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Eigentlich wollte ich nur Zigarette

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Charlotte schien mir lustig, aufgeschlossen und auch bedacht zu sein. Ihr gegenüber hatte Ilona eher einen trockenen Humor und war spontaner, als ihre Freundin.

Aus Susi wurde ich nicht schlau. Sie vereinte in sich viele Gegensätze, die ich nicht unter ein Dach packen konnte. Sie schien eine wichtige Rolle in diesem Trio zu spielen, aber welche? War sie der Schlüssel? Sie war eindeutig die älteste von den Dreien. Sie hatte Grazie und Charme und besaß gleichzeitig einen strengen Zug. Eine eigenwillige Mischung aus Weiblichkeit verbunden mit Stärke und Gelassenheit.

Mein Blick streifte eine kleine Glasvitrine, die ich bisher übersehen hatte. Dieser kleine Tisch mit Glasabdeckung schien eine Kostbarkeit zu bergen, die ich von meinem Sitzplatz aus nicht richtig sehen konnte. Ich beschloss, nach der Toilette zu fragen, dann könnte ich auf den Rückweg dieses Geheimnis lüften. Charlotte erklärte mir den Weg zur 'richtigen' Tür. Ich machte mich auf, sie zu finden.

Durch die Eingangshalle den schmalen Flur entlang fand ich das gesuchte Örtchen, erledigte mein Geschäft und schritt eben wieder zurück ins 'Erkerzimmer' wie ich es für mich getauft hatte.

Das Bedürfnis, vor der Türe stehen zu bleiben, einmal lauschend zu hören, ob die Drei vielleicht über mich redeten würden, wurde enttäuscht. Das Erkerzimmer war die Ruhe selbst und so ging ich betont lässig in den Raum. Es sollte keiner von ihnen auffallen, dass ich nur wegen meiner Absicht, die Vitrine zu besichtigen, zur Toilette gegangen war. Doch das Zimmer war leer. Der gedeckte Tisch war verwaist, nur die brennende Kerze im Stövchen zeigte an, dass erst kürzlich noch jemand hier war.

Also ging ich ruhigen Schrittes auf das Objekt meiner Neugierde zu. Da lagen unter der Glasscheibe verschiedene Utensilien, die ich am ehesten mit goldenen Salz- und Pfefferstreuern in Verbindung bringen konnte. Ein aufgeschlagenes Buch, sehr alt, handgeschrieben, mit eigenartigen Zeichnungen und Symbolen auf den offenen Seiten, dominierte die restlichen Gegenstände und lag zentral in der Mitte der quadratischen Tischvitrine.

Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich ein Bild als eine Art Teufelsdarstellung. Ein Wesen halb Bock, halb Mensch mit geschwungenen Hörnern saß oberhalb eines Baumes, unter dem sich zwei Frauen einen Apfel teilten.

Mir schoss für einen Moment das Blut in den Kopf. Der Baum! Das ist die Linde im Garten dieses Hauses. Ich hob langsam meinen Kopf und behielt, so lange als möglich, Sichtkontakt mit dem Kupferstich im Buch. Ich wollte den Baum aus dem Buch als eine Art Schablone mit meinem Blick in den Garten verbinden, um eine Deckung der beiden Bäume zu erreichen.

Als meine Augen sich von der alten Darstellung lösten, um die Linde draußen zu fokussieren, konnte ich meinen Vergleich nicht zu Ende führen, denn Susi und die beiden anderen saßen auf der Bank, die den Baum umgab, und waren lebhaft gestikulierend in ein Gespräch vertieft.

Ich schüttelte mich wie ein nasser Hund, nicht ganz so heftig, jedoch in feineren inneren Zuckungen intensiver. Mit dieser spontanen Reaktion wollte ich mich wohl von der Vorstellung befreien, hier bestünde ein Zusammenhang zwischen den beiden Bäumen. Oder wollte ich diesen Zusammenhang auf alle Fälle leugnen?

Ein feuchter Hauch berührte mich und ich roch die Luft, wie sie nur nach sommerlichem Regen riechen kann. Im linken Fenstereck des Erkers stand eine Türe offen, die direkt zum Garten führte. Ich ging auf sie zu. Um die drei Frauen nicht allzu lange auf meine Rückkehr warten zu lassen, blieb im Türrahmen einen Augenblick stehen, um mich bemerkbar zu machen.

Die Drei, nahmen jedoch keine Notiz von mir und unterhielten sich angeregt weiter. Ich schritt die wenigen Stufen der ausgetretenen Sandsteintreppe nach unten und versuchte, meine Schuhe, im Kies etwas nachzuziehen, damit die Frauen meiner gewahr werden konnten. Ich wollte nicht plötzlich erscheinen und dabei ihr Gespräch stören, oder den Eindruck erwecken, ich belausche sie.

Mir wurde klar; solche Gedanken hat nur einer, dessen eigene Absicht dahinter steht. Tatsächlich haben die Drei eine unersättliche Neugier in mir geweckt, die wahrscheinlich nie befriedigt werden wird.

Als ich näher kam, wandte sich Charlotte zu mir um, kam mir einige Schritte entgegen und griff an meine Schulter. Wie sie das schon zuvor getan hatte, lenkte sie mich, mit dieser einfachen Geste, in die von ihr gewünschte Richtung.

"Die beiden wollen noch etwas Privates besprechen, es ist besser, wir lassen sie dabei alleine", sagte es, und geleitete mich zum Gartentisch, weg von den beiden anderen.

Wir setzten uns und Charlotte frage mich nach einer Zigarette. Sie hatte den schweren Aschenbecher aus dem Erker bereits auf dem Tisch platziert.

"Ich rauche nur gelegentlich und in Gesellschaft."

"Ich viel, und meistens alleine", entgegnete ich mit einem gezwungenen Lächeln, griff in die Tasche meines Hemds, um die Schachtel nun einzuweihen.

Mit einem Ruck entfernte ich das Zellophan, öffnete die Box und zog das Silberpapier heraus. Höflich schob ich drei Zigaretten über den Rand der Schachtel und hielt diese Charlotte entgegen. Die Zweifinger-Geste, mit der sie dem Angebot nachkam, verriet einem starken Raucher wie mir, dass sie wirklich nur selten diesem Übel frönt. Meine Hand suchte in der Hosentasche nach dem Feuerzeug, das sich zwischen Schlüsselbund und Kleingeld auch fand.

Ich bot ihr die Flamme an und sie blickte mir beim Anzünden in die Augen.

Eigenartig, ich konnte von ihrem Blick nicht lassen und hätte beinahe vergessen den Druckknopf an Feuerzeug loszulassen, wenn sie mich nicht mit einen:

"Danke, das genügt." Darauf aufmerksam gemacht hätte.

Sie ließ ihren Rücken, gegen die Lehne sinken nahm einen weiteren tiefen Zug, an der Zigarette, und schloss dabei die Augen.

Ich nahm mir ebenfalls eine aus der Packung und zündete sie an. Dabei ließ ich Charlotte nicht aus den Augen. Ich wollte diesen Augenblick auskosten, sie ansehen, ohne dass sie es bemerkt.

Ihre rotbraunen Haare schienen von der Mittagssonne durchdrungen zu werden und glänzten beinahe durchsichtig. Erst jetzt im Sonnenlicht beobachte ich einige Sommersprossen auf beiden Seiten ihrer Nase. Sie schien es zu genießen die warmen Strahlen auf ihr Gesicht fallen zulassen und wirkte auf mich genüsslich entspannt.

"Warum siehst du mich so intensiv an?", fragte sie mich, ohne die Augen zu öffnen. Ich versuchte, schnell noch herauszufinden, ob sie mich blinzelnd ertappt hatte. Nein, ihr Gesicht blieb gelassen und anmutig, wie es war.

"Kannst du Hellsehen?", fragte ich zurück. Ein Knappes:

"Nein", war die Antwort und nach einem weiteren Zug aus der Zigarette, fuhr sie fort:

"Ich spüre deinen Blick und er ist sehr angenehm."

"Darf ich weiter schauen?", erkundigte ich mich, in der Hoffnung keine Absage zu erhalten.

"Ja, solange du willst."

Dem kam ich gerne nach.

Wieder und wieder versuchte ich, zu verstehen, was für eine Kreatur Charlotte war. Dieses Wesen fasziniert mich, sie übt eine Anziehung auf mich aus, die ich nicht beschreiben kann. Selbst wenn sie, wie jetzt, die Augen geschlossen hält, habe ich das Gefühl, von ihr durchdrungen zu werden. Dabei erscheint mir dieser Angriff auf mich, nicht aktiv zu geschehen.

Sie bewegt Dinge in mir, ohne nur den kleinsten Anschein von Aktivität zu zeigen. Sie zieht mich an, ohne den Eindruck zu erwecken, gebunden zu sein. Sie ist und ich bin. Ich hätte ihr viel zu sagen und schweige. Ich möchte viel von ihr erfahren und unterlasse es zu fragen. Die Stille scheint zwischen ihr und mir zum höchsten Maß an Austausch zu führen.

Ich sehe ihren Atem schneller gehen, ihr Brustkorb hebt sich bei jedem Atemzug weiter und sie gibt hörbar die eingeatmete Luft durch die Nase wieder ab. Wieder sagt sie:

"Es ist schön, von dir so betrachtet zu werden." Doch, als ob es ihr zu schön zu werden droht, öffnet sie die Augen und sieht mich an.

"Wir sollten uns Wiedersehen und nicht zu lange damit warten."

Sie drehte sich nach den beiden anderen Frauen um, als ob sie überprüfen wollte, ob die beiden noch weit genug entfernt sind, dann fragt sie mich direkt:

"Kannst du mir deine Telefonnummer geben, ich will dich anrufen können, wann immer ich will."

Mir stockte der Atem für ein paar Sekunden. Wie hypnotisiert griff ich in meine Gesäßtasche, griff nach meinem Portemonnaie und kramte nach einer meiner Visitenkarten, die mir meine Firma zur Verfügung gestellt hatte.

"Hast Du was zum Schreiben?", wollte ich wissen, denn auf der Karte war nur die Nummer meines Büros. Nach einigem Suchen fand sie in ihrer Handtasche einen Schreiber und reichte ihn mir. Ich kritzelte ein wenig zitternd meine Telefonnummer auf das kleine Stück Papier und reichte ihr den Schreiber, zusammen mit meiner Karte zurück.

"Darf ich deine Nummer auch haben", fragte ich nach.

"Ich werde sie dir am Telefon sagen, einverstanden?"

"Ja", wollte ich eigentlich nicht antworten, aber ich hab's doch getan. Warum, das weiß ich nicht. Vielleicht wollte ich nicht aufdringlich sein, vielleicht nur höflich, wahrscheinlich hatte ich einfach nicht den Mut dazu.

Susi und Ilona bewegten sich, immer noch ins Gespräch vertieft, auf uns zu. Doch mit jedem Schritt, den sie uns näher kamen, ebbte, der Redeschwall der beiden mehr und mehr ab. Susi hielt auf halben Weg Ilona fest, redete noch einmal auf sie ein. Ilona nickte daraufhin und beiden kamen mit schnellen Schritten den restlichen Teil des Kieswegs an unsern Tisch.

"Entschuldigt, dass wir euch, solange alleine gelassen haben. Wir hatten noch persönliche Dinge zu besprechen." Ohne eine Antwort abzuwarten, fragte sie mich:

"Willst du noch mehr von meinem Haus sehen?"

"Ja gerne, es gefällt mir sehr."

"Ilona kann dir ja die oberen Stockwerke zeigen, die unteren zeig' ich dir dann, wenn du uns wieder einmal besuchst."

Ich konnte kaum glauben, dachte, nicht recht gehört zu haben, und Wiederholte:

"Wenn du uns wieder einmal besuchst?"

"Ja, du hast richtig gehört, wir würden uns freuen, wenn du wiederkommst."

Diese drei Frauen verstanden es, mich an einen Sonntagnachmittag aus allen Bahnen zu werfen. Spielten sie mit mir, oder was war in den letzten Stunden geschehen? Vom Reiseführer zum gern gesehenen Gast? Ein Glücksgefühl durchströmte mich, so viel Sympathie in solch kurzer Zeit, das war in meinem Leben noch nicht passiert. Der lockere Umgang, die unbeschwerte Art miteinander umzugehen, gefiel mir. In diesem Moment dachte ich nicht daran, dass all dies auch eine andere Seite haben könnte.

Ilona zupfte mich am Ärmel.

"Komm ich zeig dir das Haus und du musst uns nachher erzählen, ob es dir gefällt."

Sie warf ihre schwarzen Haare auf beiden Seiten über die Schultern zurück und sprang voraus, die Erkertreppe hinauf, stoppte und dreht sich in der Türe, um auf mich zu warten. Ich ging ihr nach und sie nahm mich unter dem Arm, quer durchs Zimmer in die Eingangshalle. Ich versuchte, ihr Tempo etwas zu bremsen, als wir auf die Treppe zugingen.

"Darf ich die Stufen alleine hinaufgehen?", fragte ich bescheiden",ich möchte gerne erleben, wie es ist."

"Natürlich", antwortete sie leise kichernd und sprang voraus. Ich setzte vorsichtig den rechten Fuß auf die erste Stufe, so, als ob ich prüfen wollte, ob sie auch hält. Dieser flauschig weiche Teppich ließ mich leicht einsinken, gab dann aber nicht mehr nach und trug mich.

Ich setzte den anderen Fuß auf die nächste Stufe und wurde nicht enttäuscht.

Vorbei an den riesigen Blättern des alten Gummibaums schwebte ich förmlich die Treppe hinauf. Ich hätte nie geglaubt, dass das Begehen einer Treppe ein Genuss sein kann. Auf der obersten Stufe saß Ilona mit den Händen auf den Knien und sah mit kindlichen Augen zu, wie ich Stufe für Stufe genoss.

"Du bist ein eigenartiger Vogel", schallte es über meinen Kopf herunter",mir scheint, du bist heute den ersten Tag, auf diesem Planeten."

"Kann sein, ich hab das Gefühl heute auch schon gehabt."

Ich schwebte weiter und ließ mich neben ihr auf der oberen Stufe nieder.

"Kannst du dir vorstellen, dass ich heute eine Treppe zu einem großartigen Teil eines Hauses erkoren habe? Ich bin noch nie über so wertvolle Teppiche gegangen."

"Ich freue mich für dich, ich freue mich, dass du's tust." Dabei legt sie ihren Arm um mich, rückt näher heran und zeigt auf den Gummibaum.

"Was meinst du, wie alt der ist?"

"Ich dachte vorher, als ich ihn von unten sah, er müsse über hundert Jahre alt sein, jetzt von hier oben betrachtet ist er eher nur fünfzig."

"Vor neunzig Jahren hat Susis Grußmutter ihn gepflanzt und seither wächst er in diesem Haus."

"Toll!", war alles, was ich sagen konnte. Superlativen waren mir immer suspekt. Aber vielleicht musste ich mich auch noch an Steigerungen von 'Toll' gewöhnen.

Wir saßen eine ganze Weile lang stumm wie Bruder und Schwester auf dem Treppenabsatz, schauten wie gebannt auf den Baum, der durch sein Alter eine tiefe Ruhe in uns beiden auszulösen schien.

"Wie alt bist du?", fragte ich Ilona.

"Achtundzwanzig, noch nicht einmal ein Drittel der Zeit, die dieser Baum schon hier steht."

"Ich bin letzte Woche vierzig geworden, ein wenig älter als du, aber immer noch nicht die Hälfte von ihm."

"Lass uns durch die Zimmer gehen, es wird dir gefallen."

Wir halfen uns gegenseitig, aufzustehen, und Ilona begann mit der Führung.

Auch in diesem Stockwerk glich der Flur eher einer offenen Halle, als einem verbindenden Gang. Das große Fenster des Treppenhauses ließ durch sein Licht den terrassenartigen Flur gedämpft erscheinen. Da vor allem die oberen Scheiben in verschiedenen Farben gehalten waren, spielte hier das Licht zwischen, Weiss, Rot, Dunkelblau und Flaschengrün.

Das schlichte Treppengeländer setzte sich fein und einfühlsam vor dem hellen Hintergrund ab, schwang bei der obersten Stufe zu beiden Seiten aus und bildete so einen Balkon, von dem man, zum Fenster sehen und das Spiel des Windes in den Bäumen draußen beobachten konnte.

Hellere Teppiche als in der Eingangshalle bestimmte das Bild. Als ob hier die sensiblere Ebene des Lebens begänne, war alles, auch die Möbel feiner geschwungen, ja anmutiger. Eine Frisierkommode, im venezianischen Stiel, mit einem großen ovalen Spiegel, zwei, seitlich verbundene kleine Ablagen und ein Hocker, standen an der Seite. Er diente sicherlich der Dame des Hauses, als letzte Gelegenheit ihre Toilette zu überprüfen, bevor sie sich ins unterliegende Geschoss begab.

Kleine Lüster an den Wänden sollten in der Dunkelheit die Beleuchtung regeln. Ich stellte mir vor, wie dieses Licht am Abend wohl aussehen würde.

"Hier ist das Lesezimmer", hörte ich Ilona sagen. Sie riss mich dabei aus meinen Tagträumen. Mit wenigen Schritten war sie auf eine Türe zugegangen, die größtenteils aus einer Milchglasscheibe bestand, in der Jugendstilmotive eingeätzt waren.

Dieses Bild für sich alleine hätte mich einen Nachmittag beschäftigt, aber, als ob Eile angesagt wäre, rief Ilona:

"Komm rein!"

'Lesezimmer', dachte ich. Der Name Lesezimmer war leicht untertrieben. Das war eine Bibliothek! Jeder freie Raum zwischen den Fenstern war mit einem fest eingebauten Büchergestell ausgefüllt, das zur Decke hin mit einem kleinen Dach abschloss.

Schön geordnet stand ein Buch am anderen. Je tiefer wir uns in dieses Zimmer hineinbegaben, umso mehr wurden wir von Büchern eingehüllt. Ein großer Schreibtisch mit Stehlampe und einem Arbeitsstuhl, der weit ausschwingende Armlehnen besaß, die in Löwenköpfen endeten, stand in der Nähe der Balkontüre. Als zweites Element standen zwei schwere Ohrensessel aus dunklem Leder in der anderen Hälfte dieses Zimmers.

Hier möchte man sich ein Buch auswählen und sich zurückziehen in die träge Ruhe dieser Umgebung. Die Weisen der Welt und ihr Werk würden an diesem Ort mit Sicherheit verstanden werden können. Ich ging auf eines der Büchergestelle zu, es hatte mein Interesse besonders geweckt, da in Hüfthöhe ein Ablagetableau herausgezogen war, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag.

Die einzige Stelle dieses Raumes, die in mir den Anschein erweckte, dass sie benutzt wurde.

Wieder ein altes handschriftliches Buch, das wie ich bemerkte, in einer mir unbekannten Sprache verfasst war.

"Wer liest hier?", platze ich heraus, meine Neugier war größer, als meine anerzogene Zurückhaltung geworden.

"Susi, manches Mal auch ich"

"Und dieses Buch?", wollte ich wissen. Ilona trat näher blickte zu den aufgeschlagenen Seiten, blätterte einmal vor und wieder zurück.

"Das gehört zu Susis Gebiet, sie liest solche alten lateinischen Werke, kann sich richtig rein fressen in diese Sachen. Es gibt hier im Haus eine Mange davon. Manches Mal hat Susi Fachleute von verschiedenen Universitäten zu Besuch, die sich für diese alten Schinken interessieren. Sie soll hier alte Schriften haben, die es sonst nirgendwo auf der Welt mehr gibt. Die Büchersammlung wurde von ihrem Urgroßvater begonnen und alle Generationen haben was dazu beigesteuert. Aber ich kenne mich damit nicht besonders gut aus. Du solltest sie bei Gelegenheit einmal selbst fragen."

So viel auf einmal hatte Ilona, seit ich sie kennengelernt habe, noch nicht geredet. Ich war verblüfft.

"Woher kennst Du Susi eigentlich?", wollte ich wissen, die Frage hatte mir, schon lange auf der Zunge gelegen, jetzt schien mir der richtige Moment dazu. Wir waren alleine, ich konnte Susi und Charlotte durch das Fenster im Garten sitzen sehen. Eine Störung durch eine der beiden war nicht zu erwarten.

Ilona ließ sich in einen der beiden Sessel fallen, sah zu mir hinauf, strich ihre Haare zur Seite und stützte ihr Kinn mit der Hand ab.

"Das ist eine lange Geschichte. Zusammengerafft war das etwa so:

Unsere Großväter waren Freunde, sie reisten zusammen oft durch die Welt, hatten die ersten Autos, die es gab, und unternahmen damit ausgedehnte Erkundungen quer durch Europa. Auch die Söhne der beiden waren auf solchen Reisen meist mit dabei, sie verband eine enge Jugendfreundschaft.

Unsere Väter heirateten dann sehr unterschiedliche Frauen, die Freundschaft der beiden ging in die Brüche und mein Vater zog zusammen mit meiner Mutter an den Bodensee. Die beiden Männer verloren sich aus den Augen, die alten Bande gerieten in Vergessenheit. Als ich zwölf Jahre alt war, kamen meine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und ich stand, zusammen mit meinem, acht Jahre älteren Bruder, von einem Tag auf den anderen alleine da.

Die Eltern meiner Mutter kümmerte sich um uns, so konnten wir in unserem Elternhaus bleiben und ich weiter zur Schule gehen. Susi hatte von diesem Unglück in der Zeitung gelesen und ihr Vater, der damals noch lebte, erzählte ihr von den vielen gemeinsamen Erlebnissen, die ihn mit meinem Vater verbanden.

Sie kamen beide zur Trauerfeier und so lernte ich Susi kennen. Fortan war sie an vielen Wochenenden und oft mehrere Tage bei uns zu Gast. Sie entwickelte sich zu einer älteren Schwester für mich, die mir in all meinen Nöten immer zur Seite stand. Ich kann heute sagen, dass ich ohne sie nicht wäre, was ich bin."

Ich hatte mich in der Zwischenzeit vorsichtig im zweiten Sessel niedergelassen, um Ilonas Erzählung nicht zu unterbrechen, sah sie von der Seite her an und bemerkte, dass ihre Augen feucht wurden beim Erzählen. Ich saß betroffen im schweren Lederpolster und schämte mich ein wenig für meine Neugierde.

Ilona sah zu mir herüber, blickte mir einen Moment lang mit fast steinernem Blick in die Augen und fuhr fort:

"Susi ist immer für mich da, sie kennt meine Vorlieben, meine Schwächen und lässt mich so, wie ich bin. Kennst du einem Menschen, der dich so akzeptiert?"

Ich musste nicht lange überlegen, um ihr mit einem: "Nein", zu antworten."

"Nein, ich kenne nur Menschen, die mich anders haben wollen, als ich bin. Die meisten Leute, die ich kenne, meinen ich passe nicht in ihre Welt, daher habe ich auch schon vor Jahren beschlossen, für mich alleine zu leben. Ich hatte genug von den guten Ratschlägen von Freunden und Bekannten, die immer wussten, was zu tun war, bis sie selbst in Schwierigkeiten gerieten und ihre Ohnmacht sie überwältigte. Kaum hatten sie wieder Oberwasser, ging das Spiel von Neuem los."