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Mein persönlicher „LifeChangingSex“

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Der Weg führte auf eine zweistöckige Villa im Jugendstil zu. Herrschaftlich, aber alt. Sämtliche der grau gestrichenen Fensterläden waren zugeklappt. Das sah so aus, als ob sich der Bau im Tiefschlaf befände. Eine Aura von Stille und Vergänglichkeit lag über dem ganzen Anwesen. Sogar die spärlichen Sonnenstrahlen, zu denen sich der Novemberhimmel hinreißen ließ, vertieften diesen Eindruck nur.

„Hier drüben", hörte ich eine bekannte Stelle. Rechts war ein einstöckiger Anbau an das Haus geflanscht. Große Fenster, Flachdach. Ein Büro, unzweifelhaft. Daneben stand eine schlanke Gestalt mit einer Kupferflamme als Haar und winkte mir. Ich bog ab und ging auf sie zu. Mein Blick zuckte von links nach rechts, vom Haus zu den Bäumen, um ihr nur nicht zu früh in die Augen schauen zu müssen.

Ich hielt. Und sah sie an. Sie war noch schöner als auf dem Foto auf der Website. Nicht nur schöner. Größer, irgendwie. Nicht äußerlich, aber sie schien die komplette Umgebung zu dominieren. Mein Mund wurde trocken.

„Guten Tag, Frau Dr. Mickels", brachte ich heraus und streckte ihr die Hand hin.

„Herr Steganowski." Sie nickte mit einem angedeuteten Lächeln und schüttelte meine Hand. Ihre Finger fühlten sich dünn an, doch voll vibrierender Energie. „Kommen sie herein."

Das Innere des Anbaus bestand aus einem einzigen Raum, vielleicht fünf Meter im Quadrat. Er war ausgestattet wie ein Antiquariatsbüro, mit wuchtigen Möbeln in Schwarz und dunkelbraun, wohl aus dem 19. Jahrhundert. Eine Seite wurde von einer Bücherwand bis zur Decke eingenommen, voll von Werken im Ledereinband und Titeln in altertümlichen Schriftarten auf dem Rücken.

Das alles nahm ich nur am Rande wahr. Meine Aufmerksamkeit wurde zu 99 Prozent von der Frau vereinnahmt, die die Tür schloss und in aller Ruhe um den Schreibtisch herumging. Obwohl sie sich völlig normal bewegte, vermittelte sie den Eindruck, als sei sie bis zum Platzen mit Leben und Kraft aufgeladen. Und als könnte sie diese Energie jederzeit einsetzen. Für einen Furienschrei der Wut, der einen stocktaub zurückließ. Oder einen Freudentanz auf dem Schreibtisch, hemmungslos lachend. Oder einer Hingabe, so absolut, dass sich die Grenzen der Realität darunter verbogen...

Sie trug eine Jeans und eine helle Bluse, beides ganz und gar nicht aufreizend. Doch ihre schlanke, wundervoll proportionierte Gestalt, die Wölbung ihrer Kurven und das zarte Leuchten ihrer Haut gaben mir das Gefühl, keiner menschlichen Wesen gegenüberzustehen, sondern einer Elfe. Den Seufzer tiefster Sehnsucht, der mir auf der Zunge lag, konnte ich gerade noch unterdrücken.

„Bitte sehr." Sie wies auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch. Die simple Geste enthielt so viel Anmut, dass ich an eine Schauspielerin auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten denken musste.

´Reiß dich zusammen, du Armleuchter!´, ermahnte ich mich selbst und setzte mich steif. ´Und starre sie nicht an wie ein Kalb mit zwei Köpfen!´

„Ein schönes Büro", versuchte ich mich in einführenden Smalltalk. „Und ein wundervolles Grundstück. Wohnen sie auch hier?"

Sie zögerte einen halben Lidschlag. „Nein. Ich kann diesen Anbau nutzen, aber nur vorübergehend. Leider muss ich schon bald wieder ausziehen."

„Sie finden sicher andere Räumlichkeiten für ihre Praxis", lächelte ich gewinnend. „Jetzt nach der Krise gibt es viel Leerstand in der Stadt."

„Bestimmt", nickte sie unverbindlich. „Beginnen wir." Sie sah mich an, mit diesen großen Augen in der Farbe der Nordsee bei Sturm. Wieder spürte ich die verborgene Kraft, die dahinter saß. Ja, diese Frau konnte die Macht eines Orkans entfesseln und das Land verwüsten, wenn es sein musste.

„Äh -- sie haben mir ihre Konditionen noch nicht mitgeteilt", kämpfte ich um meine Fassung, indem ich mich auf die schnöde Frage des Geldes konzentrierte.

„Die Therapie ist kostenlos."

„Was? Kostenlos?" Ich starrte sie an. „Rechnen sie über die Kasse ab?"

„Nein." Der Hauch eines Lächelns. „Meine Praxis ist noch jung, und ich bin auf das Geld nicht angewiesen. Ich habe mich dazu entschlossen, die ersten zwölf Klienten gratis zu beraten. Sie wären die Nummer zwölf."

„Na, da habe ich aber Glück." Ich lachte unsicher. Ihr Lächeln vertiefte sich eine Spur. Gut -- das war ihre Marketingstrategie, um bekannt zu werden. Sie wirkte, ganz offensichtlich. Zufriedene Kunden wie Peter empfahlen sie weiter. Das würde ich sicher auch tun, wenn die Therapie funktionierte.

„Sie sind hier, weil ihre Frau sie verlassen hat", sagte sie in einem angenehm neutralen Tonfall. So als ob sie aus einem Buch vorlesen würde. „Sie haben die Vorzeichen gespürt, sie aber verdrängt und gehofft, alles werde weitergehen wie immer. Genauer gesagt: Alles würde wieder werden wie früher. Sie beide waren jung und hoffnungsvoll und verliebt, und konnten nicht genug kriegen voneinander. Doch das verlor sich immer mehr. Sie wussten nicht, was sie gegen diese Erosion tun sollten."

„Das ist... absolut korrekt", schluckte ich und starrte sie an. „Läuft so eine Sitzung nicht andersrum? Sollte nicht ich ihnen etwas aus meinem Leben erzählen?"

Sie legte den Kopf leicht zurück und lachte. Der schönste Laut, den ich in meinem ganzen Leben gehört hatte. Hell und klar und mit der Andeutung eines geheimen Versprechens darin. Meine Hände krampften sich um die Seitenlehnen des altertümlichen Sitzmöbels.

„Ich möchte nicht unbescheiden sein, Herr Steganowski." Ihre Augen glitzerten vor Amüsement. „Ich bin spezialisiert auf Fälle wie ihrer. Die Muster der Geschichten ähneln sich stark, auch wenn es durchaus individuelle Unterschiede gibt."

„Dann wissen sie schon, wo mein Problem liegt?" Vage Unruhe erfüllte mich. Ich empfand es als erniedrigend, zu einer leicht durchschaubaren Gruppe von Versagern zu gehören.

„Ungefähr." Sie beugte sich vor und sah mir voller Konzentration in die Augen. „Aber das ist nicht das Wesentliche. Viel wichtiger ist, dass sie selbst erkennen, wo ihr Problem liegt."

„Deshalb bin ich ja hier, oder?" Ich konnte kaum atmen, wenn sie mich so ansah.

„Sind sie das?" Sie neigte den Kopf, eine Geste voll feenhafter Anmut. „Wollen sie das wirklich wissen? Viele Menschen scheuen davor zurück."

Ich riss mich von ihren Augen los und starrte auf meine Knie. Wollte ich es wissen? Sehr lange war ich ohne dieses Wissen ausgekommen, und auch nicht schlecht gefahren. Als Ingenieur hatte ich mich um Fragen der Technik gekümmert, nicht um die der Psyche. Doch Lydias Weggang hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Den wollte ich zurück. Ich brauchte ihn!

Ich blickte hoch, in ihr Gesicht. „Ich will es wissen", erklärte ich und gestattete mir, ein ganz klein wenig verloren zu gehen in diesen Augen von der Tiefe des Weltraums.

„Gut." Sie nickte gemessen und beugte sich vor. Der Ausschnitt ihrer Bluse verschob sich ein wenig. Es war nichts zu sehen, außer ihrem schlanken Hals und den Ansätzen der Schlüsselbeine, zarte Konturen unter der blassen Haut. Doch der Anblick schien mir erotischer als sämtliche Internet-Pornos zusammengenommen.

„Wie haben sie ihre Frau kennengelernt. Erzählen sie", sagte sie und schob den Block zur Seite, der vor ihr lag. So als wollte sie damit ausdrücken: Ja, es wäre professionell, ein Protokoll zu schreiben. Doch es ist wichtiger, dass ich mich ganz auf dich konzentriere, Ralf...

„Äh -- das war im Frühjahr 2004", raffte ich meine Gedanken zusammen. „Lydia war in einen Autounfall verwickelt. Nicht so schlimm, alles nur Blechschaden. Ich war einer der ersten Helfer, der angehalten hatte. Der andere Fahrer, der Unfallverursacher, hatte ihr die Vorfahrt genommen. Aber als ich kam, da standen sie sich gegenüber und haben sich angeschrien, über die zerknitterten Motorhauben hinweg."

Ich musste grinsen bei dieser Erinnerung. Ja, meine Lydia hatte damals ein herrliches Bild geboten. Zitternd vor Wut und sprühend vor Leben hatte sie einem Hünen Paroli geboten, der anderthalb Köpfe größer war als sie und dreimal so schwer.

„Eine Ausnahmesituation also", nickte Delia.

„Ziemlich." Ich rieb mir das Kinn. „Ich habe die Polizei angerufen. Die kam gleich darauf und hat die Sache übernommen und den Streit beendet. Lydia wollte sich bei mir nur bedanken. Doch dann hat sie angefangen zu zittern und zu weinen, als der Stress durchschlug. Daraus ist dann irgendwie... ich weiß auch nicht..."

„Danke. Ich kann es mir lebhaft vorstellen." Meine Therapeutin blinzelte verständnisinnig. „Eine Jungfrau in Nöten und ihr tapferer Recke."

„Na ja. Das mit der Jungfrau...?" Ich deutete ein schräges Grinsen an. „Lydia war damals 24, ich 29. Aber es stimmt schon. Unter normalen Umständen hätte ich mich wohl nicht getraut, sie anzusprechen."

„Weil sie so hübsch war?" Delia legte den Kopf schräg. Ihre Augen verengten sich um eine Spur.

„Äh -- nein." Ich räusperte mich und schlug den Blick nieder. „Ich meine, Lydia sah schon gut aus. Nicht hässlich, jedenfalls. Aber sie war keine Schönheit oder so. Einfach eine junge Frau. Der kritische Faktor war wohl eher ich. Meine Schüchternheit."

„Sie kommen mir aber nicht übermäßig schüchtern vor, Herr Steganowski", wandte sie ein.

„Nur, wenn Frauen im Spiel sind." Ich lächelte sie bemüht an und spürte Wärme auf meinen Wangen. Sie war auch eine Frau, und das wussten wir beide genau.

„Ich verstehe." Sie maß mich mit einem langen Blick. Seltsamerweise fühlte sich das nicht so unbehaglich an wie sonst, wenn man sich durchschaut vorkommt.

„Erzählen sie mir von ihrer Mutter", verlangte sie dann.

„Jaja, ich weiß schon." Ich stieß ein humorloses Lachen aus. „Lydia und meine Mutter Valerie sind sich ziemlich ähnlich. Sowohl äußerlich als auch von ihrer Art her. Dominant, könnte man sagen. Zuhause hatte auch meine Mutter das Sagen. Mein Vater hat immer getan, was sie wollte. Fast immer, zumindest."

„Würden sie sagen, sie und Lydia haben ihre Ehe ähnlich geführt wie ihre Eltern?"

„Schon, irgendwie." Ich fühlte mich als Versager. Nichts dazugelernt, oder was? „Äh -- Sowas ist doch aber nicht ungewöhnlich, oder?"

„Absolut. Wir alle sind das Produkt unserer Umgebung."

An diesem Punkt sah Delia zum ersten Mal an mir vorbei. In eine unbestimmte Ferne. Ein feiner Sprung in der Oberfläche der wunderschönen, starken, selbstbestimmten Frau, die sie gab. Für einen Sekundenbruchteil.

„Wie haben sich ihre Eltern kennengerlernt?" Schon war sie zurück und wieder auf ihre Aufgabe konzentriert.

„Am 11. Juli 1968, in Pforzheim", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Am Vortag war ein heftiger Tornado durch die Stadt gezogen und hatte viele Häuser abgedeckt. Auch das von Valeries Familie war weg. Mein Vater war gerade in der Ausbildung zum Statiker und kam, um zu helfen. Da hat sie -- OH?!"

„Merken sie was?" Sie blinzelte mit einem feinen Lächeln.

„Eine Jungfrau in Nöten", schluckte ich.

„Exakt. Sehr interessant, anscheinend ein stabiles Muster. Die Männer ihrer Familie schaffen es nur in Krisen- oder Ausnahmesituationen, eine Frau kennenzulernen und eine Partnerin zu finden."

„So habe ich das noch nie betrachtet." Meine Achtung vor Delias professionellen Fähigkeiten stieg.

„Geht das noch weiter zurück? Wissen Sie, wie ihre Großeltern väterlicherseits zusammengekommen sind?"

„N-nein. Das war... in der Nachkriegszeit. ´47 oder ´48 oder so. Aber darüber weiß ich nichts. Meine Großeltern leben nicht mehr."

„Fragen sie ihren Vater", riet sie mir. „Vielleicht gibt es eine identifizierbare Ursache. Eine Ausgangssituation, oder ein bestimmtes Trauma. Das wäre nützlich, denn wenn man das kennt, ist es viel einfacher, das zu bearbeiten."

„Ein Trauma meines Großvaters soll über mein Leben bestimmen?" Ich schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen."

„Was machen sie beruflich, Herr Steganowski." Die wunderschönen Augen ruhten auf mir wie ein Gewicht.

„Ich bin Bauingenieur. Spezialisiert auf Brücken und ähnliches."

„Wenn sie eine große Brücke planen, dann steht die doch auf Pfeilern, oder?"

„Üblicherweise ja."

„Und die Pfeiler stehen auf Fundamenten?"

„Natürlich."

„Gut. Dann stellen sie sich ihr Leben als die Brücke vor. Das ihrer Eltern sind die Pfeiler. Und das der Großeltern das Fundament."

Sie lehnte sich zurück. Ich schaffe es nicht, meine Augen davon abzuhalten, kurz auf ihren Busen zu rutschen. Ein wirklich hübscher Busen! Verdammt! Was ihr das wohl wieder über mein verkorkstes Innenleben verriet?

„Äh, ja, ich verstehe, was sie meinen", stotterte ich. „Aber was kann ich da jetzt noch tun? Eine Brücke, die auf maroden Pfeilern oder Fundamenten steht, würde man abreißen."

„Glücklicherweise sind Menschen etwas flexibler als Brücken." Sie deutete ein melancholisches Lächeln an. „Man kann Verstärkungseisen einziehen, um im Bild zu bleiben. Oder sich zusätzliche Pfeiler anbauen. Oder von mir aus auch einen Heißluftballon über die Brücke hängen, um sie zu entlasten. Es gibt viele Möglichkeiten. Wichtig ist nur, dass man daran arbeitet."

War das der Punkt, wo sie mir eine lange, aufwendige Therapie verkaufen würde? Aber nein -- die Behandlung war kostenlos, hatte sie gesagt.

„Gut. Und wie arbeite ich daran?"

Sie nickte, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet, und zog etwas aus einer Schreibtischschublade. Eine wischförmige Bewegung vor mir, und ein Halbkreis Kärtchen lag über den Tisch ausgebreitet. Jedes davon war mit einigen Worten in kleiner Schrift versehen.

„Schauen sie sich diese Botschaften an", sagte Delia leise. „Nehmen sie sich Zeit. Finden sie ihre Karte. Die richtige."

Ich beugte mich vor und las einige der Karten. ´Ich darf spielen, solange ich will´, stand auf einer. Oder ´Ich bin richtig, so wie ich bin´. Oder ´Ich werde es schaffen, wenn ich es will´. Hm -- wirklich seltsam, dieses psychologische Zeug. Das wirkte eher wie ein Kinderspiel auf mich.

„Woran erkenne ich denn die richtige Karte?", fragte ich und las stumm ´Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche.´

„Das merken sie schon." Ich hörte das Lächeln aus ihrer Stimme. „Sie wird sie ansprechen. Anspringen, geradezu."

´Ich kann ausdrücken, was ich brauche´, las ich. Die Karte blieb liegen und sprang mich keineswegs an. Leise Zweifel beschlichen mich. Das sollte eine Therapie sein?

´Ich bin schön und gefalle mir selbst.´ Hm.

´Was ich fühle, ist richtig.´ Ah ja.

´Ich darf auch einmal schwach sein.´ Gähn.

´Ich bin es wert.´

BING!

Auf einmal saß ich aufrecht da und keuchte. „Ich bin es wert", murmelte ich automatisch. Die Worte vibrierten auf meiner Zunge, als würden sie sich jede Sekunde ultrahoch erhitzen und durch mich hindurchbrennen.

„Sie haben ihren Satz gefunden." Schon griff sie nach meiner Karte und zog sie aus der Reihe heraus. Ich musste an mich halten, um ihr das Ding nicht aus der Hand zu reißen. Na sowas! Unruhig sah ich zu, wie sie selbst den Satz las, mir einen Blick zuwarf, und ansatzweise nickte.

„Und jetzt?", zwang ich mich, ruhig zu bleiben. „Was mache ich mit diesem Satz?"

„Nehmen sie ihn mit. Bitte." Sie streckte mir die Karte mit einem strahlenden Lächeln entgegen. Ich griff danach und zuckte zusammen, als sich unsere Finger kurz berührten.

„Lesen sie ihn immer wieder. Mehrmals pro Tag. Vor allem abends, bevor sie Schlafengehen. Ihr Unterbewusstsein wird sich dann besonders gut damit beschäftigen können", fügte sie an.

„Und dann?" Ich drehte die Karte in meinen Fingern. Die Rückseite war unbeschriftet. Nur ein blasses Symbol verzierte das Papier. Eine liegende Acht. Das Zeichen für Unendlichkeit.

„Warten sie einfach ab, was geschieht. Vertrauen sie ihrem Unterbewusstsein. Vertrauen sie mir."

Ich blickte hoch. Jede Spur von Lächeln war aus ihrer Miene gewichen. Sie sah mich so direkt und unverwandt an, als wollte sie mich mit ihrem Blick aufsaugen. Für eine Sekunde waberte Panik durch mein Nervensystem. Mich aufsaugen? So etwas traute ich dieser Frau absolut zu...

„In Ordnung!" Ich kam auf die Füße und lächelte gezwungen. „Vielen Dank, Frau Dr. Mickels, sie haben mir schon jetzt sehr geholfen. Ich spüre schon, wie ich wieder klar werde. Äh, ruhig, meine ich. Ganz ruhig."

Sie sagte nichts dazu, sondern nickte nur und blieb sitzen. „Viel Erfolg, Herr Steganowski", meinte sie leise.

„Ich... ich melde mich dann..." Einen Schritt rückwärts. Noch einen. „Einen schönen Tag noch, Frau Dr. Mickels."

Dann war ich draußen und atmete abgrundtief durch, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Mit einem Ruck setzte ich mich in Bewegung und stiefelte den Weg zurück zum Tor. Es war noch angelehnt. Ich zog es hinter mir zu, nach einem letzten Blick auf das verwunschene Villengrundstück.

„Puh!" Ich lachte unbehaglich. Was zur Hölle war das gerade gewesen? Und warum war ich geflohen, beinahe von Panik erfüllt?

Etwas drückte in meiner linken Hand. Die Karte.

„Ich bin es wert", murmelte ich vor mich hin. Nichts geschah. Kein Aufkeuchen. Kein Energiestoß. Keine Posaunen von Jericho. Nur ein Stück Papier mit vier Worten.

Schon wollte ich das Ding einfach wegwerfen und sämtliche Erinnerungen an die rothaarige Therapeutin unter der Rubrik „Seltsame Erfahrungen, wahrscheinlich ungefährlich und irrelevant" ablegen. Da rauschte ein Windstoß heran und blies das Laub über die Straße. Ich umklammerte die Karte. Der Gedanke, dass auch sie so weggeweht werden könnte, fühlte sich unerträglich an.

Mit einem Seufzer stopfte ich das Ding in meine Jackentasche, zog die Schultern hoch, und stapfte in Richtung meines Hauses. Diese ganze Therapiegeschichte war doch ein einziger Hokuspokus! Das kam mir vor, als müsste ich eine Brücke konstruieren und würde dafür einen Bogen aufs Papier malen und unter beschwörenden Handbewegungen raunen: „Du bist standhaft! Du trägst 100 Tonnen! Du widerstehst der Witterung!"

So ein Mumpitz. Aber was blieb mir übrig?

***

Am Dienstagabend las ich zum ersten Mal seit langem wieder ein Buch. Zwischendurch blickte ich immer wieder auf die Karte, die auf dem Couchtisch lag und rezitierte „Ich bin es wert". Ich nahm sie mit zum Zähneputzen und legte sie auf den Nachttisch. „Ich bin es wert." Der Satz war das letzte, was ich sah, bevor das Licht erlosch.

Nichts geschah. Weder in der Nacht noch am nächsten Morgen noch im Laufe des Mittwochs. Ich ging ins Büro und arbeitete. Hektik, Termindruck, Stress. Wie meistens in dem Ingenieurbüro, in dem ich angestellt war. Die Karte steckte zwar in der Hosentasche, doch ich dachte nur einmal an sie und zog sie kurz heraus. Nach kurzem Zögern rief ich Amazon auf, suchte nach „Psychologie - Familie - Beziehung - Partnerschaft - Schüchternheit" und klickte auf die ersten drei Bücher, die mir angeboten wurden, und die mehr als vier Sterne hatten. Ein wenig Weiterbildung konnte nichts schaden.

Dann walzte wieder der Alltag darüber. Abends lag die Karte neben dem Herd, als ich mir ein Fertiggericht kochte und sie mit zwei Soßenspritzern versah. Später zog ich mir eine Netflix-Serie rein und dachte kaum noch daran, obwohl ich sie wieder ihren Platz auf dem Couchtisch geparkt hatte, gleich neben mir. Die Hoffnung hatte ich beinahe abgeschrieben. Wenn Therapie so einfach wäre, dann würden nicht so viele Verrückte da draußen herumlaufen, oder?

Gegen elf wurde ich schlagartig müde und schloss die Augen, bei laufendem Fernseher. Nur eben kurz ausruhen. Ins Bett würde ich später gehen. Irgendwann. Ich gähnte und dämmerte weg. So angenehm...

Ich spürte noch, wie etwas ins Rutschen kam. Etwas von der Größe eines Kontinents.

Dann --

***

Eine weibliche Stimme zog mich aus dem Tiefschlaf.

Ich gähnte und räkelte mich. Und hielt inne. Wow -- ich fühlte mich total ausgeruht. Richtig gut. Nein -- saugut! Hing das etwa mit dieser seltsamen Therapie zusammen?

„Hey! Willst du noch lange pennen? Wir müssen bald los."

„Hm?"

Ich blinzelte gegen die verklebten Lider an. Etwas war falsch mit meiner Stimme. Warum hatte ich mich so seltsam angehört? Ich räusperte mich, doch das machte es nicht besser. Überhaupt fühlte sich meine Kehle anders an. Nicht nur die Kehle! Sondern auch...