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Die Wikingerfibel Teil 04

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Sie hat ganz offensichtlich großen Spaß. Zunächst steht sie etwas steif auf den Brettern, aber schon bald macht sie Kurven, so wie ich es vorgemacht habe und sie juchzt vor lauter Ausgelassenheit.

Etwa eine Viertelstunde lasse ich sie auf den Brettern und beobachte nur, was sie macht. Dann aber denke ich, dass es Zeit sein müsste, wieder hochzukommen.

„Sif, komm hoch!", rufe ich hinab.

„Nur noch ein paar Minuten. Es ist so unglaublich schön", ruft sie zurück.

Ich kann sie wegen der Wellen und des Getöses vom Wasser nur schwer verstehen. Aber ich verstehe trotzdem, was sie will, und möchte nicht der Spaßverderber sein. Ich hoffe, sie kann sich selbst einschätzen. Es vergehen weitere Minuten und Sif reitet gekonnt die Wellen.

Plötzlich geht es ganz schnell. Ich höre, wie sie „Aua" schreit, sich den rechten Schenkel hält und schließlich ins Wasser stürzt. Sie wird am Seil hinter dem Schiff hergeschleift und wird immer wieder unter Wasser gezogen. Ich warte ein paar Sekunden darauf, dass sie sich am Seil in Richtung Schiff zieht, aber sie macht es nicht. Stattdessen kriege ich mit, wie sie damit zu kämpfen hat, immer wieder an die Oberfläche zu kommen, um Luft zu holen.

„Die säuft ab!", schreit einer der Burschen panisch. „Das kann nicht gut ausgehen."

Das ist auch mir klar. Ich warte deshalb nicht länger, stelle mich auf die Reling und springe in die Tiefe. Einige um mich herum stoßen einen Schrei aus. Sie sind von meiner Aktion völlig überrascht. Ich achte aber nicht auf sie. Ich habe andere Prioritäten.

Zum Glück habe ich das Seil so hingelegt, dass es sich leicht abwickeln kann und mich in meinem Sprung nicht behindert. Würde es sich verheddern könnte dies für mich schlimm enden.

„Ingrid! Spinnst du?", höre ich jemand rufen. Ein Mädchen schreit und im Sprung bekomme ich nebenbei mit, dass alle an der Reling hängen und nach unten starren. Der Schreck ist ihnen ins Gesicht gezeichnet.

Ich aber tauche ins Wasser ein, komme wieder hoch und schaue mich hektisch um. Zum Glück kann ich Sif nur wenige Meter von mir entfernt ausmachen und schwimme zu ihr hin. Ich packe sie unter den Achseln und ziehe sie an die Wasseroberfläche.

„Keine Panik, ich bin bei dir", beruhige ich sie. Sie nickt mir zu, hat aber immer noch Panik in den Augen.

Für mich beginnt nun der schwierigere Teil. Mit einer Hand halte ich das Mädchen, mit der anderen ziehe ich uns zum Heck hin. Dort angekommen binde ich die Bretter los und hänge sie an mein Seil. Dann weise ich Sif an, sich am Seil zu halten und brülle nach oben, dass sie sie hochziehen sollen.

Drei kräftige Burschen kommen sofort meinem Befehl nach und ziehen das Mädchen nach oben. Als ich sehe, dass dies problemlos geht, mache auch ich mich erneut an den Aufstieg. Immer wieder helfe ich Sif, sich vom Heck des Schiffes abzustützen und am Holz nach oben zu gehen.

Oben angekommen, klettere ich über die Reling und knie mich neben das bereits am Boden liegende Mädchen. Ich fühle ihren Puls und versuche den Blutdruck abzuschätzen. Er ist verdammt hoch aber sie beruhigt sich zusehends und deshalb lasse ich sie in meine Kajüte bringen.

„Eine Tasse heißen Tee und etwas Ruhe, dann bist du morgen wieder fit, wie ein Tu ... äh, wie ein Schuh", sage ich. Da die Wikinger natürlich nicht wissen, was ein Turnschuh ist, habe ich mich in letzter Sekunde korrigiert.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen stehe ich am Bug und blicke hinaus auf das Meer. Am Abend will ich umkehren. Bis dahin halte ich Kurs, genieße die Ruhe und das schöne Wetter. Ich kann mir vorstellen, dass auch meine Mutter die morgendliche Ruhe geliebt hat, um hinaus auf das Meer zu blicken.

Plötzlich bemerke ich, wie jemand zu mir kommt und sich neben mich stellt. Ich schaue, wer es ist, und entdecke Sif.

„Danke!", meint sie nur.

„Nicht der Rede wert. Das habe ich doch gern gemacht."

„Das war alles andere als nicht der Rede wert. Du warst unglaublich!"

„Das hätte doch jeder gemacht", versuche ich abzuwiegeln.

„Das hätte kein anderer gekonnt", hält sie dagegen. „Aber es sagt auch viel über dich aus."

„Was sagt es über mich aus?", frage ich überrascht.

„Nur weil du gut vorbereitet warst und umsichtig gehandelt hast, bin ich noch am Leben. Du bist die geborene Anführerin."

„Ich habe von der Besten gelernt."

„Das mag schon sein, aber vom Schiff aus in die Fluten zu springen braucht Mut, verdammt viel Mut."

Ich drehe mich ganz zu ihr um und nehme sie in den Arm. Sie drückt sich fest an mich und ich spüre, dass eine Träne aus ihrem rechten Auge sich einen Weg in meine Felljacke bahnt.

„Was ist los?", frage ich.

„Ich wollte endlich einmal Mut beweisen und dann saufe ich fast ab", jammert sie. „Du wirst mich sicher nicht mit auf die Reise nehmen."

„Zu den Briten?"

„Ja, da möchte ich so gerne mit."

„Dann komm mit!"

„Du nimmst mich trotz allem mit?"

„Warum sollte ich nicht. Du hast Mut bewiesen. Du hast es nur etwas übertrieben und bist zu lange im Wasser geblieben. Du hast einen Krampf im Fuß bekommen und mit so etwas ist es schwer, wieder zurück an Bord zu klettern."

„Einen Krampf?"

„In deinem Unterschenkel hat sich alles zusammengezogen und schrecklich wehgetan."

„Woher weißt du das?", will sie überrascht wissen.

„Ich habe es gesehen. Du hast dir ans Bein gegriffen, bevor du das Gleichgewicht verloren hast und ins Wasser gefallen bist."

„Das hast du bemerkt?"

„Ich bin aufmerksam", grinse ich.

„Das sehe ich", staunt sie. „Wenn du mich mitnimmst auf die große Reise, dann würde mich das sehr freuen."

„Du bist dabei!", sage ich. „Übrigens, du solltest heute nochmals ins Wasser, um die Angst zu verlieren."

„Ich soll nochmal da hinunter?"

„Nur wenn du willst. Ich zwinge dich ganz bestimmt nicht. Mein Tipp aber ist, lass den Schreck sich nicht in deinem Kopf festsetzen. Treib ihn wieder aus, bevor er dein künftiges Handeln bestimmt."

Sif schaut mich einige Zeit nachdenklich an. Sie scheint über meine Worte nachzudenken.

„Ich verstehe zwar nicht ganz, was du meinst, aber ich vertraue dir. Wir machen es heute noch einmal. Aber du passt bitte wieder auf mich auf."

„Natürlich passe ich auf.", versichere ich ihr. Dabei ziehe ich sie noch einmal in eine Umarmung und streiche ihr mit der Hand beruhigend über den Rücken.

Kurz vor dem Mittagessen ist es dann tatsächlich soweit. Sif bindet sich erneut die Ski an die Beine und klettert am Seil hinunter. Die anderen Crew-Mitglieder beobachten sie mit Staunen. Da sind Sätze zu hören wie, sie sei verrückt, ob sie nicht schon gestern genug gehabt hätte. Es sind aber auch anerkennende Worte, die ich aufschnappe.

Diesmal bleibt Sif, wie ich ihr geraten habe, nur knapp zehn Minuten auf dem Wasser, dann tritt sie den Rückweg an und steht wenig später strahlend vor mir.

„Du hattest recht, es macht unglaublich viel Spaß und die Angst ist weg. Ich habe es geschafft", juchzt sie.

Die Besatzung schaut sie zunächst überrascht an, dann aber applaudieren alle und Sif umarmt mich. Sie hat feuchte Augen, und zwar nicht nur vom Meereswasser.

„Ich verstehe jetzt, was du gemeint hast", flüstert sie mir ins Ohr. „Danke."

Am späteren Nachmittag wollen dann plötzlich alle. Sif übernimmt die Organisation, überwacht die Reihenfolge, gibt den Leuten Tipps und Hinweise und sorgt damit für einen reibungslosen Ablauf.

Ich stehe nur mit der Rettungsleine um den Leib gebunden daneben, um im Fall eingreifen zu können. Aber auch dank der guten Organisation von Sif passiert nichts. Ich beobachte das Mädchen und muss ihren Eifer bewundern, mit dem sie bei der Sache ist. Natürlich sind die Leute, die vom Abenteuer zurückkommen begeistert und bedanken sich bei ihr. Sie steht vermutlich zum ersten Mal im Mittelpunkt. Das tut dem eher schüchternen Mädchen ausgesprochen gut.

Als wir nach dem Wendemanöver uns zum Abendessen versammeln, stelle ich fest, dass die Leute lockerer und besser gelaunt sind. Sie sprechen immer noch voller Begeisterung davon, wie viel Spaß das Wasserskifahren gemacht hat. Einige beknien mich, morgen noch einmal eine Runde zu erlauben. Da es die Laune an Bord deutlich hebt, stimme ich zu, auch wenn es bedeutet, dass ich erneut als Rettungsschwimmerin fungieren muss.

Die Leute bitten dabei auch Sif, wieder die Aufsicht zu übernehmen. Das hat zur Folge, dass das Mädchen von einem Ohr zum anderen strahlt. Als sie mir einen Blick zuwirft und ich deutlich sehen kann, wie stolz und glücklich sie ist, wird mir klar, wie sehr sich das Mädchen nach Anerkennung gesehnt hat. Aufgrund ihrer Schüchternheit wurde sie bisher wohl oft unterschätzt.

Auch diesmal läuft alles reibungslos. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass Sif die Zeit im Wasser strikt auf 10 Minuten beschränkt und dann die Anweisung gibt, zurückzukommen. Sie hat vorsorglich alle gewarnt, wer nicht gehorcht, darf das nächste Mal nicht mehr.

„Und du?", frage ich, als alle durch sind.

„Wachst du über mich?", meint sie schüchtern.

„Natürlich!", bestätige ich.

In dem Moment entdecke ich Buckelwale im Wasser. Es sind ausgesprochen majestätische Tiere. Mit ihnen zu schwimmen, muss unglaublich sein. Mir ist aber auch klar, dass ich Sif vorher warnen muss.

„Sif, schau mal ins Wasser", sage ich.

„Mein Gott, was ist das?", meint sie geschockt.

„Das sind Buckelwale. Es sind riesige Tiere, aber sie sind absolut harmlos. Mit ihnen zusammen über das Wasser zu gleiten, muss ein einmaliges Erlebnis sein. Du brauchst keine Angst zu haben, du darfst nur nicht in Panik geraten."

Sif schaut mich zunächst skeptisch an, wirft dann einen Blick zu den Tieren und scheint sehr beeindruckt zu sein. Dann aber gibt sie sich einen Ruck.

„Ich vertraue dir!", sagt sie entschlossen.

Da sie schon bereit ist, klettert sie hinab und steht wenig später auf den Skiern. Sie hält sich mit einer Hand am Seil fest, mit der anderen winkt sie zu mir herauf. Plötzlich nähert sich seitlich ein riesiges Tier. Ich habe den Eindruck, als wolle es nur spielen. Das rufe ich Sif auch zu.

Ich kann an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass ihr die Sache nicht mehr ganz geheuer ist, aber sie versucht zumindest nach außen hin, ruhig zu bleiben. Anders ist es an Bord. Die anderen Besatzungsmitglieder, die nicht gerade arbeiten müssen, stehen an der Reling und schauen gebannt hinab ins Wasser. Als der gewaltige Rücken neben Sif aus den Fluten auftaucht, stoßen einige einen Schrei aus, andere halten die Luft an.

„Lif, komm herauf. Im Wasser sind Bestien."

„Lasst das Mädchen machen und seid still", weise ich die Leute energisch an.

Lif lässt sich von den anderen nicht beirren. Ich glaube, sie hat die Zurufe nicht einmal gehört. Sie genießt es, auf den Skiern zu stehen und über das Wasser zu gleiten. Plötzlich taucht das Tier unter Sif durch, hebt sie weit nach oben, sodass sie auf seinem Rücken steht, bläst dabei eine Wasserfontäne aus seinem Luftloch und setzt das Mädchen dann sanft wieder ab. Die Zuschauer beobachten das Ganze geschockt. Erst als Sif wieder wohlbehalten auf der Wasseroberfläche dahingleitet, kommen Jubelrufe.

Sif selbst wirkt die ganze Zeit etwas angespannt, gerät aber nicht in Panik. Als es vorbei ist, atmet sie erleichtert aus. Dann aber schaut sie dem Wal hinterher und ruft ihm etwas zu, das im Getöse des Meeres untergeht.

Auch das Tier scheint Freude am Spiel gefunden zu haben. Es kehrt zurück und diesmal ist Sif sichtlich entspannter. Sie lässt sich weit nach oben heben, juchzt, als der Wal seine Wasserfontäne in die Höhe spritzt und winkt ihm hinterher, als er wieder unter der Wasseroberfläche verschwindet.

Das Spiel wiederholt sich insgesamt vier Mal. Dann ist die Zeit um und Sif muss zurück an Bord. Sie tut es mit Widerwillen, gehorcht aber meiner Anweisung. Als sie wieder neben mir an Deck steht, strahlt sie unglaublich.

„Das war so faszinierend. Was für ein Fisch ist das?", will sie wissen.

„Genau genommen ist das kein Fisch, das ist ein Säugetier, wohl eines der größten, die es auf der Welt gibt", antworte ich.

„Das Tier ist riesig aber ganz lieb!", schwärmt sie.

Kaum ist Sif von den Skiern und der Leine befreit, wird sie von den anderen umringt. Alle wollen wissen, wie es war, warum sie keine Angst hatte und wie es sich anfühlt, so weit in die Luft gehoben zu werden. Sif braucht eigentlich keine Antwort zu geben, sie strahlt nur und zeigt damit wie groß ihre Freude und Begeisterung ist.

Sie wirft mir einen Blick zu, der so voller Dankbarkeit ist, dass mir warm ums Herz wird. Ich bin froh, dass genau sie dieses wunderbare Erlebnis haben durfte und, dass sie auf mich gehört hat.

Alle drängen mich zwar, am nächsten Tag noch einmal ins Wasser zur dürfen, aber da wir schneller weiterkommen als geplant, laufen wir bereits am Vormittag in Haugesund im Hafen ein und haben damit keine Zeit mehr.

Kapitel 4

Drei Tage nach dem Ausflug setzen wir erneut Segel und brechen diesmal auf, um bei den Briten Getreide zu holen. Wir haben im Gegenzug Felle und Leder an Bord. Ich habe darauf bestanden, Tauschware mitzunehmen. Wir sind zwar bewaffnet, aber ich habe nicht die Absicht, die Briten zu überfallen, ich will Handel betreiben.

Laura hat die Mitglieder meiner Crew nach unserer Rückkehr eingehend befragt und war vor allem davon überrascht, dass sich alle aufgedrängt haben, bei meiner Reise wieder dabei sein zu dürfen. Offenbar hat ihnen der kurze Ausflug so viel Spaß gemacht, dass sie hellauf begeistert sind.

Nach den Berichten und dem Erfolg der Mission, hat der Rat meinem Vorhaben zugestimmt. Laura blieb trotz allem skeptisch, hat aber am Ende doch die Reise genehmigt. Um ehrlich zu sein, hatte sie auch keine andere Wahl. Wir brauchen Getreide und das auch noch dringend.

Nun steht sie bei uns am Hafen, um die drei Schiffe, die unter meinem Kommando segeln, zu verabschieden. Ich bin gerade dabei, an Bord zu gehen.

„Wie hast du das gemacht?", erkundigt sich Laura noch einmal.

„Was gemacht?", frage ich, weil mir nicht bewusst ist, was sie meint.

„Dass die Leute so begeistert von dir sind."

„Brot und Spiele."

„Wie Brot und Spiele?"

„Ich habe darauf geachtet, dass sie genügend zu essen haben und auch zugelassen, dass sie Spaß haben."

„Dir ist schon klar, dass das kein Ausflug wird", meint sie. Ich kann einen tadelnden Unterton heraushören.

„Ich bin mir sicher, wenn es hart auf hart kommt, stehen diese Leute voll hinter mir."

„Sie sind alle sehr jung, genau wie du", wirft sie ein.

„Was soll das denn bitte heißen?", frage ich etwas genervt. Ich hasse es, wenn man mir wegen meiner Jugend nichts zutraut.

„Ihr habt keine Erfahrung."

„Möglicherweise mehr als du", gebe ich entschlossen zurück.

Mir ist klar, dass meine Antwort etwas frech ist. Schließlich ist sie die Stammesführerin und ich bin tatsächlich noch jung. Zudem kann sie nicht wissen, dass man in meiner bisherigen Welt schneller Erfahrungen und Wissen sammelt als bei den Wikingern.

Sie schaut mich deshalb auch etwas erbost an und ich fürchte schon ein Donnerwetter. Aber das kommt nicht. Sie bricht stattdessen laut in Lachen aus. Jetzt bin ich überrascht. Ich weiß nicht, wie mir geschieht. Was ist jetzt bitte so lustig?

„Du bist genau gleich, wie deine Mutter", lacht sie. „Was sie gar nicht leiden konnte war, wenn man ihr etwas nicht zugetraut hat, wovon sie überzeugt war, dass sie es kann."

„Von dem sie wusste, dass sie es kann", verbessere ich sie. „Das ist etwas anderes. Und ich weiß auch, was ich mir zutrauen kann oder nicht."

Laura zieht mich in eine enge Umarmung. Ich kann die Zuneigung spüren, die sie mir entgegenbringt.

„Mach es gut. Pass auf dich und die Leute auf und vor allem, kommt gut wieder nach Hause", sagt sie. Sie hat die Wange immer noch an meiner.

„Wir bringen auch ausreichend Getreide mit", sage ich vergnügt. „Sonst haben die Leute kein Brot."

„Das Getreide ist wichtig, aber du und die Leute seid mir wichtiger", meint sie.

„Ich habe dich lieb, wie eine große Schwester", sage ich.

„Irgendwie bist du auch meine kleine Schwester", meint sie nachdenklich.

Schließlich lösen wir uns voneinander und ich gehe an Bord. Mein Vater ist auf dem zweiten Schiff und ein mir unbekannter Wikinger führt das Kommando auf dem dritten Boot.

Die Gezeiten sind günstig und so legen wir ab. Ich lasse die Segel setzen, wir verlassen die Bucht und einmal draußen lasse ich die volle Takelage aufziehen. Damit nehmen wir schnell Fahrt auf. Im Gegensatz zu meiner Mutter nehme ich direkt Kurs auf die britischen Inseln. Ich segle nicht lange der Küste entlang, ich nehme den direkten Weg.

Meine Mutter hat die Stelle verzeichnet, an der sie damals auf Land gestoßen und an der sie auf McBrix getroffen ist. Ich hoffe, ihre Erzählungen stimmen und der Mann ist wirklich so, wie sie erzählt hat. Nach kurzem Überlegen komme ich zur Entscheidung, genau diesen Ort erneut aufzusuchen. Der Earl hatte Manieren und war ein verlässlicher Partner. Deshalb hoffe ich, dass auch ich mit ihm oder seinen Nachkommen zurechtkomme.

Sif ist bei mir an Bord. Sie hat darum gebeten und ich sah keinen Grund, ihr diesen Wunsch auszuschlagen. Sie erledigt gewissenhaft ihre Arbeit, sucht aber in ihrer freien Zeit meine Nähe, interessiert sich für Navigation und die Führung eines Schiffes.

Ich versuche ihr so gut wie möglich, alles zu erklären und ich bin von ihrer Begeisterung sehr angetan. Sie ist aber auch sehr aufmerksam und von schneller Auffassung. Schon bald stelle ich fest, dass ich kaum etwas zweimal erklären muss und, wenn ich sie auf die Probe stelle, enttäuscht sie mich nie.

„Willst du versuchen, den Kurs zu berechnen?", frage ich sie am fünften Tag der Reise.

„Du meinst, ich soll ...?", meint sie.

„Versuch es! Ich werde kontrollieren, keine Sorge. Du kannst nichts falsch machen."

Das Mädchen schaut mich mit großen Augen an. In ihrem Gesicht kann ich Unsicherheit und Stolz gleichermaßen erkennen. Nach kurzem Zögern setzt sie sich an den Tisch und beginnt mit den Berechnungen. Sie verwendet den Kompass korrekt und geht mit dem Sextanten an Deck, um auch damit die Daten zu überprüfen.

Es dauert dann auch nicht lange und sie legt mir das Ergebnis ihrer Berechnung vor. Ich überprüfe es und muss feststellen, dass ich es nicht hätte, besser machen können.

„Du hast richtig gerechnet. Du wirst eines Tages die Flotte von Haugesund leiten", sage ich.

„Ich?"

„Warum nicht? Du kannst es und du wirst auf dieser Reise noch viel lernen. Ich wette, wenn wir bei den Briten ankommen, könntest du die Schiffe allein nach Hause bringen."

„Meinst du?"

„Nicht nur meinen, ich bin mir sicher."

Auf der weiteren Reise lasse ich weitgehend Sif den Kurs bestimmen. Ich überprüfe zwar sporadisch, ob wir noch auf Kurs sind, aber ich kann keinen Fehler erkennen. Sie macht es hervorragend, auch wenn die Überfahrt nicht leicht ist. Zwei Wochen nach dem Start legen sich die Winde. Eine Woche lang ist nicht der geringste Lufthauch zu spüren. Die Flaute wird zur Herausforderung.

„Kein Wind!", jammert mein Vater.

„Es ist eine Flaute, wir müssen abwarten", versuche ich ihn zu beruhigen.

Die Schiffe sind zwar nicht weit auseinander, aber ich muss doch brüllen, damit er mich versteht. Damit können auch alle anderen mithören.

„Wir warten inzwischen seit einer Woche."

„Da kann man nichts machen."

„Es ist langweilig", meckert er.

„Wir können fischen", antworte ich.

„Was sollen wir?"

„Fischen!"

„Wozu?"

„Damit wir etwas zu essen haben. Wir haben zwar genügend Lebensmittel für die Reise mit und dabei sogar etwas mehr eingepackt. Wenn die Flaute aber länger anhält, dann könnte es mit der Zeit knapp werden."

„Und deshalb sollten wir fischen?"

„Hast du etwas Besseres zu tun?"

„Und wie willst du fischen?"

„Ich habe Angelhaken gebastelt. Die hängen wir an Hanfschnüre und lassen sie mit einem Köder ins Wasser."

„Was sind Angelhaken? Wir fischen sonst mit Netzen. Aber dazu braucht es Wind."

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