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Die Wikingerfibel Teil 04

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„Das machen wir", sagt mein Vater. „Ich freu mich drauf."

Plötzlich fällt mir auf, dass sich Wolken über den Horizont schieben, die verdächtig nach Sturm aussehen. Dank meiner Erfahrungen als Seglerin weiß ich, wie so etwas aussieht. Vermutlich ist es damals meiner Mutter ähnlich ergangen.

„Holt den Mann aus dem Wasser und begebt euch alle an eure Posten. Es zieht ein heftiger Sturm auf. Holt die Segel ein und mach die Schotten dicht", brülle ich über das Deck und hinüber zu den beiden Schiffen, die uns begleiten.

Ich höre zwar einige Leute murren, aber sie folgen ausnahmslos meinen Befehlen. Mein Vater beobachtet mich mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Was ist?", frage ich.

„Ich verstehe, was du meinst."

„Was genau?"

„Hat dir deine Mutter nie erzählt, wie wir in den Sturm geraten sind?"

„Als ein Schiff fast verloren gegangen wäre und einige Männer ums Leben gekommen sind?"

„Genau da. Es ist, als würde sich die Geschichte wiederholen. Allerdings sehe ich einen großen Unterschied. Die Männer heute haben zu dir mehr Vertrauen als es damals bei deiner Mutter der Fall war."

„Sie haben gemurrt", gebe ich zu bedenken.

„Aber alle sind auf ihren Posten gegangen und führen deine Befehle aus. Sie haben verstanden, dass du ihnen Zeit lässt, Spaß zu haben, dass du aber auch die Lage im Auge behältst. So gesehen war es gut, ihnen eine Auszeit zu erlauben und sie dabei zu unterstützen."

„Kann sein, kann aber auch nur sein, dass sie weniger Mut haben, sich gegen mich aufzulehnen. Die Zeiten damals waren doch etwas anders. Mutter war die erste Frau, die ein Schiff angeführt hat. Bei mir sind sie es schon von ihr her gewohnt."

„Das mag schon sein. Aber du bist auch noch mehr eine von ihnen, als es deine Mutter war. Du hast ihnen gezeigt, wie Wasserskilaufen funktioniert, du bist selbst hinab ins Wasser und du hast Sif gerettet, als es notwendig war. Das schätzen sie an dir."

Tatsächlich wird der Wind immer stärker und die Wolken schieben sich über den ganzen Himmel. Sie verdecken die Sonne und es wird fast so dunkel wie in der Nacht. Schon wenig später schießen gewaltige Blitze vom Himmel und hefiger Donner grollt.

Dann setzt Regen ein, es schüttet wie aus Kübeln. Erst als auch noch Hagel dazukommt, suche ich mir einen Unterstand. Im Gegensatz zum größten Teil der Besatzung, die sich unter Deck begibt, bleibe ich oben. Nach einiger Zeit tritt ein junger Mann neben mich. Er ist mir bisher nicht aufgefallen.

„Das hätte sich keiner gedacht", meint er.

„Ich schon", grinse ich.

„Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir gedacht, du würdest übertreiben."

Genau in dem Moment fährt ein Blitz nur wenig von uns entfernt ins Meer. Ein gewaltiger Donner ist zu hören und es entsteht ein Luftdruck, der uns von den Füßen reißt. Wir halten uns an einem Querbalken des Hauptmastes fest. Doch der Mann neben mir hat ihn offenbar weniger gut erwischt als ich. Er droht abzurutschen. Ich kann Panik in seinen Augen erkennen. Er schaut hilfesuchend zu mir herüber.

Als mir klar wird, dass er sich nicht mehr lange halten kann, reagiere ich sofort. Ich suche mit der linken Hand schnell nach einem Tau, das ich mir mehrmals um den Unterarm wickle und es dann mit der Hand festhalte. Fast zeitgleich lasse ich mit der rechten Hand los und greife nach dem Mann. Ich erwische ihn gerade noch am Hosenbund, genau in dem Moment, als er den Halt verliert und vom Sturm beinahe weggefegt wird. Nur mein Eingreifen verhindert, dass er über Bord geht.

Ich halte ihn eisern fest und schaue mich hektisch um. Der Sturm heult über das Deck und ich kann keine Menschenseele erkennen. Der Wind peitscht die Regentropfen und die Schauerkörner nahezu quer über die Planken und ich kann die Augen nur mit Mühe öffnen, um mich einigermaßen zu orientieren. Viel sehen kann ich so aber nicht.

„Scheiße!", entfährt es mir.

„Lass mich bitte nicht los!", brüllt der Mann gegen den Sturm an. Die Panik ist ihm ins Gesicht gezeichnet.

Ich tue was ich kann. Mir ist aber auch klar, dass ich ihn nicht mehr lange halten kann. Der Regen, der auf uns niederprasselt, macht meine Hand nass und damit rutschig. Hinzu kommt, dass mir allmählich die Kraft ausgeht. Ich schaue mich hektisch um.

Plötzlich entdecke ich meinen Vater, der die Luke öffnet. Er wollte vermutlich schauen, wo ich bleibe. Als er bemerkt, in welcher Lage wir stecken, reißt er überrascht die Augen auf.

„Such dir ein Tau, binde es fest um deinen Bauch und mach es an einem sicheren Ort fest. Dann hilfst du mir. Nicht vorher!", rufe ich ihm mahnend zu.

Ich sehe, wie er überlegt. Als ich ihm einen auffordernden Blick zuwerfe, geht er noch einmal zurück und ich atme auf.

„Warum verschwindet er wieder?", jammert der Mann, den ich halte. „Er soll uns helfen!"

„Das kann er nur, wenn er selbst gesichert ist. Sonst fegt uns der Wind alle drei über Bord und keiner hat etwas davon. Halt also noch ein paar Minuten durch, dann sind wir in Sicherheit", rufe ich entschlossen zurück.

Der Mann schaut mich etwas unsicher an, antwortet aber nichts. Er scheint sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Ich kann es ihm nicht verübeln. Er droht, nur von mir gehalten und nicht fähig sich selbst in Sicherheit zu bringen, über Bord geweht zu werden. Das ist garantiert kein angenehmes Gefühl. Vor allem die Hilflosigkeit, die ihm bewusst sein muss, ist sicher beängstigend.

Dann aber geht die Luke erneut auf. Diesmal kommt mein Vater, der mit einem Tau um den Bauch gesichert ist, heraus und zwei weitere Männer folgen ihm. Sie unterstützen ihn, indem sie das Seil halten und nur so viel davon freigeben, dass er weiterkommt. Das Tau muss unter Deck festgemacht sein.

Mein Vater kommt mit unsicheren Schritten und nur vom Tau gehalten auf mich zu. Er schaut mich unsicher an.

„Hilf ihm. Pack ihn um die Hüfte und lass dich von den beiden Männern zurückziehen. Dann kommst du und rettest mich. Ich bin im Augenblick sicher", weise ich ihn an.

Wie von mir befohlen, geht er noch ein Stück auf den Mann zu, packt ihn mit beiden Armen entschlossen um den Bauch und auf einen Wink von ihm hin, ziehen die Männer am Ausstieg beide zurück. Als mein Vater zusammen mit dem jungen Mann in Reichweite ist, bringen sie den Mann und meinen Vater erstmal unter Deck. Nun hänge ich vorübergehend Mutter Seelen allein an Deck eines Wikingerschiffes mitten in einem gewaltigen Sturm. Genau so habe ich mir meine Reise nach Norwegen auf den Spuren meiner Mutter vorgestellt, denke ich ein wenig sarkastisch.

Lange muss ich aber nicht warten und mein Vater kommt erneut aus der Luke. Diesmal scheinen die Männer besser organisiert zu sein. Mein Vater hat ein zweites Tau bei sich, das er mir um den Bauch bindet und wir somit getrennt den Rückweg antreten können.

Als wir im Gemeinschaftsraum ankommen, sitzt dort der junge Mann von vorhin, umringt von zahlreichen Männern und Frauen der Besatzung. Sie bemerken gar nicht, wie wir eintreten.

„... und dann hat sie mich im allerletzten Moment gepackt. So etwas habe ich noch nie gesehen. Mit einer Hand hat sie sich an einem Tau festgehalten, mit der anderen hat sie nach mir gegriffen. Das ging unglaublich schnell. Ohne sie wäre ich vom Sturm über Bord gewehrt worden, was meinen sicheren Tod bedeutet hätte. Wäre Ingrid nicht gewesen, wäre ich jetzt nicht mehr unter euch", höre ich den Mann erzählen.

„So dramatisch war es dann auch wieder nicht", wiegle ich ab.

Erst jetzt werden alle auf mich aufmerksam und schauen in meine Richtung. Alle schweigen betreten.

„Genau so war es. Ingrid ist eine Heldin!", stellt der Mann klar. „Ihr könnt mir das glauben."

„Er sagt die Wahrheit. Ich habe gesehen, wie meine Tochter mit einer Hand sich an einem Seil festgehalten hat und mit der anderen Naglfar am Hosenbund gepackt hat, damit er nicht über Bord geweht wird", bestätigt mein Vater.

„Jetzt macht nicht so eine große Sache draus. Das hätte doch jeder gemacht", versuche ich erneut abzulenken. Es ist mir trotz allem ein wenig peinlich, so im Mittelpunkt zu stehen.

„Bist du dir da so sicher?", erkundigt sich Neglfar. „Du bist eine kluge, mutige und tapfere Anführerin. Du bist für deine Leute da. Besser hättest du es nicht zeigen können, als eben Ich werde dir überallhin folgen!"

„Es lebe Ingrid!", ruft plötzlich einer aus der Menge.

„Es lebe Ingrid, unsere Anführerin!", brüllen zunächst ein paar und schließlich alle.

Kapitel 9

Der Rest der Reise ist gut verlaufen und wir erreichen heute den Heimathafen. Trotz des Sturmes und der Tatsache, dass wir deshalb etwas vom Kurs abgekommen sind, konnte ich auch dieses Mal die richtige Route berechnen und wir treffen genau vor Haugesund auf die norwegische Küste. Mit Erleichterung erkenne ich die Bucht, in der noch weitere Schiffe vor Anker liegen.

Ich leite noch die Einfahrt in die Bucht. Danach überlasse ich es meinem Vater, dafür zu sorgen, dass die Schiffe entladen werden. Während ich diesen Vorgang von der Klippe aus beobachte, wird mir klar, dass wir einen Steg bauen sollten, der diese Arbeit erleichtern könnte. Aber das werde ich später im Rat ansprechen, ganz sicher nicht heute.

„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast", sagt plötzlich jemand neben mir.

Als ich mich umblicke, sehe ich Naglfar neben mir. Er meint es ehrlich, das erkenne ich an seinem Blick.

„Keine Ursache. Ich war einfach zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle."

„Du hast Mut bewiesen, sehr großen Mut sogar", korrigiert er mich.

„Machen wir keine große Sache draus. Ich habe das gern gemacht."

Er umarmt mich und drückt mich fest an sich. Ich habe den Eindruck, er macht dies nicht ungern. Er hält mich nämlich länger fest, als dies nötig wäre. Er ist also auch nur ein Mann, denke ich belustigt.

Schon zwei Tage später mache ich mich zusammen mit meinem Vater auf den Weg zum Wasserfall. Ich genieße diese Vater-Tochter-Zeit in vollen Zügen. Wir erzählen uns auf dem gesamten Weg Geschichten von meiner Mutter. Es ist wunderschön, diese Erinnerungen mit einem Menschen teilen zu können, der sie miterlebt hat und, der meine Mutter genauso sehr geliebt hat, wie ich.

Wir brauchen einen ganzen Tag länger, weil wir viel reden und deshalb nur langsam vorankommen. Da wir aber Zeit haben, ist uns das egal.

Als wir endlich den Wasserfall erreichen, bauen wir ein Lager auf und machen es uns bequem. Ich gehe hinunter zum Fjord, ziehe mich aus und springe ins Wasser.

„Du auch?", ruft mir mein Vater hinterher.

„Ich bin die Tochter meiner Mutter", lache ich. „Wir sind zusammen öfters ans andere Ufer geschwommen."

„Das habe ich nie geschafft", meint er bedauernd.

„Das macht nichts. Sie hat es dir nicht übelgenommen."

„Bist du dir da sicher?"

„Sie hat es mir gesagt", antworte ich ihm. „Sie hat sogar gemeint, die andere Seite des Fjords sei ihr ganz persönlicher Platz gewesen, an nie ein anderer Mensch mitgekommen ist."

„Dich hat sie doch mitgenommen."

„Im anderen Leben und auch das erst nach vielen Jahren", stelle ich klar.

Nun schwimme ich los und durchquere problemlos den Fjord. An der anderen Seite klettere ich den Wasserfall ein Stück empor und setze mich auf jene Stelle, an der ich immer mit meiner Mutter gesessen bin, wenn wir hierher geschwommen sind.

Ich blicke auf die andere Seite und sehe meinen Vater, die große Liebe meiner Mutter. Ich habe das Gefühl, als würde sie neben mir sitzen und sagen, „ist er nicht ein wunderbarer Mann".

„Er ist ein wunderbarer Mann", sage ich halblaut. „Ich kann endlich die Welt mit deinen Augen sehen, Mutter. Ich kann endlich aus tiefstem Herzen verstehen, was dich an dieser Welt fasziniert hat, welche Sehnsucht dich immer hierher gezogen hat. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich hierbleiben will. Ich habe ein Leben in der Zukunft. Ich bin nicht du und ich werde wohl mein eigenes Leben leben müssen. Trotzdem bin ich mehr als dankbar, dass ich einen Einblick in ihre Erlebnisse machen durfte."

Ich habe das Gefühl, als würde meine Mutter antworten und sagen, ich solle das tun, was ich möchte. Ich dürfe mir nicht einbilden, ich müsste ihr Leben noch einmal leben.

Mir kullert eine Träne die Wange herunter. Ich habe mich meiner Mutter noch nie so nahe gefühlt, obwohl sie gar nicht bei mir ist, zumindest nicht als Mensch aus Fleisch und Blut. Mir ist aber auch klar, dass ich nicht sie bin, ich bin und habe mein eigenes Leben.

Nach einer Weile stehe ich auf, klettere den Wasserfall wieder hinunter und schwimme zurück. Mein Vater empfängt mich und ich kann deutlich sehen, wie ihm ein Stein vom Herzen fällt, dass ich wieder auf seiner Seite des Wassers bin.

„Kannst du noch einen Bogen schnitzen?", frage ich.

Mein Vater schaut mich mit großen Augen an. Ich sehe, wie er überlegt. Dabei schaut er etwas unsicher drein.

„Ich weiß es nicht. Ich habe schon lang keinen mehr gemacht", gesteht er.

„So etwas verlernt man nicht", grinse ich.

Ich nehme ein Messer, suche einen Haselstrauch und schneide mir einen passenden Ast ab. Dann bearbeite ich ihn und hol ein Hanfseil aus der Tasche, das ich bewusst für diesen Zweck eingesteckt habe.

Mein Vater beobachtet mich genau. Dann holt auch er sich einen Zweig und schnitzt sich seinen eigenen Bogen. Das Hanfseil muss er sich von mir borgen, weil er nicht daran gedacht hat.

„Ich habe noch den ersten Bogen zu Hause hängen, den, den mir deine Mutter gemacht hat", meint er. Ich höre, wie wehmütig er ist. Es ist unverkennbar, dass er sich nach dieser Zeit zurücksehnt.

„Das wird Alva freuen", sage ich.

Wir schnitzen uns noch schnell einige Pfeile und gehen dann auf die Jagd. Mein Vater will einen Hasen schießen, der ihm jedoch im allerletzten Moment doch noch entwischt. Etwas verärgert schaut er dem flüchtenden Tier hinterher.

„Das hast du früher besser hingekriegt", necke ich ihn.

„Ich bin aus der Übung", meint er schulterzuckend.

„Schau und lerne", sage ich grinsend.

Damit schleiche ich mich zwischen den Sträuchern durch und entdecke einen dicken, fetten Hasen. Ich lege an und schon schwirrt der Pfeil in Richtung des Tieres. Bevor dieses die Gefahr erkennt, ist es bereits tot. Ich packe meine Beute bei den Ohren und gehe zurück zu meinem Vater. Voller Stolz präsentiere ich ihm das Tier.

„Anfängerglück!", neckt diesmal er mich.

„Du kannst mich nicht ärgern. Ich mache mich jetzt daran, den Hasen vorzubereiten und zu braten. Wenn du ganz nett bittest, gebe ich dir ein Stück davon ab, damit du nicht hungern musst", ärgere ich ihn.

Ihm scheint das allerdings nichts auszumachen. Er beobachtet mich schweigend, wie ich den Hasen ausnehme und ihm das Fell abziehe. Da ich schon vorhatte, auf die Jagd zu gehen, habe ich auch verschiedene Gewürze eingepackt, mit denen ich nun das Fleisch einreibe, den Hasen dann auf einen Ast spieße und ihn anschließend über dem Feuer knusprig braten lasse.

„Du machst das, wie deine Mutter."

„Die hatte keine Gewürze dabei, wenn ich mich richtig erinnere."

„Das nicht. Aber auch sie hat einen Ast genommen und ein Gestänge gebaut, um das Fleisch bequem über dem Feuer drehen zu können."

„Das habe ich schließlich von ihr gelernt", gebe ich zu bedenken.

„Ich genieße diese Zeit mit dir, meiner Tochter. Ich bin froh, dass auch du auf den Spuren deiner Mutter wandeln willst und wir diese Zeit zusammen verbringen."

Ich sage darauf nichts. Mir schwirrt ein anderer Gedanke durch den Kopf und ich überlege lange, ob ich ihn darauf jetzt darauf ansprechen soll. Ich bin mir nicht sicher, ob dies der richtige Augenblick ist. Doch mein Vater kommt mir zuvor, er scheint wohl zu bemerken, dass mir etwas auf der Seele brennt.

„Was hast du?", will er wissen.

„Ich weiß nicht, ob ich bleiben kann. Ich möchte gerne in meine Welt zurückkehren."

„Aber warum?", erkundigt er sich geschockt. Er hat eine solche Aussage von mir wohl nicht erwartet.

„Weil mein Leben dort ist", antworte ich ehrlich. „Dort habe ich meine Freunde, dort habe ich meinen Job, mein Studium und ich möchte das nicht alles aufgeben. Meine Mutter ist in diese Welt eingetaucht, als sie eine Auszeit genommen hat und nicht wusste, wie ihr Leben weitergehen soll. Sie wollte so schon alles hinter sich lassen. Da fiel ihr die Entscheidung natürlich leicht.

Ich aber wollte nur ein paar Tage auf den Pfaden meiner Mutter wandeln, die Orte besuchen, die ihr wichtig waren. Ich hatte nie die Absicht aus meinem Leben auszusteigen und mir etwas anderes zu suchen. Mir ging es um meine Mutter, nicht um mich selbst."

„Du kannst ja trotzdem hierbleiben."

„Ich bin viel weiter in das Leben meiner Mutter vorgedrungen, als ich jemals erwartet hätte. Ich stecke im Traum meiner Mutter und lebe nun hier mit euch. Aber es ist nicht mein Traum, es ist der ihre."

„Gefällt es dir hier nicht?", will er wissen. Ich habe den Eindruck, er ist ein wenig beleidigt.

„Es gefällt mir, es ist aber nicht mein Leben."

„Aber du hast dich so gut eingelebt, du hast uns aus der Patsche geholfen, als wir zu wenig Getreide hatten, du hast die Schiffe zu den Briten geführt und wieder zurück. Hat dir das nichts bedeutet?"

„Oh doch, das hat mir sogar sehr viel bedeutet. Es war ein Abenteuer, eine wertvolle Erfahrung. Dies für eine bestimmte Zeit erleben zu dürfen, ist mehr als ein Mensch je erträumt hat. Es ist aber am Ende doch nicht mein Leben."

„Deine Mutter wäre stolz!"

„Weißt du, was ich glaube? Meine Mutter hat gewusst, dass ihr in Schwierigkeiten seid, und hat es so eingerichtet, dass ich euch aus der Patsche helfe. Aber diese Aufgabe habe ich jetzt erfüllt und kann nun mit gutem Gewissen wieder zurück in mein altes Leben."

Mein Vater schaut mich wehmütig an. Ich kann die Trauer in seinen Augen erkennen, aber auch Verständnis.

„Du bist nicht deine Mutter, das ist mir klar. Trotzdem hätte ich dich gerne um mich."

„Das kann ich verstehen. Deine Tochter bleibt dir ja trotzdem erhalten."

„Wird sie so sein wie du?"

„Wie Alva, meinst du wohl."

„Vermutlich liegt es wirklich daran, dass ich mir deine Mutter zurückwünsche."

„Du solltest loslassen und dich mehr um deine Tochter kümmern. Zeig ihr, dass sie sich etwas zutrauen kann, dass sie Mut haben und die Führung des Stammes übernehmen kann, sobald ihre Zeit gekommen ist. Du musst an sie glauben, dann tut sie es auch. Sie wird niemals, wie Alva sein, weil sie nicht Alva ist. Sie ist Ingrid. Und trotzdem wird sie Großes bewirken, wenn du sie dazu ermutigst."

„Das sollte ich wohl machen", meint er nachdenklich.

„Erzähl ihr von ihrer Mutter, wie sie früher war, was sie alles geleistet hat. Tief in deiner Tochter steckt ein großer Teil von Alva und es gilt nur, diesen herauszukitzeln und zu fördern."

„Das werde ich."

Inzwischen ist der Hase knusprig und duftet herrlich. Ich nehme ihn vom Feuer und teile ihn auf. Wir essen mit Begeisterung, schließlich sind wir auch hungrig. Keiner von uns beiden sagt dabei etwas. Wir hängen unseren Gedanken nach.

Was am Wasserfall noch als Zweifel begonnen hat, wurde im Gespräch mit meinem Vater allmählich zur Gewissheit. Ich will zurück, weil mein Leben in der Zukunft liegt. Allmählich kommt mir sogar der Verdacht, dass es eine Fügung des Schicksals war, dass meine Mutter zurück in ihre alte Welt musste. Es würde vermutlich die Weltordnung durcheinanderbringen, wenn jemand dauerhaft in einer anderen Zeit bleiben und dort sogar sterben würde. Ich denke, die Rückkehr ist unvermeidlich und es ist bereits ein großes Privileg, diese Erfahrung überhaupt machen zu dürfen.

Wir legen uns nach dem Essen hin und schlafen. Es ist inzwischen spät und wir sind müde. Am nächsten Tag treten wir den Rückweg an. Wir sprechen vor allem über meine Mutter, die verschiedenen Erlebnisse, aber nicht über meine Absicht, wieder zurück in mein altes Leben zu wollen.

Kapitel 10

„Tapfere Wikinger, ich eröffne diese Sitzung des Rates und möchte Ingrid danken, die uns aus großer Not errettet hat", beginnt Laura.

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