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Fahrdienst

Geschichte Info
Ein neuzeitlicher Groschenroman.
40.1k Wörter
13k
18
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Auf die Sekunde. Drei Uhr. Sie war eingestiegen, schnallte sich an. Warf dann erst einen kurzen Blick auf mich im Rückspiegel.

„Ein Neuer", stellte sie fest.

„Ja, mein Kollege fällt leider auf unbestimmte Zeit aus. Er hat..."

„Interessiert mich nicht. Fahr los. Richtung Autobahn."

Kommentarlos machte ich den Motor an und setzte uns in Bewegung. Das also war die mysteriöse Fuhre. Eine Frau. Vier Monate arbeitete ich für diesen Fahrdienst. Hatte so einige interessante, aber auch merkwürdige Fahrgäste gehabt. Oder gar keine, wenn es eine Kurierfahrt war.

Kein gut bezahlter Job, zumindest jetzt noch nicht. Stammkunden würden das irgendwann ändern, hatte man mir erklärt, denn die Bezahlung erfolgte anteilig nach Einsatzzeiten, Zahl und Dauer der Touren, neben einem Grundgehalt. Mal lokale, mal quer durch das ganze Bundesgebiet.

Dies hier war eigentlich Jochens Tour. Lustiger Vogel, Mitte Fünfzig, Rheinländer, lachte viel und gern. Na, bis hierhin. Schlaganfall, böse Sache. Und Andreas bot mir diese Tour an. Doppelter Verdienst. Das war mehr als nur ungewöhnlich. Das gab es meines Wissens ansonsten nicht.

Das Ganze drumherum. Absolute Diskretion, die wichtigste Voraussetzung. Keinerlei Fragen. Zweimal wöchentlich, dienstags und freitags. Kein Ziel angegeben, nur die Einschätzung, dass es in etwa zwei Stunden dauern würde. Dass es um eine Frau ging, hatte ich ebenfalls nicht erfahren.

Eine gutaussehende Frau, wie mir die kurzen Blicke in den Spiegel verrieten, während wir das Parkhaus verließen. Edel sah sie aus, kam mir in den Kopf. Irgendeine Prominente? Sie hatten mir den Mercedes SUV mit schwarz getönten Scheiben gegeben. Das würde es vermutlich sein.

Jutta wüsste das sicher, meine Frau. Mich interessierte so etwas nicht, aber sie las all diese merkwürdigen Magazine, wo die sich tummelten. Prominente kutschierten wir öfter mal durch die Gegend, holten wir vom Flugplatz ab, in vorherigen Woche hatte ich so einen Schlager-Fuzzi drin gehabt.

Er war einer von den wenigen, die sich wirklich unterhalten wollten. Das brachte ein wenig Abwechslung, war normalerweise willkommen. Bei der Maske allerdings wäre mir Schweigen lieber gewesen. Ein ätzender Vogel. Mit ziemlichem Lattenschuss. Na, dies hier würde offenbar eine stille Fahrt werden.

Sie sah aus dem Fenster und schwieg beharrlich, während wir den Innenstadtbereich verließen. Die nächste Autobahnauffahrt konnten wir in zehn Minuten erreichen. Allerdings brauchte ich spätestens da finale Anweisungen, was das Fahrziel anging.

Ich wartete still darauf, bis wir auf ein paar Kilometer dran waren.

„Wo geht es genau hin?", musste ich dann doch das Schweigen brechen.

„A7, Richtung Süden."

Aha. Wäre schon etwas genauer gegangen, oder? Keine Fragen. Wundern kann man sich schon. Eine Denksportaufgabe draus machen, statt Konversation. Wie alt mochte sie sein, Anfang, Mitte dreißig? Edle Kleidung, ebensolcher Schmuck. Dezent geschminkt, geschmackvoll. Klasse Figur.

Das gelassene Selbstbewusstsein einer Frau, die sich ihrer Schönheit bewusst ist. Und ihres Status. Sie saß regungslos da und schaute blicklos aus dem Fenster, bis wir den Kreisel vor der Auffahrt erreichten. Es war nicht viel los um diese Zeit.

Jetzt waren wir auf der A7. Sie drehte mir kurz den Kopf zu. Musterte mich einen Moment schweigend und gab dann die nächste Anweisung.

„Jetzt einfach fahren. Ich sag' Bescheid, wenn wir die Abfahrt nehmen."

Aha. Wurde ja immer mysteriöser. Na, mir sollte egal sein. Wurde gut genug bezahlt. Sie hatte eine kleine Reisetasche bei sich gehabt, als sie einstieg. Die zog sie nun zu sich heran.

„Ich ziehe mich jetzt um."

Oh? Ich schaltete die nervige Erinnerung, dass sie ihren Gurt geöffnet hatte, vorsorglich ab. Diskretion. Keine Fragen. Jetzt also auch noch Selbstkontrolle zeigen. Nicht hinschauen, wenn hinter mir eine rassige Schöne aus ihrer Kleidung schlüpfte.

Wahrscheinlich war ihr das gleichgültig, ob ich mal einen Blick in den Spiegel riskierte. Wie ich ihr überhaupt gleichgültig war. Luft. Ihr Mittel zur Fortbewegung. Zur Erreichung eines wie auch immer gearteten Ziels.

Kein Hochmut, einfach das Bewusstsein unserer gänzlich unterschiedlichen Positionierungen im Leben. In einigen Jahren würde sie wahrscheinlich nicht einmal jemanden wie mich brauchen. Dann fuhr sie künstliche Intelligenz durch die Gegend. Waren menschliche Lakaien obsolet.

Ach was. Ein Chauffeur echauffiert sich nicht. Warum auch. Nur als Realist kommt man durchs Leben. Mal besser, mal schlechter. Das heißt, wer weiß, Geld eröffnet da wahrscheinlich ganz andere Perspektiven. Das hatte diese Frau ganz sicher. Mehr als genug davon.

Für uns Nichthabenden hatte Geld noch eine Bedeutung. Diktierte unser Leben. War man auf der anderen Seite des Besitzes, wohl gänzlich davon befreit. Schwer vorstellbar für mich, wie das sein würde. Auch nicht notwendig, in die Verlegenheit würde ich mit Sicherheit nicht kommen.

Mir über Geld keine Gedanken mehr machen zu müssen. Wir hatten das Haus verkaufen müssen. Selbst das hatte nur einen Teil der Schulden getilgt. Wir hatten es wenigstens noch rauszögern können, bis Britta ohnehin ausgezogen wäre.

Jetzt eine kleine Dreizimmer-Wohnung in einer der hässlichsten Wohngegenden unserer Stadt. Sozialer Wohnungsbau. Sozialer Brennpunkt, darüber hinaus. Günstig genug zumindest. Jutta arbeitete auch wieder Vollzeit, Torsten war jetzt vierzehn und vertrauenswürdig. Man konnte ihn allein lassen.

„Fertig. Mach Musik an, wenn du willst."

Erst jetzt fiel mir auf, was mich störte. Dass sie mich gleich von Anfang an geduzt hatte. Den Fahrautomaten. Erfüllungsgehilfen. Wofür?

„Was wollen Sie hören?", machte ich klar, dass ich mir des Gefälles bewusst war.

„Deine Entscheidung. Was du sonst auch hören würdest."

Aha. Mir wurde ein eigener Musikgeschmack zugestanden. Immerhin. Radio anmachen? Ach was, wird sie ja sehen, was sie davon hat. Mein Stick war bereits in der Anlage. Musste sie sich eben mit Rock aus dem vorherigen Jahrhundert anfreunden.

Vielleicht was halbwegs Populäres? Supertramp. Ist doch neutral genug. Sie löste gerade ihre kunstvoll hochgesteckte Frisur, als ich erstmals wieder in den Rückspiegel sah, um ihre Reaktion darauf abzulesen. Was bei ihrem ausdruckslosen Gesichtsausdruck allerdings nicht gelang.

Aha. Sie hatte sich nicht nur umgezogen. Sie hatte sich verwandelt. In eine von uns. Den Normalsterblichen. Kleidung von der Stange. Sie lockerte ihr Haar auf, und band es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Kleider machen Leute?

So wie sie jetzt gekleidet war, wäre sie in unserer Wohngegend nicht aufgefallen. Was kein Kompliment war. Jutta hätte passende Worte für dieses neue Outfit gehabt. Die fremde Frau verstärkte den Eindruck einer Vorstadtschlampe mit einem knallroten Lippenstift, den sie jetzt unter Schminkspiegel-Vorhalt aufbrachte.

Keine Fragen. Nicht wundern. Nicht auf die satten Titten starren, die aus ihrem Top fast raussprangen. Oh. Den Blick hatte sie bemerkt. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Wie heißt du?"

„Sebastian."

„Fahr mal an den Rastplatz ran, Sebastian. Ich will eine rauchen."

„Okay."

Es war so ein einfaches Ding, paar Holztische und Bänke, kein Gasthof oder auch nur ein WC. Sie stieg wortlos aus, und setzte sich auf eine der Bänke. Holte ein Zigarettenpäckchen aus einer Handtasche, die wohl auch in der Reisetasche transportiert worden war.

Zündete sich eine Kippe an und beschäftigte sich dann mit ihrem Smartphone. Sah nicht einmal mehr in meine Richtung. Das Gefälle hatte sich mit der Kleidung natürlich nicht geändert. Ich war weiterhin Luft. Na, eine Kippe konnte ich aber auch vertragen.

Sie sah nicht so aus, als ob sie es eilig hatte. Ich stieg aus und zündete mir ebenfalls eine an. Wollte gerade die Musik ausmachen und die Tür schließen, als sie aufsah.

„Lass offen und mach lauter. Das ist das beste Lied von dem Album."

Schau an. Jetzt kannte sie sogar die Musik der Unterprivilegierten. Ich folgte ihrer Anweisung und lehnte mich gegen die warme Motorhaube. Ich sollte sie nicht so anstarren. Tat es doch. Konnte immer noch nicht im Entferntesten begreifen, was diese Verwandlung zu bedeuten hatte.

Klasse sah sie immer noch aus. Aber das hätte sie wahrscheinlich auch im Nonnenkostüm getan. Davon war ihre jetzige Aufmachung allerdings um einiges entfernt. Ein kurzer, schwarzer Rock, schwarze Strapse, hochhackige Schuhe und dieses schwarze Top mit V-Ausschnitt und satter Füllung.

Vielleicht auch ein Luxus, den sie sich gegönnt hatte. Oder ihrem Mann. Der diesmal wahrscheinlich nicht der Nutznießer war. War es das? Fuhr ich sie zu einem Seitensprung? Wie banal. Schade, irgendwie hatte mich das Geheimnisvolle mehr gereizt. Das Mysterium der Frau, die alles hat.

Alles haben konnte. Aber offenbar nicht alles aus derselben Quelle bekam. Mit Jutta war ich jetzt vierundzwanzig Jahre verheiratet, nächstes Jahr hatten wir Silberhochzeit. Wurde nichts mit Feiern, dazu reichte das Geld nicht. War eh nicht so mein Ding.

Jutta würde so etwas nie tun. Da war ich mir sehr sicher. Ich auch nicht. Da war ich mir relativ sicher. Na, andere Frauen anschauen, tat ich schon mal. Ist doch normal. Wer weiß, wenn es mal die Gelegenheit gegeben hätte... gab es aber nie.

Hatte ich auch nie gesucht. Heiß und innig liebte ich Jutta sicher nicht mehr. Besonders oft Sex hatten wir ebenfalls nicht. Aber sie gehörte einfach in meine Vorstellung eines normalen Lebens hinein. War dessen Kern und Angelpunkt. Wir hatten unsere Leben bis zum Tode verknüpft.

Das war so, wie es sein sollte. Sie war genug für mich, so wie sie war. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas zu vermissen. Eine Midlife-Crisis hatte sich ebenfalls nicht eingestellt, wie das bei manchen meiner Kumpels schon peinliche Formen angenommen hatte.

Grund für Trennungen, Scheidungen, Unterhaltszahlungen wurde. Nein. Da war mir die Sicherheit, wenigstens einen Fixpunkt in meinem Leben zu haben, wichtiger gewesen.

„Wir können weiter", riss sie mich aus meinen Überlegungen.

Na, denn. Sie blieb weiterhin stumm, und beschäftigte sich wieder mit ihrem Handy. So fuhren wir etwa zwanzig Minuten weiter. Sie sah nun öfter auf die vorbeifliegende Landschaft.

„So. Zehn Kilometer von hier ist eine Ausfahrt. Wir folgen dem Straßenverlauf dann bis zur Bundesstraße und biegen dort nach fünf Kilometern links ab."

Hm. Motel? Da trafen sich klassischerweise Leute, die das außerhalb ihrer normalen Lebensbereiche taten. Oder seine Wohnung? Na, oft werden ja wohl gleich zwei Ehen aufs Spiel gesetzt. Da ging das eher nicht. Es war für mich keine Frage der Moral.

Eher ein Unverständnis, warum man ein solches Risiko einzugehen bereit war. Konnte es das wert sein? Wenn ich die Gestrauchelten aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis vor Augen hatte, eher nicht. Den Kitzel konnte ich notfalls nachvollziehen. Aber nicht den Stellenwert.

„Genau. Jetzt hier wieder rechts. Der Straße zum Wald folgen. Dort ist auf der rechten Seite zweihundert Meter weiter ein Parkplatz. Dort wollen wir hin."

Ein Parkplatz? Damit hatte ich nun nicht gerechnet.

„Fahr bis zum Ende. Gut. Hier kannst du parken."

Sie machte den Gurt ab und wühlte in ihrer Handtasche. Weiterhin erweckte sie nicht den Eindruck, sich über mich außerhalb meiner Funktion Gedanken zu machen. Sie hatte ihren Schminkspiegel, den ich vorhin kurz bei der Lippenstift-Sequenz gesehen hatte, flach auf ihre Beine gelegt und mit weißem Pulver bestreut.

Kein Puder. Aha. Es war lange her, aber neu war mir das auch nicht. Überraschen tat es mich gleichfalls nicht. Irgendwie war die Frau ein einziges Klischee. Aber ein inkonsistentes wenigstens. Den Abstieg in die Niederungen mit der nötigen Leichtigkeit des Überflusses stilistisch modifiziert.

Alles mitnehmen, was das Erlebnis steigern könnte. Zwei weiße Linien und dann ein kurzer Moment des Verharrens, wo sich unsere Augen im Rückspiegel trafen.

„Du wartest hier. Mindestens eine halbe, vielleicht eine Stunde. Je nachdem."

„Okay. Ich warte."

Eine Stunde. Sex. Na, es musste sich ja wohl lohnen. War irgendein Jemand all das hier wert. Was ging mich das an? Wie andere ihre Zeit, ihre Leben verbrachten. Welche Inhalte ihnen wichtig waren. Ich wurde dafür schließlich bezahlt. Diskret, auf die Rückkehr der Ehebrecherin zu warten.

Ihren kleinen, gelassenen Rechtsbruch vor meinen Augen darüber hinaus hinzunehmen. Das war zudem nichts Neues. Dieser Schlager-Hannes zum Beispiel hatte mir sogar was aufschwatzen wollen, beziehungsweise angeboten. Und ich dankend abgelehnt.

Ich sah sie auf den ersten Metern noch auf ihr Handy schauen, dann steuerte sie zielsicher eines der parkenden Autos an. Stieg dort ein, ohne dass ich den Typen zu Gesicht bekam, mit dem sie sich dort vergnügen würde. Es ging mich ja auch nichts an.

Für Neugier wurde ich nicht bezahlt. Ich sah auf das Taschenbuch, was ich mir für Wartezeiten wie diese mitgenommen hatte. Aber irgendwie war mir nicht nach Lesen. Wunderte ich mich ein wenig darüber, wie sehr mich das beschäftigte, was diese fremde Frau abzog.

Hatte vermutlich alles, was man sich wünschen konnte. Wollte aber mehr. Bekam das jetzt in einem roten BMW älteren Baujahrs. Eigenartig, wie man so in das Leben seiner Gäste auf einer Tangente einbezogen wurde. Die Frau hatte jetzt Sex. Ließ sich jetzt wahrscheinlich nach Herzenslust vögeln.

So einfach ging das. Hier, auf einem Parkplatz in der Pampa. Hinterher würde sie ihr Schlampen-Kostüm wieder ablegen und mit mir zurück in ihr anderes, in das für sie normale Leben zurückkehren. In feinen Restaurants mit Gleichgestellten geistreiche Tischkonversationen haben.

Vielleicht einen edlen Wein genießen, bei dem sie ihrem nichtsahnenden, vermögenden Gatten zufrieden in die Augen schaut. Weil der im Leben nicht darauf kommen würde, dass sie ihm zweimal wöchentlich Hörner aufsetzte. Vielleicht war sein Vermögen alles, was er ihr bot.

Vielleicht alt, hässlich, sie eine Trophy-Wife, wie das so schön hieß. Das Aussehen hatte sie dafür. Als Trophäe konnte sie sicher durchgehen. Mit Geld konnte man zwar nicht alles kaufen, aber vieles. Treue offenbar aber nicht. Reiche Leute hatten also gleichfalls Probleme. Halt andere. Na, eigentlich dieselben.

Nicht weit von mir fand sich ein weiteres Auto ein, ein Smart. Für solche Aktionen wohl eher ungeeignet. Komischer Gedanke, der mich unwillkürlich grinsen ließ. Eine junge Frau stieg aus, schaute auf ihr Handy und sah sich suchend um. Unsere Blicke trafen sich nur kurz.

Das heißt, sie sah zunächst auf das Auto, nicht mich. Dann doch ein kurzer Blick, ein beiläufiges Taxieren, um dann den Kopf gleich wieder in die andere Richtung zu drehen und bis fast zum anderen Ende des Parkplatzes zu laufen. Und dort in ein anderes Auto einzusteigen.

Langsam dämmerte mir das Setup. Mein Fahrgast traf hier keinen Geliebten, keine Affäre wurde hier mit erwarteter Regelmäßigkeit zelebriert. Die Frau aus der für mich so fremden Welt fand ihre Befriedigung noch ein paar Etagen tiefer. Parkplatz-Sex.

Ich hatte selbstverständlich davon gehört. Dass es so etwas gab. Leute trafen sich einfach zum Ficken auf entlegenen Parkplätzen wie diesem hier. Wahrscheinlich suchten sie geeignete Partner über eine App. Deshalb das Handy. Jetzt machte es langsam Sinn. Na, wer's mag.

Eigentlich könnte ich eine weitere Kippe vertragen. In unmittelbarer Nähe war keine Aktion, da konnte ich ruhig raus und meine leichte Verwirrung über diesen unerwarteten Einblick in einen mir gänzlich fremden Umgang mit Sexualität abschütteln.

Eigentlich könnte ich mir dabei auch die Beine vertreten. Sie war jetzt vielleicht zwanzig Minuten weg. Kaum hatte ich sie mir allerdings angezündet, ging die Beifahrertür des BMWs wieder auf. Tja, junge Frau, da war wohl die Hoffnung auf ausgedehnte Befriedigung schneller zerplatzt als erwartet.

Sie sah nicht in meine Richtung. Sondern gleich wieder auf ihr Handy. Zündete ebenfalls eine Kippe an, rauchte, während sie langsam weiterging. An einem weißen Transporter hielt. Sie zog noch zweimal und schnippte dann die Zigarette in hohem Bogen weg.

Stieg ein. Aha. Eine schnelle Nummer war ihr dann offenbar zu wenig. Was heißt schnell. Zwanzig Minuten sind sicher ganz okay. Das heißt, ich konnte mir eigentlich überhaupt keine Vorstellung von einem möglichen Ablauf dieser Transaktionen machen.

Der offenbar flexibel war und nicht nur auf Autos beschränkt. Aus dem Wald tauchte ein Pärchen auf, beziehungsweise zwei Typen und eine Frau. Alle strebten anderen Fahrzeugen entgegen. Aha. Für einen Dreier war es im Auto sicher ein wenig zu eng. Warm genug war es ja allmählich.

Und doch setzte ich mich etwas fröstelnd wieder in den SUV. Das konnte ich mir alles noch weniger vorstellen. Weniger Bezug finden. Entzog sich noch weiter meinem Erfahrungsbereich. Nicht einmal die Sicherheit einer fortwährenden Geschichte außerhalb der eigenen Beziehung.

Einfach Sex. Mit einem oder mehreren Fremden, die man nie zuvor gesehen hatte. Und wohl auch nie wiedersah. Oder gab es hier Stammgäste, eine Szene, kannten die sich alle untereinander schon von früheren Begegnungen?

Sie hatte auf dem Rastplatz öfter geschmunzelt, als sie auf das Handy schaute. Nachrichten von Fans? Vielleicht war es eine verschworene Gemeinschaft, ein Geheimbund aus Initiierten, die erfreut waren, Gründungsmitglieder wiederzusehen. Ach, Quatsch. Quatsch, sich da überhaupt Gedanken drüber zu machen.

Für mich wäre das noch weniger infrage gekommen als ein klassischer Seitensprung mit Motel, wie man das im Fernsehen sah. Überhaupt, dass sich da ein Phänomen herausgebildet hatte, was es wohl immer schon gegeben hatte, was aber offenbar nun durch die Ankunft unterstützender Technologien deutlich leichter geworden war.

Gab es ja wohl unzählige Möglichkeiten. Diese Kontaktseiten, wo man inserieren konnte, und passende Partner nach Vorlieben, Wünschen und Fantasien auswählen. Gleichgesinnte für die bizarrsten Spiele menschlicher Lust finden. Davon hatte mir Hans-Dieter erzählt.

So hatte er den langen Weg zum Scheidungsanwalt angetreten. Bei ihm hatte ich allerdings dabei das Gefühl gehabt, er hatte es drauf angelegt. Sich am Ende erwischen lassen, damit sie einen Grund hatte, ihn rauszuschmeißen. Weil ihm selbst der Mumm fehlte, die Ehe zu beenden.

Es war vielleicht alles zu einfach geworden. Mit dieser Option konnte ich noch etwas mehr anfangen. Er hatte erzählt, dass man sich dort erst austauscht, Sympathie über Online-Chats aufbaut. Und dann erst im richtigen Leben prüft, ob die Chemie nicht nur angedacht stimmt.

Aber das hier? Sex auf den Vorgang reduziert. Auf das Mindestmaß. Abstriche bei Attraktivität vermutlich hinnahm. Es spielte keine Rolle, ob sie nicht dem Schönheitsempfinden entsprachen. Hauptsache, sie hatten Geschlechtsteile, mit denen man sich schnell und unkompliziert verbinden konnte.

Na ja. Wer's braucht. Offenbar manche, von denen man es nicht erwarten würde. Wie meinen Fahrgast, die tatsächlich erst kurz vor Ablauf der avisierten Stunde wieder in den SUV einstieg. Mit wenigstens zwei fremden Kerlen gevögelt hatte, wahrscheinlich drei.

Den weiteren Werdegang ihrer Parkplatz-Abenteuer hatte ich nämlich nicht mehr verfolgt. Stattdessen doch wieder den Krimi in die Hand genommen, um mir damit die Wartezeit zu vertreiben. Das zugegebenermaßen nicht wirklich konzentriert tat, meine Gedanken ständig abschweiften.

An diese merkwürdige Lokalität und dem Treiben hier zurückgekehrt waren. Wie mein Fahrgast nun zu mir. Irgendwie konnte ich gar nicht anders. Ich drehte meinen Kopf nach hinten und sah sie direkt an. Sie wirkte für eine Sekunde überrascht, dann huschte wieder der Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht.

Sie hielt meinem Blick mühelos stand. Strahlte eine unglaubliche Souveränität aus. Wirkte sie zufriedener? War sie nun befriedigt? Was für eine eigenartige Situation. Ich war Mitwisser geworden, zumindest von einem Teil ihres Sexuallebens.