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Die Wikingerfibel Teil 01

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„Seien wir ehrlich: Als Frau hätte ich niemals auch nur den Hauch einer Chance, die Macht bei einem Wikingerstamm an mich zu reißen. Ich will das aber auch gar nicht. Ich will nur eine Chance, deinen Leuten zu zeigen, dass ich es draufhabe und für die Gemeinschaft etwas bewirken kann. Ich will nicht nur ein Maul mehr zu stopfen sein, wie es der Typ da drinnen gesagt hat."

„Du willst etwas bewirken und trotzdem lässt du mir den Ruhm?"

„Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau."

„Der Mann ist nichts?"

„Alleine nicht!", lache ich.

Kapitel 2

Hakon hat es offenbar verstanden. Wir gesellen uns wieder zu den anderen und essen mit ihnen zu Mittag. Das Mahl ist einfach, aber lecker. Es wird eine Art Eintopf aus einem großen Kessel geschöpft und in Holzschalen gefüllt, die an der Essensausgabe bereitstehen. Nach dem Essen versammeln sich die Männer wieder im Saal.

„Was habt ihr besprochen", will einer der Anwesenden wissen. Dann grinst er süffisant. „Oder hast du ihr gezeigt, wer der Mann ist."

„Mir braucht keiner zu zeigen, wer der Mann ist. Das ist ein ganz kleiner Unterschied", antworte ich schroff. Dabei deute ich mit der rechten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger einen Abstand von etwa vier Zentimeter.

Hakon neben mir räuspert sich etwas verlegen. Dann aber steht er auf und ergreift das Wort.

„Männer der Wikinger, Alva hat mich überzeugt, dass wir etwas wagen müssen. Sie wird uns begleiten."

„Ich werde das Kommando über das Schiff übernehmen. Ich werde die Route festlegen und euch zu einem neuen Ufer führen", füge ich entschlossen an. „Wir werden reiche Beute machen, weil wir an Küsten gelangen, wo noch nie zuvor ein Wikinger war."

„Ein Weib soll das Kommando übernehmen? Niemals! Ich lasse mir von keinem Weib Befehle erteilen."

„Ich zwinge keinen mitzukommen. Allerdings wird die Beute unter jenen Männern aufgeteilt, die mitgesegelt sind. Wer hier bleibt, geht leer aus", meldet sich wieder Hakon zu Wort.

„Dann können wir aber unsere Familien nicht ernähren", wirft der Mann ein.

„In diesem Fall solltest du dir gut überlegen, was du tust", ergreife nun ich wieder das Wort. „Entweder ihr segelt mit mir zu Ufern, die reiche Beute versprechen oder ihr behaltet euren Stolz, anstatt einer Frau zu folgen, die sich auskennt. Ich verrate euch sicher kein Geheimnis, wenn ich euch erzähle, dass man vom Stolz nicht abbeißen kann."

„Diejenigen, die nicht mitkommen wollen, denen überlasse ich ein Schiff, damit sie ihren eigenen Weg suchen können. Ob sie damit Erfolg haben, ist eine andere Frage", ergänzt Hakon meine Worte.

„Du weißt genau, dass ein Beutezug nach Norden wenig Sinn macht", meint der Mann von vorhin. „Der wirft nie und nimmer genug ab. Zu oft haben wir es schon versucht. Die Lage wird nicht besser. Trotzdem lassen wir uns nicht von einem Weib Befehle erteilen."

„Eure Entscheidung!", sage ich. „Ich steche in drei Tagen in See."

Ohne auf weitere Wortmeldungen zu warten, erhebe ich mich und verlasse den Raum. Keiner traut sich etwas zu sagen. Alle starren mir ungläubig hinterher. So etwas haben sie von einer Frau wohl noch nie erlebt. Selbst Hakon braucht etwas, bis er aufspringt und mir hinterherläuft. Ich habe wohl alle geschockt, ihn eingerechnet.

Mir ist klar, dass mein Verhalten provokant ist und ich mir damit nicht nur Freunde mache. Wenn ich aber nicht von Anfang an klarmache, wer der Boss ist und, dass sie mir zu gehorchen haben, dann bin ich auf hoher See verloren und verkauft. Die Verhältnisse müssen schon an Land definitiv geklärt sein.

„Alva, Alva", ruft Hakon mir hinterher. Mit besorgtem Gesicht eilt er mir nach. „So kannst du mit den Männern nicht umspringen!"

„Vertrau mir!", sage ich nur. Dabei bleibe ich ganz ruhig.

„Das sind Wikinger, echte Männer und Krieger!"

„Die aber verstehen müssen, dass ich ihre einzige Chance bin."

„Aber deswegen musst du dich hier nicht so aufspielen."

Nun bin ich empört, bleibe stehen und drehe mich zu ihm hin. Dabei stemme ich die Hände in die Hüften und schaue ihn verärgert an.

„Aufspielen? Ist das dein verdammter Ernst?", fahre ich ihn an. „Entweder ihr spielt nach meinen Regeln oder ihr tut, was ihr wollt. Eure Entscheidung!"

„Warum muss es immer nach deinem Kopf gehen?"

„Ach ja, ich soll das brave Mädchen spielen und euch die Informationen geben. Doch ernst nimmt mich keiner. Ist das deine Vorstellung?"

„Der Anführer bin immer noch ich!", beharrt er.

„Dann schau zu, wo du hinfährst!"

„Können wir nicht einen gemeinsamen Weg finden?"

„Nein!"

„Warum nicht?"

„Weil das in einer Katastrophe enden würde."

Er schaut mich völlig verständnislos und auch ein wenig beleidigt an. Die Pause, die entsteht, ist wohltuend. Wir haben uns gegenseitig hochgeschaukelt, sind beide laut geworden und stehen uns angriffslustig gegenüber. Die anderen haben zu uns aufgeholt und haben uns umringt. Alle verfolgen gespannt unseren Disput.

Mir ist durchaus klar, dass er nicht das Gesicht verlieren will und darf, aber ich muss ihm auch meinen Standpunkt klarmachen. Dabei sollte ich wohl etwas mehr Feingefühl an den Tag legen, mehr als mir vermutlich lieb ist.

Ich sehe auch ein, dass ich als Frau in eine reine Männerwelt einbreche. Bei den Wikingern hatte noch nie eine Frau, viel zu sagen. Jede andere hätten sie bereits zum Teufel gejagt. Mich rettet nur der Umstand, dass sie ihre letzten Hoffnungen in mich setzen, doch noch reiche Beute machen zu können.

Es ist eine schwierige Situation und, wenn jemand taktiert, um zum Ergebnis zu kommen, dann muss ich das sein. Die Wikinger sind zu ungehobelt. Von Diplomatie und Ausgleich haben sie keine Ahnung. Sie haben bisher immer auf ihre Kraft und Entschlossenheit setzen können. Nun plötzlich dieses Erfolgsrezept ändern zu müssen, ist vermutlich nicht leicht. Deshalb mäßige ich meinen Ton und versuche, zu meiner ruhigen Ausgangshaltung zurückzukehren.

Ich schließe kurz die Augen und atme einmal tief ein und aus. Zum Glück habe ich vor langer Zeit einen Kurs besucht, wo man lernen sollte, sich zu konzentrieren, sich zu beruhigen und ein Gespräch zu führen, auch wenn es schwierig ist. Tatsächlich werde ich wieder ruhig und besonnen.

„Schau mal, einer muss das Sagen haben und das bist normalerweise du. Das verstehe ich, du bist schließlich der Stammesführer. Wenn wir aber aufbrechen, um eine Welt zu suchen, von der ich allein weiß, wo sie liegt und in etwa abschätzen kann, wie lange es dauert, bis wir dort sind, dann ändern sich die Vorzeichen. Dann muss ich euch führen und dann muss ich sagen, wo es langgeht."

„Dafür musst du nicht das Kommando an dich reißen", hält er immer noch verbissen dagegen.

„Stell dir einmal vor, wir sind auf dem Weg. Sturm und Wetter setzen uns zu, weil das auf hoher See nun mal so sein kann. Möglicherweise werden wir abgetrieben."

„Davor haben wir keine Angst", unterbricht mich einer der umstehenden Männer.

„Naja, ich kann mir vorstellen, es gibt Situationen, da wird auch einem Kerl wie Hakon mulmig im Magen."

„Nein, Hakon doch nicht", streitet der Mann von vorhin ab.

„Bist du dir da so sicher? Es gibt Situationen, da ist es gut, Angst zu haben, weil man dann vorsichtig ist. Angst ist nicht immer etwas Schlechtes."

„Lassen wir das. Was willst du uns sagen?", unterbricht Hakon.

„Im Grunde segelt ihr zu einem Land, von dem ihr bis vor wenigen Stunden nicht einmal wusstet, dass es das überhaupt gibt. Vermutlich zweifeln einige noch immer, ob ich nicht nur geträumt habe."

„Hast du?", kommt ein Zwischenruf.

„Nein, ich weiß, wovon ich rede. Ich bin mir sicher und ich weiß, wie wir segeln müssen", beharre ich. „Was ist aber, wenn Hakon oder jemand anderer plötzlich umkehren will, knapp vor dem Ziel?"

„Das wäre blöd", meint der Typ von vorhin.

„Genau und aus diesem Grund sollte die Person, die den Weg am besten kennt und auch die Lage am besten einschätzen kann, das Kommando übernehmen. Sonst endet die Reise womöglich im Chaos."

„Warum im Chaos?", will Hakon wissen.

„Wenn wir mit leeren Händen heimkommen, dann bin ich die Irre, die leere Versprechungen gemacht hat, du bist der Anführer, der nichts zustande bringt und alle, wie wir hier stehen und eure Familien, müssen Hunger leiden, großen Hunger. So etwas wollen wir alle nicht. Habe ich recht?"

„Leuchtet irgendwie ein", meint der vorlaute Kerl.

„Ich gehe nicht auf ein Schiff, auf dem ein Weib das Kommando führt", schimpft ein anderer.

„Kannst du überhaupt ein Schiff steuern, versteht du etwas von Navigation?", will hingegen Hakon wissen.

„Ich habe den Bootsschein ...äh ... ich habe das gelernt."

„Was hast du, einen Schein? Was soll das sein?"

„Vergiss es", winke ich ab. „Ich kann ein Schiff führen, auch über große Distanzen."

Hakon schaut mich nachdenklich an. Zum Glück bohrt er nicht weiter nach. Ich habe mich schon wieder verplappert. Natürlich weiß hier keiner, was ein Bootsschein ist. Dabei habe ich das Kapitänspatent und könnte sogar größere Jachten steuern. Aber für diese Männer dürfte sich die Frage stellen, wie ich zu diesen Fähigkeiten gelangt sein kann. Frauen haben normalerweise auf einem Wikingerschiff nichts zu suchen und außerdem bin ich noch recht jung.

Die Schifffahrt war immer schon ein großes Hobby von mir und ich habe in den Ferien viel Zeit auf dem Meer verbracht. Als ich dann endlich alt genug war, habe ich das Kapitänspatent gemacht. Ich darf Schiffe auch außerhalb der 12-Meilen-Zone führen. Das kommt mir in meinem neuen Leben, wie ich es nenne, nun Gott sei Dank zugute.

„Bei Odin! Eine Frau will ein Wikingerschiff anführt. So etwas haben die Götter ganz sicher nicht gewollt."

„Einmal ist immer das erste Mal. Und vergiss nicht, ich bin Odins Tochter", halte ich gut gelaunt dagegen.

„Kannst du wirklich so gut kämpfen, wie alle sagen?", will Hakon wissen.

„Natürlich kann ich kämpfen, das hast du doch gehört. Ich bin allerdings eher die Einzelkämpferin. Männer in eine Schlacht zu führen, bin ich vermutlich dann doch nicht die Richtige. Das könnte ich dir überlassen."

„Ich darf die Männer in den Kampf führen?"

„Dann wären die Aufgaben geteilt."

„Du meinst, du hast das Sagen an Bord, ich an Land?"

„Wir werden uns sicher absprechen müssen, wo und wie wir an Land gehen, damit die Voraussetzungen für den Kampf optimal sind. Aber ansonsten könnte es tatsächlich so sein, wie du sagst."

Kapitel 3

Zähneknirschend geben die Männer nach. Sie haben im Grunde auch keine andere Wahl, auch wenn es ihnen sichtlich schwerfällt, sich von einer Frau etwas sagen zu lassen Aber das ihnen bekannte Gebiet leidet unter den Folgen von Missernten, Tierkrankheiten und Armut. Nur ich kenne offenbar den Weg in ein Land, das für sie die Rettung bringen könnte.

In drei Tagen soll es losgehen. Schon morgen soll mit dem Beladen der Schiffe begonnen werden. Trotzdem wollen einige Männer nicht mitkommen. Sie weigern sich strikt, unter dem Kommando einer Frau zu segeln. Die meisten jedoch haben nach und nach ihre Meinung geändert und nachgegeben.

Nach der Besprechung habe ich die Burg verlassen und setze mich an die Klippe. Wo bin ich hier nur hineingeraten? Ich wollte eine Auszeit, ein wenig Ruhe und Entspannung, aber nicht in eine ganz andere Welt eintauchen. Ich bei den Wikingern! Wenn ich das jemandem erzähle, der erklärt mich für verrückt. Einen kurzen Moment überlege ich tatsächlich, ob ich nicht doch einfach die Fibel abnehmen und in mein altes Leben zurückkehren sollte. Ich könnte meine geplante Reise ganz normal fortsetzen und das alles hier, hinter mir lassen.

Vorhin habe ich sie zwar nicht abbekommen, aber ich könnte es nochmal versuchen oder sie zur Not auch aus dem Stoff schneiden. Dann aber packen mich doch Neugier und Ehrgeiz. Ich kann vermutlich als erste und einzige Frau aus der Neuzeit, in die Welt der Wikinger eintauchen. Außerdem habe ich mir gerade eben eine Position erkämpft, wie sie noch nie eine Frau vor mir bei den Nordmännern eingenommen hat. Zumindest vermute ich, dass es so ist. Jetzt aufzugeben und auszusteigen, wäre einfach nur blöd.

Noch in Gedanken versunken höre ich laute Stimmen. Ich drehe mich um und sehe ein Mädchen, das heftig mit einem Mann streitet. Vom Alter her dürfte es wohl ihr Vater sein. Ich schätze das Mädchen auf etwa 17 oder 18 Jahre. Die beiden sind rund zehn Meter von mir entfernt und brüllen sich gegenseitig an. Plötzlich packt der Mann die Tochter bei den Haaren.

„Du kommst mit heim!", brüllt er.

„Nein, ich will zu dieser Frau da. Lass mich los!", kontert sie genauso laut.

„Du bist wahnsinnig!"

„Du hast mir nichts zu sagen, ich bin alt genug."

„Solange du meine Tochter bist, hast du das zu tun, was ich sage. Zumindest so lange, bis du einen Mann hast."

„Den du für mich aussuchst."

„So sieht es der Brauch vor."

„Und dann soll ich mich ihm fügen? Nie im Leben!"

Ich bin inzwischen aufgestanden und auf die beiden zugegangen. Sie sind so laut, dass ich natürlich jedes Wort verstehe. Ich bin bei ihnen angelangt und bleibe, mit in die Hüfte gestemmten Händen, etwa drei Schritte von ihnen entfernt, stehen.

„Was ist hier los?", fahre ich dazwischen.

„Halt du dich da raus!", fährt mich der Mann an. „Mit dir hat das Unheil doch erst angefangen."

Er hält seine Tochter immer noch an den Haaren fest. Sie wird dadurch in eine gebückte Haltung gezwungen, die sehr unbequem aussieht. Ihrem verzerrten Gesicht nach zu urteilen hat sie auch Schmerzen.

„Ich halte mich ganz bestimmt nicht raus, wenn du das Mädchen nicht auf der Stelle loslässt."

„Das geht dich gar nichts an!", faucht er mich regelrecht an.

Ich lege meine Hand auf den Knauf meines Schwertes. Es ist ein Reflex, dem ich folge. Noch habe ich nicht ganz verstanden, wer genau ich bin. Diese Alva, zu der ich offenbar geworden bin, muss es tatsächlich gegeben haben und sie muss eine tapfere Kriegerin gewesen sein. Anders kann ich mir mein Verhalten nicht erklären. Eine solche Reaktion wäre für mich völlig untypisch. Ich habe den Eindruck, mein neuzeitliches Ich und diese Kriegerin sind zu meinem neuen Ich verschmolzen und nun ein und dieselbe Person.

„Willst du mir drohen?"

Er kneift bei diesen Worten die Augen zusammen, sodass es nur noch schmale Schlitze sind. Blanker Hass schlägt mir entgegen. Er versucht seine Abneigung mir gegenüber nicht im Geringsten zu verbergen.

„Du bringst so schon genug Unheil über unser Volk."

„Unheil? Ich?"

„Ja du! Du willst ein Schiff befehligen, du, eine Frau!"

„Ja, warum nicht? Hast du etwa ein Problem damit?"

„Eine Frau ist nur dazu da, Kinder zu kriegen, sie groß zu ziehen und auf das Haus und die Felder zu schauen. Aber dazu wärst du vermutlich gar nicht in der Lage."

„Vermutlich nicht", lache ich laut auf. „Kinder kriegen könnte ich eventuell noch hinkriegen, den Rest wohl eher nicht."

„Was bist du für ein gottloses Weib? Odin wird dich dafür bestrafen!"

„Odin ist auf meiner Seite", grinse ich breit. Ich will ihn bewusst ärgern. „Ich bin schließlich seine Tochter."

Er hat inzwischen seine Tochter losgelassen und steht ebenfalls mit in die Hüften gestemmten Händen drohend vor mir. Er ist zwar nicht der größte Wikinger, überragt mich aber dennoch deutlich. Normalerweise hätte ich Angst, wenn so ein Muskelprotz vor mir stehen würde. Auch, wenn ich verschiedene Kampfsportarten trainiere, so würde ich die Konfrontation solange es geht, dann doch lieber vermeiden. Aber hier und jetzt, vor diesem Mann und mit meinem neuen Leben und meinem neuen Ich, habe ich zu meiner Verwunderung, nicht mal die Spur von Sorge.

Das Mädchen hat sich etwas zurückgezogen und beobachtet uns aus sicherem Abstand. In ihren Augen kann ich Bewunderung, Sorge und auch ein wenig Entschlossenheit erkennen. Welche Rolle sie spielt, ist mir noch unklar.

„Warum habt ihr gestritten?", frage ich.

„Das geht dich gar nichts an", faucht mich der Mann an.

„Ich will mit dir reden", mischt sich zum ersten Mal die Tochter ein. Ihre Stimme klingt jedoch sehr schüchtern.

„Nur reden?", frage ich.

„Das kommt nicht in Frage!", keift der Vater. „Nur über meine Leiche!"

„Wenn das dein Wunsch ist", lache ich auf. „Den könnte ich dir womöglich schneller erfüllen, als dir lieb ist."

„Willst du mir etwa drohen?"

„Ich an deiner Stelle würde es nicht darauf ankommen lassen", halte ich dagegen.

„Du bist eine Hexe!"

Kaum, dass er diese Worte ausgesprochen hat, greift er nach seiner Axt, hält sie entschlossen in der Hand und schwingt sie bedrohlich. Dann stürmt er auch schon auf mich los, was das Mädchen dazu bringt, einen Schrei auszustoßen. Spätestens jetzt sind alle Augen auf uns gerichtet.

Ich bin verwundert, wie schnell auch ich mein Schwert in der Hand halte, zur Seite ausweiche und ihm ein Bein stelle. Meine Reflexe sind überraschend gut, seine dafür weniger. Der Mann reagiert überhaupt nicht, stolpert über das gestellte Bein und knallt der Länge nach auf den Boden. Nur mit Mühe schafft er es, die Axt rechtzeitig zur Seite zu halten, sonst wäre er direkt draufgefallen. Das wäre dann für ihn sicher nicht gut ausgegangen.

Bevor ich es selbst wirklich realisiere, stehe ich schon über ihm, habe ein Bein auf seinen Rücken gesetzt, drücke ihn damit zu Boden und halte die Schwertspitze in seinen Nacken. Er muss das tödliche Metall spüren, denn er bleibt augenblicklich ruhig liegen.

„Tu ihm bitte nichts, er ist mein Vater", fleht mich das Mädchen an. Ihre Augen sprechen Bände.

„Gibst du Ruhe?", frage ich an den Mann gerichtet. Ihren Zwischenruf übergehe ich.

Er aber brummt nur etwas Unverständliches. Ich gehe davon aus, dass es seiner Eitelkeit widerstrebt, klein beizugeben. Aber einen anderen Ausweg gibt es für ihn nicht.

„Was hast du gesagt?"

„Geh runter von mir!", knurrt er.

„Ich warne dich! Du verdankst dein Leben allein deiner Tochter. Verwirk es nicht gleich wieder."

Damit ziehe ich das Schwert zurück und stecke es weg, gleichzeitig nehme ich auch mein Bein von seinem Rücken. Ich bleibe zwar vorsichtig und beobachte mit Argwohn, wie er sich mühsam erhebt und nach einem bösen Blick, den er mir noch zuwirft, von dannen trottet. Die Schmach, von einer Frau besiegt worden zu sein, trifft ihn vermutlich hart.

Als er weit genug weg ist, wende ich mich dem Mädchen zu. Dieses schaut etwas überrascht dem Vater hinterher. Ich habe den Eindruck, als könnte sie es nicht glauben, dass er sich geschlagen gibt.

„Das war nicht schlecht", meint sie.

„Nicht der Rede wert."

„Was? Du hast unglaublich schnell reagiert."

„Wie heißt du?", wechsle ich das Thema.

„Lifa", meint sie schüchtern.

„Wie alt bist du?"

„Ich werde in einer Woche 18 Jahre alt."

„Du wolltest zu mir?"

„Ich habe von dir gehört."

„Was hast du gehört?"

„Dass du ein Schiff anführen willst."

„Ja und?"

„Kann ich mitkommen?"

Sie sagt das ausgesprochen kleinlaut. Sie blickt zu Boden und wagt es nicht, mich dabei anzuschauen. Ich muss über ihre Schüchternheit fast schon grinsen. Aber ich verdränge die Belustigung. Sie meint es ernst und deshalb will ich ihr auch seriös begegnen. Wenn ich lache, könnte sie mich falsch verstehen und glauben, ich würde sie auslachen.

„Obwohl du eine Frau bist?"

„Ich würde so gerne mit aufs Schiff. Aber, wie du weißt, war das bisher unmöglich."

„Weil ich das Kommando führe, hoffst du, dass jetzt die Zeit reif ist, deinen Traum zu leben."

„Ja, wenn ich ehrlich bin, setze ich alle Hoffnung in dich."

Das hätte ich mir denken können, dass mein Verhalten Schule macht. Ich muss nachdenken.

„Du bist dir bewusst, dass das kein Spaziergang wird?"

„Natürlich, aber ich will etwas tun und nicht nur hier herumsitzen."

„Komm mit und setz dich zu mir. Ich muss nachdenken."

Ich wende mich wieder der Klippe zu und setze mich direkt an den Rand. Ich lasse die Beine baumeln und warte, bis auch Lifa sitzt. Sie aber zögert noch etwas. Erst als ich mit der Hand auf den Boden neben mir klopfe, setzt sie sich doch hin.