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Eigentlich wollte ich nur Zigarette

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Ich erschrak ein wenig über mich selbst, so offen hatte ich schon lange niemanden mehr meine Einstellung zu den Menschen anvertraut. Am liebsten hätte ich diesen Satz widerrufen, unausgesprochen gemacht, denn ich hatte schlechte Erfahrungen mit dieser Ehrlichkeit gesammelt. Ilona hatte sich aufrecht hingesetzt und bemerkte in ihrer, jetzt wieder knappen Art:

"Ja, das kann ich verstehen!"

Wir standen beide, wie auf ein unhörbares Kommando hin auf, gingen und in Richtung der Türe. Im Flur klinkte sie ihren Arm wieder unter meinen und wir gingen schweigend die Treppe hinunter. Die übrigen Räume des Hauses vergaßen wir beide. Ab und zu blickten wir uns ins Gesicht, sprachen aber kein Wort, bis wir wieder bei Susi und Charlotte im Garten waren. Die beiden hatten, wie es schien, ihr lebhaftes Gespräch inzwischen beendet und saßen, die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießend, am Tisch. Wir setzten uns dazu und für eine kleine Weile zog sich das Schweigen weiter.

"Wie gefällt es dir?", fragte Susi mir zugewandt.

"Ich bin überwältigt", hörte ich mich sagen",es ist das schönste Haus, das ich je gesehen habe. Das Lesezimmer ist ein Traum, ich könnte mich Wochen, ja Monate darin vergraben, um all die Bücher zu durchstöbern. Gigantisch!"

Damit war ich schon in der Superlativen, die ich ansonsten immer mied.

Susi sah mich erfreut an. Charlotte öffnete die Augen und warf mir von der Seite her einen Blick zu, den ich nicht verstand. Ich konnte aber auch ein Feuer in ihren Augen ausmachen, das mir unter die Haut ging.

Von Susi kam fast bestimmend:

"Lasst uns unsere neue Bekanntschaft ein wenig feiern."

Sprach es, und stand auf. Graziös schritt sie mit ihren hohen Absätzen durch den Kies die Stufen hinauf zum Erker. Es schien mir, als ob sie uns ein Schauspiel ihrer Kunst des Gehens liefern wollte.

Schlangenhaft, verführerisch schwang sich ihr Körper in einer gleichmäßigen Bewegung, deren Kraft aus den Hüften kam und sich dort auch wieder zu sammeln schien. Sie verschwand in der Erkertüre, als ob sie sich im Inneren des Hauses aufgelöst hätte.

Ich legte mich in die Lehne des Holzstuhles zurück, verschränkte meine Hände hinterm Kopf und streckte meine Beine weit von mir weg. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so wohl gefühlt. Ich erinnerte mich an Ausflüge mit meinem Vater. Wenn wir beide alleine mit dem Auto weit hinausgefahren waren, auf einer Anhöhe in einem Gartenrestaurant saßen und einfach in die Welt blickten.

Wir sprachen meist nicht viel, aber als Junge hatte ich das Gefühl, genau in diesen Momenten verstanden wir uns am besten. Diese Erinnerungen an meine Kinderzeit schlugen einen direkten Bogen zu den letzten Stunden. Geborgenheit ohne viele Worte, eine innere Ruhe und eine Gelassenheit, die sich gleichmäßig in mir auszubreiten schien.

Das Vertrauen, dass das Leben 'Es' schon richten würde, wenn die Zeit dazu gekommen ist, konnte mein Vater mir vermitteln, wenn er sich die Zeit nahm, mit mir gemeinsam etwas zu unternehmen.

Susis Absätze waren wieder auf der Sandsteintreppe zu hören. Ich wollte mir das Schauspiel ihres Gangs von vorne nicht entgehen lassen. Ich öffnete die Augen und wurde nicht enttäuscht. In der einen Hand, trug sie einen Sektkühler und in der anderen hatte sie zwischen den Fingern eingeklemmt vier Champagnerschalen.

Ilona sprang auf, um ihr den Kübel mit der Flasche abzunehmen, und brachte ihn zum Tisch.

"Möchtest du die Flasche öffnen, Johann?", ich nickte mit dem Kopf, gab Susi zu verstehen, dass ich das übernehmen werde, und machte mich sofort ans Werk. Nachdem die Kappe entfernt, und der Draht gelöst war, drehte ich vorsichtig am Korken der Flasche, um ihn leise zu öffnen. Mit einer betont vornehmen Geste goss ich in die vier Gläser ein, nahm die linke Hand auf den Rücken, gerade so, wie ich das in vornehmen Restaurants schon gesehen hatte.

"Jetzt wirst du deinem Namen gerecht: Johann der Butler." Ließ Ilona laut vernehmen. Ich muss sie wohl mit einem seltsamen Blick angesehen haben, denn sie reagierte umgehend mit:

"Entschuldigung, so hab' ich das nicht gemeint."

"Nicht so schlimm", antwortete ich darauf und setzte mich auf meinen Stuhl zurück. "Wenn der Butler mit der Herrschaft anstoßen und mittrinken darf, ist das Gefälle ja nicht so groß."

Susi erhob ihr Glas.

"Auf unsere neue Bekanntschaft!"

Die vier Augenpaare trafen sich und wir nippten an unseren Gläsern.

"Es ist schön, dass du die beiden begleitet hast, sonst hätten wir uns nicht kennengelernt", bemerkte Susi, während sie ihr Glas abstellte.

"Eigenartig ...", sagte ich nur und musste überlegen, was denn so eigenartig war. "Eigenartig, ich hatte eigentlich nur Zigaretten am Bahnhof holen wollen und nun sitze ich in einem Garten und trinke Champagner. Hätte mir das heute Morgen jemand prophezeit, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Wenn ich ehrlich bin: Mir scheint die Welt wie verzaubert, seit ich hier bin. Irgendwann klingelt mein Wecker, ich erwache und stelle fest, dass ich dies alles nur geträumt habe."

Charlotte wandte sich mir zu und mit einem flinken Griff, kniff sie mir in den Unterarm. Mein Zucken beantwortet sie mit:

"Siehst du, du, bist in der Realität, sonst wärest du in diesem Augenblick aufgewacht." Dabei war ihr Lächeln kindlich, ich glaubte, ihr anzusehen, dass sie sich freute, mir zu zeigen: Wir sind Wirklichkeit. Ich nahm mein Glas wieder vom Tisch und prostete ihr zu.

"Dann wird es wohl so sein!", gab ich knapp von mir, obwohl ich den Glauben daran noch nicht hatte.

"Darf ich mir den Park noch ein wenig ansehen?", wolle ich von Susi wissen.

"Selbstverständlich schau' dich um, solange es die gefällt."

Ich erhob mich und ging direkt zum Stamm der alten Linde. Es waren sicherlich mehr als drei Personen nötig, um diesen Baum zu umspannen. Die Rinde war grob geformt, die Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. Gleich einem betagten menschlichen Gesicht schlug dieser Baum Falten, hatte Runzeln und Narben.

Wie alt mag er sein, wie viele Generationen haben unter ihm schon gesessen, gefeiert oder auch getrauert?

Ich blickte nach oben, in sein verzweigtes Astwerk und genieße das Grün der Blätter, die im herannahenden Abendlicht fast durchsichtig erscheinen. Eine leicht kühle Feuchtigkeit geht von diesem Monument der Natur aus, und ich bekomme Lust mich zu bewegen.

Wie von selbst breiten sich meine Arme aus, ich beginne, mich zu drehen, den Blick immer noch nach oben gerichtet, in das Dickicht des Laubbaums. Ich glaube, ein ziehendes Summen zu hören, das mich, vom Baum kommend, erfasst und meine Drehung beschleunigt. Mir wird schwindlig, ich senke meinen Kopf, um wieder die Kontrolle über mich zu bekommen. Erst jetzt stelle ich fest, dass die drei Frauen mir aufmerksam zusehen. Ich werde verlegen, geniere mich.

'Ein Mann lässt sich doch nicht so gehen', dröhnt es aus meinem Hinterkopf. 'Du blamierst dich. Was sollen die von Dir denken?'

Ich werde langsamer und suche nach einem Übergang oder Abgang von dieser Szene, der mir aus meiner Verlegenheit hilft. Meine Arme sinken nach unten. Ich stehe wieder still und, als ob es so sein müsse, dem Tisch, den Frauen zugewandt. Aus Verlegenheit zucke ich mit den Achseln, versuche mein Lächeln der Komik der Situation anzupassen und setze zu einem Schritt in die andere Richtung an.

Ich gehe, vermute dabei den Blick der Drei im Rücken. Es ist mir unangenehm, beobachtet zu sein. Erst als ich beim Weitergehen den breiten Stamm des Baums zwischen mir und den Frauen glaube, kann ich wieder entspannt gehen.

Dieser Garten erinnerte mich an den Park eines kleinen Schlosses in der Nähe meines Heimatdorfes. Dort waren wir als Kinder oft über die Mauer gestiegen, wenn wir wussten, dass der Gärtner in die Stadt gegangen war. Dann hatten wir diesen verbotenen Park einige Stunden für uns, konnten Räuber und Gendarm spielen. Vor dem Hintergrund, vom zurückkommenden Gärtner erwischt zu werden, war dieses Spiel in dieser Umgebung immer besonders reizvoll und realistisch gewesen.

Kam er dann tatsächlich, so ließ er seinen kläffenden Schäferhund frei und wir rannten davon, um unsere Haut zu retten. Genauso war mir jetzt zumute. Anstelle des Gärtners hatten mich die Drei beim Spielen erwischt. Verlegen, wie ich war, suchte ich nach der rettenden Mauer, über die ich mich verdrücken könnte.

Zwischen einem weit ausladenden Rosenspalier fand ich eine Gartenlaube. Dunkelgrün, mit diagonal gekreuzten Latten als Fensterersatz. Das kleine sechseckige Holzbauwerk wurde gekrönt von einem, nach oben spitz zulaufenden Dach, das sich wie ein türkischer Hut über den Innenraum legt.

Oft gebraucht schien dieses Kleinod nicht zu sein. Durch die offene Seite sah ich im Inneren Liegestühle und Gartengeräte stehen. Die Bank entlang der fünf geschlossenen Abschnitte der Innenwand lud mich ein. Ich kam dieser Einladung gerne nach. Da saß ich, gerettet vor der Peinlichkeit von eben. Wie konnte das geschehen. Wie war es möglich, dass ich, innerhalb eines Nachmittags, meine ganze, Zurückhaltung aufgeben, meinen Bedürfnissen nachgeben, und einfach, zu tanzen begann.

Bisher gab es immer einen guten Grund, nicht auf eine Tanzfläche zu gehen, mich nicht ungeniert vor anderen zu bewegen. Selbst in jungen Jahren gab es einen Grund nicht in die Tanzschule zu gehen. Dieses alberne Rumgehopse war meiner nicht würdig. In Wirklichkeit hatte ich mich natürlich geniert, befürchtete, mich vor den anderen zu blamieren. Es gab wahrscheinlich auch noch viele andere Gründe.

Die Vögel im Park stimmten ihren Abendgesang an, das Gezwitscher wurde vielfältiger und lauter. Jede einzelne Vogelstimme schwang in mir eine Saite an und bald schien ich erfüllt von einem Orchester, das innen spielte und außen eine Gänsehaut erzeugte. Es kam der Moment, an dem ich pfeifend einstimmen wollte, doch da meldete sich mein Kobold, der mir riet diesen Blödsinn zu unterlassen.

Ich war freier, aber nicht frei geworden an diesem Nachmittag. Das konnte ich an dieser Reaktion deutlich spüren. Ich beschloss aufzustehen, und die Runde, um das Haus zu Ende zu gehen. Die langen Wege durch Rosenbeete, vorbei an kleinen Obstbäumen, führten um die Ecke der Villa, wieder auf den Platz unter der Linde. Susi, Charlotte und Ilona waren in einer angeregten Unterhaltung, als ich in Hörweite kam. Sie diskutierten über eine Fotoreportage, an der Ilona zu arbeiten schien. Es machte den Eindruck, als ob Susi ihr Anregungen für diese Aufgabe gab.

Ich setzte mich still dazu, nahm das Champagnerglas und schlürfte leise an dem leicht abgestandenen Getränk. Susi hatte ihr Kleid bis zu den Oberschenkeln nach oben geschoben und saß breitbeinig neben Charlotte. Mein Blick heftete sich an ihre Beine. Sie hatte nicht nur Schuhe, mit hohen Absätzen, das, waren Stiefel, bis über die Knie. Schwarze Lackstiefel mit silbern glitzernden Ösen. Das Schuhwerk, von unten bis oben über Kreuz geschnürt, war nicht klobig, sondern elegant und ihren Beinen angepasst, als sei es maßgeschneidert.

Mit einem Ast zeichnete sie im Kies Skizzen auf, um Ilona die Winkel und Entfernungen zu demonstrieren, aus denen sie die Aufnahmen machen sollte. Charlotte schien die Ausführungen zu verfolgen und derselben Meinung zu sein. Nickend pflichtete sie Susi bei.

"Ich werd's so machen, das ist mit Sicherheit die beste Variante", sagte Ilona trocken und hinterließ den Eindruck, dass sie überzeugt davon ist.

Die zwei Seelen in meiner Brust begannen, einen heftigen Kampf. Die eine Seite wollte hier bleiben und sitzen bis zu Ende. Die andere drängte mich weg, sie wollte gehen, und zwar schnell. Mir kam mein Büro, mein Alltag, der morgige Montag in den Sinn und dann war klar, dass ich gehen musste. Meine Arbeit nahm mich voll in Anspruch, daher war eine ausgiebige Nachtruhe angesagt.

"Ich denke ...", begann ich",ich denke, es ist Zeit für mich. Ich sollte mich auf den Weg nach Hause machen. Ich will nicht verpassen, euch zu sagen, wie schön der Nachmittag für mich gewesen ist."

Susi erhob sich, dabei stürzte ihr Kleid in voller Länge zurück über die Beine und verdeckte die Stiefel wieder.

"Ich werde dir ein Taxi rufen, gedulde dich noch ein wenig."

"Nein lass nur", erwiderte ich",ich komme auch ohne nach Hause."

"Ich kann dich fahren!", rief Ilona.

Dieses Mal konnte ich mein Lachen nicht verkneifen.

"Und wer zeigt dir wieder den Weg hierher zurück?"

Sie zog eine Schnute und hob die rechte Hand drohend, als ob sie nach mir schlagen wollte.

"Lass' es gut sein", ich klopfte ihr auf die Schulter",ich werde bis zur nächsten Haltestelle zu Fuß gehen, und dann eine Straßenbahn nehmen. Der kleine Spaziergang wird mir guttun."

"Tschüss", sagte Ilona in ihrer knappen Art, presste mir einen Kuss auf die Wange und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder.

Charlotte kam auf mich zu umschlang mich und küsste mich heftig auf den Mund. Mich fröstelte trotz des lauen Sommerwetters dabei so, dass sie kurz bemerkte:

"Brauchst keine Furcht zu haben, ich fresse dich nicht auf."

Susi zeigte mir an, dass sie mich noch ins Haus begleiten wolle, bevor ich gehe. Ich folgte ihr ins Erkerzimmer. Aus der Schublade einer kleinen Anrichte zog sie eine Visitenkarte hervor und gab mir diese in die Hand.

"Da ist meine Telefonnummer, wenn du willst, kannst du dich jederzeit melden."

Ich griff in meine Gesäßtasche, um ihr aus meinem Portemonnaie ebenfalls eine Karte zu geben. Wie zuvor bei Charlotte bat ich auch sie um einen Schreiber, damit ich die Geschäftsnummer mit meiner privaten ergänzen konnte.

"Am kommenden Donnerstag ist Feiertag. Würdest du uns die Freude machen, uns zu besuchen?"

Mir blieb beinahe das Herz stehen.

"Ja, gerne", nahm ich ohne Nachdenken an.

"Es wäre schön, wenn du um 14 Uhr hier sein könntest, oder ist dir das zu früh?"

"Passt mir bestens, ich werde da sein", drängte es mich, ihr zu versichern, und mein Herz begann so laut zu schlagen, dass ich befürchtete, sie könnte es hören. Von ihren hohen Absätzen herunter gab sie mir einen Kuss auf die Stirn, drückte mir die Hand und wir gingen durch die Eingangshalle zur Haustüre.

"Bis bald", sagte ich halblaut und ging in Richtung Gartentor. Ein leichter Hauch trug mich den Weg entlang.

Links saßen Ilona und Charlotte unter der Linde und winkten mir zu. Ich erwiderte und verließ das Anwesen wie im Rausch.

Zurück auf der Straße begann ich, zu springen und zu hüpfen, rannte, blieb stehen, drehte mich im Kreis und rief laut vor mich hin.

"Toll, toll, toll."

Jetzt war es mir egal, wenn irgendwelche Fremden mich für verrückt hielten.

Vielleicht war ich es inzwischen auch geworden. Mein Puls raste auf Hochtouren, nicht schmerzend, sondern im Glücksgefühl des Momentes. Nicht ich war es, der die Straße entlang ging, die Straße floss unter mir. Ich wurde der nächsten Haltestelle entgegen getragen von einer Macht, die mich in Schwingung versetzte.

Wildfremde Menschen erhielten einen freundlichen Gruß von mir, wenn sie mir begegneten. Ich, der meist mit gesenktem Haupt durch die Straßen ging, um niemanden zu sehen, keinem begegnen, zu müssen, hatte den aufrechten Gang soeben erfunden.

Mein Blick war offen, saugte förmlich an den Bildern, die sich am Weg auftaten, ließ sie in mich eindringen, mich durchströmen. Selbst als ich die Bank an der Haltestelle erreichte, war es einerlei, ob nun eine Straßenbahn, ein Bus oder sogar ein Flugzeug kommen würde. Keine Rolle spielte es, wann und ob überhaupt, ein Transportmittel kommen würde. Ich war da! Und das alleine war genug.

Ich weiß nicht, wie lange ich gesessen und auf die Straßenbahn gewartet habe. Irgendwann saß ich auf einem Sitz und das schwere Gefährt setzte sich träge auf seinen Schienen in Bewegung. Wie schrecklich muss es sein Straßenbahnchauffeur zu sein. Täglich dieselben Strecken hin und her zu fahren und dabei zwangsläufig sich in vorgegebenen Schienen zu bewegen, die ein Abweichen vom Kurs nicht zuließen.

Nein, selbst wenn ich es je gekonnt hätte, diesen Beruf könnte ich ab heute nicht mehr ausüben.

Ich sah aus dem erleuchteten Wageninneren hinaus in die Dunkelheit der Straßen und ließ die Stadt an mir vorbeiziehen, bis ich wieder in der anonymen Umgebung der City ankam. Ich stieg aus setzte meine Füße wieder auf bekanntem Boden auf, doch ich ging nicht direkt in die Richtung meiner Wohnung.

Zuerst wollte ich die Auslagen des Lederwarengeschäfts sehen, das Susis Freundin gehörte. Ich hatte diesem Angebot bisher nicht viel Beachtung geschenkt. Damenbekleidung weckte mein Interesse nicht besonders.

Wenn ich aber die Freundin der Ladenbesitzerin kannte, musste ich mich doch auch für die Auslagen im Schaufenster interessieren. Oder war es nur der Wunsch gewesen, über das präsentierte Angebot ihrer Freundin, mehr über Susi zu erfahren?

Ich stand vor den hell erleuchteten Scheiben und konnte nichts ausmachen, was mich wirklich interessiert hätte.

Bekleidungsstücke, Hüte, Hand- und Reisetaschen, alles für den Bedarf der gehobenen Damen, auch die Preise machten den Eindruck, dass in diesem Geschäft nicht meine Schicht bedient wird. Etwas enttäuscht bog ich um die Ecke und ging auf den Wohnblock zu, dessen Türschloss meinen Schlüssel kannte.

Die Unordnung im Eingang war mir oft schon aufgefallen, heute Abend weckte sie eine Wut in mir. Warum mussten Leute, die in einem solchen Block wohnten, ihren Werbesendungsabfall aus dem Briefkasten gleichmäßig im Eingangsbereich verstreuen? Wollten sie jedem Besucher signalisieren, dass er erst nach Überwindung ihres Mülls Zugang zu ihrer Wohnung haben könnte?

An vielen Tagen schob ich die Reste mit den Füßen in eine Ecke, doch heute stampfte ich leicht wütend auf Werbeseiten und Plastiktüten für die Kleidersammlung.

Erst im Lift kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht auf ein Produkt aus Ilonas Händen getreten sein konnte. Das Wissen darum hätte mich sicher traurig gestimmt. Ich schob den Gedanken beiseite.

Glücklicherweise machte der Aufzug keinen Zwischenstopp. Ich hätte es zu so später Stunde nicht ertragen, eine Zwangsgemeinschaft auf diesen zwei Quadratmetern eingehen zu müssen. Im siebten Stock entstieg ich dem ratternden alten Lift. Meine Nachbarin war schon zu Hause, das konnten wir gegenseitig immer feststellen am Lichtschein, der durch den Bodenspalt der Türe schimmerte.

Leise, um sie nicht zu stören, drehte ich meinen Schlüssel und ebenso leise, versuchte ich von innen meine Wohnungstüre hinter mir wieder zu schließen. Für einen Moment blieb ich im Halbdunkel meiner Dachwohnung stehen. Nur leicht erhellt durch das Licht der Stadt, hatte ich mir wahrscheinlich die Illusion herbeigewünscht, in Susis Eingangshalle zu stehen.

Der Druck auf den Lichtschalter beendete diese Vorstellung abrupt.

Meine Schuhschachtel begrüßte mich wie immer mit der mir eigenen Ordnung, doch heute hatte ich erstmals das Gefühl, dass dieser Wohnraum für einen Menschen einfach zu eng ist. Ich schritt auf die Balkontüre zu, um sie zu öffnen. Als ich am Nachmittag zum Bahnhof ging, konnte ich die Türe wegen des Regens nicht offenlassen.

Meine Wohnung belohnte solche "Verschlusszeiten" immer mit einem Geruch nach altem trockenem Dachgebälk vermischt mit Teer. Ich schob die Türe bis zum Anschlag zur Seite, dadurch bekamen meine vier Wände etwas Offenes. Ich konnte meine Mansarde nach draußen erweitern.

Der Aschenbecher auf meinem kleinen Balkontisch quoll beinahe über mit den Resten des Vorabends und meine Zeitung war vollgesogen mit dem Regenwasser des Tages. Sie liegt lahm die Ecken ihrer Seiten über die Tischkante hängend und gab tropfenweise ihre Feuchtigkeit an den Asphaltboden meines Balkons ab. Ich wrang das nasse Journal über dem Dach aus und entschloss mich die aufgequollenen Überreste zusammen mit den Kippen im Mülleimer zu entsorgen.

Aus dem Kühlschrank besorgte ich mir ein paar Scheiben Salami, Butter und die angebrochene Flasche Weißwein, die ich an Vorabend geöffnet hatte. Entnahm dann noch ein Kümmelbrötchen aus dem Brotkasten. Zusammen mit dem gereinigten Aschenbecher verfrachtet ich alles auf meinen Balkontisch.