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Thao II - Teil 01

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Thao warf einen flüchtigen Blick auf Aneliese, dann nickte sie.

„Es ist einfach so schnell gegangen. Ich habe das nicht mal geahnt, verstehst Du? Ich meine, dass er sich so unwohl gefühlt hat."

„Weißt du, mein Vater sagt immer, man kann Menschen nur vor den Kopf schauen. Und dass man nur den Wert von etwas schätzen lernt, wenn man es verloren hat."

Die Punkerin verstand die Freundin falsch.

„Und das tue ich nicht, oder was? Aneliese, schau mich doch an! Ich bin total gestört! Ich bekomme ihn einfach nicht aus dem Kopf. Es ist ja nicht so, dass ich nicht wollen würde ..."

Tränen liefen über Thaos Gesicht. Aneliese setzte sich zu ihr und nahm sie in ihren Arm.

„Ich wollte damit sagen, dass auch er dich irgendwann vermissen wird. Wenn es auch vielleicht nicht dazu reichen wird, dass er zu dir zurückkommt."

Die Sonntagsprüfung

Stellt man sich einen Mathematikstudenten vor, dann ist er meist groß gewachsen, trägt eine Brille auf der Nase, einen regelmäßig geschnittenen, braven Kurzhaarschnitt und zudem einen Kapuzenpullover mit dem Konterfei Albert Einsteins, der gerade seine Zunge der Welt entgegenstreckt. Na gut, es könnte vielleicht auch Gauß sein.

Hans, Erik und Steven waren da aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. In Bluejeans und dicken, blauen Seemannspullovern, dazu kreisrunde Wollmützen auf den Köpfen, wirkten sie cool und trendy. Kurz geschnittene Bärte im Gesicht, Igelhaarschnitte und Ohrringe zeigten deutlich, dass diese Jungs sich in ihrer Umgebung reflektierten und es ihnen zweifelsfrei nicht gleichgültig war, wie sie auf ihr Umfeld wirkten.

„Fick dich, Alter! Das ist doch total bescheuert, was du hier abziehst."

„Jetzt stell dich nicht so an. Sonntagsprüfung, Du bist dran."

Erik stellte eine Flasche Franzbranntwein auf den Poller, dazu eine riesige Plastiktüte, die ein großes Frotteehandtuch enthielt.

Hans zog widerwillig den Pullover aus, dazu sein T-Shirt, schließlich auch seine Jeans und die Unterhose.

„Ihr seid solche Arschlöcher, wisst ihr das eigentlich? Euch ist schon klar, dass das Rache gibt!?"

Die Freunde lachten gehässig, es schien ihnen nichts auszumachen, dass der Freund fror.

„Schau mal, da ist nicht mehr viel übrig geblieben!"

Erik stieß Steven in die Seite und versuchte Hans´ Hand aus seinem Schoß wegzuschlagen. Die beiden Männer grölten.

„Wie weit ist das?"

Hans blickte hinab auf den Kanal, der an manchen Stellen sogar schon zugefroren war.

„Zehn Meter, vielleicht auch ein paar mehr. Stell Dich nicht so an!"

Steven verzog das Gesicht, als ob es nichts Außergewöhnliches wäre, bei Minustemperaturen durch Eiswasser zu schwimmen.

„Scheiße, ist das kalt."

Hans stieg auf die oberste Sprosse der eiskalten Leiter und kletterte sie vorsichtig hinunter.

Sein „Wenn ich ertrinke, verfluche ich euch vorher, ihr Pisser!" wurde von den beiden Freunden mit schallendem Gelächter quittiert.

„Man kann an den meisten Stellen stehen und eine Strömung gibt's auch nicht. Das Einzige, das dir passieren könnte, ist zu erfrieren. Also beeile dich lieber!"

Hans stieg tatsächlich, ohne zu zögern, ins eiskalte Nass und tauchte bis zum Hals unter. Er schien wirklich hart im Nehmen zu sein.

„Los, los! Jetzt mach schon! Sonst fangen wir noch an, uns Sorgen um Dich zu machen."

Hans stieß sich von der Einfassungsmauer ab und schwamm mit wenigen, kräftigen Zügen zur gegenüberliegenden Seite, machte dort sofort kehrt, durchquerte nochmals den Kanal und kletterte die rostige Eisenleiter wieder hoch zu seinen Freunden, so rasch er konnte.

Er zitterte am ganzen Körper, seine Lippen waren blau angelaufen.

„Wwwwwaaaasss ssseeeiiiddd Iiihhhhrrrr fffffffüüür Pisssssssseeeerrrrrr.", bibberte er.

Steven trocknete ihn mit dem Handtuch ab, während Erik Branntwein auf seine Handfläche träufelte.

Mit einem nasalen, schwulen Unterton wandte er sich an Hans.

„Wo magst denn zuerst?"

Erik lachte sich schlapp, während Hans das Handtuch an seinen Körper presste und sich vor der Kälte zu schützen versuchte.

„Jetzt halt endlich still, damit ich Dich einreiben kann!"

Die Sonntagsprüfung zwischen den drei Jungs war ein altes Ritual, das nun schon ein Jahr regelmäßig vollzogen wurde. Jeden traf es einmal, abwechselnd, und jeder von ihnen musste sich den Prüfungen der anderen beiden stellen. Was daraus resultierte, war ein Haufen einzigartiger Erlebnisse, die, jedes für sich, eine eigene Geschichte darstellte, die in einem Album samt Erinnerungsfotos festgehalten wurde. Dabei konnte es hart zur Sache gehen oder richtig eklig werden, zumal die Prüfungen nicht gerade leichter wurden und die einzige Grenze darin bestand, dass man selbst nicht zu hart von den Freunden rangenommen werden wollte.

Sie halfen Hans beim Anziehen und ignorierten dabei dessen wüste Beschimpfungen. Sie würden es anschließend im Fastfood-Schuppen wiedergutmachen.

„Und Hans?"

Der gerade Geprüfte schlürfte an seiner Kaffeetasse und blickte über dessen Rand hinweg Steven an. Er war der Nächste, der dran glauben musste.

„Freu dich drauf, für dich habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht. Hier!"

Er schob ein schwarzes Kuvert über den Tisch.

„Es ist schon alles ausgehandelt. Das werden zwei richtig lustige Stunden für dich."

„Ey, Alter. Das ist jetzt nicht so eine Nummer, wie damals mit dem Bullen, oder?"

Erik lachte schallend auf. Diese Prüfung war ein Geniestreich gewesen.

Steven hatte vor einem Stadion, in dem gerade ein Ligaspiel stattgefunden hatte, an den dort sichernden Bereitschaftspolizisten mit Pralinen und großen Blumenstrauß aus roten Rosen entlang stolzieren und dabei die Polizistinnen so betrachten müssen, als ob er eine Bestimmte unter ihnen suchen würde. Dies hatte für ziemliche Heiterkeit und Spannung unter den Beamten gesorgt und jeder war gespannt gewesen, welche der uniformierten Damen er eigentlich für sich zu gewinnen versuchte. Letztendlich allerdings, als der Prüfling deren Reihe beinahe zu Ende abgeschritten hatte, hatte er den größten und breitesten Bullen angesprochen und um ein Rendezvous gebeten, was lautes Gelächter unter seinen Kollegen und große Peinlichkeit bei dem Betroffenen ausgelöst hatte. Die Polizisten hatten die Aktion dennoch mit großem Humor aufgenommen und Steven mit höflichen Worten wieder weggeschickt. Der Junge war wirklich cool gewesen, eindeutig A-Note! Hätte man das gefilmt, man wäre heute sicher Videoclip-Millionär geworden.

„Ach du Scheiße! Ey, Leute! Euer Ernst?"

„Geh einfach hin und hab Spaß. Die waren wirklich nett dort. Ich habe dir eine besonders hübsche Lady ausgesucht."

Erik blickte Steven fragend an, woraufhin ihm dieser das Kuvert über die Tischplatte schob. Hübsche Lady? Das konnte bei diesen beiden Teufeln alles bedeuten.

„Ein SM-Studio! Geil! Können wir denn da mit rein?", ereiferte sich Erik sogleich.

Hans schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein, leider nicht. Aber Steven wird auch so seine Freude haben, da bin ich mir sicher.", grinste er diabolisch.

Eine Bitte

Thao hatte den ganzen gestrigen Abend in Anelieses Gesellschaft verbracht. Nach dem gemeinsamen Abendbrot hatten sie noch bis spät in die Nacht zusammen ferngesehen. Sie war froh, dass Aneliese nur wenige Stunden in der Woche für ihren Vater arbeitete und darüber hinaus noch gelegentlich als Dolmetscherin in der Stadt aushalf. So konnte sie viel Zeit mit Thao verbringen, wodurch die Punkerin jedes Mal zumindest einige Zeit von ihren Nöten Ablenkung fand.

Umso belastender verlief der heutige Abend für junge Sozialarbeiterin. Mit Ashna, Anelieses altem Spitz, hockte sie auf dem Sofa, hatte zunächst gelesen, dann ein wenig auf der Gitarre gespielt und letzten Endes, als auch das nichts mehr half, den Fernseher eingeschaltet. Sie befürchtete bereits erneut in eine Depression abzudriften, angesichts des aus ihrer Sicht miesen Fernsehprogramms.

„Ach, das ist doch Scheiße!"

Entnervt warf sie die Fernbedienung vor sich auf den Kaffeetisch und fläzte sich in die Polster. Ashna legte sich in ihre linke Armbeuge, seufzte und schloss seine Äuglein. Dieser Hund hatte schon ein anstrengendes und belastendes Leben, wie Thao nicht ohne Ironie feststellte.

Die junge Frau lehnte sich zurück und schloss ebenfalls die Augen. Sofort drängte sich ihr Ex-Freund wieder in ihre Gedanken. Er wollte einfach nicht verschwinden. Wenn das so weiterging, würde sie noch dem Wahnsinn anheimfallen. Entschlossen griff sie zum Telefon und wählte die Nummer ihrer Mutter.

„Mama? Hi! Ich bin es."

„Thao? Schatz! Wie geht es dir? Ist alles gut?"

Anne schien sofort zu spüren, dass es ihrer Tochter wieder schlecht ging.

„Ich denke immer noch so sehr an ihn, Mama. Er geht einfach nicht weg aus meinen Kopf."

„Hast Du mal mit Harald gesprochen? Er hat es dir doch angeboten, soweit ich weiß?"

Thao dachte an Karls Vater. Auch das war ein riesiger Verlust für sie. Die Eltern ihres Ex-Freundes waren ihr fast zu ihren eigenen geworden. Sie hatte sich, trotz Karls resoluter Mutter, sehr gut mit den beiden verstanden.

„Ich kann das nicht. Es wäre auch unfair Karl gegenüber, wenn ich zu ihm noch Kontakt hätte."

Thao hatte angerufen, um sich abzulenken, nicht aber, um über Karl zu reden.

„Wie sieht es bei euch aus? Alles gut soweit?"

Thao hörte eine weitere Stimme im Hintergrund, dann, wie am anderen Ende der Leitung der Hörer seinen Besitzer wechselte.

„Kleine?! Ich bin es, Rüdiger! Das ist ja eine Überraschung, ich wollte dich nämlich selbst anrufen."

„Ach, echt? Und ich dachte, Du wärst der Weihnachtsmann mit Verspätung."

Thao hatte Rüdiger früher gehasst und verabscheut, aber wie so oft, hatte sich ihr erster Eindruck als falsch erwiesen und sie den Freund ihrer Mutter als hilfsbereiten Menschen kennengelernt, der ihr schon in vielen Belangen beigestanden hatte.

„Ich hätte da eine Frage an Dich, Thao. Du könntest mir einen großen Gefallen erweisen."

Sie spürte augenblicklich Widerstand in sich aufkeimen, obgleich sie sich dessen schämte. Dabei hatte der Lebensgefährte ihrer Mutter sie bisher nur selten um etwas gebeten.

„Welchen denn?", fragte die Punkerin mit wehleidig klingender Stimme.

Rüdiger seufzte.

„Hör es Dir doch erst mal an, ja?"

„Na gut, okay."

„Einer meiner Freunde besitzt in Hamburg eine Galerie und stellt dort, neben normaler Kunst, auch erotische und sadomasochistische aus. Dort sollen jetzt auch Vorträge zu diesem Thema abgehalten werden, nur ist leider derjenige, der dafür vorgesehen war, in letzter Minute abgesprungen."

Thao ahnte sofort worauf er hinauswollte.

„Und das soll jetzt ich machen? Rüdiger, echt jetzt? Das ist doch Scheiße! Du weißt doch genau, dass ich mit Menschen nicht gut klarkomme."

Rüdiger lachte.

„Du bist doch Sozialarbeiterin, oder nicht? So schlimm kann es also nicht sein. Und ganz ehrlich, Thao, du bist klug, kannst dich einwandfrei artikulieren, wenn du es denn möchtest, und besitzt ohne Zweifel die nötige Kreativität. Vier Sitzungen und ich habe die Zeit überbrückt."

„VIER?!"

Rüdiger seufzte erneut. Eigentlich hatte er auch nicht daran geglaubt, Thao für seine Pläne gewinnen zu können. Dabei schien sie ihm die ideale Besetzung zu sein.

„Ist okay. Ich muss dann halt weitersuchen."

Seine Stimme klang ehrlich enttäuscht. Thao wurde richtig wütend. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn sie sich für etwas schuldig fühlen musste.

„Oh Mann, das ist doch voll Kacke! Gut, ich mach´s ja. Und worum geht's da genau?"

Rüdiger konnte sein Glück zunächst kaum fassen.

„Wirklich, Thao? Oh mein Gott, Mädchen, Du weißt gar nicht, wie groß der Gefallen ist, den du mir damit tust."

Seine überschwängliche Freude kannte kein Halten mehr.

„Einfach eine kleine Einführung zum Thema BDSM. Du erklärst, was die Abkürzung bedeutet, erzählst über die Szene an sich und darüber, was es den Menschen bringt, SM zu praktizieren. Du kennst dich doch damit bestens aus, Thao. Es gibt da niemand, der besser geeignet wäre."

„Jetzt schleim nicht rum! Also wann?"

„Montagabends. Ich weiß, das ist dein freier Tag, aber es wäre wirklich nur viermal. Okay?"

„Ja. Ach Mann, dabei wollte ich doch nur wissen, wie es euch geht."

Rüdiger spürte, wie sehr sich die Tochter seiner Freundin mit diesem Gefallen quälte.

„Ich glaube, es wird dir sogar Spaß machen. Ich kenne das doch bei dir. Du steigerst dich jetzt rein, wie blöd das alles ist, und dann stellst du fest, dass es richtig gut wird. War doch bei deiner Arbeit auch nicht anders, richtig?"

„Ach lass mich in Ruhe! Schick mir die Adresse und die Telefonnummer von dem Typen."

Sie ließ sich nochmals ihre Mutter geben, um auch diese mit Vorwürfen zu überhäufen, dann hatte sie genug, legte auf und sah auf den schlafenden Spitz in ihrer Armbeuge herunter.

„Du bist genauso ein Arschloch! Ihr nutzt mich alle nur aus."

Sie streichelte dem kleinen Fellknäuel über den Nacken, dann schloss sie selbst für einen kurzen Moment ihre Augen.

Straßenleben

„Weeste det is mir jetzt so wat von wurscht, wa!?! Du gibst mir de Fluppe zurück, sonst hau ick dir ens auf die Zwölf."

Charlett stieß den verwahrlosten Jungen vor die schmächtige Brust.

„Dann lass sie halt nicht fallen, du Schlampe!"

„Wart nur, bis du eingeschlafen bist, dann kack ich dir nen Haufen in die Fresse, du verficktes Arschloch."

Riko schien nicht wirklich beeindruckt, zog nochmals an der Kippe und schnippte sie in hohem Bogen in eine Wasserlache, direkt vor die schwarzen Springerstiefel einer Punkerin.

„Hier, Charlett! Nimm meine, ich wollte eh aufhören."

Sie warf dem Mädchen in der grünen Bomberjacke eine angebrochene Zigarettenschachtel zu.

„Und wenn dir der Typ Ärger macht, sag´s nur, dann gibt's Dresche."

„Von dir? Was gehst du mich denn so blöd an, du Möse?"

Dimitri mischte sich ins Gespräch ein, ihn schien die Punkerin sehr zu interessieren. Er betrachtete sie eingehend, dann wandte er sich an seinen Kumpel.

„Lass sie in Ruhe, Riko. Sie hat mir vor ein paar Tagen eine Bleibe gesucht. Wo warst du da? Ich habe dich in der Unterkunft nicht gefunden."

Thao warf dem jungen Russen einen Blick zu, dann lehnte sie sich neben Charlett an die Wand. In der alten Fabrik war es zwar kaum wärmer als im Freien, doch zumindest zog es nicht und auch das Dach war soweit intakt, dass es vor Regen und Schnee schütze.

„Warum hast mich denn gesucht?"

„Na ich dachte, wir hängen zusammen ab."

Thao musterte den Jungen in seinem speckigen Mantel.

„Nee. Da biste mir wohl zu fein."

Charlett lachte, während Dimitri sich neben sie setzte.

„Du fasst mich aber nicht an, okay?"

Der Obdachlose schüttelte den Kopf.

„Du hast dort nicht gepennt, oder?"

Die Punkerin schüttelte den Kopf.

„Nee, ich habe dir doch von der Bude erzählt, oder nicht? War geil, hab mal wieder in einem richtigen Bett geschlafen."

Dimitri stank erbärmlich. Wie es schien, hatte er in der Unterkunft weder seine Sachen noch sich selbst gewaschen. Das war eines der Dinge, mit denen Thao sehr schlecht klarkam, sie selbst war überaus ordentlich und pflegte ihren Körper penibel. Umso mehr musste sie sich für ihren Job verbiegen.

„Und der Sack, war er noch da?"

Dimitri blickte nachdenklich zu der neben ihm lehnenden jungen Frau auf.

„Einen komischen Freund hast du da. Er hat mir Essen für zwei Tage mitgegeben, dabei kannte er mich gar nicht."

Das Mädchen zuckte mit ihren Achseln.

„Hat er bei mir auch schon gemacht. Wollte mich wahrscheinlich nur flachlegen, dieser Wichser."

Sie lachte abfällig, beinahe ein wenig hysterisch.

Charlett warf einen angewiderten Blick auf Riko. Der Junge war ihr vorhin schon ziemlich auf die Pelle gerückt. Dabei hatte sie keine Gummis dabei, selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich ihm unter allen Umständen verweigert.

„Warst du eigentlich auf der Schule, Dimitri?"

Der Junge drehte sich erstaunt zur Seite. Auch Charlett und Riko bedachten ihn mit fragenden Blicken.

„Ja. Mittlere Reife. Warum?"

Die Punkerin grinste.

„Und da lebst du auf der Straße, wenn du ein Klugscheißer bist?"

Gelächter wurde laut, selbst Dimitri fiel mit ein.

„Hab dir doch schon erzählt, dass ich abgehauen bin. Und Freunde habe ich nicht, die mich bei sich schlafen lassen."

Er grinste schief und zeigte seine Zahnlücken.

„Zumindest keine mit Wohnung."

Schallendes Gelächter brach sich an den Wänden der kahlen Fabrikhalle.

„Kannst doch zu Herbert gehen. Ist zwar so ein Arsch vom Amt, aber sonst ganz in Ordnung. Nicht so eine falsche Made, wie die anderen."

Dimitri schüttelte den Kopf.

„Was ist denn mit dir los? Woher kennst du solche Pfosten?"

Auch Charlett und Riko blickten Thao mit einiger Verwunderung an. Auch sie empfanden ihren Einwurf als seltsam.

„Hey? Was ist denn los? Denkst du, ich bin erst seit gestern auf der Straße? Wieso das Leben kompliziert machen? Ich nehme mir halt an Hilfe, was ich bekommen kann."

Sie fischte aus ihrer Jacke eine Packung mit schwarzen Kaugummis heraus.

„Magst auch einen, du Arschgesicht?"

Dimitri nickte und griff nach dem Streifen, welchen sie ihm reichte. Auch Charlett und Riko nahmen das Angebot bereitwillig an.

„Fuck, ist das kalt."

Charlett musterte das Punkermädchen neugierig von der Seite. Ihr schien es besser zu gehen als ihnen, zumindest deuteten ihre Klamotten darauf hin. Nicht gerade neu, aber ziemlich gut in Schuss. Was man wohl dafür bekommen würde?

„Schläfst du hier bei uns?"

Die Punkerin blickte Charlett neugierig an.

„Nee, warum auch? Hab doch gesagt, ich kann zu einer Bude gehen."

Für einen Moment blieb es still in der alten Fabrik, nur der Wind zog pfeifend durch die Mauerrisse und zerschlagenen Fensterscheiben.

„Jule?"

Thao wandte sich zu Dimitri um.

„Häh?"

Der Junge grinste.

„Sag mal ... ist das Öl auf dem Leder?"

Die Punkerin nickte.

„Ja, warum? Willst dran lecken?"

Dimitri lachte.

„Was ist das denn für eine Bude? Meinst, ich kann da auch pennen?"

Thao schien zu zögern.

„Weiß nicht. Bin froh, dass ich dort die Tage ne Bleibe hab."

Riko neigte seinen Kopf zur Seite.

„Du lügst doch. Wer Kippen hat und Öl auf seine Jacke kippt, geht nachts auf den Strich."

Dimitri blickte die Punkerin fragend an. Es war nichts Ungewöhnliches und wäre eine Erklärung gewesen.

„Ach fick Dich! Ich hau jetzt ab."

Sie stieß sich von der Wand ab, doch der Straßenjunge an ihrer Seite hielt sie zurück.

„Und?"

Thao zögerte.

„Na gut. Komm mit."

Thao warf Charlett und Riko besorgte Blicke zu.

„Lass sie ja in Ruhe, du Schwein."

Der Angesprochene grinste breit.

„Klar lasse ich sie in Ruhe, aber erst, wenn sie mich nachher dran gelassen hat."

Charlett trat nach ihm, zeigte allerdings keinerlei Anstalten, sich Thao und Dimitri anzuschließen.

Enttarnt

Dimitri sah ungläubig die Fassade eines Mietshaus hinauf, welches sich mit fünf Stockwerken vor ihm auftürmte. Jule trat indessen an die Haustür und drückte auf eine der vielen Tasten, welche, nebst Namen, im Klingelschild eingelassen waren.

„Ja?", klang eine raue Männerstimme aus einem kleinen Lautsprecher.

„Ich bin es, kann ich wieder bei euch pennen? Hab aber noch jemanden dabei.

„Ich dachte, du kommst allein."

„Wir können uns auch wieder verpis ..."

Der Öffner in der Haustür klickte, worauf sich das Punkermädchen gegen sie warf, um sie zu öffnen. Sie mussten die Stiege in zweite Stockwerk hinaufsteigen und blieben vor einer alten mit Milchglas verzierten Eingangstür stehen.

Dimitri blickte sich verwundert um. Diese Jule hatte ihn zu einer gutbürgerlichen Wohnung geführt. Sofort stieg Misstrauen in ihm auf und so blickte er fragend zur Seite. Schon setzte er zu einer Frage an, als sich die Tür öffnete und ein ziemlich verschlagen wirkender Typ vor ihnen aufbaute.

„Gehört etwa dir diese Bude?", fragte er verwirrt.

Der stämmige Mann mit dem seltsamen Rockerhaarschnitt nickte.

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