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Die Wikingerfibel Teil 04

Geschichte Info
Alvas Tochter begibt sich auf Spurensuche.
28.5k Wörter
4.66
7.1k
9
Geschichte hat keine Tags

Teil 4 der 4 teiligen Serie

Aktualisiert 09/11/2023
Erstellt 09/08/2023
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Die Wikingerfibel

Teil 4 - Alvas Tochter

Kapitel 1

Der Tod meiner Mutter hat mich mehr getroffen, als ich mir zunächst eingestehen will. Erst so langsam, langsam wurde mir bewusst, wie nahe wir uns standen und wie sehr sie mir fehlt. Deshalb ist für mich diese Reise nach Haugesund echt wichtig. Ich weiß zwar viel über sie, vor allem in den letzten Jahren hat sie mir viel auch von ihrer Zeit bei den Wikingern erzählt.

Trotzdem fehlen mir aus dieser Zeit noch sehr wichtige Teile. Sie hat mir aus dieser Zeit erzählt, aber ich muss zugeben, ich kann mir trotz allem nicht so wirklich vorstellen, wie sich das angefühlt haben muss. Mir ist schon klar, dass ich mit einer Reise nach Norwegen nicht in die Zeit der Wikinger eintauchen kann und ihr damit doch nicht in diesen prägenden Abschnitt ihres Lebens eintauchen kann. Trotzdem hoffe ich mehr über diese Zeit herauszufinden.

Einer inneren Eingebung folgend suche ich die Alte in dieser heruntergekommenen Bibliothek auf, rede mit ihr und erkundige mich nach einem Wikingergrab in der Nähe. Die Idee dazu kam mir spontan, ich weiß selbst nicht genau, warum ich das mache. Ich wollte wohl einfach nur wissen, ob Alva eine Ruhestätte gefunden hat, die heute noch bekannt ist.

Leider scheint man von ihr nicht mehr viel zu wissen und auch ein Grab gibt es offensichtlich nicht. Einer Eingebung folgend frage ich nach einem anderen Grab aus dieser Zeit und siehe da, es gibt tatsächlich eines. Darin soll Laura, die Alva als Tante bezeichnet hat und zu ihrer Nachfolgerin ernannt wurde, begraben worden sein.

Ich habe den unscheinbaren Steinhügel auf Anhieb gefunden und stehe nun vor dem Grab. Wer sich nicht auskennt, könnte es für einen ganz normalen Steinhaufen halten, der zusammengetragen wurde, um die Wiesen und Äcker rund herum zu säubern. Auch zahlreiche Ranken und wilde Pflanzen winden sich zwischen den Steinen und lassen alles ein wenig verwahrlost ausschauen.

Ich stehe so, dass ich dabei hinaus auf das Meer sehen kann. Mein Blick gleitet in die Weite und meine Gedanken verlieren sich in Erinnerungen an meine Mutter und die vielen Erzählungen über die Wikinger, die sie uns Kindern statt einer Gute-Nacht-Geschichte jeden Abend erzählt hat. Ich fand dies immer so unglaublich spannend. Ich würde mich am liebsten auf den Boden kuscheln und den Erzählungen lauschen. Meine Mutter fehlt mir so unglaublich!

Plötzlich wird mein Blick von einem Lichtreflex angezogen. Vor mir im Gras muss etwas liegen. Etwas glänzt und funkelt, halb verdeckt von den ersten Steinen des Grabhügels. Ich bücke mich und hebe es hoch. Es ist eine Anstecknadel, eine Brosche oder etwas ähnlich. Es sieht allerdings unglaublich alt aus. Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Kann es etwa sein, dass es eine Fibel ist, eine Fibel, wie sie meine Mutter damals gefunden hat?

Ohne lange nachzudenken, stecke ich sie mir an. Das liegt wohl daran, dass ich mich damit der Illusion hingeben kann, meiner Mutter doch noch ein ganz kleines Stück näher zu sein. Ich schließe mit der Nadel die Jacke und spüre sofort ein warmes Gefühl, das mich umgibt.

Der Wind zerrt an mir und meinen Kleidern. Die Kühle der Seeluft wird nun aber von mir ferngehalten. Ich fühle mich wohl, fast so, als wäre ich losgelöst von dieser Welt. So als würde ich in einer eigenen Blase schweben. Ansonsten passiert jedoch nichts. Die Wellen unter der Klippe brechen nach wie vor mit Getöse an den großen Steinen, der Wind singt sein altes ewig gleiches Lied und die Vögel zwitschern vergnügt.

Plötzlich jedoch tritt eine Frau neben mich. Ich bin so in meine Gedanken vertieft, dass ich sie erst mit der Zeit richtig wahrnehme. Es kommt mir sonderbar vor, dass noch jemand in dieser Gegend unterwegs ist. Deshalb wende ich mich ihr zu, um sie genauer zu betrachten. Die Frau sagt aber nichts und lässt mir meine Ruhe. Sie ist noch nicht sonderlich alt, hat aber doch deutlich mehr Jahre auf dem Buckel als ich. Sie wirkt auch etwas abgekämpft aus. Ich würde sie aber trotzdem auf Mitte 30 schätzen. Erst nach einer ganzen Weile bricht sie ihr Schweigen und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

„Deine Mutter war eine unglaublich beeindruckende Frau."

„Meine Mutter?", frage ich.

„Natürlich deine Mutter. Alva, unsere Stammesführerin, war eine sehr kluge, mutige und herzensgute Frau."

„Und wer bist du?"

„Ingrid, das weißt du doch. Ich bin Laura, ihre Nachfolgerin, deine Patentante."

Von diesen Worten verwirrt schaue ich mich um und tatsächlich erhebt sich etwas weiter hinten eine mächtige Burg. Sie sieht genauso aus, wie meine Mutter sie beschrieben hat. Es fehlen schmückende Elemente, der gesamte Bau dient nur einem bestimmten Zweck: Der Verteidigung.

Ich kann gut verstehen, dass meine Mutter von diesem Bau fasziniert war. Sie hatte ja auch Architektur studiert und damit fiel es in ihr Fachgebiet. Ich dagegen studiere Maschinenbau und stehe kurz vor dem Abschluss. Für mich ist deshalb diese Burg nichts anderes als ein Bauwerk, ein ganz normales Bauwerk, das absolut keine Faszination auf mich ausübt.

Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, was hier vor sich geht. Doch dann wird mir allmählich klar, dass es mir wohl gerade genauso ergeht, wie damals meiner Mutter. Es liegt an der Fibel, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich bin in der Welt der Wikinger, in der Welt, die meine Mutter besucht hat und wo sie so glücklich war.

Kurze Zeit bin ich überfordert mit der Entscheidung, ob ich mich auf dieses Wagnis einlassen, oder die Fibel einfach von der Jacke nehmen und in mein normales Leben zurückkehren soll. Ich weiß von meiner Mutter, wie es ihr damals ergangen ist. Ob das allerdings auch für mich so sein wird, kann ich nicht sagen. Deshalb hadere ich etwas mit meinem Schicksal. Meine Reise nach Norwegen hatte schließlich nur einen Zweck, ich wollte, so weit wie das möglich ist, genau das erleben, was meine Mutter erlebt hat.

Ich bin ein Mensch von schnellen Entschlüssen. Das ist eine der Sachen, die mir meine Mutter mit auf den Weg durchs Leben gegeben hat. Deshalb entschließe ich mich zum Bleiben. Ich will das erleben, was meine Mutter erleben durfte. Sie hatte, nachdem sie mir davon erzählt hat, immer ein Strahlen in den Augen. Ich glaube, sie hat sich Zeit ihres Lebens zu den Wikingern zurückgesehnt, hier war sie glücklich. Warum also soll ich mir diese Chance entgehen lassen.

„Ich vermisse sie", sage ich ehrlich.

„Natürlich vermisst du sie, du stehst an ihrem Grab."

Was hat sie gesagt? Überrascht schaue ich zu Laura. Sie hat von meiner Mutter in der Vergangenheit gesprochen. Deshalb habe ich angenommen, dass sie verstorben ist. Dass dies aber nicht Lauras Grab, sondern das von Alva ist, überrascht mich dann doch. Die Alte in der Bibliothek hat sich also geirrt, alle haben sich geirrt.

Ich schaue überrascht zu Laura. Ich hatte angenommen, dass sie sozusagen aus dem Grab heraus mit mir spricht. Dass sie aber leibhaftig neben mir steht und ich vor der letzten Ruhestätte von Alva stehe, berührt mich sehr. Irgendwie ist schließlich auch Alva meine Mutter, auch wenn dies ein ungewöhnlicher Gedanke ist.

„Schöner Platz hier", sage ich. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll, um das Schweigen zu überbrücken.

„Ja, ein wirklich einmaliger Platz. Man kann auf das Meer hinausblicken und die Gedanken fliegen lassen. Es war ihr Lieblingsplatz."

„Ja, das war es", antworte ich.

Ich weiß aus den Erzählungen meiner Mutter, dass Alva oft an der Steilküste gestanden hat, wenn sie nachdenken oder auch nur allein sein wollte. Es war auch in etwas der erste Ort, an dem sie die Welt der Wikinger betreten hat. Kann es Zufall sein, dass nun auch ich genau an dieser Stelle bin. Wohl eher nicht.

In dem Moment kommt mir ein Gedanke. Ich mustere Laura nachdenklich. Dabei fällt mir auf, dass sie ein Schwert trägt.

„Du hast eine wunderschöne Waffe", sage ich, ohne lange nachzudenken.

„Das ist doch das Schwert deiner Mutter, das weißt du ja. Ich habe ihr meines ins Grab gelegt und dieses an mich genommen, um immer an sie zu denken und mir bewusst zu bleiben, welch wunderbare Frau sie war. Eines Tages werde ich es an dich übergeben. Es gehört eigentlich dir."

Zuerst nehme ich ihre Worte einfach als Information. Plötzlich aber geht mir ein Licht auf. Ich weiß, warum das Grab Laura und nicht Alva zugesprochen wird. Es ist, wegen des vertauschten Schwertes.

„Ich will deine Trauer nicht stören, aber wir sollten uns langsam auf den Weg machen. Ich bin eigentlich nur gekommen, um dich zu holen", meint sie.

„Zu was?"

„Zur Ratssitzung, du weißt ja."

„Oh, das habe ich vergessen."

„Du bist seit dem Tod deiner Mutter etwas durch den Wind. Aber das ist verständlich", meint sie nachsichtig.

Zusammen machen wir uns auf den Weg. Ich versuche mir klar zu werden, was gerade passiert. Ich habe die Fibel gefunden, habe sie mir angesteckt und treffe auf eine Wikingerfrau. Sie lädt mich zu einer Ratssitzung ein. War es nicht so ähnlich auch bei meiner Mutter? Ist das nur Zufall? Kann es wirklich wahr sein, dass ich mich plötzlich in dieser Welt wiederfinde, ganz ähnlich wie es meiner Mutter vor vielen Jahren ergangen ist?

Offenbar ist es so. Anders kann ich mir nicht erklären, was gerade um mich herum geschieht. Es ist auch unmöglich ein Traum. Das habe ich schon überprüft. Ich habe mich gezwickt und es hat echt wehgetan, trotzdem bin ich nicht aufgewacht.

Ich stapfe hinter Laura her. Wir gehen auf die Burg zu. Die stand vorhin, als ich das Grab gesucht habe, definitiv noch nicht an diesem Platz, es war nicht einmal eine Ruine zu sehen. Meine Mutter hat das verfallene Bauwerk natürlich angezogen und damit zur Fibel geführt. Mich würde so ein alter Bau nicht interessieren. Ich hatte aber das Grab als Ziel und war damit schon angelockt. Offenbar passt sich das Schicksal dem Menschen an, den es treffen will.

Die Burg steht mächtig oberhalb der Klippen und sieht genau aus, wie Mutter sie immer beschrieben hat. Als Architektin hat sie es sich nicht nehmen lassen sie bis ins kleinste Detail zu beschreiben. Als Kinder hat uns das natürlich weniger interessiert, weil wir lieber die Geschichten rund herum gehört hätten und gespannt darauf waren, was bei den Wikingern so alles los ist, was Alva macht.

Nun aber bin ich fast schon froh darüber, weil es mir hilft, mich einigermaßen in diesem Bau zurechtfinde. Ich habe zwar Laura, die neben mir geht und mit mir über Nichtigkeiten plaudern, aber ich würde den Weg auch ohne sie finden und wecke damit nicht den Verdacht, ich würde mich nicht auskennen.

Als ich durch die Tür des Ratssaales trete, halte ich den Atem an. In diesem Raum haben sich wichtige Momente im Leben meiner Mutter abgespielt. Für mich ist es deshalb ein Ort von besonderer Bedeutung, fast schon ein heiliger Ort.

„Komm mit, wir setzen uns schon mal", meint Laura.

Sie geht auf den Stuhl zu, der aufgrund seiner Form und Größe eindeutig der Vorsitzenden zusteht. Zum Glück macht sie eine Handbewegung und ich weiß damit, dass ich zu ihrer Rechten Platz nehmen soll. Vermutlich steht mir dieser Platz zu, weil ich die Tochter von Alva bin.

Ich blicke in die Runde und sehe, wie noch einige der Ratsmitglieder in den Saal strömen. Darunter ist auch ein stattlicher Mann, der mir sofort auffällt. Er sieht meinem Vater zum Verwechseln ähnlich. Natürlich ist dieser hier mehr der Naturbursche und hat nicht so feine Gesichtszüge, aber ich erkenne die Ähnlichkeit sofort.

Er kommt auf mich zu und setzt sich auf den Stuhl neben mir. Ich habe schon fast Panik, weil ich mir nicht sicher bin, ob es tatsächlich Fjell ist. Meine Mutter hat mir zwar erzählt, dass er meinem Vater ähnlichsieht, aber sicher kann ich auch nicht sein. Wenn ich ihn nicht anspreche, fällt es auf, liege ich falsch, dann wird er sich auch fragen, was mit mir los ist. Zum Glück nimmt er mir das Problem ab. Er beugt sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

„Hallo, mein Schatz, wie geht es dir?"

„Danke, Papa, es geht", antworte ich. So würde ich auch meinem Vater in der anderen Welt antworten.

„Warst du wieder am Grab?"

„Ja, es ist dort so schön und ich fühle mich ihr nahe."

„Das stimmt. Deine Mutter hat diesen Platz geliebt."

„Es war der erste Ort, den sie gesehen hat, als sie aus Bergen hierherkam."

„Hallo Leute, Ruhe! Wir fangen an!", höre ich Laura rufen.

Augenblicklich ist es still, die letzten eilen noch schnell leicht geduckt zu ihren Plätzen und schauen dann interessiert zur Vorsitzenden. Auch ich und Fjell beenden unser Gespräch und ich richte meine Aufmerksamkeit auf Laura.

„Wir haben ein riesengroßes Problem. Unsere Getreidevorräte sind beim Unwetter letzte Woche unter Wasser gesetzt worden. Was nicht von den Fluten davongespült wurde, beginnt nun zu schimmeln. Lifa und Greta sind der Meinung, dass das Korn unbrauchbar ist und wir damit kein Saatgut mehr haben."

„Das wäre ja schlimm, dann hätten wir kein Brot mehr", sagt ein alter Mann.

„Es sind nur kleine Mengen, die wir retten konnten", bestätigt Laura. „Sie reichen nicht für die Aussaat, auf einer Fläche wie in den vergangenen Jahren und Brot backen können wir sowieso nicht."

„Wir müssen neues Korn organisieren", sage ich entschlossen.

Für mich ist das logisch. Die Wikinger im Raum schauen mich jedoch an, als hätte ich etwas unglaublich Dummes gesagt. Ein wenig davon irritiert schaue ich in die Runde.

„Was ist?", frage ich, als niemand das Wort ergreift.

„Wo sollen wir genügend Korn auftreiben? Auch die Nachbarstämme hatten im Herbst keine gute Ernte und das Unwetter hat auch sie getroffen. Sie können nichts abgeben", wirft Laura ein. „Das weißt du doch."

„Dann fahren wir zu den Briten. Dort hat es meine Mutter her."

„Wir tun was?", erkundigt sich Laura. Sie wird dabei etwas lauter und sieht mich dabei ungläubig an. „Wer soll uns führen? Nur deine Mutter war in der Lage, über das offene Meer zu segeln."

„Sie hatte Karten und Geräte. Wo sind die?", frage ich.

„Noch immer auf dem Schiff, mit dem sie immer gesegelt ist. Irgendwo in der Kabine muss alles liegen. Sie hat es nie mit an Land genommen", antwortet Lifa.

„Gut, dann suchen wir die Karten und schauen weiter."

„Aber was tun wir mit den Karten? Niemand von uns kann sie lesen", wirft Laura ein.

„Ich kann sie lesen. Mutter hat es mir gezeigt."

„Aber wer soll das Kommando an Bord übernehmen, wenn wir lossegeln. Das hat nur deine Mutter gemacht. Wir haben nur einige Männer, die noch zum Fischen rausgefahren sind. Aber die sind immer in Küstennähe geblieben. Zu den Briten zu segeln ist ein Abenteuer, das sie niemals schaffen würden."

„Ich kann das, vertraut mir."

„Du? Du warst doch noch nie auf einem der Schiffe."

„Vertraut mir, so wie ihr damals meiner Mutter vertraut habt."

Ich muss versuchen, den Rat irgendwie von mir zu überzeugen. Ich kann ihnen nicht sagen, dass ich in einem anderen Leben den Segelschein gemacht habe, dass ich die Begeisterung für die Schiffe von meiner Mutter geerbt habe und sie mich immer mit an Bord genommen hat.

Ich muss schmunzeln. So ähnlich muss es wohl meiner Mutter damals ergangen sein. Sie konnte keine plausible Erklärung geben, warum sie es kann, musste die Wikinger aber davon überzeugen, dass sie die Fähigkeiten dazu hatte. Ich bin ihr definitiv näher gekommen.

„Deine Mutter hatte Erfahrung", wirft Laura ein.

„Ich habe die auch, glaubt mir. Ich kriege das hin."

„Wie kommst du nur auf so eine Idee. Du hast noch nie ein Schiff betreten, wie soll das gehen", wehrt Laura ab.

„Das stimmt so nicht", halte ich dagegen. Dann wende ich mich meinem Vater zu. „Papa, kann ich mit dir reden? Draußen? Jetzt sofort!"

Er schaut mich überrascht an. Ich fürchte, ich war etwas zu forsch. Um ehrlich zu sein, hatte ich eher einen Befehlston drauf, den er von mir beziehungsweise von seiner Tochter vermutllich nicht gewohnt ist.

„Bitte", hänge ich deshalb an und lächle auffordernd.

„Von mir aus", meint er. Er ist sichtlich überrascht. Dann wendet er sich an Laura. „Wartet ihr bitte einen Moment?"

„Wenn es sein muss", antwortet diese leicht genervt.

„Es muss sein!", sage ich.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sie es nicht gewohnt ist, eine Sitzung wegen mir unterbrechen zu müssen. Trotzdem lasse ich mich nicht beirren und stehe entschlossen auf. Mein Vater folgt meinem Beispiel und wir verlassen den Saal. An einer Stelle, wo uns keiner belauschen kann, bleibe ich stehen.

„Mama hatte, damals als sie zu euch kam, den Segelschein in ihrer anderen Welt gemacht und konnte deshalb ein Schiff führen", sage ich.

„Woher weißt du das?"

„Das vom Segelschein?"

„Nein, dass deine Mutter aus einer anderen Welt kam."

„Was? Das habt ihr eurer Tochter nie erzählt? Weder Alva noch du habt ihr gesagt, dass ihre Mutter auch ein anderes Leben hatte?"

„Das weißt du?", meint er verblüfft. „Wer hat es dir dann gesagt? Deine Mutter und ich waren uns einig, dass wir dies auch vor dir und deiner Schwester geheim halten."

Ich schaue ihn überrascht an. Das wird jetzt aber ein ganz schön hartes Stück Überzeugungsarbeit, denke ich bei mir. Trotzdem hilft es nichts. Ich brauche seine Unterstützung, sonst gehe ich im Rat mit wehenden Fahnen unter, niemand wird mich ernst nehmen. Dabei braucht der Stamm diese Chance, neues Getreide ist wichtig, damit alles weitergeht, wie meine Mutter es auf den Weg gebracht hat.

„Meine Mutter hat eine Fibel gefunden und sich auf ungeklärte Weise in Alva wiedergefunden. Als ihr dann die Fibel vom alten Anführer der Wikinger aus Bergen abgerissen wurde, ist sie in ihre alte Welt zurückgekehrt. Ohne Fibel hatte sie keine andere Wahl, sie musste zurück", beginne ich.

„Wie zurückgekehrt."

„Sie war plötzlich wieder in ihrem alten Leben und konnte die Fibel nicht wiederfinden. Damit hatte sie keine Möglichkeit mehr, zu euch zurückzukehren. Sie war gezwungen, ihr Leben in der alten Welt fortgesetzt und hat dort geheiratet und Kinder bekommen, darunter auch mich."

„Dich? In ihrer alten Welt?"

„Für eine kurze Zeit waren die Leben von Alva und meiner Mutter, die eigentlich Vera hieß, miteinander verwoben. Sie haben sich aber wieder getrennt. Ich gehe davon aus, dass es in den verschiedenen Zeitepochen beide Frauen gegeben hat. Sie müssen auch sehr viel gemeinsam gehabt haben."

„Deshalb war sie nach dem Vorfall mit dem Stamm aus Bergen irgendwie anders. Immer noch Alva aber nicht mehr ganz so entschlossen."

„Sie hatte das Wissen nicht mehr, das meine Mutter aus der Zukunft mitgebracht hat, nehme ich an."

„Aber was hat das mit dir zu tun?"

„Das Leben deiner Tochter und das meine haben sich heute genauso verbunden, wie es damals bei Alva und meiner Mutter der Fall war."

„Dann bist du Alvas Tochter aus dem anderen Leben?"

„Meine Mutter ist vor kurzer Zeit gestorben. Deshalb bin ich, um richtig Abschied nehmen zu können und ihr nahe zu sein, nach Haugesund und zum Wasserfall gereist. Als ich erfahren habe, dass es in der Nähe ein Wikingergrab gibt, das Laura zugeschrieben wird, bin ich dorthin gefahren."

„Laura?"

„Man hat sich dabei vertan. Laura hat ihr eigenes Schwert in das Grab gelegt, um jenes von Alva an sich zu nehmen, damit sie etwas von ihr ständig bei sich trägt und es mir eines Tages vererben kann. Aus diesem Grund sind die Geschichtsforscher wohl etwas durcheinandergekommen."

„Du warst also am Grab von Alva, aber in deiner Zeit."

„Richtig! Genau dort habe ich die Fibel wiedergefunden, habe sie mir angesteckt und diesmal bin ich in diese Zeit versetzt worden. Dieses Mal haben sich das Leben deiner Tochter und das meine miteinander verwoben, vermutlich genau gleich, wie es damals meiner Mutter und Alva erging."

„Wie heißt du?"

„Ingrid."

„So heißt meine Tochter auch."

„Ich weiß. Alva und du hattet, als meine Mutter noch mit deiner Frau verbunden war, diesen Namen für den Fall ausgesucht, solltet ihr eines Tages eine Tochter bekommen. Er bedeutet, die schöne Göttin."

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