dich mir widersetzen?"

„Ich lasse mich auf keinen Fall unterjochen."

„Jede Frau hier wäre froh, würde ich sie erwählen."

„Dann such dir doch eine andere, eine die mit Freude in dein Bett springt!"

Bisher haben wir uns direkt in die Augen geblickt. Keiner wollte den Blick abwenden. Nun aber wendet er sich verwundert ab und geht zwei Schritte, dann dreht er sich erneut zu mir um.

„Ganz ehrlich, so ein Weib wie dich habe ich noch nie getroffen. Ich weiß nur nicht, warum dir der Ruf vorauseilt, besonders klug und eine hervorragende Kriegerin zu sein. Wie hast du dir den Beinamen Odins Tochter erworben?"

„Was stört dich mehr, dass ich klug bin, oder dass ich eine Kriegerin bin?"

„Dein Verhalten stört mich. Ich habe den Eindruck, als würdest du nicht hierher passen."

Ich gehe die zwei Schritte wieder auf ihn zu, die er vorhin von mir weggegangen ist. Damit stehe ich nun wieder direkt vor ihm. Ich will damit Entschlossenheit zeigen und grinse ihm selbstbewusst ins Gesicht.

„Das glaube ich dir sogar. So etwas wie mich gibt es hier ganz sicher nicht noch einmal."

„Wie meinst du das?"

„Ich kann euch mit meinem Wissen weiterhelfen, ich kann dir helfen, Ansehen und Macht zu erlangen", sage ich lockend. „Dafür musst du mich respektieren, mich behandeln, als wäre ich ein Mann, der dir ebenbürtig ist."

Er lacht laut auf. Es ist ein überhebliches Lachen, er lacht mich aus. Trotzdem liegt Zurückhaltung in seinen Bewegungen. Er setzt also doch Hoffnung in mich, dass ich ihm und seinem Volk aus der Misere helfen kann. Meine Notlüge von den Visionen war offenbar gar nicht so schlecht.

„Ich habe zwischendurch den Eindruck, als würdest du aus einer ganz anderen Welt kommen."

„Damit liegst du gar nicht mal so falsch", grinse ich. Dann aber füge ich noch schnell etwas hinzu, um das Gesagte etwas zu relativieren. „Ich komme aus Bergen."

Der erste Teil ist mir einfach so herausgerutscht. Hakon schaut mich überrascht an. Ich kann gut verstehen, dass er verunsichert ist. Er weiß aber genauso gut wie ich, dass er mich braucht.

„Du musst Erfolge vorweisen und das schon bald. Die nächste Schiffsreise muss reiche Beute einbringen, sonst wird man sich nach einem neuen Anführer umschauen. Wenn erstmal die Not groß ist, bist du abgeschrieben. Du brauchst mich und mein Wissen."

„Woher weißt du das alles?"

„Spielt das eine Rolle? Ich kann dir aber versichern, ich weiß weit mehr, als du dir je vorstellen kannst. Wenn du der Anführer bleiben willst und deine Macht sogar noch ausbauen möchtest, dann arbeite mit mir zusammen, auf Augenhöhe."

„Habe ich eine Wahl?"

Ich schaue ihn herausfordernd an und lache etwas hochnäsig. Es ist mir durchaus bewusst, dass ich überheblich rüberkomme und das auch noch als Frau. Das könnte in dieser Welt der starken Männer gefährlich sein. Mir ist aber auch klar, ich muss diesem Mann zeigen, dass ich ebenbürtig bin.

„Nein, hast du nicht!"

Meine Offenheit scheint ihn zu überraschen. Aber ich bin generell nicht der Typ, der lange um den heißen Brei herumredet. Das habe ich noch nie und einem Mann muss man klare Ansagen machen. Zudem war Diplomatie ganz sicher keine Stärke der Wikinger. Meine Taktik kann also gar nicht anders sein. Er aber schaut mich nachdenklich an.

„Warum willst du mit mir zusammenarbeiten?", erkundigt er sich.

„Was sollte ich sonst tun?"

„Du könntest die Macht an dich reißen", meint er.

„Als Frau? Wie sollte das gehen", sage ich und lache sarkastisch auf.

Ich verstehe sofort, welche Sorge ihn beschäftigt. Er hat Angst, ich könnte ihn übergehen, ihm in den Rücken fallen. Da Wikinger wenig von ihren Frauen halten, nehme ich dies als Zeichen dafür, dass ich ihm durchaus den nötigen Respekt eingeflößt habe. Dass Männer Angst davor haben, eine Frau könnte ihnen den Posten streitig machen, muss für einen Wikinger neu und einschneidend sein. Solche Sorgen der Männer kommen normalerweise erst viel später in der Geschichte auf. Das mit Hakon ist also wohl als geschichtlicher Einzelfall zu werten.