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Tradition und Ehre

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»Nee Danke, ich habe gerade erst einen Apfel gegessen«, lehnte ich dankend ab.

Sie stellte den Korb auf den Boden und fragte: »Möchtest du dich nicht einen Moment zu uns setzten?«

Ihr Blick hatte nicht direkt etwas Flehendes, aber ich hatte den Eindruck, dass ihr gerade sehr nach Gesellschaft war. Ich freute mich über das Angebot, nahm neben ihr Platz und fragte sie lächelnd: »Kommt ihr öfter hier zum Spielen?«

»Fast jeden Tag, wenn es nicht regnet. Das hier ist der einzige Spielplatz in der Nähe.«

»Gehst du immer, oder auch manchmal auch deine Eltern?«

»Meistens ich. Sie sind beide berufstätig. Nach der Schule hole ich die Kleinen aus der Kita ab und zusammen haben wir drei dann Mittagessen. Während die zwei einen Mittagsschlaf halten, erledige ich meine Hausaufgaben. Anschließend spiele ich mit ihnen. Entweder drinnen oder hier draußen.«

»Wow. Das klingt anstrengend! Und wann triffst du dich mit deinen Freundinnen oder Freunden?«

»Wir wohnen noch nicht so lange hier. In meiner neuen Schule habe ich kaum jemand richtig kennengelernt, weil ich mich ja um meine Geschwister kümmern muss.«

Allmählich verstand ich, warum sie einen so niedergeschlagenen Eindruck machte. Ich konnte nicht glauben, dass sie so wenig Freiheiten besaß, daher hakte ich nochmals nach: »Und wann machst du mal etwas für dich?«

»Im Moment gibt es da nicht viel. Früher bin ich oft reiten gewesen. Das geht aber hier in der Gegend nicht. Und zum anderen sind die zwei Kleinen da, um die ich mich kümmern muss.«

»Und gehst du ab und zu mal abends weg, ins Kino oder in die Disco?«

»Eigentlich nicht. Ab und zu mit meinen Eltern in die Oper. Dann haben wir einen Babysitter für die Kleinen.«

Mir war nicht klar, was hier ihr eigener Wille war, oder was sie tat, weil es von ihr erwartet wurde. Ich wollte ihr aber zu diesem Zeitpunkt keine tiefergehenden, persönlichen Fragen stellen. Dafür kannte ich sie zu wenig und mir kam dies zu aufdringlich vor. Stattdessen fragte ich: »Und wenn du jetzt nicht mehr reiten gehst, hast du andere Hobbys?«

»Zu Sonstigem bleibt mir nicht viel Zeit. Abends lese ich meistens noch etwas. Und was machst du sonst, Max?«

»Die letzten zwei Jahre nicht viel. Klar, wegen der Pandemie. Aber davor hab ich Tischtennis im Verein gespielt und sonst viel mit Freunden gemacht.«

Als ich das Letzte gesagt hatte, senkte sie ihren Blick erneut zu Boden, als ob es ihr unangenehm wäre, dass ich das erwähnte. Die Traurigkeit von vorher war zurück. Was hatte ich nur Falsches gesagt? Warum ist sie traurig, wenn ich davon erzähle, dass ich viel mit Freunden gemacht hatte? -- Ich Idiot! -- Weil das genau das war, was sie nicht hatte. Schon wieder ein Fettnäpfchen gefunden!

Ich versuchte sie aufzuheitern: »Hast du noch Kontakt zu deinen Freunden, wo du vorher gewohnt hast?«

»Nicht wirklich. Anfangs hatten wir ein paar Mal telefoniert. Das ist aber eingeschlafen, da wir uns nicht mehr gesehen haben. Es ist einfach zu weit weg.«

»Verstehe. Es tut mir leid.«

Sie schaute auf und nickte mir mit einem traurigen Lächeln zu.

Ich hätte mich gerne mit ihr weiter unterhalten. Ein Blick auf die Uhr sagte mir jedoch, dass ich zurück zum Schreibtisch musste. Meine Pause war schon länger geworden, als ich geplant hatte.

»Kimiko, es tut mir leid. Ich wäre gern noch ein wenig geblieben. Ich muss aber echt noch was tun.«

»Ja, das verstehe ich. Mein Chemiebuch liegt auch noch da. Es war nett, mit dir zu sprechen.«

»Fand ich auch! Seid ihr morgen wieder auf dem Spielplatz?«

»Wenn's nicht regnet, wonach es im Moment nicht aussieht, bestimmt.«

»Darf ich dann wieder helfen, Anschwung zu geben?«

Sie schaute mich überrascht an und um ihre Augen hellten sich ihre Gesichtszüge ein klein wenig auf. Sie nickte und sagte: »Bring aber wieder viel Zeit mit. Du weißt, dass es länger dauern kann.«

»Das ist doch nicht lange gewesen. Außerdem hat es mir Spaß gemacht. Es ist lange her, dass ich mal auf einem Spielplatz war. Bis morgen, Kimiko!«

»Bis morgen, Max!«

Ich stand auf und ging zurück zum Haus. Bevor ich um die letzte Ecke bog, blickte ich mich nach ihr um. Sie sah mir nach und schenkte mir ein Lächeln zum Abschied. Ich nickte ihr zu und bog ab. In meinem Zimmer an meinem Schreibtisch sitzend, sah ich zu ihr hinunter. Sie gab den Kindern etwas aus dem Korb und vertiefte sich dann in ihr Chemiebuch.

Obwohl ich mehr von ihr erfahren hatte, als sie von mir, war sie für mich weiterhin ein rätselhaftes Mädchen. Ich strengte mich an diesem Tag besonders an, denn der Ehrgeiz hatte mich gepackt, am nächsten Tag guten Gewissens mehr Zeit mit ihr verbringen zu können.

Sie ging gegen Mittag mit ihren Geschwistern zurück und erst am Abend sah ich sie wieder. Sie saß arbeitend an ihrem Schreibtisch.

Sonntag, 17. Oktober 2021

Ich war erneut früh auf den Beinen und meine Eltern wunderten sich über mich. Sie meinten, dass sie sich an keinen Sonntag erinnern würden, an dem ich dermaßen früh aufgestanden wäre. Ich erklärte ihnen, dass ich weiter für die Arbeit lernen wollte, was sie wohlwollend quittierten. An diesem Morgen konnte ich es etwas gelassener angehen, da ich den Großteil bereits am gestrigen Nachmittag erledigt hatte. Regelmäßig hielt ich nach Kimiko und ihren Geschwistern Ausschau. Etwa zur gleichen Zeit wie gestern bogen sie in den Weg ein und gingen zum Spielplatz.

Sofort sprang ich auf und eilte die Treppen hinunter. Unten angekommen zügelte auf den letzten Meter meine Schritte, denn ich wollte nicht außer Atem bei ihr erscheinen. Am Spielplatz angekommen begrüßte sie: »Guten Morgen, Kimiko!«

»Guten Morgen, Max! Nett, dass du gekommen bist!«

»Wie geht es euch? Bist du gestern gut durch Chemie gekommen?«

»Eigentlich schon. Und bei dir?«

»Ich habe gestern den Großteil geschafft.«

»Das ist gut für dich!«, sagte sie und freute sich augenscheinlich für mich.

»Du hast gestern aber noch lange am Schreibtisch gesessen.«

»Woher weißt du das?«

»Ich kann dich von meinem Schreibtisch aus sehen, wenn du an deinem sitzt.«

»Ach so, das wusste ich gar nicht.«

»Mein Zimmer liegt genau gegenüber, ein Stockwerk höher. Ich ... ich wollte dich nicht beobachten. Mir ist es nur aufgefallen.«

»Ja«, sagte sie, »ich sitze abends oft noch am Schreibtisch.«

»Ist das wegen deiner Eltern?«, fragte ich.

»Wie meinst du das?«

»Du hast gestern erzählt, dass sie wollen, das du gute Noten schreibst.«

»Ja, auch. Und weil ich am Tag wegen der Kinder wenig Zeit zum Lernen habe.«

»Meine Eltern haben mir zum Glück nicht so einen Druck gemacht. Solange ich keine Vieren nach Hause gebracht habe, war alles gut.«

»Bei euch wird vermutlich nicht so auf Tradition und Ehre in der Familie geachtet?«

»Wie man es nimmt. Traditionen gibt es schon. Mein Vater und mein Großvater sind beide Elektriker gewesen und da war es naheliegend, dass ich das auch lerne. Aber das Wort Ehre? -- Ich kann mich nicht erinnern, dass es einmal gefallen ist.«

»In Japan, wo meine Eltern herkommen, geht die Ehre der Familie über alles.«

»Heute auch noch? Ich habe gedacht, das ist etwas aus der Zeit der Samurai.«

»Es hat sich im Lauf der Zeit verändert. Heute nutzt keiner mehr ein Messer oder Schwert für Seppuku.« Sie zögerte kurz, wie um sich zu vergewissern, dass mir der Begriff für den rituellen japanischen Selbstmord geläufig wäre. Als ich nickte, fuhr sie fort: »Aber je nachdem, wo man her kommt und was man erreichen will, bedeutet Ehre sehr viel.«

»Und wenn du schlechte Noten nach Hause bringen würdest, dann wäre die Ehre der Familie verletzt?«

»Ja, zum Teil. Es würde auf meine Eltern zurückfallen ...«

»Und wie fühlst du dich dabei?«

»Die Frage stellt sich mir nicht. Ich muss meine Eltern ehren und wenn sie etwas wollen, dann muss ich es tun«, erklärte sie.

»Hmm.«

»Das war bei ihren Eltern und Großeltern bereits so. Es wird von Generation zu Generation weitergegeben. Das ist ein Teil der Tradition.«

»Bei uns ist Tradition auch wichtig und schön, solange jeder damit einverstanden ist. Wenn ich ein anderes Handwerk hätte lernen wollen, dann wäre das aber ebenfalls okay gewesen.«

»Dein Vater wäre nicht enttäuscht gewesen, wenn du die Tradition nicht weiter geführt hättest?«

»Er hätte mit mir darüber gesprochen und wenn ich ihm gute Gründe hätte nennen können, dann wäre er damit einverstanden gewesen. Ihm ist wichtiger, dass ich auf eigenen Beinen stehen, glücklich bin, mit dem was ich tue, und dass ich später meine Familie ernähren kann.«

In diesem Moment kamen Anzu und Taiki angerannt und forderten uns auf, sie auf der Schaukel wieder anzustoßen. Wir gingen mit ihnen und gaben ihnen Anschwung.

Nach einer Weile fragte ich die Kinder: »Habt ihr schon einmal zusammen geschaukelt?«

»Ne, geht das denn?«, fragten sie.

»Ja. Und es kann auch viel Spaß machen«, sagte ich. »Wenn Kimiko zustimmt, könnt ihr es einmal ausprobieren.«

Sie nickte mir zu.

»Anzu, du bist die Ältere?«

»Ja, bin ich. Ich bin schon vier! Er ist erst drei.«

»Gut. Taiki, dann bleib du sitzen und halte dich gut fest. Jetzt hebt Kimiko Anzu hoch und stellt sie hinter Taiki auf die Schaukel. -- Aber auch du, gut festhalten!«

Bald befanden sich beide auf der Schaukel. Kimiko und ich blieben neben den beiden stehen, gaben ihnen ein wenig Anschwung und passten auf, dass keiner herunter fiel. Nach einer kurzen Weile fühlten sie sich sicherer und wir mussten nicht jeden Moment damit rechnen, helfend einzugreifen.

Mir kam eine Idee und ich fragte: »Soll ich ein Bild von euch machen?«

»Au ja!«, riefen sie.

»Darf ich?«, fragte ich Kimiko.

»Ja klar, wenn du möchtest.«

Ich nahm mein Smartphone heraus und machte einige Aufnahmen.

»Könnt ihr auch so schaukeln?«, fragte Anzu nach einer Weile.

Im ersten Moment war ich peinlich berührt und schaute schüchtern zu Kimiko. Ihr schien es ähnlich zu gehen.

»Erwachsene schaukeln nicht mehr«, meinte ich ausweichend.

»Warum denn nicht?«, fragte Anzu. »In der Krippe sind die Erzieherinnen auch oft auf der Schaukel.«

»Was ist?«, fragte ich Kimiko. »Sollen wir den Kindern den Gefallen tun?«

»Ja, können wir. Aber nur kurz! Und ihr müsst in der Zeit von der Schaukel runter. Ich möchte nicht, dass einer von euch währenddessen 'runterfällt.«

Bevor Anzu einer von uns helfen konnte, sprang sie von der Schaukel und lief auf mich zu.

»Soll ich dann auch ein Foto von euch machen?«, fragte sie mich.

»Kannst du das denn schon?«, fragte ich.

»Klar. Mit Mamas Telefon habe ich schon Bilder gemacht.«

Ich blickte zu Kimiko hinüber, die sich bereits auf die freie Schaukel gesetzt hatte, und sie gab mir nickend ihre Zustimmung. Ich schaltete die Kamera ein und gab Anzu das Gerät. Anschließend stellte ich mich hinter Kimiko, ergriff sie Ketten der Schaukel mit beiden Händen und stellte mich hinter sie auf das Brett.

Anzu hielt mein Smartphone hoch und machte das erste Bild.

»Mach ruhig ein paar mehr, falls das Erste nichts geworden ist«, forderte ich sie auf.

Ich hörte mehrfach den Auslöser der Kamera.

»Magst du eigentlich auch schaukeln?«, fragte ich Kimiko.

»Warum fragst du?«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, begann ich, uns Schwung zu geben.

»Was machst du?«, rief Kimiko, sah zu mir hoch und ein Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Ich grinste zurück und gab uns noch mehr Schwung. Sie begann laut zu lachen und lehnte sich an meine Beine. Ich wusste nicht, ob sie sich dieser Geste bewusst war. Für mich bedeutete sie in diesem Moment, dass sie bei mir Halt suchte. Mir vertraute! Es fühlte sich für mich in dem Moment toll an!

Es schien ihr immer mehr Spaß zu machen, denn sie beteiligte sich dabei, noch höher zu schaukeln. Bald waren wir so hoch, wie es die Schaukel zuließ. Die Kinder schauten uns mit großen Augen zu. Irgendwann ließen wir die Schaukel ausschwingen und Anzu machte in der Zeit weitere Bilder. Als die Schaukel zur Ruhe gekommen war, stiegen wir ab. Kimiko drehte sich um und schaute mich an. Sie hatte so viel gelacht, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie wirkte auf einmal wie ein ganz anderer Mensch. Vor mir stand eine bildhübsche junge Frau, die über beide Ohren strahlte.

»Das war aber hoch!«, riss Taiki mich aus meinen Gedanken.

Mir wurde bewusst, dass ich Kimiko die ganze Zeit angestarrt hatte, und ich wandte mich peinlich berührt ihrem Bruder zu: »Um so hochschaukeln zu dürfen, müsst ihr noch etwas älter werden«, erklärte ich ihm.

»Sind meine Bilder etwas geworden?«, fragte Anzu.

»Dann lass uns doch mal sehen«, sagte ich und nahm mein Telefon entgegen. Ich kniete mich in den Sand, öffnete die Bildergalerie und blätterte zu dem ersten Bild, welches ich gemacht hatte. Die zwei Kleinen stellten sich rechts und links neben mich und schauten auf mein Gerät. Kimiko war hinter mich getreten.

»So, da seid ihr«, sagte ich und wischte durch die einzelnen Bilder.

»Und da seid ihr«, rief Anzu.

Bei dem ersten Bild fehlte etwas von meinem Kopf und beim Zweiten waren ihre Beine abgeschnitten. Das dritte Bild hatte uns besser eingefangen. Zum Ende hatte sie eine sehr schöne Aufnahme von uns gemacht.

»Soll ich dir die Bilder schicken?«, fragte ich Kimiko.

»Ich habe kein Smartphone.«

»Okay«, sagte ich gedehnt. »Ich könnte sie dir auch per Mail schicken.«

»Das möchte ich nicht, denn dann würden meine Eltern sie sehen.«

Ich wollte schon fragen, was denn dabei wäre, wenn ihre Eltern diese Bilder sehen würden. Doch ich besann mich, nicht nachzufragen, da ich den Eindruck hatte, ich würde einen heiklen Punkt berühren. Daher sagte ich: »In Ordnung.«

Sie schien froh darüber zu sein, dass ich ihre Bitte nicht in Frage stellte, und sie wandte sich an ihre Geschwister: »Und ... macht Schaukeln hungrig? Wollt ihr jetzt Obst?«

»Oh, ja!«, riefen sie und rannten zur Bank mit dem Korb.

Kimiko öffnete die Dose, die heute mehr Stücke als gestern enthielt, und bot den Kleinen als Erstes etwas an. Danach fragte sie mich: »Möchtest du auch?«

Ich nahm dankend an und wir aßen alle von den geschnittenen Apfelstücken. Die Kinder wollten schon wieder losrennen, doch Kimiko rief sie zurück: »Erst aufessen, dann spielen!« Sie kamen zurück und stopften sich die letzten Stücke in den Mund. »Oh, ihr Rabauken!«, rief sie. »Ab mit euch!«

»Die sind schon süß, die zwei«, meinte ich und sah ihnen nach.

»Ja. Sind sie!«

Wir saßen länger auf der Bank und unterhielten uns. Ich erfuhr von ihr, dass sie gerne historische Romane las und klassische Klaviermusik hörte. Die Zeit verging für meinen Geschmack viel zu schnell, denn sie sagte nach einer Weile, dass sie jetzt zurück müssten.

»Können wir uns wiedersehen?«, fragte ich sie beim Aufbruch.

»Ja, gerne. Wir sind die nächsten Tage am Nachmittag bestimmt wieder hier.«

»In der Woche geht es bei mir nicht«, sagte ich. »Entweder habe ich Schule oder ich bin im Betrieb. Meistens komme ich da erst gegen sechs Uhr abends raus. Wir haben im Moment im Betrieb tierisch viel zu tun.«

»Dann werden wir nicht mehr hier sein«, sagte sie mit Bedauern in der Stimme.

»Und am nächsten Wochenende?«, fragte ich.

»Das geht natürlich!«

»Dann freue ich mich auf nächsten Samstag. Ich komm' einfach runter, wenn ihr hier seid.«

»Das wäre schön«, sagte sie, »ich freue mich!«

»Ich freue mich ebenfalls, Kimiko!«, sagte ich und strahle sie an.

»Jetzt müssen wir aber wirklich los«, sagte sie und winkte mir zu.

Ich winkte ihr zurück und blieb so lange stehen, bis sie außer Sichtweite waren. Langsamen Schrittes ging ich zurück und dachte mit fröhlichem Herzen an die vergangene Stunde. Ich ging verträumt die Treppe hinauf und bekam nur mit halben Ohr mit, wie mich eine Nachbarin grüßte. In meinem Zimmer überspielte ich die Bilder auf meinen Laptop und schaute sie mir auf dem großen Bildschirm an. Eines der letzten Bilder, das Anzu gemacht hatte, war in der Tat wunderschön geworden. Als ich an den Moment des gemeinsamen Schaukelns zurückdachte, wurde mir warm ums Herz. Kimiko war eine traumhaft süße Maus und ich wollte sie unbedingt wiedersehen. In der Vergangenheit hatte ich mich schon das ein oder andere Mal in ein Mädchen verguckt. Aber das mit Kimiko fühlte sich anders an. Gut anders!

Montag, 18. Oktober 2021 -- Freitag, 22. Oktober 2021

Am Montag schrieb ich die Mathearbeit, die nach meinem ersten Eindruck gut verlief. Die Woche über dachte ich immer wieder an sie und abends lud ich das Bild auf den Bildschirm meines Laptops und schaute es mir länger an. Ich konnte es nicht mehr leugnen. Ich war verknallt in sie -- bis über beide Ohren! Abends schaute ich regelmäßig zu ihrem Fenster und ich sah sie oft an ihrem Schreibtisch sitzen. Ich freute mich riesig auf das nächste Wochenende und sehnte den Samstagmorgen herbei. Nachdem es Mitte der Woche üppig geregnet hatte, hoffte ich, dass das Wetter mitspielen würde.

Samstag, 23. Oktober, 2021

Endlich war es so weit und ich saß an meinem Schreibtisch und wartete, dass sie zum Spielplatz kamen. Die Zeit verstrich und sie erschienen nicht. Ich wartete den gesamten Vormittag und bis in den Nachmittag hinein. Sie kamen nicht. Ich vermutete, dass etwas dazwischengekommen war, und dass sie stattdessen am Sonntag kommen würden.

Sonntag, 24. Oktober, 2021

Doch auch heute kamen sie nicht zum Spielplatz! Ich begann, mir Gedanken zu machen. Entweder war etwas passiert, vielleicht war ein Kind krank geworden oder sie wollte mich nicht wiedersehen. Letzteres konnte ich mich nicht vorstellen -- so, wie wir uns verabschiedet hatten. Wie könnte ich mehr erfahren, fragte ich mich -- anrufen? Das wäre weniger aufdringlich, als bei ihnen zu klingeln. Sie hatte mir nie ihren Nachnamen genannt. Ich überlegte mir, dass ein japanischer Name am Klingelschild auffallen müsste. Daher ging ich am Abend zu der Haustür des gegenüberliegenden Hauses und las alle Namensschilder. Wie ich es erwartet hatte, gab es einen japanischen Namen. Dies brachte mich kein Stück weiter, da an der Adresse im Telefonbuch im Internet keine Nummer unter diesem Namen eingetragen war. Ich ging nachdenklich zurück und grübelte, wie ich herausfinden könnte, was los war. Ich beschloss, sie an einem der nächsten Tage in der Schule aufzusuchen. Sie hatte gesagt, dass sie einen Chemieleistungskurs besuchen würde. Demnach ging sie höchstwahrscheinlich in das nächstgelegene Gymnasium. Von der Homepage der Schule lud ich mir die Stundenpläne herunter und erfuhr, wann die Stunden des Leistungskurses der dreizehnten Klasse waren. Ich hatte so viele Überstunden, dass mein Chef mir mit Sicherheit einmal gestatten würde, erst mittags in den Betrieb zu kommen.

Mittwoch, 27. Oktober 2021

Nach Rücksprache im Betrieb fuhr ich vormittags in die Schule und erkundigte mich bei einem Schüler, wo der Chemieraum lag. Etwas abseits der Tür wartete ich auf das Ende der Stunde. Währenddessen legte ich mir zurecht, wie ich sie ansprechen wollte. Je näher das Ende der Stunde kam, desto aufgeregter wurde ich und bekam Herzklopfen. Was wäre, wenn sie tatsächlich nichts mehr von mir wissen wollte? Dann würde ich mich in diesem Moment zum ›Vollhorst‹ machen. Es war mir egal! Ich wollte sie wiedersehen!

Es klingelte und bald verließen die ersten Schüler den Chemieraum. Kimiko kam in einer Gruppe von Mitschülern aus dem Raum heraus. Ich trat einen Schritt vor, sie sah mich und blieb überrascht stehen. Die anderen gingen um sie herum weiter. Sie schaute sich um, bevor sie auf mich zu ging.

»Was machst du denn hier, Max?«, fragte sie.

»Ich wollte wissen, wie es dir geht. Du bist am letzten Wochenende nicht auf den Spielplatz gekommen.«

Was jetzt passierte, konnte ich später kaum in Worte fassen. Tränen schossen in ihre Augen und sie kam langsam auf mich zu.

»Ich ... ich ...«, begann sie leise, »ich ... ich darf dich nicht wiedersehen.«

Ich war wie vom Donner gerührt. Ich trat einen Schritt auf sie zu und legte ihr sanft meine Hände auf die Oberarme.