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Eigentlich wollte ich nur Zigarette

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Da saß ich nun wieder, wie immer an warmen Abenden.

Mein Blick wanderte über die Dächer der Nachbarhäuser, aber es gab nichts Neues. Ich liebte diese Aussicht, auch wenn der Horizont nicht gerade in der Ferne lag. Da meine Wohnung eine der höchsten in der Straße war, konnte ich den Überblick genießen, den sie bot. Ich stand immer etwas über den Dingen, konnte zu anderen hinab sehen.

Eigentlich ein Logenplatz, doch heute Abend war es anders.

Ich sah in das Häusermeer der Stadt. Mein Fokus schien aber kein fixes Ziel zu finden. Meine Augen suchten nicht nach einem Objekt, sondern bildeten einen leichten Schleier vor allem, was ich sah.

"Was ist los mit dir?", hörte ich mich selbst zu mir sagen. Ich fand keine Antwort, wollte sie wahrscheinlich auch gar nicht finden. Dieser Tag hat mich aus meinen festen Runden geworfen. Klar war nur, dass alles, was bis heute Morgen noch zu meiner Normalität gehörte, heute Abend mit einem großen Fragezeichen besetzt war. Diese Ungewissheit machte mir jedoch, nicht wie in früheren Zeiten panische Angst, sondern erweckte eine Zuversicht, ja einen Optimismus in mir, der alle Bedenken zu zerstreuen schien.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich an diesem Abend auf meinem Balkon saß und träumte. Ich kann mich nur deutlich daran erinnern, immer wieder die drei Frauengestalten vor meinen Augen gesehen zu haben. Susi mit ihrer Eleganz und Grazie, die nur eine reifere Frau haben kann. Ilona, mit ihrer schlichten, klar geschnitten Schönheit, und Charlotte mit ihrer jugendlich-mystischen Ausstrahlung, die mich komplett in ihren Bann zog. Irgendwann in dieser Nacht trugen mich meine Tagträume in mein Schlafzimmer.

Als ich um sieben durch die schrille Zeitansage und den Gong, der den Frühnachrichten vorausgeht, durch meinen Radiowecker, aus dem Schlaf gerissen wurde, sah ich Charlottes Bild vor meinen Augen verschwinden.

Ich stürzte aufgeschreckt aus dem Bett, gerade so, als ob ich, dem Traumbild den Fluchtweg abschneiden und es in meinen vier Wänden zurückhalten wollte.

Ich stand da, noch immer in der Hose des Vortages, und stoppe mein Vorhaben, da ich in diesem Moment begriff, dass ich geträumt hatte. Ich musste das Radio abschalten, konnte heute Morgen nicht die Nachrichten der Welt ertragen.

Die, die ich hätte hören wollen, kämen nicht über diesen Sender, das war mir schnell klar geworden und nach allen anderen stand mir heute nicht der Sinn.

Über meine Wohnküche, in der ich die Kaffeemaschine in Gang setzte, ging ich ins Bad. Eiskalt Duschen war mir ein Gräuel, aber heute Morgen musste es sein. Ich fühlte mich übernächtigt, aber fit, war müde im Körper aber hellwach im Kopf. Die Bilder des Vortages waren präsent, als ob sie erst drei Minuten alt wären.

Mit einiger Überwindung schob ich den Hahn der Dusche nach rechts und drückte ihn unsanft nach oben. Mir kam Ilonas Schalttechnik bei Einlegen des ersten Gangs in den Sinn. Wie eine aufgescheuchte Fliege sprang ich unter den ersten kalten Tropfen ans andere Ende der Duschwanne.

Im zweiten Anlauf versuchte ich, mich dann langsam unter den kalten Strahl des Duschkopfes zu schieben.

"Grrr.., drr ..., ah ...", dann war's geschafft.

Jetzt noch warm nach duschen, das Duschgel zum Einsatz bringen und dann die Kaffeemaschine in Bewegung setzten.

Der Tag hatte begonnen, würde unweigerlich seinen Lauf nehmen. Auf dem Balkontisch wartete geduldig die Salami vom Vorabend. Hatte ich nichts mehr gegessen? Ich hatte auch jetzt keinen Hunger. Der Ordnung halber stellte ich den Teller einfach in den Kühlschrank.

Meine überdimensionale Kaffeetasse begleitete mich auf den Balkonstuhl. Ich nahm Schluckweisen den schwarzen Kaffee zu mir. Wach werden in Ruhe, ohne immer auf die Uhr zu sehen, ob die Zeit noch für eine weitere Tasse ausreicht, das war immer mein Traum gewesen. Ich brühte die zweite Tasse auf und sah schon wieder auf die Uhr.

Es war Zeit sich anzuziehen, die Tasche für die Arbeit zu richten und sich unausweichlich mit dem Abmarsch ins Büro auseinanderzusetzen. Beim Überstreifen der Hose lud ich den Tascheninhalt der Alten gerne eins zu eins in die Neue um. Als das Portemonnaie dran war, kam mir Susis Visitenkarte in den Sinn. Ich hatte sie gestern einfach weggesteckt, ohne einen Blick darauf zu werfen.

Ich entnahm die, in einen leichten Gelbton gehaltene Karte und las: Dr. Susanne von Ollmann, Historikerin. Die Adresse war mir ja schon bekannt. Der Nachnahme schien mir geläufig, aber wohin zuordnen. Ich hatte ihn schon gehört wusste aber nicht wo. Was tat eine Historikerin? Ging auch sie in ein Büro, um sich dort mit der Geschichte zu befassen? Sicher nicht.

Nach der dritten Kaffeeschale war es acht. Wollte ich, wie immer, pünktlich an meinem Schreibtisch sitzen, war es höchste Zeit zu gehen. Ein Blick in den blauen Himmel verriet mir, dass heute nicht mit Regen zu rechnen war. Ich ließ die Balkontüre einen breiten Spalt offen und ging zur Haltestelle.

Beim Betreten der Geschäftsräume verwende ich die Hintertüre. Das hatte ich mir montags so angewöhnt, um den lästigen Fragen nach den Erlebnissen des Wochenendes zu entgehen, die unsere Empfangsdame jedem, am Tag danach stellt. Ich umging damit die Auskunft an sie und gleichzeitig auch die Aufnahme dieser Informationen in das Wochengespräch des Betriebs.

Im Büro angekommen startete ich meinen Computer, legte meine Tasche an den, dafür vorgesehen Platz in der untersten Schublade und setzte mich zuerst in Richtung Küche in Bewegung. Der Kaffee, den man sich hier kostenlos zubereiten konnte, war der mieseste der ganzen Stadt, aber gerade diese Abscheu, die er erzeugte, gab mir den letzten Kick, wach zu werden.

Zurück an meinem Arbeitsplatz setzte ich die Tasse auf eine alte Ansichtskarte aus Griechenland. Diesen Untersetzer verwende ich schon viele Jahre lang. Das Foto der ägäischen Insel hat darunter sehr gelitten. Da erzeugt mein Telefon seinen typischen gedehnten Dreiklang, der ankündigt, dass es sich um ein internes Gespräch handelt.

"Ja?", melde ich mich kurz.

"Hallo Johann, du bist schon da?", dröhnte mir die etwas hohe Stimme der Rezeptionistin ins linke Ohr.

"Ich hab' dich gar nicht kommen sehen!", und ohne Luft zu holen, fuhr sie fort: "Wie war das Wochenende?"

"Wie immer Andrea: Nichts Neues, wenn es mal was gibt, bist du die Erste, die es erfährt."

Mit diesem Standardsatz hoffte ich immer wieder, ihren lästigen Fragen für längere Zeit zu entkommen. Das war bisher allerdings nicht besonders erfolgreich gewesen. Eine andere Reaktion auf ihre unbefriedigte Neugier war mir bisher jedoch nicht eingefallen.

"Na, ja!", ließ sie hörbar enttäuscht wissen",von dir erfahre ich ja nie was. Du bist eine besonders harte Nuss."

Buh, das hatte wieder gesessen, ich hasste diese Person innerlich so sehr, dass ich es bisweilen in Betracht zog, mir eine neue Arbeitsstelle zu suchen, nur, um ihr aus dem Weg gehen zu können. Da mir die Aussicht, dass diese Position, in irgendeiner Firma, mit einer anderen Charaktere besetzt sein könnte, zu gering schienen, beschloss ich immer wieder zu bleiben und den Montag durchzustehen.

Der Vormittag raste an mir vorbei. Die üblichen Arbeiten, das Erledigen von Anfragen, das Bearbeiten der Bestellungen, die mit der Wochenendpost eintrafen und die immer häufiger anfallende Mailpost per Internet, hatten mich so sehr in Beschlag genommen, dass ich kaum realisierte, wie die erste Hälfte des Tages verflog.

Ganz in der Nähe war ein kleiner Laden, der Sandwiches anbot. Unser Betrieb war nicht so groß, dass er eine eigene Kantine führte. Es gab einen Aufenthaltsraum, in dem sich die Selbstversorger über die Mittagszeit mit denen trafen, die sich ein belegtes Brot besorgten. Heute wollte ich auf keinen Fall in dieser Runde meinen Imbiss einnehmen.

Das Schinkensandwich zusammen mit einer Kola in der Hand wanderte ich einige Straßen weiter in den kleinen Park und suchte eine freie Bank. Zu spät, die schattigen Plätze waren schon alle belegt. Blieb mir nur die Entscheidung für einen Rasenplatz und den Schneidersitz. Ich war lange nicht mehr hier gewesen, in den letzten Wochen waren die Tage eher regnerisch und nass gewesen.

Aus meiner Sitzposition am Boden konnte ich die Vorbeigehenden beobachten und nebenbei das Mitgebrachte verzehren. Eine eigenwillige Stimme in mir hieß mich immer wieder aufschauen, die Leute beobachten, bis ich feststellte, dass ich nicht einfach beobachtete, sondern auf der Suche war. Ich suchte in jeder Person die vorüber ging ein Gesicht:

'Charlotte!', schoss es mir in den Kopf. Und in diesem Moment wurde mir erst klar, was jeder andere schon lange gewusst hätte: Ich hatte mich verliebt!

"Johann, du spinnst", sprach ich laut vor mich hin und schüttelte den Kopf.

"Nun bist du vollkommen übergeschnappt, unheilbar krank."

Ich führte Selbstgespräche, das war der eindeutige Beweis, für meine endgültige Verblödung.

Immer hatten mich andere darauf aufmerksam machen müssen, wenn ich verliebt war. Ich konnte jeden Kontakt, mit einer potenziellen Partnerin, mein ganzes Leben lang, immer distanziert betrachten und erklären, was vor sich ging, wenn meine Bekannten mir einreden wollten, ich sein verliebt. Heftigst hatte ich mich immer gegen Behauptungen dieser Art gewehrt.

"Die muss erst noch gebacken werden!", war mein überzeugendstes Argument gewesen. Zugegeben, ich hatte über die Jahre einige Affären gehabt. Meist ging die Initiative jedoch nicht von mir aus. Ich buchte die Episoden unter erotischen Abenteuern in mein Tagebuch. Teils gingen solche Beziehungen einige Tage oder Wochen. Einmal sogar mehr als zwei Jahre und das auch noch mit Trauschein.

Ich hockte, wie ein indischer Fakir, auf dem Rasen und begann die ganze Tragik meiner Situation zu verstehen. Charlotte! Ich wollte sie wiedersehen, unbedingt, so schnell wie möglich, nicht erst am Donnerstag. War ich ein Idiot, hatte mir ihre Telefonnummer nicht aufgeschrieben, mich drauf verlassen, sie würde schon anrufen. Und jetzt das. Sie war die Einzige von den Dreien, von der ich am wenigsten wusste, nicht einmal, wie ich sie erreichen konnte. Hatte ich nicht heute Morgen noch von ihr geträumt?

Mein gut ausgebauter Schutzschild, der mich vor Gefühlen, die ich nicht zulassen wollte oder konnte, bewahrte, bröselte innerhalb weniger Sekunden weg. Die ägyptischen Pyramiden benötigen Jahrtausende, um ihren steinernen Aufbau abzutragen. Ich stand von einem Augenblick zum anderen, ohne all die mächtigen, in Jahren aufgetürmten Mauern da.

Mich traf fast der Schlag.

Hatte ich mich eben noch wohl gefühlt, war ausgeglichen und zufrieden, so erstarrte ich jetzt langsam in meiner Haltung.

"Was ist, wenn sie nicht dasselbe für dich empfindet?"

Diese Frage kam mir so laut über die Lippen, dass zwei Mädchen, die nur unweit von mir im Gras saßen sich umsahen und mir zulächelten.

'Mich mögen, lieben? Das war eher unwahrscheinlich!'

Ein Eigenbrötler, mit dem es niemand länger aushielt. Mir stieg ein Beklemmen vom Bauch her aufwärts in die Herzgegend. Durch tiefes Einatmen wollte ich mehr Sauerstoff aufnehmen, um mich dieser Enge zu entledigen. Es half nichts.

Die Ruhe bewahren, aber wie?

Als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte, wechselte die Erstarrung in Bewegung. Der Drang irgendetwas zu tun, ließ mich hochschnellen, und setzte meine Beine in Bewegung. Mit jedem Schritt wurde mein Tempo noch etwas erhöht. Hätte mich jemand beobachtet, er wäre zum Schluss gekommen, ich trainiere für einen Leichtathletikrekord im Gehen.

"Hi, Johann, was ist los mit dir?", empfing mich Andrea, als ich geschäftig am Empfang vorbeiziehen wollte. Und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort:

"Du bist ja leichenblass! Ist dir nicht gut?"

Das war's.

Sie hatte mich eben, ohne es zu wissen, draufgestoßen. Ich versuchte, so leidend wie möglich auszusehen, und wandte mich ihr zu.

"Mir ist hundeelend", ließ ich sie wissen. "Ich hab wohl was Verdorbenes gegessen." "Dann solltest du dich aber nicht hier rumquälen!"

"Was soll ich tun? Es ist ganz plötzlich aufgetreten?", fragte ich achselzuckend nach.

"Geh' nach Hause ins Bett!"

Genau das wollte ich hören. Wenn sie mir das riet, war ich sicher das Mitgefühl der ganzen Firma stand auf meiner Seite und niemand würde denken, dass ich nur einen blauen Montag feiern wollte. Um die Sache noch eindeutiger auszuarbeiten, sah ich ihr, Hilfe suchend ins Gesicht.

"Meinst du wirklich?"

"Ja sicher! Geh nach Hause, bevor es schlimmer wird!"

Doppelt gemoppelt hält besser. Ich versuchte, meine innere Freude über mein gelungenes Manöver, zu verbergen, weiterhin so krank wie möglich auszusehen, und packte in Windeseile meine Tasche im Büro zusammen.

Noch das richtige Band in den Anrufbeantworter einlegen, damit die Kunden wussten, dass ich heute nicht mehr zu erreichen war, dann konnte es losgehen. Noch einmal an Andrea vorbei, mit kränklicher Mine:

"Es tut mir leid, aber es scheint wirklich was Ernstes zu sein", sagen und von ihr die Wünsche für eine gute Besserung erhalten und dann nach draußen gehen.

"Halt!", schrie sie, ich hatte den Türgriff schon in der Hand gehabt.

"Da ist noch was, ich glaube es ist wichtig."

Ich drehte mich mit leidender Mine noch einmal zu ihr um.

"Kurz bevor du zurückgekommen bist, hat eine Frau angerufen. Sie meinte es wäre dingend. Ich hab' ihre Nummer notiert und gesagt, du würdest zurückrufen."

Gequält und krank aussehend ging ich noch einmal an ihr Pult. Sie reichte mir ihr Notizblatt und ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können. Charlotte Neuhaus und eine Telefonnummer. Mein Herz pochte. Ich versuchte, nicht aus der Fassung zu geraten.

"Wenn sie wieder anruft, lasse sie wissen, dass ich zurückrufe, sobald es mir besser geht."

Den Zettel schob ich unauffällig in meine Tasche.

"OK", hörte ich Andrea noch sagen, aber ich war schon wieder bei der Tür. Lange konnte ich die kränkelnde Mimik nicht mehr aufrecht erhalten. Deshalb wollte ich draußen sein, um der Entdeckung durch Andrea zu entfliehen.

Zwar hatte ich ein schlechtes Gewissen, da mir im medizinischen Sinne ja nichts fehlte. Das Arbeitsrecht sah für meinen Zustand kein Entgegenkommen vor. Grundlos einen freien Nachmittag zu nehmen hätte ich in diesem Moment jedoch auch nicht gekonnt.

Die Straßenbahn kam.

Mit schnellen Schritten erreichte ich sie noch, suchte nach einem freien Einzelsitzplatz und ließ mich in das Polster fallen. Als ob es nicht wahr sein könnte, kramte ich aus meiner Tasche den Notizzettel hervor. Ich hatte eine Telefonnummer und konnte tief durchatmen.

'Nein, konnte ich nicht', schoss es mir in den Kopf. 'Was, wenn diese Charlotte Neuhaus gar nicht die Charlotte war, die ich anrufen wollte?' Ich kannte ihren richtigen Nachnamen ja nicht. Der Zweifler Johann war wieder wach geworden und verbreitete seine Verunsicherung in mir.

Es half nichts. Ich würde Zuhause den Hörer abnehmen, diese Nummer wählen und abwarten, was geschieht. Auf mein Stimmengehör konnte ich mich verlassen. Und wenn am anderen Ende dann wirklich eine fremde Person war, konnte ich immer noch auflegen. Für meinen Geschmack machte der Straßenbahn Chauffeur heute, viel zu lange Pausen an den einzelnen Stationen. Wusste er nicht, dass ich es eilig hatte? Endlich, krächzende Bremsen brachten den Stahl Tross an meinem Ziel zum Stillstand, die automatischen Türen gaben den Weg zum Aussteigen frei.

Ich war noch nie so schnell in meiner Dachwohnung angekommen. Ungeduldig ließ ich mich in einen meiner Sessel fallen, wolle mich ein wenig sammeln, um am Telefon ruhig und gelassen zu wirken. Doch ich konnte nicht warten, griff zum Hörer und tippte die Zahlen die Andrea notiert hatte ein.

Es klingelte am anderen Ende zwei, drei oder viermal.

"Lederwaren Keller", meldete sich eine männliche Stimme. Ich war vollkommen aus dem Konzept, auf alle Möglichkeiten war ich vorbereitet, aber nicht darauf einen Mann am anderen Ende der Leitung zu haben.

"Hallo!", rief er nochmals mit freundlicher Stimme in den Hörer, als ich nicht gleich reagierte.

"Guten Tag, hier spricht Johann Damm, ich hätte gerne mit Frau Charlotte Neuhaus gesprochen."

"Bitte gedulden sie sich einen Moment, ich verbinde sie weiter", ließ er mich wissen. Ein leichtes Knacken und ich konnte einen Ausschnitt, der 'Brandenburgischen Konzerte', von Bach hören. Gerade stimmte ich mich auf den Rhythmus der Orgelstimmen ein, als ein Aufgeregtes.

"Hallo Johann!", die Musik abbrach.

Sie ist es!

Eilig antwortete ich auf ihre Begrüßung mit:

"Hallo Charlotte", und dann trat eine stille Pause ein. Ich brachte keinen Ton heraus. Meine Stimme schien blockiert, aus meinem Kopf meldete sich kein Wort, zur Aussprache bei den Stimmbändern an. Hoffnung und Angst mischten sich augenblicklich zu einem zähen Teig in mir. Hätte sie nicht, am anderen Ende der Leitung das Schweigen mit einem Kurzen:

"Ich will dich treffen", gebrochen, ich wäre stumm geblieben.

"Ich muss dich auch sehen!", stammelte ich mit zitternder Stimme.

"Super, dann komm ich in einer halben Stunde bei Dir vorbei."

"Wo bist du jetzt?", fragte ich sie.

"Nicht weit von deiner Wohnung, du weist schon das Lederwaren Geschäft von Susis Freundin. Kannst du in einer halben Stunde Zuhause sein? Ich hab' schon mal um die Ecke geschaut, als ich heute Morgen kam. Ich weiß, wo du wohnst, ich kenne deinen Klingelknopf schon."

Und als ob sie den Beweis dafür antreten müsse, fügte sie noch: "Oben links", hinzu.

"Ich werde da sein, wenn du kommst", ließ ich sie wissen",und ich freue mich riesig, dich zu sehen!"

"Ich auch", hauchte sie leise in den Hörer",bis gleich ..."

Ich legte den Hörer auf den Apparat.

Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich sogleich auf meine Wohnküchen-Kombination. Außer meiner Wohnungsnachbarin hatte ich schon ewige Zeiten keinen Besuch mehr gehabt. Ist alles in Ordnung? Zeitungen lagen noch herum und die diversen Aschenbecher, die ich immer gleichmäßig in meinem Appartement verteilte, quollen allesamt über.

Ich ertappte mich mal wieder dabei, alles richtig machen zu wollen. Einen guten Eindruck erwecken, um Charlotte nicht zu enttäuschen.

Ich kam mir dumm vor, meine Zwänge hielten mich in ihrem Bann. Konnte ich all das einmal loslassen? Mir blieben nur noch wenige Minuten, entscheidende Zeit, in der ich beginnen konnte, umzudenken. Ich hatte mich aus Beziehungen immer herausgewunden, künstliche Distanz hergestellt, um meine Zwänge nicht vor anderen Menschen entblößen zu müssen.

Der Preis, den ich dafür bezahlt hatte, war hoch.

Nie war mir jemand begegnet, der es mit mir oder ich mit ihr, länger ausgehalten hatte. Mein Entschluss, den ich vor zwei Jahren gefasst hatte, jeglichen zwischenmenschlichen Verbindungen, aus dem Weg zu gehen, meinen Eigenbrötler zu akzeptieren und alleine zu leben, war mir seinerzeit nicht leicht gefallen. Aber nach dem Debakel mit Sonja, meiner damaligen Freundin, war dies der einzig Richtige gewesen.

Und nun, nach über dreißig Monaten, in denen ich meine Welt, in regelmäßige Bahnen zu lenken, versucht hatte, geschieht das, was ich als abgehakt, betrachtet hatte. Zumindest für diese Inkarnation war das Thema Liebe eigentlich schon ausgebucht. Ich fasste kurzerhand den Entschluss, nichts, aber auch gar nichts zu verbiegen, mich nicht anzustrengen, bei Charlotte einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen.

Entweder es war möglich, dass wir und begegneten, wie wir sind, oder ich musste schnell wieder einen Weg zur Distanz finden. Eine Partnerschaft mit Eifersucht, Streit, Terror und gegenseitiger Quälerei, konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Allerdings, und auch das war mir in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit klar geworden, hieß das auch für mich, anders auf Charlotte zuzugehen, als ich dies bisher getan hatte.

Die Tatsache, dass ich diese Frau alleine, ohne kuppelndes Zutun von Freunden oder Bekannten kennengelernt hatte, ließ mich hoffen. Es schien mir eine Ewigkeit zu dauern, bis endlich die Glocke läutete. Als ob ich niemanden erwarten würde, rief ich durch die Gegensprechanlage:

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