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Tradition und Ehre

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»Aber warum denn nicht?«, fragte ich.

»Weil ich ..., weil ich ...«, begann sie zu schluchzen und blickte zu mir auf, »weil ich bereits einem anderen versprochen bin.«

»Was?!«, rief ich und verstärkte den Griff an ihren Armen.

»Ja, meine Eltern haben mich am vorletzten Wochenende zur Rede gestellt, nachdem die Kleinen von unserem gemeinsamen Schaukeln gesprochen haben.«

Sie ließ wieder ihren Blick sinken und schluchzte weiter. Ich fand, mitten im Flur war kein passender Ort für unser Gespräch. Daher zog ich sie ein wenig mit mir, bis wir abseits in einer Nische ungestörter waren.

»Sie haben für dich schon einen Mann ausgesucht?«, wiederholte ich das soeben gehörte, was ich nicht glauben konnte.

»Ja. Sie haben es scheinbar schon länger geplant, es mir aber verheimlicht. Ich muss sie mit unserem Schaukeln so aufgebracht haben, dass ihnen das vor Aufregung rausgerutscht ist.«

»Und ... willst du ihn heiraten?«

»Ja, nein! -- Ich kenne ihn noch nicht einmal. Es ist irgendein Sohn von einem hohen Tier in dem Konzern, in dem mein Vater arbeitet.«

»Und warum wehrst du dich nicht dagegen?«, fragte ich.

»Das verstehst du nicht. Ich habe meinen Eltern zu gehorchen. Diese Heirat wäre eine große Ehre für unsere Familie.«

»Ich dachte, so etwas gab es nur im Mittelalter zwischen verschiedenen Königshäusern. Aber nicht mehr heute!«

»In Japan kommt das heute auch noch vor.«

»Und wann soll das passieren?«

»Ich mache hier noch mein Abitur und dann soll bald die Hochzeit stattfinden. Der Termin ist im nächsten Sommer.«

»Aber das geht doch nicht! Sie können doch nicht so über dein Leben bestimmen!«

»Doch, das ist ihre Art. Sie organisieren mein Leben, wie ihre Eltern das Ihre organisiert haben.«

»Jetzt verstehe ich einiges. Das ist der Grund, warum du so wenige Freunde hast und weswegen du dich vor allem um deine Geschwister kümmern sollst. Sie wollen damit verhindern, dass du zu viele andere Menschen kennenlernst, geschweige denn einen Freund hast.«

Sie blickte zu mir auf und nickte mit verheulten Augen.

»Ich würde dir so gerne helfen. Ich weiß aber nicht, wie.«

»Du kannst mir nicht helfen. Keiner kann mir helfen«, sagte sie resigniert.

In diesem Moment wirkte sie so unendlich traurig, so allein und verlassen, dass ich nicht anders konnte, als sie in den Arm zu nehmen und fest an mich zu drücken. Sie ließ es geschehen und drückte ihre Wange auf meine Brust. Mir rasten so viele Gedanken durch den Kopf. Fieberhaft suchte ich nach einer Lösung für sie: »Was könnte ich nur tun? Was nur? -- Ich müsste ... ich müsste ... ich müsste erst einmal mit ihr in Kontakt bleiben. Nur wie, wenn sie kein eigenes Telefon besitzt?« Mir kam mein altes Smartphone in den Sinn. Zum Nachrichtenschreiben würde es reichen. Ich erinnerte mich an den Film ›Die Unbestechlichen‹ und in meinem Geist skizzierte ich einen ersten Plan.

»Weißt du, wo mein Zimmerfenster ist?«, fragte ich.

»Du hast gesagt, es ist im vierten Stock, gegenüber von meinem. Aber was hat das hiermit zu tun?«

»Richtig, es ist das Fenster ganz rechts im vierten Stock. Wenn du siehst, dass auf meinem Schreibtisch eine Blume steht -- da steht sonst nie eine -- dann habe ich in den Mülleimer beim Spielplatz einen Umschlag gelegt. Es wird ein Telefon drin sein.«

»Ein Telefon?«

»Ja, mein altes Smartphone. Damit können wir uns Nachrichten schreiben.«

»Ich darf dich aber nicht mehr sehen«, warf sie ein.

»Tust du auch nicht. Wir würden uns nur schreiben.«

»Ich weiß nicht.«

»Ich wäre nichts anderes als ein Brieffreund, obwohl es sowas heute eigentlich nicht mehr gibt.«

»Das könnte gehen. Ich kann von dir aber kein Smartphone annehmen.«

»Warum denn nicht? Wenn du willst, ist es kein Geschenk, sondern nur eine Leihgabe.«

»Und warum willst du mir das geben?«

»Weil ..., weil ich mit dir in Kontakt bleiben möchte. Du darfst es aber niemandem zeigen, nicht deinen Eltern und auch nicht deinen Geschwistern. Es muss unser Geheimnis bleiben!«

»Und wenn es plötzlich klingelt?«

»Das werde ich abschalten. Ich würde dich nie anrufen, sondern dir nur abends Nachrichten schreiben«, beruhigte ich sie.

»Ich weiß nicht. -- Warum willst du das tun?«

»Weil ich dir helfen will.«

»Ich habe doch schon gesagt, dass mir niemand helfen kann.«

»Dann lass mich dir doch wenigstens Nachrichten schreiben!«

Ich drückte sie erneut fest an mich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie erzitterte in meinen Armen und seufzte tief.

Nach einer Weile sagte sie: »Ist gut, wir können es versuchen. Was sollte denn noch Schlimmeres passieren, als eh schon geschehen ist?«

»Gut, denk an die Blume in meinem Fenster! Heute ist Mittwoch. Ich denke, bis Freitag schaffe ich es.«

Sie löste sich aus meiner Umarmung. Mit verquollenen Augen schaute sie mich an und wischte sich die letzten Tränen weg: »Danke, Max! Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Du brauchst gar nichts zu sagen.«

In diesem Moment klingelte es und die kleine Pause nach der vierten Stunden war zu Ende.

»Du, ich muss los! Sonst komme ich zu spät zur nächsten Stunde«, sagte sie und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Mit schnellen Schritten verschwand sie im Flur und war außer Sichtweite.

Langsam ging ich zum Ausgang. Ihre Lippen fühlte ich immer noch auf meiner Wange. Unkontrolliert schossen mir Gedanken durch den Kopf:

Sie hatte mich geküsst!

Ihre Eltern planten, sie zu verheiraten!

Sie hatte wegen mir geweint!

Ich durfte sie nicht wiedersehen!

Sie hatte sich an mich gedrückt!

Wegen meiner scheiß Idee mit dem Schaukeln, konnte ich sie nicht wiedersehen!

Sie hatte zugestimmt, mit mir in Kontakt zu bleiben!

Ich atmete mehrmals tief durch und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Gerade hatte ich doch noch einen Plan.

Wo war der hin?

Warum verwirrte es mich so, dass sie mich geküsst hatte? -- Noch nie hatte mich ein Mädchen geküsst!

Mir fielen Stück für Stück wieder die Details ein und ich überlegte, wie ich vorgehen sollte. Ich hatte noch etwas Zeit, bevor ich im Betrieb erwartet wurde. Ich ging in die Innenstadt und suchte dort mehrere Geschäfte auf. Nach dem Abendessen zog ich mich in mein Zimmer zurück. Ich nahm die Maße meines alten Smartphones und die eines heute neu erworbenen Ladegeräts. Es war das Kleinste, welches ich gefunden hatte. Auf dem Weg in die Innenstadt hatte ich lange darüber nachgedacht, wie Kimiko das Telefon verstecken könnte. Da ich nicht wusste, wie es in ihrem Zimmer aussah, galt es eine Möglichkeit zu finden, die auf jeden Fall sicher war. Schließlich hatte mich der Film ›Die Verurteilten‹ auf die Idee gebracht und ich war als Zweites in eine Buchhandlung gegangen. Dort hatte ich den dicksten historischen Roman als gebundene Ausgabe gekauft, den ich finden konnte. Ich errechnete den Platz, den ich brauchte und schnitt mit einem Cuttermesser aus den Seiten so viel Papier heraus, dass Telefon und Ladegerät darin Platz fanden. Das Smartphone lud ich auf, setzte es später auf die Werkseinstellung zurück, baute die neue SIM-Karte ein, die ich als Drittes erworben hatte, und richtete es ein. Ich installierte die Signal-Messenger App und legte mich als einzigen Kontakt unter einem weiblichen Namen an. Nachdem ich sämtliche Töne und Vibrationsalarme abgeschaltet hatte, kontrollierte ich, dass die Verbindung mit meinem Telefon funktionierte. Zum Schluss schrieb ich einen Brief mit der Hand:

Liebe Kimiko,

Anbei ein Telefon, mit dem wir in Verbindung bleiben können. Die PIN zum Entsperren der SIM-Karte lautet 1802 und zum Entsperren des Geräts ist das Datum -- Tag und Monat -- als wir uns das erste Mal getroffen haben. Wenn du möchtest, kannst du mir Nachrichten per Signal-App über den Kontakt Katharina zukommen lassen. Die PIN der App ist das Datum, als wir uns in der Schule gesehen haben.

Du hältst mich vermutlich für ein wenig verrückt, dass ich das alles tue. Aber ich sehe keinen anderen einfachen Weg, mit Dir in Kontakt zu bleiben.

Liebe Grüße, Deine Katharina.

Ich faltete den Brief zusammen und legte ihn zu den anderen Sachen. Nachdem ich mich in mein Bett gelegt hatte, dachte ich lange über das Zusammentreffen in der Schule nach. Weiterhin war ich überzeugt davon, dass ich ihr helfen wollte.

Aus der Sicht ihrer Eltern ergab alles einen Sinn. Über die Hochzeit ihrer Tochter mit dem Sohn aus einer einflussreichen Familie konnten sie vermutlich in die Kreise kommen, die ihnen sonst verwehrt bleiben würden. Mit der Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmung, die bei uns üblich waren, passte dies nicht zusammen. Ich hatte gehört, dass es solche arrangierten Hochzeiten in patriarchalisch geprägten Gesellschaften heute noch gab. Jedoch hatte ich nicht damit gerechnet, dass in einem hochindustrialisierten Land wie Japan diese Tradition noch gepflegt wurde.

Überhaupt keine Idee hatte ich, wie es jetzt weiter gehen könnte. Aber so gab es für mich wenigstens die Hoffnung, mit ihr im Austausch zu bleiben. Es hatte sich so schön angefühlt, sie im Arm zu halten, und ich hatte den Eindruck, dass es ihr ebenfalls nicht unangenehm war. Sie hatte keinerlei Zeichen von Widerstand gezeigt, als ich sie mit in die Nische gezogen oder später tröstend meine Arme um sie gelegt hatte. Ich war aber auf der anderen Seite so weit Realist, dass ich mir zum jetzigen Zeitpunkt keine große Hoffnung machte. Was soll's, dachte ich mir: Ich hatte einen Traum!

Freitag, 29. Oktober 2021

Tags zuvor hatte ich mich versichert, dass der Akku die Spannung hielt, obwohl er schon drei Jahre alt war. Am Abend hatte ich Telefon und Ladegerät in die Aussparung im Buch gelegt und alles zusammen mit dem Brief in einen dicken Umschlag verpackt.

Zum Erstaunen meiner Mutter lieh ich mir am Freitagmorgen eine Wohnzimmerpflanze aus und stellte sie auf meine Fensterbank. Es war knapp halb sieben morgens, als ich den Umschlag in den Mülleimer am Spielplatz versteckte, mich auf mein Fahrrad schwang und in den Betrieb fuhr.

Den Tag über war ich angespannt, ob Kimiko überhaupt auf meinen Vorschlag eingegangen war und ob nicht jemand anderes den Mülleimer wider Erwarten schon am Freitag, anstatt wie üblich am Montag gelehrt hatte.

Ich ging auf meinem Heimweg am Spielplatz vorbei und schaute beiläufig in den Mülleimer. Er schien nicht geleert worden zu sein und mein Umschlag war ebenfalls fort. In mir keimte die Hoffnung auf, dass sie ihn genommen hatte. Während des Tages hatte ich mir überlegt, dass sie mir vermutlich nicht sofort schreiben könnte, sondern erst später am Abend, zu einer Zeit, bei der sie üblicherweise schon zu Bett gegangen war. So könnte sie das Risiko verringern, mit dem Telefon überrascht zu werden. Mit meinen Eltern aß ich zu Abend, verabschiedete mich anschließend in mein Zimmer und holte unser gemeinsames Bild von der Schaukel auf den Bildschirm. Hierbei fiel mir ein, dass ich es auf ihr Telefon hätte spielen können. Bei einem zweiten Nachdenken verwarf ich den Gedanken, da jeder, der Zugang zu dem Telefon haben würde, es finden könnte, und ich hätte mir die Heimlichkeit mit dem Namen sparen können. Ich legte mein Telefon griffbereit auf meinen Schreibtisch und vertrieb mir die Zeit, mit Surfen im Netz. Gegen zehn machte es: »Pling!«

Ich freute mich schon, dass sie mir geschrieben hätte. Jedoch wurde ich enttäuscht, da die Nachricht von einem Kumpel war, der mich fragte, was ich Samstagabend machen wollte. An etwas anderes als an Kimiko hatte ich die letzten Tage gar nicht mehr gedacht. Ich war unschlüssig. Natürlich hatte ich Lust, mit ihm etwas zu unternehmen. Aber auf der anderen Seite wären vermutlich Freitag und Samstag abends die besten Gelegenheiten, um mit ihr Nachrichten auszutauschen. Da ich keine Vorstellung hatte, ob sie mir schreiben würde, wie lange wir an einem Abend Nachrichten austauschen könnten und so weiter, vertröstete ich meinen Kumpel damit, dass ich ihm Samstagmorgen antworten würde. Ich legte das Telefon wieder zur Seite und starrte auf den Bildschirm meines Laptops. Durch die Sportseiten war ich durch und das Kinoprogramm hatte ich mir ebenfalls angeschaut. Zu anderer Zeit hätte ich die eine oder andere Pornoseite gestreift. An diesem Abend fehlte mir komplett die Lust dazu. Ich schaute aus dem Fenster: In Kimikos Zimmer war es dunkel. Mein Blick wanderte weiter und blieb an den Fenstern des frisch eingezogenen Paares hängen. Im Schlaf- und Wohnzimmer hatten sie inzwischen Vorhänge angebracht. Damit erübrigte sich die Frage, ein weiteres Mal als Spanner unterwegs zu sein.

»Pling!«

Eine neue Nachricht war eingetroffen und diesmal war sie von Kimiko. Mit zitternden Händen und plötzlichem Herzklopfen nahm ich das Smartphone auf und öffnete die Nachricht.

»Hallo, Max!«

Ich schrieb sofort zurück: »Hallo, Kimiko! Wie geht es dir?«

»Gut. Ich bin etwas müde. Ich habe mich nicht getraut, früher zu schreiben. Wie geht es dir?«

»Sehr gut. Ich freue mich, dass du mir schreibst.«

»Ich bin nicht so schnell und vertippe mich häufig.«

»Das ist nicht schlimm. Hier werden keine Noten vergeben. Wie ist deine Chemie-Klausur gewesen?«

»Nicht schwer. Ich habe mich unnötig verrückt gemacht.«

»Das ist doch super!«

»Und bei dir, wie war Mathe?«

»Ganz gut. Nur bei der letzten Aufgabe habe ich mich wahrscheinlich verrechnet.«

»Wenn's nur eine Aufgabe ist, dann ist das nicht schlimm. Oder?«

»Du hast recht.«

Die nächste Nachricht von ihr brauchte einer Weile: »Ich habe mich bisher nicht bedankt. Vielen Dank für das Telefon! Mir kommt es verrückt vor, was du gemacht hast. Das Handy, die Idee mit dem Buch als Versteck und der liebe Brief. Als ich das Buch aufgeklappt habe, bin ich mir vorgekommen wie in einem Spionagefilm. Du hast dich außerdem daran erinnert, dass ich solche Geschichten lese. Wenn ich das Buch in mein Regal stelle, fällt es nicht auf. Du bist echt süß. Nochmals riesengroßen Dank dafür!!!!«

»Es ist mit eine Freude!«

»Aber das kostet doch was pro Monat, oder?«

»Ja, ich habe einen ganz kleinen Vertrag auf meinen Namen abgeschlossen. Ich habe nicht gewusst, ob du eine Prepaid-Karte aufladen könntest.«

»Das kann ich nicht annehmen. Wie kann ich dir das Geld dafür geben?«

»Gar nicht. Es ist nicht ja viel. In etwa zwei Weizenbiere im Biergarten pro Monat. Du kannst damit keine großen Datenmengen 'runterladen. Es wird aber zum Austauschen von Nachrichten reichen.«

»Wenn es nur zwei Biere sind. Dann ist das gerade ok. Vielen Dank nochmals!«

»Mache ich sehr gerne!«

Mit der nächsten Frage wartete sie eine Weile: »Warum machst du das eigentlich?«

Mit dieser Frage hatte ich früher oder später gerechnet. Aber was ich ihr antworten sollte, wusste ich immer noch nicht. Ich zögerte, bis ich schrieb: »Weil ich mich gerne mit dir unterhalte. Vor zwei Wochen auf dem Spielplatz fand ich das sehr nett. Ich hätte dich gerne wiedergesehen. Aber, da das ja nicht geht, dann wenigstens so.«

»Ich fand das ebenfalls schön.«

»Wie geht es Anzu und Taiki?«

»Den beiden geht es gut. Sie haben dieser Tage nach dir gefragt.«

»Wirklich?«

»Ja. Sie sind immer noch beeindruckt, wie hoch wir zusammen geschaukelt haben.«

»Es tut mir immer noch leid!«, schrieb ich. »Hätten wir es nicht getan, dann hätten sie nichts davon erzählt und wir könnten uns weiter sehen.«

»Das stimmt. Früher oder später hätten sie im Beisein meiner Eltern etwas gesagt und es wäre dann rausgekommen.«

»Vermutlich!«

»Außerdem hat es sein Gutes.«

»?«

»Ich habe so erfahren, welche Pläne sie mit mir haben.«

»Warum ist das gut?«

»Ich kann mich darauf vorbereiten und werde nicht plötzlich überrascht«, antwortete sie.

»Du willst dich nicht dagegen wehren?«

»Ich kann nicht!«

Das war ein Punkt, an dem ich sie nicht verstand. Wenn ich sie hier beeinflussen wollte, dann ging das nicht sofort. Dafür würde ich mehr Zeit brauchen.

»OK«, schrieb ich zurück.

»Was machst du morgen?«, fragte sie.

»Ich habe noch keinen wirklichen Plan. Ein Freund hat gefragt, ob wir zusammen los sollen.«

»Das klingt gut. Und?«

»Ja. Ich habe auch Lust.«

»Aber?«

»Ich möchte auch mit dir schreiben«, antwortete ich.

»Das können wir trotzdem tun.«

»Wann machst du denn das Licht aus?«

»Samstags gehe ich meistens nicht früh ins Bett. Oft sehe ich fern oder lese etwas.«

»Wäre elf noch ok?«

»Ja klar!«

»Ich könnte dir ja eine Nachricht schicken, wenn es viel später wird«, schrieb ich.

»Ja, das wäre gut.«

»Wärest du mir böse, wenn wir für heute Schluss machen?«, fragte ich. »Ich bin echt müde.«

»Überhaupt nicht! Warum sollte ich dir böse sein? Du hast mir eine Riesenfreude mit dem Handy gemacht.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite! Gute Nacht, Kimiko!«

»Gute Nacht, Max!«

»Schlaf gut und träum was Schönes!«

»Du ebenfalls!«

»Vergiss nicht, das Handy abzuschalten und wegzupacken.«

»Mache ich.«

»Augen zu.«

»Augen zu.«

Ich stieß einen tiefen, sehr zufriedenen Seufzer aus. Bei einem Blick auf meine Uhr stellte ich überrascht fest, dass wir weit über eine Stunde miteinander geschrieben hatten. Die Zeit war mir deutlich kürzer vorgekommen. Ich war echt glücklich! Unser Bild schaute ich mir auf meinem Laptop noch einmal an, bevor ich schlafen ging.

Samstag, 30. Oktober 2021

In der letzten Nacht schlief ich so tief und ruhig, wie schon lange nicht mehr. Für heute Abend verabredete ich mich mit meinem Kumpel und wir trafen uns in der Stadt zu einem Film. Anschließend gingen wir auf ein Bier in der Kneipe nebenan. Bald fragte er mich, ob es in Ordnung für mich wäre, wenn wir an diesem Abend nicht mehr, wie sonst üblich, durch die Kneipen ziehen würden. Er hätte einige Tage zuvor ein Mädel kennengelernt und wollte mit ihr später noch in eine Disco gehen. Aus verständlichen Gründen hatte ich nichts dagegen einzuwenden, und so trennten sich unsere Wege. Ich legte auf meinem Rad einen Endspurt ein und war um kurz nach Elf zu Hause. Auf dem Weg nach oben schrieb ich die erste Nachricht: »Guten Abend, Kimiko.«

»Guten Abend, Max«, kam prompt ihre Antwort.

»Ich bin gleich in meinem Zimmer.«

»Ok. Lass dir Zeit. Ich gehe nicht weg.«

Ich sprintete die Treppe hinauf und schloss die Wohnungstür auf. Es war dunkel in der Wohnung, meine Eltern waren bereits zu Bett gegangen. In meinem Zimmer machte ich es mir mit einem dicken Kissen im Rücken auf mein Bett bequem.

»Bin da. Wie geht es dir?«, begann ich unsere Unterhaltung.

»Ist ok. Und dir?«

»Auch gut. Ich war mit dem Kumpel im Kino.«

»Was habt ihr gesehen?«

»Einen Actionfilm mit Vin Diesel.«

»War er gut?«

»Er war ok. Ich habe schon bessere mit ihm gesehen. Gehst du manchmal auch ins Kino?«, erkundigte ich mich.

»Früher mehr. In letzter Zeit selten.«

»Würdest du denn gerne?«

»Ab und zu.«

»Und warum gehst du nicht?«

»Meine Eltern wollen dann mit und sie haben kein Interesse an Popcornkino.«

»Würden sie dich gehen lassen, wenn du mit einer Freundin aus der Schule hin möchtest?«, fragte ich, in der Hoffnung, dass sich daraus eine Möglichkeit ergeben könnte, sie wenigstens im Kreis von anderen Wiedersehen zu können.

»Habe ich lange nicht gefragt. Ich bin nach der Schule und dem Programm mit den Kindern meistens zu müde.«

»Das kann ich nachvollziehen.«

»Ich finde es schade, dass sie dir dies nicht ermöglichen«, bemerkte ich.

»Sie arbeiten beide selber viel und sagen, dass ich ja Zeit hätte, mich um die Kinder zu kümmern.«

»War das schon immer so?«

»Wie meinst du das?«, fragte sie nach.

»Wie war das denn, bevor deine Geschwister da waren?«

»Ja, da hatte ich mehr Zeit. Da war vieles anders.«

»Was denn noch?«

Sie zögerte mit einer Antwort, daher ergänzte ich: »Ich hoffe, meine Frage ist nicht zu persönlich.«

»Nein. Ist ok. Da hat meine Mutter noch gelebt.«

»Oh. Was ist passiert?«

»Sie ist vor sechs Jahren an Krebs gestorben.«

»Das tut mir sehr leid!«

»Danke. Mein Vater hat ein zweites Mal geheiratet und so habe ich die zwei Geschwister bekommen.«